Kolumbus und seine Reisen
Von Otto Zierer aus dem "Bild der Jahrhunderte"
Mit freundlicher Genehmigung von Anton Kammerl.
Es ist die Nacht vom 11. zum 12. Oktober des Jahres 1492. In dieser Nacht hat der Wind drei große hölzerne Schiffe aus den unendlichen Weiten des Ozeans einer Inselküste im Osten des Kontinents nahegebracht. Die Karavellen taumeln schwerfällig unter gerefften Segeln in der Dünung.
Um drei Uhr nachts glaubt der Matrose Rodrigo de Triana aus dem Mastkorb des Schiffes, das den Namen »Pinta« trägt, am westlichen Horizont einen fahlen Streifen Landes gesehen zu haben. Er ruft: »Land! Land in Sicht!« Kapitän Martin Pinzon lässt eine Kanone lösen, ihr Blitz und Donner schreckt die Besatzung der kleinen Flotte empor. Sackpfeifen und Schellentrommeln lärmen, aus rauen Matrosenkehlen steigt ein »Te Deum laudamus« zum silbrig glänzenden Himmel.
Als der Morgen herankommt, werden Boote bemannt. Eisengepanzerte Männer mit Musketen, Schwertern und Helmen ordnen sich unter der Fahne von Kastilien und Leon. Am Bug des vordersten Bootes steht in dunklem Samtkostüm, mit wallonischer Halskrause und violetten Seidenstrümpfen der Admiral Christoph Columbus. In der Linken führt er das königliche Banner, in der Rechten den Degen. Voll hoffnungsvoller Spannung rudern sie dem Palmenstrand des fremden Eilandes entgegen, das als erster Vorposten die Nähe eines unbekannten Festlandes ankündigt.
Der Admiral, der an jenem 12. Oktober des Jahres 1492 auf der Insel Guanahani vor der mittelamerikanischen Küste gelandet ist, vermeint, dass er dicht vor dem Land Kathai (China), oder nahe bei Zipangu (Japan), jedenfalls aber vor den Toren des großen Indien angelegt sei. Irgendwo hier im Westen des durchfahrenen Ozeans müssen die goldenen Wunderstädte des Großkhans liegen, von denen der Venezianer Marco Polo berichtet hat. Die Vorstellungen von der Welt sind immer noch unvollkommen und nebelhaft.
Don Christoph Columbus nennt die Inseln im Ozean Westindien und ihre braunen Bewohner Indios, Indianer. Die erste Frage, die er an die Wilden stellt, gilt dem begehrten Gold. »Sie brachten Knäuel von gesponnener Baumwolle, Papageien, Speere und andere Kleinigkeiten und waren zufrieden mit allem, was man ihnen gab. Mir lag besonders daran, herauszubringen, ob sie Gold hätten, denn einige trugen einen kleinen Goldstift durch die Nasenwand gebohrt. Aus Zeichen, die sie mir machten, entnahm ich, dass im Süden ein König wohne, der ganze Gefäße aus Gold besitze.«
Kuba
Da es hier keine Goldschätze von Bedeutung gibt und keine tropischen Gewürze, hält die Spanier nichts mehr auf Guanahani. Sie hissen die Anker und segeln wieder hinaus auf das offene Meer. Unter strahlendblauem Himmel ziehen die drei Karavellen von Insel zu Insel und finden nach Wochen das große Eiland Kuba.
