1000 Kraniche
Ein Beitrag von Mareike Dinse (Waldorfschule Rostock)
„Wenn du 1000 Kraniche faltest, hast du einen Wunsch frei….“
Im dritten Schuljahr lernen die SchülerInnen den Zahlenraum bis 1000 kennen – aber wie kann das gehen? Ausgehend von SchülerInnen, die nur eine geringe Vorstellung von großen Zahlen und den zugehörigen großen Mengen haben, brauchten wir hier einen besonderen Erkundungsweg:
„Wenn du 1000 Kraniche faltest, hast du einen Wunsch frei.“ Mit dieser Herausforderung sahen sich die Kinder meiner 3. Klasse nach den Weihnachtsferien konfrontiert und waren gleich Feuer und Flamme. Solch eine Herausforderung anzugehen, machte gerade jetzt großen Sinn. Die vielen Handwerkerbesuche ließen die Kinder bereits erleben, was der Mensch mit seinen eigenen Händen anzufertigen vermag. So haben sie erst beim Orgelbauern gesehen, wie eine kleine Orgel zusammengesetzt werden kann und eine Woche später erkundeten wir das Gebälk der Marienkirche und sangen gemeinsam zu dem Spiel der viel größeren Orgel. Dass Handwerk nicht schnell gemacht ist, sondern Zeit braucht, denn „Gut Ding will Weile haben!“, durften die Kinder nun mit dem Kranichprojekt hautnah erfahren.
Schon vor Weihnachten zeigte ich einigen Kindern die Falttechnik, sodass an den eigens gestellten Gruppentischen immer ein Kind saß, welches die Faltabfolge bereits kannte. Immer wieder zeigte ich diese und bezeichnete die Zwischenschritte extra, wie: „Nun falten wir den Drachen und gehen zur Eistüte über“.
Im Vorfeld habe ich, dank einer großzügigen Papierspende, weiße Kopierpapierblätter zurechtgeschnitten. Die Kinder nahmen sich je ein Blatt und malten dieses erst einmal mit Blöckchen bunt an. Im Verlauf des Arbeitens fiel einigen auf, dass nicht beide Seiten bemalt werden mussten. Dies ließ ich aber bewusst die Kinder selbst herausfinden. Begleitet wurde das Projekt mit den weiteren Zitaten: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ oder „In der Ruhe liegt die Kraft.“
Rechenwege
Jeden Tag wurde nun gefaltet und wir begannen damit, die fertigen Kraniche in Zehnerketten auf einen Baumwollfaden aufzufädeln – Achtung, die Knoten nicht vergessen, sonst rutschen sie alle herunter. So wurden täglich 10er- Ketten an die Decke gehängt und wir konnten gut in 10er-Schritten zählen. Ich begann bald, an mehreren Stellen im Klassenraum aufzuhängen, sodass wir die Gruppen einzeln zählen konnten. Die Zahlen wurden an der Tafel festgehalten und zusammengerechnet.
Nun wollten wir 1000 Kraniche haben und mussten herausfinden, wie viele noch gefaltet werden mussten. Auch hier konnten wir das vorherige Ergebnis nutzen und von den 1000 abziehen. Der Ehrgeiz der Kinder war geweckt. Täglich kamen einige und brachten mir die zu Hause produzierten mit. Es war herrlich!
Dann und wann machten Kinder eine Faltpause und halfen lieber, die Ketten aufzufädeln, das war in Ordnung. Auch gab es einen Tisch, der eine Arbeitssteilung erfand: Ein Kind malte an, das nächste faltete bis zu einem bestimmten Punkt, das nächste beendete und das letzte Kind fädelte auf. Fertig.
Die Meisterprüfung
Um hier qualitativ zu arbeiten führte ich an, dass zum Ende des Projektes die Kinder ihre Meisterprüfung ablegen werden, indem sie ihren Meisterkranich falten würden. Wir überlegten uns gemeinsam, welche Qualitätsmerkmale der Meisterkranich aufweisen müsste, sodass alle ein Bild vor Augen hatten. Angespornt von den bis dahin besuchten Handwerkern, fühlten sich einige Kinder nun noch einmal besonders angesprochen, keine „Krücken“ abzugeben, sondern arbeiteten auf ihren Meisterkranich hin. So vergingen drei Wochen des Faltens und es trat eine gewisse Sättigung ein. Alle Kräfte wurden mobilisiert und es kamen viele Kraniche zusammen, sodass bei der letzten Zählung tatsächlich 1045 Kraniche erfasst worden sind – ein Riesenspaß.
Daran wurde die Meisterprüfung angeschlossen. Ich bereitete Meister-Urkunden vor und jedes Kind erhielt in feierlicher Stimmung und unter Applaus seine Urkunde. Durch dieses Projekt haben die Kinder gelernt, qualitativ hochwertig zu arbeiten, was einen großen Gewinn für ihre schulische Entwicklung darstellt, da sie einen persönlichen Maßstab für ihre Leistung gesetzt haben. Die Meisterkraniche wurden extra aufgehängt und sind in die nächste Klassenstufe mitgewandert. Die 1000 Kraniche sind nach dem Klassenraumwechsel in der Cafeteria untergekommen und tragen zu einem gemütlichen Ambiente bei.
Unser Klassenwunsch
Bis zum Sommer haben wir gemeinschaftlich überlegt, was wir uns nun als Klasse wünschen könnten. Dabei war allen klar, dass nicht jeder Wunsch in Erfüllung gehen würde, aber der Findungsprozess war sehr wertvoll, da gemeinsam diskutiert und in verschiedene Richtungen gedacht worden ist. Sie sind hierbei wirklich über sich hinausgewachsen. Am Ende einigten sich die Kinder auf den Wunsch, einen Wasserspielplatz auf dem Schulhof zu haben – und das ist tatsächlich realisierbar.
Geschichtlicher Hintergrund
„Wenn du 1000 Kraniche faltest, hast du einen Wunsch frei“ – dies kam dem ein oder anderen sicher bekannt vor: Es kommt ursprünglich aus der Zeit nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Menschen, die solange falten konnten, haben überlebt. Mittlerweile ist dieser Ausspruch in den Volksmund übergangen, kann aber – wenn die Zeit reif ist – im Unterricht wieder aufgegriffen werden. Die Kinder werden sich in der 8. Klasse daran erinnern, dass wir als Klasse doch recht lange gebraucht haben und erschließen sich damit das Ausmaß der Lebensumstände dieser Zeit. Das ist verknüpftes Lernen.