Tintenfisch - Maus - Mensch

Auszug aus der GA 294, 7. Vortrag

[...] „Wir werden, wenn wir an diese Lebenszeit herankommen [9./10. Lebensjahr], die Notwendigkeit empfinden müssen, namentlich auch Naturgeschichtliches in den Unterricht aufzunehmen. Vorher wird das Naturgeschichtliche in erzählender Art an die Kinder herangebracht, so wie ich gestern im Seminar von den Beziehungen der Tierwelt und der Pflanzenwelt zum Menschen gesprochen habe. Man wird vorher mehr in erzählender, in beschreibender Form das Naturgeschichtliche an das Kind heranbringen. Mit dem eigentlichen naturgeschichtlichen Unterricht aber wird man, bevor der Rubikon des 9. Lebensjahres überschritten ist, nicht eigentlich anzufangen haben.

Da ist es nun von großer Bedeutung zu wissen, dass man das, was im naturgeschichtlichen Unterricht im Kinde bewirkt werden soll, gründ­lich verdirbt, wenn man nicht im naturgeschichtlichen Unterricht mit der Auseinandersetzung über den Menschen beginnt. Sie mögen mit Recht sagen: Man wird dem Kinde von der Naturgeschichte des Men­schen, wenn es 9 Jahre alt geworden ist, noch wenig sagen können. Doch es mag noch so wenig sein, aber das Wenige, was man dem Kinde vom Menschen beibringen kann, das bringe man ihm als Vorbereitung für allen andern naturgeschichtlichen Unterricht bei. Sie werden wissen müssen, indem Sie das tun, dass im Menschen gewissermaßen eine Syn­thesis, eine Zusammenfassung aller drei Naturreiche vorliegt, dass die drei übrigen Naturreiche im Menschen auf einer höheren Stufe zusammengefasst sind. Sie werden das dem Kinde nicht zu sagen brauchen, aber durch den Gang Ihres Unterrichts werden Sie in dem Kinde ein Gefühl dafür herbeiführen müssen, dass der Mensch eine solche Zu­sammenfassung aller übrigen Reiche der Natur ist. Sie werden es erreichen, wenn Sie der Besprechung des Menschen den nötigen Nachdruck geben, wenn Sie in der Art, wie Sie den Menschen behandeln, beim Kinde hervorrufen den Eindruck von der Wichtigkeit des Menschen innerhalb der ganzen Weltenordnung.

Sie werden vielleicht bei dem Kinde, wenn es 9 Jahre alt geworden ist, anfangen, die menschliche Gestalt äußerlich zu beschreiben. Sie werden es aufmerksam machen auf die Hauptgliederung des Menschen in Kopf, Rumpf und Gliedmaßen, aber Sie werden dabei mehr auf die äußere Erscheinung, auf die äußere Form Rücksicht zu nehmen haben. Sie werden gut tun, wenn Sie schon beim Kinde durch die Zuhilfenahme des vorher ge­pflegten Zeichnens für das Hauptsächlichste in der Menschenform eine Vorstellung hervorrufen: dass der Kopf kugelförmig ist, dass er an der Unterseite etwas abgeplattet ist und mit dieser Stelle auf dem Rumpf aufsitzt, also eine auf dem Rumpf aufsitzende Kugel ist. Dies beim Kinde als Vorstellung hervorzurufen, ist gut. Das ruft zu gleicher Zeit Gefühls- und Willenselemente wach, denn das Kind beginnt den Kopf künstlerisch, von seiner Kugelform aus, anzusehen. Das ist wichtig. Dadurch ergreifen Sie den ganzen Menschen, nicht bloß seinen Intel­lekt. Dann aber versuchen Sie, im Kinde die Vorstellung hervorzurufen, dass der Rumpf gewissermaßen ein Fragment des Kopfes ist. Versuchen Sie, das durch eine Zeichnung beim Kinde hervorzurufen, indem Sie ihm sagen: Der Kopf ist kugelförmig. Nimmst du ein Stück aus der Kugel heraus, indem du dies (das schraffierte Stück der Zeichnung) abschneidest und das andere zurückbehältst, so dass gewissermaßen der Mond zurückbleibt von der Sonne, dann bekommst du die hauptsächlichste Form des Rumpfes. - Es würde gut sein, wenn Sie aus Wachs oder geknetetem Teig eine Kugel formten, das schraffiert Angedeutete abschnitten und wirklich sphärisch den Mond zurückbehielten in seiner Gestaltung, damit Sie in dem Kinde wirklich eine solche Vorstellung von einem Kugelfragment für den menschlichen Rumpf hervorrufen. Und für die Gliedmaßen rufen Sie dann die Vorstellung hervor, dass sie eben an dem Rumpfe dranhängen und eingesetzt sind. Da wird das Kind manches nicht verstehen können, allein rufen Sie dennoch stark die Vorstellung hervor, dass die Gliedmaßen eingesetzt sind in den menschlichen Organismus. Sie dürfen an dieser Stelle nicht weitergehen, denn die Gliedmaßen setzen sich nach innen fort in den morpho­logischen Anlagen des Menschen und hängen da mit den Verdauungs- ­und Geschlechtsorganen zusammen, die nur eine Fortsetzung der Gliedmaßen nach innen sind. Aber dass die Gliedmaßen in den Organismus eingesetzt sind, von außen, diese Vorstellung rufen Sie stark in den Kindern hervor. Damit bekommt das Kind zunächst eine Formvorstel­lung vom Menschen.