Buchten mit fächerigen Palmen und wogendem Urwald tun sich auf, dunkelgrüne Flüsse münden ins Meer, und in den Lichtungen stehen freundliche Dörfer mit Palmblatthütten. »Die Hütten stehen leer, doch die Feuer brennen auf den Herden; überall liegen Geräte zum Fischfang umher: Netze aus Bindfaden und Palmbast, Angelhaken aus Horn, Harpunen aus Knochen, alles sehr sorgfältig und fein gearbeitet in den mit Palmrinde gedeckten, sauberen Hütten finden sich sogar dürftige Möbel und Kunstwerke, Holzstatuen mit Frauengesichtern und geschnitzten Masken. Zahme Vögel hüpfen umher, und bei den Hütten sind Hunde, die aber keinen Laut von sich geben und nicht bellen können.«
Von gefangenen Eingeborenen erfährt man, dass die Inselbewohner schreckliche Furcht vor einem Volke haben, das mit Schiffen zuweilen ihre Küsten anläuft und sie zu plündern pflegt. Die Spanier tasten sich durch die neue Welt. Sie finden höher kultivierte Wilde und werden von freundlichen Dorfhäuptlingen eingeladen und beschenkt. Gegen Glasperlen und buntes Tuch tauschen sie Goldkörner, Ringe, Edelsteine und allerhand kostbar gearbeiteten Schmuck ein. Aber diese Schätze erscheinen den Weißen nur wie Strandgut von einem fernen, noch unsichtbaren Reich, das die Indios fürchten und hassen. Die Befragten deuten bald nach Westen, bald nach Süden.
Haiti
Auf der Suche nach dem Goldland kommen die Columbus-Schiffe zu den Inseln Tortuga und Haiti. Der Wind frischt auf, und der Himmel überzieht sich mit stürmischem Gewölk. Am 23. Dezember liegt die »Santa Maria« in einer Meeresbucht, die Columbus dem Kalenderheiligen zu Ehren »Meer des St. Thomas« nennt.
Aber nur noch die »Nina« des Vincente Pinzon folgt dem Admiral - das dritte Schiff, die »Pinta« Martin Pinzons, hat sich inzwischen bei Nacht und Nebel entfernt. Der Lockruf des Goldes und die vermutete Nähe des reichen Goldlandes haben den Kapitän veranlasst, sich selbständig zu machen, um der erste bei der Hebung der Schätze zu sein. In der Weihnachtsnacht liegen die »Santa Maria« und die »Nina« mit gerefften Segeln weit draußen auf der Reede. Alle Männer an Bord sind müde von den Verhandlungen mit Häuptlingen und Dorfbewohnern; man will, sobald sich das Wetter bessert, westwärts segeln. Der Admiral hat die Wache dem Steuermann übergeben, aber der Spanier kriecht in die Koje und lässt das Ruder einem Schiffsjungen. Die Wache im Vorderkastell schläft ebenfalls. Lautlos und unbemerkt treibt die »Santa Maria« landwärts und läuft plötzlich mit hartem Ruck auf Grund.
Schreiend alarmiert der Schiffsjunge die Besatzung. Als Columbus aus der Kajüte stürzt, hört er das Donnern der nahen Brandung, das Schiff legt sich schief, und die ersten Brecher schäumen über die Reling. In Panik, ohne auf Befehle und Bitten des Admirals zu hören, verlässt die Besatzung das havarierte Schiff und rudert hinüber zur »Nina«. Als der Tag heraufsteigt, helfen freundliche Indios die Ladung bergen, wenig später zerschlagen die Brecher der Brandung Stück um Stück das gescheiterte Schiff. Die »Santa Maria« versinkt vor den Augen des Admirals.
Ein erstes Kastell wird gebaut - La Navidad
Columbus wählt eine Schar Leute aus, die zurückbleiben sollen. Ein Kastell wird gebaut - erste Niederlassung der Weißen in einer neuen Welt -, man nennt es zur Erinnerung an die schreckliche Weihnacht »La Navidad«. Das Schicksal des großen Abenteurers ruht jetzt einzig und allein auf den zerbrechlichen Planken der 90 Tonnen großen »Nina«.
Am 4. Januar sticht das kleine Schiff in See. Es nimmt Ostkurs nach Spanien, die Botschaft von der Auffindung des Landes jenseits des Ozeans dem Abendlande zuzutragen. Schwere Stürme und donnernde Seen fassen die »Nina«, werfen sie in aufgewühlte Täler und treiben sie über weißmähnige Wogenkämme; Wolken jagen, vermischt mit Gischt, wie Höllengespenster über die Wellen. In diesen Tagen glaubt selbst das starke Herz des Christoph Columbus an Untergang. In nächtlicher Stunde schreibt er eine Flaschenpost mit der Geschichte seiner Entdeckung und übergibt sie dem Meer. Wenn die ewigen Mächte es wollen, wird die Kunde Europa erreichen, und andere Schiffe werden ausfahren, das Land jenseits des Weltmeeres in den angegebenen Breiten zu suchen.
