Morgenröte der Wissenschaft
Ein Beitrag von Georg Farwick.
Die vielversprechenden Naturbeobachtungen des klassischen Altertums fanden mit dem Niedergang des Römischen Reiches ein abruptes Ende. Politische Unruhen und der wachsende Einfluss der Kirche brachten die wissenschaftliche Entwicklung nahezu vollständig zum Erliegen. Das Studium der antiken Philosophen galt als ketzerisch, und die Erforschung der Natur geriet in Vergessenheit. Erst mit dem Aufbruch der Renaissance, als die dunklen Zeiten des Mittelalters überwunden waren, begann die Naturwissenschaft wieder aufzublühen.
Von den Phänomenen, die uns hier interessieren, rückte zunächst der Magnetismus in den Fokus. Elektrizität war zu dieser Zeit noch vollkommen unbekannt, während der Magnetismus durch seine Anwendung im Kompass bereits von erheblicher Bedeutung war.
Pierre de Maricourt - erste Versuche
Am 8. August 1269 verfasst Pierre de Maricourt, ein Philosoph und Ingenieur im Dienst von Karl I. von Anjou, aus einem Feldlager bei Lucera in Süditalien einen Brief an einen Freund. Dieser Brief stellt die früheste bekannte experimentalphysikalische Beschreibung des Magnetismus dar. Warum sich Maricourt so intensiv mit dem Magnetismus beschäftigte, ist unklar.
Für seine Experimente formt er aus einem großen Magnetitblock eine Kugel und verteilt kleine Eisenstäbchen auf deren Oberfläche. Zu seiner Überraschung richten sich die Stäbchen so aus, dass Linien entstehen, die den geografischen Meridianen der Erde ähneln und sich an zwei Punkten schneiden. Damit identifiziert er erstmals die magnetischen Pole der Erde – allerdings nur in seinem Modell. Eine Verbindung zu den Funktionsprinzipien der Kompassnadel zieht er nicht.
Seine weiteren Experimente liefern ihm zahlreiche neue Erkenntnisse. So entdeckt er neben der anziehenden auch eine abstoßende Kraft, die immer dann auftritt, wenn gleichnamige Pole einander gegenüberliegen. Zerbricht er einen Magneten, entstehen zwei neue Magneten, jeweils mit eigener Polarität. Maricourts Beobachtungen legten den Grundstein für ein grundlegenderes Verständnis des Magnetismus.
Ausgehend von seinen Beobachtungen versucht Pierre de Maricourt, auch eine theoretische Grundlage für die entdeckten Phänomene zu entwickeln. Er postuliert, dass Magneten ihren Magnetismus vom „Erdmagnetismus“ beziehen – ein Begriff, der in diesem Zusammenhang erstmals verwendet wird. Obwohl seine Experimente für die damalige Zeit bemerkenswerte Erkenntnisse liefern, unterläuft ihm dennoch ein aus heutiger Sicht schwer verständlicher Irrtum: Er ist der Meinung, dass sich die Magnetnadel des Kompasses auf den Polarstern ausrichtet. Die naheliegende Verbindung zu den magnetischen Polen seiner Modellerde zieht er nicht.
1558 wird sein Brief schließlich in gedruckter Form veröffentlicht und verbreitet damit seine bahnbrechenden, wenn auch in Teilen fehlerhaften, Erkenntnisse zum Magnetismus.