Dann versuchen Sie, in dem Kinde auch eine erste, wenn auch noch elementare, primitive Vorstellung davon hervorzurufen, dass das Anschauen der Welt an die Kopfkugel gebunden ist. Man kann dem Kinde sagen: Du hast deine Augen, deine Ohren, deine Nase, deinen Mund im Kopfe. Mit den Augen siehst du, mit den Ohren hörst du, mit der Nase riechst du, mit dem Munde schmeckst du. Das meiste von dem, was du von der Außenwelt weißt, das weißt du durch deinen Kopf. - Wenn Sie diesen Gedanken weiter ausgestalten, dann bekommt das Kind eine Vorstellung eben von der besonderen Ausbildung und Auf­gabe des Kopfes. Sodann versuchen Sie in ihm eine Vorstellung von dem Rumpfe hervorzurufen, indem Sie sagen: Was du mit der Zunge schmeckst, geht dann als Nahrung in deinen Rumpf hinein, was du mit den Ohren hörst, geht als Ton in deinen Rumpf hinein. - Es ist gut, bei den Kindern eine Vorstellung des Organsystems des ganzen Menschen hervorzurufen, wenn Sie also dem Kinde auch noch andeuten, dass es in der Brust die Atmungsorgane hat, durch die es atmet, dass es im Unterleibe den Magen hat, durch den es verdaut. Es ist gut, wenn man das dem Kind andeutet. Und es ist dann weiterhin gut, wenn man das Kind sich darauf besinnen lässt, wie die Gliedmaßen des Menschen auf der einen Seite als Füße zum Gehen dienen, auf der andern Seite als Hände zum freien Bewegen und Arbeiten. Und es ist gut, wenn man dabei schon im Kinde das Verständnis für den Unterschied erweckt zwi­schen dem Dienst, den die Füße dem Körper des Menschen leisten, indem sie ihn tragen und es ihm möglich machen, dass er an verschie­denen Punkten, wo er zu leben hat, arbeiten kann - und den Dienst, den im Gegensatz dazu die Arme und Hände leisten, mit denen der Mensch nicht seinen eigenen Körper tragen muss, sondern mit denen er frei arbeiten kann. Während die Füße auf dem Boden aufstehen, kön­nen die Hände zum Arbeiten in die Luft hinausgestreckt werden. Kurz, auf den wesentlichen Unterschied der menschlichen Beine und Füße und der menschlichen Arme und Hände soll das Kind frühzeitig hingewiesen werden. Der Unterschied zwischen dem Dienst, den die Füße und Beine leisten, indem sie den menschlichen Leib tragen, und dem Dienst, den die Hände und Arme leisten, indem sie nicht für den menschlichen Leib, sondern für die Welt arbeiten, dieser Unterschied zwischen dem egoistischen Dienst der Füße und dem selbstlosen Dienst der Hände im Arbeiten für die menschliche Außenwelt, sollte dem Kinde gefühlsmäßig früh beigebracht werden.