Doch das Glück ist Christoph Columbus gewogen. Um die Mittagsstunde des 14. März 1493 läuft die »Nina« nach gefährlichen Abenteuern in den Hafen von Palos ein. Ein Aufschrei geht durch Spanien, im Triumphzug wird Christoph Columbus an den Hof des Königs geleitet. Die Frage, die sofort gelöst werden soll, ist die Auswertung der neuen Länder. Niemand im Abendland fragt nach dem Besitzrecht der Eingeborenen. Ganz gleich, ob die Inseln und Länder des westlichen Meeres zum Reiche des Großkhans oder zu dem des Moguls gehören, der Stärkere wird sie in Besitz nehmen, die Macht entscheidet alles. Wer fähig ist, die fernen Länder zu kolonisieren und festzuhalten, dem fallen sie als Eigentum zu.
Der Papst teilt die Gebietsansprüche von Portugal und Spanien ein
Der gefährlichste Konkurrent Spaniens ist das seemächtige Portugal, das ebenfalls Anspruch auf entdeckte oder unentdeckte Gebiete im westlichen Ozean erhebt. Der Papst muss entscheiden, der oberste Richter der Christenheit. Der Papst heißt Alexander VI. Borgia, ist ein Spanier von Geburt und wird von der spanischen Partei in Rom getragen.
Im Mai 1493 erlässt er eine Bulle, durch welche die Welt jenseits der Christenheit zwischen den Seemächten Portugal und Spanien geteilt wird.
»Auf ewige Zeiten sollen die Inseln und Festländer, die neuerdings durch Unseren geliebten Sohn Christoph Columbus entdeckt worden sind, den Königen von Kastilien und Leon geschenkt werden. Sie sollen diese Lande mit denselben Vorrechten besitzen, welche die Päpste für die Länder zwischen Kap Bojador und Ostindien den Königen von Portugal bewilligt haben.«
Die Bulle verfügt, dass die Demarkationslinie hundert Meilen westlich von der Inselgruppe der Azoren in südlicher Richtung verlaufen soll. Alles Gebiet westlich und südlich dieser Linie soll spanischer, das Land östlich und nördlich portugiesischer Besitz sein. Der Erlass der Kurie bestimmt:
»Jene friedfertigen, nackten, aller tierischen Nahrung beraubten Menschen, die an einen Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde glauben, mögen mit Milde bekehrt werden. Die barbarischen Völker aber, die im Irrtum verharren, sollen gedemütigt werden.«
Die leitende Idee für den fernen Westen ist niedergelegt: Ausbreitung der christlichen Ordnung, Kreuzzug gegen die unbelehrbaren Heiden!
Die päpstliche Bulle wird am 7. Juni 1494 durch den spanischportugiesischen Staatsvertrag von Tordesillos korrigiert. Die Demarkationslinie wird 370 Seemeilen westlich von Kap Verde gezogen — ein Entgegenkommen, zu dem Spanien bereit ist, weil die Seekarte des Columbus in diesen Räumen nur Wasser zeigt. Niemand ahnt, dass durch diesen Vertrag, der die Grenzlinie so weit hinausschiebt, der größere Teil Südamerikas - das Land Brasilien - an Portugal fällt. Die neue Linie wird schon bald an Ort und Stelle festgelegt:
»Es wird beschlossen, dass in zehn Monaten, von dem Tag der Festsetzung dieses Vertrages an gerechnet, die besagten vertragschließenden Herren zwei oder vier Ruderfahrzeuge entsenden sollen, nämlich von jeder Seite ein oder zwei, mit Seefahrern und sternkundigen Leuten oder anderen, die dazu geeignet sind (es müssen mir gleich viele von jeder Seite sein), gemeinsam das Meer, die Himmelsrichtungen, die Winde und den Sonnenstand zu erforschen, um die obengenannten Meilen abzumessen, sowie auch, um die obengenannte Linie gemeinsam festzustellen.«
2. Reise - 1493
Am 25. September 1493 sticht Christoph Columbus abermals in See. Bei dieser Ozeanüberquerung führt der »Admiral der westlichen Meere« ein stattliches Geschwader von 15 Karavellen. 1500 Mann Besatzung, Geräte, Waffen, Vorräte und lebende Tiere sind von der Regierung gestellt. Ein buntes Leben herrscht am Kai zu Palos, dem Ausgangshafen. Matrosen, Kapitäne, hochmütige Hidalgos mit griffbereiten Degen und wehenden Federn auf den Eisenhüten, Beamte der Krone, Missionare, Handwerker, verlotterte Studenten, Abenteurer aus den Maurenkriegen, aus den italienischen Feldzügen oder von den Seeräubergaleeren des Mittelmeers, entlaufene Verbrecher und Spekulanten, die von den Schätzen des Großkhans träumen, bringen ihre Habe an Bord.
