Der Seeweg nach Indien

Der Name "Indien" hatte für den Abendländer einen wundersamen Klang. Allerdings dachte man damals durchaus nicht an das heutige Indien, sondern Indien stand gleichsam für ganz Süd-Ost-Asien. Man stellte sich vor, dass es ein Land von unermesslichem Reichtum und paradiesischer Schönheit sei. Aus diesem Wunderland stammten die köstlichen Spezereien, die das Mahl der Reichen würzten, wohlriechende Öle, Heilmittel und Farbstoffe, prächtige Tücher und Teppiche, funkelnde Edelsteine, Perlen und Elfenbein.

Alles, was von dort stammte, war unglaublich teuer und kostbar. Die Europäer selbst gelangten jedoch nie hin. Ein Grund mehr, sich fantastische Gedanken darüber zu machen. All die Kostbarkeiten nahmen die Schiffe aus Venedig und Genua in Alexandrien, Beirut und Konstantinopel entgegen.

Bis sie allerdings dort angelangten, hatten die Waren schon einen weiten Weg hinter sich. Araber und andere Völker des Vordem Orients besorgten diesen Handel. Die Waren kamen durch vieler Herren Länder und Meere. Jeder verlangte seinen Gewinn an der Ware und so wurde diese immer teurer. Zudem geriet das östliche Mittelmeer im 14. und 15. Jahrhundert mehr und mehr unter die Herrschaft der Türken, und der europäisch-arabische Handel wurde abgeriegelt.

 

Da tauchte die Frage auf:

Könnte man nicht durch Umschiffung von Afrika nach Indien gelangen?

Als erstes versuchten es die Portugiesen. Man wusste jedoch noch gar nicht, wie groß Afrika eigentlich wirklich war. Zudem hatte man bislang geglaubt, dass das Wasser beim Äquator so heiß sei, dass es kochen müsste. Man kam also nur langsam voran. Durch jede Schifffahrt, die Heinrich der Seefahrer organisierte, gelangte ein Stückchen weiter an der afrikanischen Küste. Und tatsächlich wurden die Ufer immer öder. Doch dann fanden die Kundschafter auch wieder ein paar Gräser in der Sandwüste, Spuren von Menschen und Kamelen, vereinzelte arabische Eingeborene. Und schließlich erreichten sie am Grünen Kap von neuem fruchtbares Land und Siedlungen von schwarzen Menschen mit wulstigen Lippen und krausem Haar.

Der Papst hatte den Entdeckern den Auftrag gegeben, das neue Land im Zeichen des Kreuzes für die Portugiesen in Besitz zu nehmen. Man errichtete bei den Landgängen Steinkreuze. Als sie heimkehrten, brachten sie Jagdbeute mit: zuerst Seehundsfelle und dann immer zahlreicher - Menschen, Sklaven. Die Fahrten wurden einträglich. Natürlich lief das nicht ohne Kämpfe ab. Aber die zahllosen toten Eingeborenen, die vor ihren verbrannten Dörfern liegen blieben, wogen in den Augen der Eroberer nicht schwer. Es waren ja Heiden, «Kinder des Teufels», die auszurotten nach ihrer Meinung ein gottgefälliges Werk war.

Man ließ sich von Misserfolgen nicht abhalten. 70 Jahre vergingen, bis die ersten Schiffe 1487 das Kap der guten Hoffnung erreichten. Endlich wurde die sturmumbrauste Südspitze des riesigen Erdteils von Vasco da Gama mit drei Schiffen und 160 Mann Besatzung umsegelt. Nach fast zweijähriger abenteuerlicher Fahrt lief sein Geschwader am 20. Mai 1498 bei Kalikut ein. Der Seeweg nach Indien war gefunden.

Das Gespräch mit dem Herrscher von Kalikut, der über und über mit Gold, Perlen und Edelsteinen behangen war, verlief freilich nicht sehr freundlich, und die arabischen Händler und Seeleute zeigten offene Feindschaft. Aber nun rüsteten die heimgekehrten Portugiesen regelrechte Kriegsflotten und verschafften sich mit Kanonen Respekt im ganzen Indischen Ozean. Sie erklärten, ihr König sei der rechtmäßige Herr aller Meere, und jedes Volk, das Seehandel treiben wolle, sei ihm Tribut und Gehorsam schuldig. Sie erzwangen sich die Seeherrschaft mit brutaler Gewalt sogar über Malakka hinaus bis zu den gewürzreichen Molukken und bis an die Südküste von China. Doch war ihre Macht nur von kurzer Dauer.

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