So sollten wir, indem wir aus der Form den Begriff herausarbeiten, dem Kinde so viel als möglich naturgeschichtlich vom Menschen beibringen. Dann erst gehe man über zur übrigen Naturgeschichte, und zwar zuerst zum Tierreich. Da wäre es gut, wenn Sie in die Klasse bringen könnten - Sie werden sich ja in irgendeiner Weise behelfen müssen - zum Beispiel einen Tintenfisch, eine Maus, ein Lamm oder auch ein Pferd, irgend etwas aus der Sphäre dieser Säugetiere, und dann wieder vielleicht eine Nachbildung des Menschen, nun, menschliche Exemplare hätten Sie ja genug, Sie brauchten nur einen Schüler als menschliches Objekt den andern zu präsentieren. Nun müssen Sie sich klar werden, wie Sie jetzt vorgehen. Sie werden versuchen, zunächst den Tintenfisch den Schülern nahe zu bringen. Sie werden ihnen erzäh­len, wie er im Meere lebt, werden durch Anschauung oder Zeichnung beschreiben, wie er aussieht, kurz, Sie werden die Kinder mit dem Tin­tenfisch bekanntmachen. Die Kinder werden fühlen, indem Sie ihnen den Tintenfisch beschreiben, dass Sie ihn in einer eigentümlichen Art beschreiben. Vielleicht erst später, wenn Sie zum Beispiel die Maus beschreiben, werden die Kinder merken, wie verschieden Sie die Maus vom Tintenfische beschrieben haben. Sie müssen dieses künstlerische Gefühl bei den Kindern zu entwickeln suchen, dass sie an der Art, wie Sie bei der Beschreibung des Tintenfisches anders verfahren als bei der Beschreibung der Maus, zugleich ein gewisses Gefühl für den Unterschied zwischen diesen beiden Tieren bekommen. Beim Tintenfisch müssen Sie diese Art so andeuten, dass der Tintenfisch etwas fühlt von dem, was in seiner Umgebung ist: Wittert er irgend etwas Gefähr­liches in seiner Umgebung, so lässt er ja sogleich seinen dunklen Saft los, um sich in eine Aura einzuhüllen, damit das von ihm selbst abgelenkt wird, was in seine Nähe kommt. Man kann dann dem Kinde viele Dinge sagen, durch die es begreift, dass der Tintenfisch, wenn er handelt, wenn er sich auf irgendeine Weise vor seinen Feinden schützt, der auch wenn er sich ernährt, immer so handelt, wie zum Beispiel der Mensch handelt, wenn er etwas isst oder etwas anschaut: Wenn der Mensch etwas isst, so hat er Geschmack - ein Gefühl, das er durch seine Zunge, durch sein Geschmacksorgan vermittelt bekommt. Und das Auge des Menschen hat fortwährend das Bedürfnis, ins Licht zu sehen; indem es das macht, kann es sich mit dem Lichte auseinandersetzen. Dadurch, dass die Geschmacksorgane des Menschen schmecken wollen, nehmen sie das auf, was zur Nahrung dient. Beschreiben Sie also den Tintenfisch in der Weise, dass das Kind aus Ihrem Beschreiben die Sensitivität des Tintenfisches fühlt, seine feine Wahrnehmung für die Dinge in seiner Umgebung. Sie werden sich eine künstlerische Beschrei­bung des Tintenfisches ausarbeiten müssen, damit die Kinder ihn wirk­lich in dieser künstlerischen Beschreibung erfassen.