Am Morgen der Abfahrt läuten die Glocken, die Segel falten sich im Wind wie weiße Wolken auseinander. Das Ziel ist die Insel Espanola mit der Siedlung »La Navidad«. Die Schiffe laufen diesmal südlicheren Kurs. Am 4. November taucht eine große Insel aus dem blaugrünen Meer. Da es Sonntag ist, nennt Columbus das Eiland »Dominica«; es ist eine der Kleinen Antilleninseln, deren Bogen sich zum südamerikanischen Festlande hinzieht. Dominica liegt wie ein prachtvoller grüner Berg über dem weißen Strande, der den düsteren Urwald säumt. Die Flotte landet und nimmt Frischwasser auf, dann folgt sie dem Inselbogen nordwärts - entfernt sich vom nicht geahnten Festland Südamerika.
Neue Eilande tauchen empor, schöne Palmenstrande, wuchernde tropische Wälder, deren Duft meilenweit über die glatte See getragen wird. An mehreren Inseln gehen die Schiffe vor Anker, bewaffnete Trupps dringen bis ins Innere vor.
Kannibalen
Hauptmann Alonso de Hojeda, ein Kastilier, stößt auf ein verlassenes Dorf. »An den Pfosten der Häuser hängen Menschenschädel - Menschenschädel werden in den Hütten als Blumenvasen und Geschirr gebraucht.« Als die Spanier weiter in den verlassenen Wohnstätten suchen, machen sie eine Entdeckung, die ihr Blut vor Grausen gerinnen lässt — sie finden abgenagte Menschenknochen! Entsetzt gehen die Landungsmannschaften wieder an Bord, wilden Zorn im Herzen. Von friedlichen Eingeborenen auf Nachbarinseln erfahren sie schließlich, wer diese Kannibalen sind, deren Spuren sie entdeckt haben.
Es sind fremde Küstenstämme, die auf großen Kanus von Süden kommen und weite Meeresstrecken mit ihren Kriegsflotten überqueren. Man nennt sie Karaiben. Sie landen selbst auf der Großinsel Kuba, überziehen sie mit Krieg und töten und fressen die besiegten Männer, während sie die Weiber als Beute fortführen. Deshalb - so erzählen die Eingeborenen — gibt es bei den karaibischen Stämmen eine eigene Frauensprache. Die Männer sprechen Karaibisch, die geraubten Frauen aber die Dialekte ihrer Stämme.
La Navidad wurde zerstört
Ende November erreicht die Flotte des Columbus die Insel Espanola. Kein Mensch des Kastells »La Navidad« ist zu sehen, als die Schiffe Anker werfen und Kanonenschüsse zur Begrüßung lösen. Der Admiral landet mit dem ersten Boot; er findet nur noch verkohlte Trümmer, ein paar angesengte Tuchfetzen, keine Spur von der Besatzung. Indios, die aus dem Buschwald kommen, um Gold gegen Glasperlen und Messingglöckchen zu tauschen, berichten zögernd und in widerspruchsvoller Darstellung über das Ende von »La Navidad«.
