Die Begrüßung - Denkling 1

Ein Beitrag von Uta Stolz

Die Kinder begrüßten mich und meinen Besucher aus den Niederlanden vor 21 Jahren: „Gu-ten-Mor-gen-lie-be-Frau-Stolz-gu-ten-Mor-gen-lie-ber-Herr-Ver-ha-ge!“ Ich selbst hatte mich bei diesem Ritual nie ganz wohl gefühlt, erinnerte es mich doch stark an meinen Lateinunterricht, wo wir noch in der gymnasialen Oberstufe der Siebzigerjahre auf- und auch strammstehen mussten. Mein niederländischer Kollege fragte mich in der Nachbesprechung amüsiert: „Macht ihr das immer noch so in Deutschland? Der Krieg ist doch lange vorbei. Man kann nur persönlich grüßen, im Chor kann man nicht grüßen. Der Gruß geht von Ich zu Ich, oder vom Ich zur Gruppe. Du hast doch jedes Kind schon einzeln begrüßt.“

Ich fühlte mich ertappt und schämte mich, denn in meinem Inneren war mir nicht wohl gewesen, aber „man machte das so“.

Ich löste für mich die Situation, indem ich nach der individuellen Begrüßung vor Beginn des Unterrichts kurz die Klasse begrüßte und den Schüler frei anbot, mir zu erwidern, was all die zwanzig Jahre einzelne auf ihre Weise taten. Und doch erlebe ich, dass gerade jüngere Kinder den Begrüßungsspruch gern gemeinsam schmettern, das Chorische hat Kraft und schafft Verbindung. Der persönliche Gruß hat Tiefe, oder wie mir in der Mittelstufe ein Quereinsteiger sagte: „Wissen Sie, Frau Stolz, in der anderen Schule sind wir in die Klasse gegangen und haben unsere Lehrer stehen lassen, aber hier gebe ich jedem Lehrer die Hand!“

Die 5 Fragen zum Thema Begrüßung

  • Wie gestalte ich Wahrnehmung und Wertschätzung in meinem Begrüßungsritual?
  • Passt mein Ritual zu mir und meiner Lerngruppe?
  • Wie ist es mit dem Wörtchen „liebe“, was, wenn einzelne die Lehrerpersönlichkeit nicht lieb finden? Können Schüler*innen einen Gast, den sie nicht kennen, lieb finden? Sollen sie das?
  • Was ist mir im ersten morgendlichen Kontakt besonders wichtig?
  • Grüßen meine Schüler von sich aus andere Lehrer oder auch Fremde?

Formen der Begrüßung

  1. An der Schultür begrüßt ein Erwachsener alle, die morgens ins Gebäude strömen.
  2. Die SuS stehen in einer Schlange, begrüßen Lehrer*in und gehen dann in die Klasse.
  3. Lehrer*in sitzt am Pult, jedes Kind begrüßt und zeigt zum Beispiel die Hausaufgaben.
  4. Die SuS gehen in die Klasse, Lehrer*in geht einzeln auf die SuS zu.
  5. SuS richten die Begrüßung an alle im Raum, wenn sie kommen.
  6. Lehrer*in besteht auf den Blick in die Augen.
  7. Das chorische Begrüßen erfolgt im Stehen.
  8. Das nicht chorische Begrüßen erfolgt im Sitzen.
  9. Die allgemeine Begrüßung erfolgt in frontaler Aufstellung.
  10. Die allgemeine Begrüßung erfolgt im Kreis, jeder kann jeden sehen.
  11. Guten Morgen alle zusammen! Schön, dass ihr da seid! Einen schönen Tag! Es gibt unterschiedliche Begrüßungssätzchen.
  12. Die Begrüßungskultur überträgt sich auf Fremde, die von vielen Schülern in der Regel begrüßt werden.

Und in den Heilpädagogischen Schulen?

In der Regel stehen die Schüler*innen vor der Klasse und werden dann einzeln mit dem Blick in die Augen („zentrales Ich“) und dem Handschlag („peripheres Ich“) persönlich begrüßt. Oft folgen weitere ausführliche Begrüßungsrituale, die das Ankommen und gegenseitige Wahrnehmen in der kleinen Lerngruppe ermöglichen und in ein sinnenhaftes Geschehen mannigfaltig einbetten. Diejenigen, die sich selbst nicht gut „halten“ können, nährt die Halt gebende Ritualisierung.
 

© Uta Stolz
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Website: www.utastolz.de

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