Dann beschreiben Sie die Maus. Sie beschreiben, wie sie eine spitze Schnauze hat, wie an dieser spitzen Schnauze zunächst sehr stark die Schnurrhaare zu bemerken sind, wie außerdem daran zu bemerken sind die von unten und von oben hervorstehenden Nagezähne; Sie beschrei­ben die unverhältnismäßig großen Ohren der Maus, kommen dann auf den walzenförmigen Rumpf der Maus und auf den feinen, sammet­artigen Haarwuchs. Dann gehen Sie über zur Beschreibung der Gliedmaßen, der kleineren Vorderfüßchen, der etwas größeren Hinterfüß­chen, wodurch es der Maus ermöglicht wird, gut springen zu können. Dann hat sie einen mit Schuppen besetzten Schwanz, der weniger be­haart ist. Sie machen das Kind dabei aufmerksam, dass die Maus, wenn sie irgendwo hinaufklettert, oder mit den Vorderpfoten etwas umfassen will, sich auf den Schwanz stützt, den die Maus deshalb sehr gut gebrauchen kann, weil er innerlich empfindlicher ist, was damit zu­sammenhängt, dass er nicht Haare, sondern Schuppen hat. Kurz, Sie versuchen, die Maus dem Kinde zu beschreiben wiederum, indem Sie die Formen der Maus künstlerisch aufbauen. Und dieses künstlerische Aufbauen werden Sie erreichen, wenn Sie im Kinde eine Vorstellung davon hervorrufen, wie zu all den Verrichtungen, wozu der Tintenfisch noch nicht so an den Körper Angewachsenes braucht, bei der Maus Angewachsenes notwendig ist. Der Tintenfisch ist durch sich selbst, durch seinen Leib, empfindlich, daher braucht er nicht so große Ohrlöffel wie die Maus. Er steht so mit der Umgebung in Beziehung, dass er seine Nahrung in sich hineinbringen kann ohne die spitze Schnauze, wie die Maus sie hat. Er braucht auch nicht so große, angewachsene Gliedmaßen wie die Maus, weil er seinen Leib selbst ver­wenden kann, um im Wasser vorwärts zu kommen. Fassen Sie das recht zusammen, was Sie durch künstlerische Umkleidung dem Kinde beibringen wollen: dass der Tintenfisch weniger durch seine Gliedmaßen­organe sich äußert, dass er sich mehr durch seinen Leib selber äußert.

Ich muss das erst für Sie alles beschreiben, damit Sie es dann in Ihrem Unterricht umsetzen, denn Sie müssen sich dessen bewusst sein, was Sie später mehr unbewusst in den künstlerisch gestalteten Unter­richt hineinbringen müssen. Kurz, beschreiben Sie so die Maus, dass Sie allmählich im Kinde das Gefühl hervorrufen: Die Maus ist ganz dazu organisiert, mit ihren Gliedmaßen ihrem Rumpfleben zu dienen. Machen Sie dem Kinde dann auch klar: Schließlich ist auch das Lamm so organisiert, mit seinen Gliedmaßen dem Rumpfleben zu dienen, auch das Pferd ist so organisiert, dass es, wenn es in der Wildheit lebt, mit seinen Gliedmaßen dem Rumpfleben dienen kann. Machen Sie zum Beispiel dem Kinde folgendes klar: Sieh, die Maus hat so recht spitzige Zähne, diese Zähne müssen scharf und spitz sein, sonst würde die Maus nicht an den Gegenständen nagen können, wie sie muss, damit sie sich ernähren kann, damit sie sich sogar auch Löcher bohren kann, in denen sie dann wohnt. Dadurch aber muss sie ja ihre Zähne fortwährend abnutzen. Doch bei der Maus ist es so eingerichtet, dass die Zähne, wie unsere Nägel, von innen heraus immer nachwachsen, so dass die Maus fortwährend den inneren Ersatz für die Zahnsubstanz bekommt. Das sieht man besonders an den Zähnen, die ja auch Organe sind, welche an dem übrigen Organismus dranhängen, dass sie so gebildet sind, dass der Rumpf der Maus leben kann.