Die Zurückgebliebenen hätten mit roher Gewalt die Eingeborenen unterjocht, sie hätten sich jeder drei oder vier Frauen genommen, sie wären um Gold aneinandergeraten, hätten sich duelliert und schließlich den Streit aller gegen alle begonnen. Aus Eifersucht, Habsucht und Goldgier hätten sie sich gegenseitig umgebracht. Schließlich wären die wilden Karaiben über das schlecht bewachte Fort hergefallen und hätten den Rest getötet. Alonso de Hojeda entdeckt bei einem Streifzug durch den Urwald einen gekreuzigten Soldaten, Indios bringen das präparierte Haupt eines anderen Spaniers.
An günstig gelegener Stelle von Espanola, durch Urwald und Felsengebirge gegen Überfälle geschützt, wird die Stadt Isabella gegründet. Nach dem Plan des Admirals sollen die Amtsgebäude aus Stein, die Wohnungen aus Holz und Stroh gebaut werden, Straßen sind abgesteckt, und Magazine werden angelegt.
Ein neuer Feind - das Fieber
Aber bald zeigt sich in der neuen Stadt ein gefährlicher Feind - das Fieber steigt aus den Sümpfen der Flussniederung und wirft viele Weiße aufs Krankenlager. Es scheint, als tauschten die beiden Kontinente zuerst ihre Krankheiten aus. Das spanische Schiffs- und Soldatenvolk entdeckt bei den Frauen der Eingeborenen eine Krankheit, die seit den Tagen der Kreuzzüge hin und wieder auch im Abendland aufgetaucht war. Die Indios nennen sie »Tepeu«, sie gilt als »von den Göttern gekommen« - die europäischen Ärzte nennen sie später Syphilis.
»Das Sonnenklima Südamerikas und die wunderbaren Pflanzenheilmittel der Indianer bewirkten, dass die Eingeborenen die Syphilis nicht als schwere Krankheit empfanden. Auch war die Krankheit schon so lange im Lande, dass sie nur mehr in leichteren Formen auftrat; das Gift wirkte nicht mehr so kräftig und konzentriert, seine Angriffslust war einigermaßen gezähmt worden. Die Spanier aber, die gegen die Seuche nicht abgehärtet und nicht immun waren, wurden von der Krankheit mit aller Macht angefallen. Sie brachte schreckliche Verheerungen unter die Landenden.«
Die Spanier erwidern das grausige »Geschenk« des neuen Landes, indem sie die Keime der bis dahin unbekannten Tuberkulose, der Pocken und Masern ausstreuen, die unter den Indios furchtbare Epidemien hervorrufen. Sorgenvoll erkennt der Admiral, dass die Aufschließung und Verwaltung des neuentdeckten Landes ungeheure Probleme aufwirft. Was soll man mit diesem braunen Volk beginnen, das an Mond, Sonne und Stammeshelden, an Urwalddämonen und Gespenster glaubt, das vor geschnitzten Fetischen kniet und seine Angst in die Nächte hinausschreit?
Machtlos muss er die Ausschreitungen der verrohten Soldateska und der adligen Abenteurer dulden, er sieht gramerfüllt, wie die Spanier beginnen, den Indio wie ein Tier zu behandeln, und wie sie alle - er selber nicht ausgenommen - nach Gold und Schätzen hungern. Wo ist das Goldland des Großkhans? Wo liegen die sagenhaften Städte der Edelsteinpaläste?
Die Indios deuten westwärts. Das Land heiße Mexiko.
3. Reise -1498
Fiebernd und ohne Erfolg ist Columbus von seiner zweiten Reise nach Spanien heimgekehrt, wo ihn eine Welle von Neid, Enttäuschung, Missgunst und Missverstehen empfangen hat. Erst im Januar 1498 kann er wieder zwei Schiffe mit Siedlern nach Espanola vorausschicken; am Mittwoch, dem 30. Mai des gleichen Jahres, segelt er selber mit einer Flotte von sechs Karavellen westwärts.
