Der Raum - Denkling 2

Ein Beitrag von Uta Stolz

Auf einem Elternabend blickte eine Mutter suchend umher, hielt kurz am Pult mit dem Blumenstrauß inne und fragte dezent entrüstet: „Frau Stolz, wo ist denn Ihr Jahreszeitentisch?“ Ich wusste aus jahrelanger Erfahrung, dass ich mit Blumen allein nicht durchkommen würde, denn weder Wurzeln noch gefilzte Wesen säumten sie. „Ich habe mich für das Konzept des Lernzeitenraums entschieden!“, war meine Antwort und ich zeigte, wie sich im Uhrzeigersinn die Produkte der Kinder im Laufe des Schuljahres im Klassenzimmer aufreihten und noch sammeln würden: über der Tafel, da wo Kinderaugen nur mühsam lesen können, ein Fries aus feinen Formenzeichnungen, in ein Netz geklammert Bilder von Gottheiten mit Namen, an der Türe die Ankeraufgaben- und Größen aus der Mathematik, rechts Plakate der letzten Präsentationen … „Aha. Lernzeitenraum. Nie gehört, aber jetzt wo Sie sagen …“

Der Raum als dritter Pädagoge spiegelt in allem die Lehrerpersönlichkeit, ihre Sicht auf Lernen und Entwicklung und ihren Bezug zu anthroposophischen Essentials. Außer Tischen gibt es platzsparende Strohräder zum (jahreszeitlichen) Schmücken an der Wand. Vielleicht reicht auch ein einziges einfarbiges Tuch, oder nur ein einziger Stein und vielleicht passen auch zart gefilzte Gesellen als Schmuck im Sinne einer Stimmung, die gerade diese Lehrerpersönlichkeit für ihre Schüler*innen erzeugen möchte. Ein strammer „König Winter“ in Finnland, ein Nieselzeitentisch im Rheinland? Vielleicht passt alles nicht überall. In Zeiten von Deko wirkt auch Verzicht.

Die 5 Fragen zum Thema Raum

  • Was sehen die Kinder, wo sind ihre Sichtachsen, vor allem, wenn sie auf Kissen am Boden sitzen müssen?
  • Was ist mir wichtig und was genau haben die Schüler*innen davon?
  • Spiegelt der Raum die Aktivität, das Ergebnis von „arbeitsam und lernbegierig Sein“ der Lernenden wider?
  • Erleben die Kinder den Raum als ihren Raum, für den sie Verantwortung tragen und ihn in der Mittelstufe so pflegen wollen, wie es in der Unterstufe angelegt wurde? Strahlt diese Verantwortlichkeit bis in die Oberstufe und gelingt es Schüler*innen gemeinsam mit den Pädagog*innen ihren Raum so zu gestalten, dass jeder, der eintritt, spürt: ein feiner Duktus von Bedeutsamkeit der Details webt in diesem Raum im Sinne: „ich schaue in die Welt …ich schaue in die Seele…“
  • Kann ich als Lehrerin schnell zu jedem einzelnen gelangen und seine Lernwege wahrnehmen und welche Tischordnung passt dazu?

Raumgestaltung

  1. Von links stahlt (meist) das Licht und führt in die Struktur: welche Inhalte, welche Transparente passen dazu, in welchen Farben soll es von dieser Seite leuchten?
  2. Der Tafelraum vorne ist der Wahrnehmungsraum: stören da nicht Mülleimer und Besen? Passt für mich das in der Klasse hängende Standardbild, ist es groß genug? Was brauchen die Kinder noch, um ihre Wahrnehmung gut fokussieren zu können? Entdecken sie da das „Neue“?
  3. Von rechts wirkt das Gestalt Bildende, in den Zusammenhang Führende: Welche Zugänge zum Lernstoff können da Platz finden? Die Bilder der Kinder hängen typischerweise dort.
  4. Der hintere Raum ist der Verarbeitungsraum: haben die Kinder Zugang zu passenden Lernmaterialien, um eigenhändig arbeiten zu können?
  5. Braucht es einen optischen Rückzugsraum für die ablenkbaren Lerner, wo sie konzentriert arbeiten können?

Und in den Heilpädagogischen Schulen?

Karl König hat in der Architektur der Klassenzimmer angeregt, auf der Fensterseite einen gestaltbaren Fries anzulegen und die Fenster höher anzubringen, damit die Kinder durch eine belebte Struktur gehalten sind und mit ihrer Aufmerksamkeit besser im beseelten, bildenden Innenraum bleiben können.
 

© Uta Stolz
E-Mail: mail@utastolz.de
Website: www.utastolz.de

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