So haben Sie beim Kinde eine starke Vorstellung, wenn auch ele­mentar, empfindungsgemäß hervorgerufen vom Tintenfisch, und Sie haben weiter in ihm eine starke Vorstellung hervorgerufen vom Bau der Maus. Und jetzt gehen Sie über wiederum zum Bau des Menschen. Sie machen dem Kinde klar: Wenn wir jetzt am Menschen das aufsuchen, worin er am meisten dem Tintenfische ähnlich ist, so werden ihr sonderbarerweise zum menschlichen Kopf geführt. Am meisten ist vom Menschen der Kopf dem Tintenfische ähnlich. Es ist ein Vorurteil, dass die Menschen just ihren Kopf für das Vollkommenste halten. Der Kopf ist zwar sehr kompliziert ausgestaltet, aber es ist eigentlich nur ein umgewandelter Tintenfisch; ich meine, ein umgewandeltes niederes Tier, denn der menschliche Kopf verhält sich zu seiner Umgebung ähnlich so, wie die niederen Tiere sich zu ihrer Umgebung verhalten. Und mit seinem Rumpf ist der Mensch am meisten den höheren Tieren ähnlich: Maus, Lamm, Pferd. Nur während der Tintenfisch durch seinen Kopf sein ganzes Leben unterhalten kann, könnte der Mensch das nicht. Der Kopf muss aufgesetzt sein auf dem Rumpf und darauf ruhen, er kann sich nicht frei bewegen; der Tintenfisch, der im Grunde ge­nommen ein ganzer Kopf ist und sonst nichts, bewegt sich aber frei im Wasser. - Sie müssen es schon dahin bringen, dass die Kinder ein Gefühl davon bekommen, wie die niederen Tiere frei sich bewegende Köpfe sind, nur noch nicht so vollkommen wie der Menschenkopf. Und Sie müssen in den Kindern ein Gefühl erwecken dafür, dass die höheren Tiere hauptsächlich Rumpf sind und die Organe hauptsächlich zur Befriedigung der Bedürfnisse des Rumpfes raffiniert von der Natur ausgestaltet haben, was beim Menschen viel weniger der Fall ist; er ist in Bezug auf seinen Rumpf unvollkommener ausgestaltet als die höheren Tiere.

Man muss dann in den Kindern ein Gefühl davon hervorrufen, worin nun der Mensch in der äußeren Form am allervollkommensten ist. Das ist er in Bezug auf seine Gliedmaßen. Wenn Sie die höheren Tiere bis zum Affen hinauf verfolgen, so werden Sie finden, dass die vorderen Gliedmaßen noch nicht so sehr verschieden von den hinteren sind und dass überhaupt die vier Gliedmaßen im wesentlichen dazu dienen, den Rumpf zu tragen, weiterzubewegen und so fort. Diese wunderbare Differenzierung der Gliedmaßen in Füße und Hände, in Beine und Arme, tritt erst beim Menschen ein und prägt sich aus in dem schon in der Anlage als aufrecht organisierten Gang, mit der schon der Anlage nach aufrecht organisierten Haltung. Keine der Tiergattungen ist mit Bezug auf die Durchorganisierung der Gliedmaßen so vollkommen gestaltet wie der Mensch.

Nun schalte man eine recht anschauliche Beschreibung der mensch­lichen Arme und Hände ein: Wie diesen alles Tragen des Organismus abgenommen ist, wie die Hände für Körperzwecke nicht in Berührung kommen mit der Erde, wie sie umgeformt sind zum Ergreifen der Gegenstände, zum Verrichten der Arbeit. Und dann gehe man auf das Willensmäßig-Moralische über. Man rufe in dem Kinde gefühlsmäßig, nicht theoretisch, eine starke Vorstellung hervor: Du nimmst zum Beispiel die Kreide in die Hand, um zu schreiben; die Kreide in die Hand nehmen, das kannst du nur dadurch, dass deine Hand umgeformt ist zur Verrichtung der Arbeit, dass sie nicht mehr den Leib zu tragen hat. Mit Bezug auf die Arme kann das Tier nicht faul sein, weil es im Grunde genommen keine Arme hat. Wenn man vom Vierhänder als vom Affen spricht, so ist das nur eine ungenaue Redeweise, denn er hat eigentlich vier armähnlich gestaltete Beine und Füße und nicht vier Hände. Denn, wenn auch schließlich die Tiere zum Klettern gebildet sind, so ist das Klettern auch etwas, was dem Leibe dient, und ihre Füße sind handförmig umgestaltet, damit sie durch das Klettern den Leib unterstützen können. - Für das, was im menschlichen Leibe vorgeht, sind die Hände und Arme des Menschen zwecklos geworden - äußerlich das schönste Sinnbild der menschlichen Freiheit! Es gibt kein schöneres Sinnbild der menschlichen Freiheit als die menschlichen Arme und Hände. Der Mensch kann für seine Umwelt arbeiten durch die Hände, und er kann schließlich auch, indem er sich nährt, indem er selber isst, für sich aus freiem Willen durch die Hände arbeiten.