Da die Schiffe des Columbus diesmal stark südlichen Kurs nehmen, geraten sie in die heiße, dem Äquator nahe Zone. Das Trinkwasser wird brackig und geht zur Neige. Als die Lage gefährlich zu werden droht, sichtet am 31. Juli ein Matrose am Horizont drei hohe Bergspitzen, die wie Wolken aus den flimmernden Wassern aufsteigen. Beim Näherkommen zeigt sich, dass man das Südostkap eines gewaltigen Bergmassivs und eine neue Insel entdeckt hat. Der Admiral nennt sie der Heiligen Dreifaltigkeit zu Ehren Trinidad. Als die Flotte die bewaldeten Ufer umfährt, taucht dahinter der blaue Strich einer unabsehbaren Küste auf - das Festland von Südamerika, die Umgebung der Orinocomündung. An der »Sandspitze« Trinidads geht die Flotte vor Anker und ergänzt ihre Vorräte, dann überquert sie den Meeresarm. Als die Schiffe in starke Gegenströmung geraten, erkennen sie, dass es Süßwasser ist, das sich hier dem Golf vermischt. Riesige Ströme müssen dort drüben ins Meer münden; der Gedanke taucht auf, dass die entdeckte Küste der Saum eines Kontinents sein könnte. Columbus notiert am 5. August in sein Tagebuch: »Sollte es sich um ein Festland handeln, so werden die Gelehrten noch staunen.«
An der Küste vorbei segeln die Schiffe zum Perlengolf und gehen dort vor Anker. Indios kommen an Bord, um die Fremden zu sehen und Waren zu tauschen. Das Land ringsum ist voller Farben, tropisch und von wuchernder Üppigkeit - aber es fehlt jede Spur von den ersehnten Wunderstädten des Großkhans. Columbus schreibt in seinen Erinnerungen:
»Die Hautfarbe dieser Indios ist heller als die aller anderen. Sie haben die Gewohnheit, auf der Brust und an den Armen Schmuck zu tragen. Vielen hängen Goldstücke auf der Brust herab. Ihre Kanus sind größer, stärker und besser gebaut als die der bisher entdeckten Stämme ... ich nenne diesen Ort Jardines — denn bestimmt entspricht der Ausdruck 'Gärten' dem, was wir sehen.«
Ist das Paradies nahe?
Bunte Vögel mit funkelnden Schwingen und Schwänzen schwirren wie Feuerpfeile durch das Geäst, Orchideen und riesenhafte, stark duftende Blumensterne hängen im Gezweig eines Waldes, der sich in vielen Stockwerken über breit dahinflutenden Urwaldströmen aufbaut. Die Indios bringen ein kräftiges alkoholisches Getränk an Bord, das die Matrosen gern trinken, auch weisen sie Kolben eines goldgelben, unbekannten Getreides vor, das große Ergiebigkeit verspricht. Sie nennen es Mais, und Columbus befiehlt, Proben davon mit nach Europa zu nehmen.
Rückkehr in Ketten
Immer wieder stellt der Admiral die gleiche Frage: Wo gibt es Gold und Edelsteine? Die Indios deuten ehrfürchtig und ängstlich nach Westen und Norden. Aber Columbus und ein Teil seiner Leute sind zu krank, um noch weiter in unbekannte Fernen vorzudringen. Es drängt sie nach Espanola. Sie werfen die Schiffe los, kämpfen sich durch die brodelnden Strömungen des Drachenschlundes an Trinidad vorüber und steuern Espanola an.
Dort finden sie Seuchen, Intrigen, Hass, Neid und Mord. Der Kampf der Ehrgeizigen, der Räuber und Gewaltmenschen um die Inseln hat begonnen. Vergeblich sucht Columbus zu vermitteln, seine eigenen Männer wenden sich gegen ihn. Der neue Oberrichter Bobadilla, den die Krone geschickt hat, um Ordnung und Recht wiederherzustellen, vereinigt sich mit den Meuterern gegen den verhassten Gouverneur, lässt Columbus und seine Brüder in Ketten legen und als Gefangene nach Europa zurückführen.