Erweckt man in dem Kinde durch die Beschreibung des Tinten­fisches, der Maus oder des Lammes oder des Pferdes und des Menschen selbst nach und nach eine starke empfindungsmäßige und gefühls­mäßige Vorstellung davon, dass die niederen Tiere Kopfcharakter, die höheren Tiere Rumpfcharakter haben und der Mensch Gliedmaßencharakter hat. Es führt den Menschen nur zum eingeimpften Hochmut, wenn man ihm fortwährend beibringt, dass er durch seinen Kopf das vollkommenste Wesen auf der Welt ist. Dadurch saugt er unwillkür­lich die Vorstellung ein, dass man durch die Faulheit, durch die Träg­heit vollkommen ist. Denn instinktiv weiß der Mensch, dass der Kopf ein Faulpelz ist, dass er auf den Schultern ruht, dass er sich nicht selber durch die Welt bewegen will, dass er sich tragen lässt von den Gliedmaßen. Und es ist nicht wahr, dass der Mensch durch den Kopf, durch den Faulpelz Kopf, das eigentlich vollkommene Wesen ist, sondern er ist es durch seine Gliedmaßen, die in die Welt und ihre Arbeit eingegliedert sind. Sie machen den Menschen innerlichst moralischer, wenn Sie ihm nicht beibringen, er sei vollkommen durch den Faulpelz Kopf, sondern vollkommen durch die regsamen Gliedmaßen. Denn diejenigen Wesen, die nur Kopf sind wie die niederen Tiere, die müssen ihren Kopf selber bewegen, und diejenigen Wesen, welche ihre Gliedmaßen nur im Dienste des Rumpfes verwenden, wie die höheren Tiere, sind eben dem Menschen gegenüber gerade dadurch die unvollkomme­neren Wesen, dass ihre Gliedmaßen weniger zum freien Gebrauch ge­bildet sind als beim Menschen; sie sind schon mit einem gewissen Zweck behaftet, sie dienen überall dem Rumpf. Beim Menschen ist das eine Gliedmaßenpaar, die Hände, vollständig in die Sphäre der mensch­lichen Freiheit gesetzt. Eine gesunde Empfindung gegenüber der Welt bringen Sie dem Menschen nur bei, wenn Sie in ihm die Vorstellung erwecken, dass er vollkommen ist wegen seiner Gliedmaßen, nicht wegen seines Kopfes. Das können Sie durch die vergleichende Beschrei­bung des Tintenfisches, der Maus oder des Lammes oder des Pferdes und des Menschen sehr gut. Dadurch werden Sie auch zu gleicher Zeit merken, dass Sie eigentlich niemals, wenn Sie irgendetwas in einem Naturreiche beschreiben, den Menschen nicht dabei haben sollten, denn im Menschen vereinigen sich einmal alle Tätigkeiten der Natur. Deshalb sollten wir immer, wenn wir irgendetwas in der Natur beschrei­ben, im Hintergrunde den Menschen haben. Deshalb müssen wir auch, wenn wir nach dem Erreichen des 9. Lebensjahres beim Kinde zum naturgeschichtlichen Unterricht übergehen, vom Menschen ausgehen." [...]

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