Signor Amerigo Vespucci
Wenige Monate bevor der Entdecker des Westlandes wie ein Sträfling gefesselt in Spanien landet, ist ein kleines Geschwader unter Führung des Alonso de Hojeda, des früheren Begleiters des Columbus, von großer Fahrt heimgekehrt, in Palos eingelaufen. Der Expedition des Hojeda hatte sich Signor Amerigo Vespucci, der Vertreter des florentinischen Handelshauses Medici, ein Mann von ausgezeichneter kosmographischer und astronomischer Bildung, angeschlossen. Das Schiff hatte ebenfalls die Orinocomündung erreicht und die südamerikanische Küste bis Maracaibo erforscht.
Dabei war eine Forschungsgruppe in ein Land gekommen, in dem die Indios an den Ufern der Ströme ihre Dörfer auf Pfahlpfosten erbauten. Wegen der Ähnlichkeit mit Venedig nannten sie das Land »Venezuela«.
Ein anderer Begleiter des Columbus, Alonso Nino, segelt von Maracaibo aus die Küste entlang, findet große Salzlager, die für die Inseln Goldwert hatten, und landet auf der Insel San Margarita, wo Perlen gefischt werden. Schon entgleitet die Entdeckung dem Entdecker ...
Vasco da Gama - Umsegelung Afrikas Spitze
Unterdessen hat auch Portugal einen großen Erfolg zu verzeichnen. Vasco da Gama ist mit seiner Flotte um die Südspitze Afrikas herum nach Ostindien gesegelt und in Calicut gelandet. Auf seinen Spuren läuft im März 1500 Admiral Pedro Alvarez Cabral von Lissabon aus, nimmt wegen der gefährlichen Strömungen im Guineagolf starken Westkurs und entdeckt dabei Land: Am 24. April 1500 landet das portugiesische Geschwader von dreizehn Schiffen an einem Küstenstreifen Brasiliens, dem es den Namen Terra da Santa Cruz gibt. Cabral pflanzt dort die portugiesische Fahne auf.
Als Cabral — noch bevor er nach Indien weiterfährt — die erregende Botschaft nach Lissabon schickt, lässt König Emanuel sogleich eine Expedition ausrüsten und gewinnt als wissenschaftlichen Berater den Florentiner Amerigo Vespucci. Die Schiffe segeln von Kap Roque zur La-Plata-Mündung und erreichen bei den Falklandinseln fast die Südspitze des Kontinents. Noch ein viertes Mal überquert Amerigo Vespucci in portugiesischen Diensten den Ozean, dann tritt er - durch seine Veröffentlichungen längst weltberühmt geworden - wieder unter das spanische Banner, wird »Pilota Mayor«, Reichslotse, und Leiter des Seefahrtsamtes der spanischen Krone.
Schon nach seiner ersten Reise hatte der gelehrte Florentiner in einem Brief an seinen Auftraggeber Lorenzo von Medici die bestimmte Meinung ausgesprochen, dass es sich bei den Entdeckungen im Westen nicht um Indien handeln könne. Er nannte die aus dem Meere aufgetauchten Länder »Mundus novus« — Neue Welt.
Amerika
Im Jahre 1504 schreibt er in lateinischer Sprache einen ausführlichen Bericht, der bald viele Auflagen erlebt und zur eifrig studierten und diskutierten Lektüre der Humanisten Europas wird. Kurze Zeit später bringt der junge Humanist und Geograph Martin Waldseemüller an der kleinen Universität St-Die in Lothringen eine Schrift heraus: »Einführung in die Kosmographie«. Darin heißt es im 9. Kapitel:
»In der Gegenwart sind die Erdteile Europa, Asia und Afrika gut bekannt, ein neuer, vierter Erdteil ist von Amerigo Vespucci entdeckt worden. Nachdem Europa und Asia nach Frauen benannt worden sind, sehe ich nicht recht ein, warum dieser neue Erdteil nicht Amerige, d. h. Amerigos Land oder auch Amerika nach dem klugen Manne heißen soll, der ihn fand ...«
Der Name bürgert sich schnell bei den Gelehrten und bei den gebildeten Laien dieser Zeit ein. Langsam senkt sich der Schleier der Vergessenheit über den wahren Entdecker Christoph Columbus.
4. Reise 1502
Noch einmal rafft sich der große Kämpfer zu neuer Tat empor. Er hat die Ketten, die ihm seine Neider und Feinde angelegt, sieghaft abgestreift, ist wieder zu Gunst am Hofe gelangt und nimmt abermals die Suche nach dem ersehnten Goldland im Westen auf. Er steht erst im zweiundfünfzigsten Lebensjahr, aber seine Kräfte sind in dem letzten Jahrzehnt über Gebühr beansprucht worden. Die spanischen Majestäten unterstützen seine neue Ausfahrt. Am 11. Mai 1502 verlässt er mit vier Schiffen den Hafen von Cadiz.
Wieder fahren Neid, Hader und Widersetzlichkeit mit ihm an Bord. Aber diesmal muss es gelingen! Er will dem Schicksal abtrotzen, was er ein Leben lang heiß ersehnt hat: die weltbewegende Entdeckung, die Pforte des Paradieses, das Wunderland Ophir. Er fährt mit all seiner Habe, mit seinem mühsam wiederhergestellten Ansehen und seiner Zukunft an Bord aus, um alles zu gewinnen oder endgültig zu scheitern.
Als die Flotte Espanola erreicht, verweigert der Oberrichter Ovando dem Admiral die Erlaubnis zur Landung. Die vier Schiffe des Columbus irren ziellos durch die westindische Inselwelt und gelangen endlich am 31. Juli in den Golf von Honduras. Nirgends gibt es die sagenhaften Schätze Indiens, nirgendwo Städte mit goldenen Dachziegeln, keine juwelenbedeckten Türme des Großkhans ...
Aber in der Bucht einer paradiesischen Insel haben die Spanier eine höchst merkwürdige Begegnung. Eines Morgens taucht neben den vier Karavellen, die vor Anker liegen, ein großes, fremdes Seeschiff auf. Es ist eine seltsam geformte Barke mit einem Dach aus Palmblättern, einem kühn geschnitzten Bug in Form eines Drachenhauptes, die Flanken sind grell bemalt, und das Bastsegel zeigt die Fratzen von Dämonen.
An Bord der Barke bewegen sich Indios von ganz anderem Aussehen, als man sie je zuvor gesehen hat. Männer und Frauen sind in schönbestickte Baumwollkleider gehüllt, sie tragen feinen Schmuck aus Federmosaik, Juwelen- und Schmelzflussarbeit, ihre Waffen sind aus Erz oder Obsidianstein, und sie führen fast die gleichen Tauschartikel mit sich wie die Spanier - Baumwolltücher, ärmellose Hemden, Beile, Bronzeglöckchen, Holzgeschirre, Ton-schalen mit wundervoller Malerei und Kakaobohnen, die sie als Kleingeld benützen.
Die Besatzung der Schiffe besucht sich gegenseitig an Bord; dabei müssen die Spanier verwundert feststellen, dass die heidnischen Frauen und Männer des Indioseglers ein gesitteteres Benehmen zeigen als sie selbst. Die Fremden berichten in lebhaften Gesten von ihrem Lande, das sie »Mayi« nennen - aber der Admiral und seine Begleiter sind viel zu sehr von dem Gedanken besessen, das sagenhafte Goldland zu erreichen, als dass sie sich sonderlich für das Heimatland der Schiffsbesatzung interessieren.
Die Götter sind grausam. Sie blenden den alternden Mann in der entscheidenden Stunde seines Schicksals. Er folgt nicht dem Piloten der Maya; er ahnt nicht, dass er am Tor des Reiches Yukatan mit seinen Märchenstädten steht - die Lockung des Goldes zieht ihn wieder aufs Meer hinaus, nach Nordwesten, ins Gewirr der Inseln.
Der Rest ist Sturm, Seenot, Schiffbruch und enttäuschende Heimkehr. Über den Gescheiterten breiten die letzten Jahre Vergessen, Gram und Undank ...