Hitler, das Rätsel einer Wandlung
Der nachfolgende Text bietet Schülerinnen und Schülern einen Einblick in die komplexe und oft widersprüchliche Lebensgeschichte Adolf Hitlers. Dieser Lebenslauf ist nicht nur von historischem Interesse, sondern auch von großer pädagogischer Bedeutung. Der Text beleuchtet die radikale Transformation Hitlers von einem gescheiterten Künstler und obdachlosen Einzelgänger zu einer der verheerendsten politischen Führungsfiguren der Geschichte. Der Text regt zur kritischen Reflexion über die Mechanismen und Bedingungen an, die es Einzelpersonen ermöglichen, in Zeiten von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Instabilität Macht zu erlangen. Dies schult das Bewusstsein für die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten. Auch lässt sich das Mittel der Propaganda analysieren.
Hitler, das Rätsel einer Wandlung
Adolf Hitlers Leben ist ein Rätsel. Wenn man seine frühen Jahre betrachtet, stößt man auf eine erstaunliche Kluft zwischen dem jungen Hitler und dem späteren „Führer“. Die Schule verließ er ohne Abschluss in der 8. Klasse. Sein Traum, Künstler zu werden, zerplatzte, als er sich vergeblich an der Kunstakademie bewarb. Stattdessen malte er Postkarten für den Straßenverkauf und war zeitweise obdachlos. Auch vor dem Wehrdienst versuchte er sich zu drücken. Hitlers Leben schien von einer bedrückenden Leere geprägt zu sein. Er hatte keine beruflichen Aufgaben und keine echten sozialen Kontakte.
Für den Ersten Weltkrieg meldete er sich begeistert als Freiwilliger. Verschiedene Auszeichnungen wie z.B. das Eiserne Kreuz 1. Klasse wiesen auf eine gewisse Tapferkeit und Einsatzbereitschaft hin. Er wurde jedoch nie zum Offizier befördert, sondern blieb während des gesamten Krieges ein einfacher Gefreiter. Dies war teilweise darauf zurückzuführen, dass seine Vorgesetzten keine Führungsqualitäten in ihm entdecken konnten. Und trotzdem gelang es ihm, sich zu einer charismatischen Führungsfigur zu wandeln. Seiner Ausstrahlung unterlagen auch kluge und aufgeklärte Menschen. Wie ist dieser Wandel zu erklären?
Kindheit
Adolf Hitler wächst im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet auf und ist Bürger des Kaiserreichs Österreich-Ungarn. Seine Kindheit war alles andere als einfach. Geboren am 20. April 1889, wuchs er in einer Familie auf, die ständig umzog, da sein Vater Alois als Zollamtsoberoffizial im Kaiserreich Österreich-Ungarn im Grenzbereich oft den Dienstort wechselte. Dies machte es für Adolf schwer, irgendwo Wurzeln zu schlagen.
Der Vater Alois Hitler, ursprünglich Schicklgruber, war ein strenger und herrischer Mann, der seine Kinder oft mit Pfiffen und kurzen Befehlen herumkommandierte. Adolf achtete seinen Vater, liebte aber seine Mutter Klara, die ihn verwöhnte und die einzige Person war, zu der er eine echte emotionale Bindung hatte. Alois Hitler war mit Klara in dritter Ehe verheiratet. Sie war eine einfache Frau, die zunächst bei ihrem späteren Mann als Hausgehilfin tätig war. Adolf wuchs in einer Patchworkfamilie mit zwei Halbgeschwistern und fünf leiblichen Geschwistern auf. Vier starben schon im Kindesalter. Alois verdiente als Zollbeamter ausreichend, um seine Familie ordentlich zu versorgen.
Schule
In der Schule hatte Adolf größere Schwierigkeiten. Er besuchte die Grundschule und dann die Realschule in Linz, wo er das erste weiterführende Jahr wegen schlechter Noten wiederholen musste und in den folgenden Jahren nur durch Nachprüfungen weiterkam. Sein Vater wollte, dass er eine Beamtenkarriere einschlägt, aber Adolf wollte das nicht. Die harte Erziehung durch seinen Vater und die häufigen Prügelstrafen prägten ihn stark.
Tod des Vaters und der Mutter
Sein Vater starb jedoch überraschend 1903, da war Adolf 14 Jahre alt. 1905 mit 16 Jahren verlässt Hitler ohne Abschluss die 8. Klasse. Er begründet das später selbst mit einem Lungenleiden, obwohl er eigentlich in jungen Jahren eine recht robuste Gesundheit hatte.
Nur vier Jahre später, Hitler war 18 Jahre alt, starb zu Weihnachten 1907 in Linz seine Mutter. In der Zeit vor ihrem Tod pflegte Hitler sie. Sie war an Brustkrebs erkrankt. Es wird berichtet, dass Adolf sehr stark unter ihrem Tod litt, da sie die einzige Person war, zu der er eine tiefere emotionale Bindung aufgebaut hatte. Nach dem Tod der Eltern lebte Hitler von einer kleinen Waisenrente und dem Erbe seiner Eltern. Seine Familie spielt fortan kaum mehr eine Rolle in seinem Leben.
Wien
Im Herbst 1907 bezog er mit seinem Jugendfreund August Kubizek ein Zimmer in Wien, wo er an der Akademie der bildenden Künste studieren wollte. Er bewirbt sich, macht eine Aufnahmeprüfung, kommt in die zweite Runde, wird aber wegen ungenügender Probezeichnungen abgelehnt – wie die meisten anderen Bewerber auch. Auch ein zweiter Versuch im Jahr 1908 brachte keinen Erfolg.
Hitler lebte zunächst recht sorglos in Wien. Er verbrachte seine Tage damit, lange zu schlafen, die Stadt zu erkunden und sein Geld für Opernbesuche auszugeben. Schon früh entwickelte Hitler eine große Leidenschaft für die Oper, besonders für die Werke des berühmten Komponisten Richard Wagner. Ab Februar 1908 gab er sogar als Beruf „Künstler" an, doch sein Erbe reichte nicht lange aus.
Im September 1909 ging ihm das Geld aus, und er wurde obdachlos. Die nächsten Monate waren für Hitler besonders hart. Er lebte auf der Straße, besuchte Armenküchen und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. In einem Obdachlosenheim lernte er schließlich einen anderen Stadtstreicher kennen, der eine Idee hatte: Hitler sollte Postkarten malen, die der andere dann verkaufen würde. Dieser Plan funktionierte, so dass sie im Frühjahr 1910 in ein besseres Obdachlosenheim für Männer ziehen konnten.
Wien, die Hauptstadt Österreich-Ungarns, war ein echter Schmelztiegel. Hier kamen viele verschiedene Völker auf engstem Raum zusammen. Diese bunte Mischung war aufregend, aber auch konfliktreich. Die politische Atmosphäre in Wien war sehr angespannt und fremdenfeindlich. Die Menschen betonten oft übertrieben ihre deutsche Identität, um sich von den anderen Volksgruppen abzugrenzen.
Interessanterweise war Adolf Hitler zu dieser Zeit noch nicht besonders auffällig, wenn es um Antisemitismus ging. Im Gegensatz zu dem, was er später in seinen Reden und Schriften behauptete, gibt es keine Hinweise dafür, dass er damals schon von einem krankhaften Hass auf Juden geprägt war. Er lebte wie viele andere junge Männer in Wien, kämpfte ums Überleben und träumte von einer besseren Zukunft.
München
Interessant ist, dass Adolf Hitler dem Militärdienst im kaiserlichen Heer zunächst entgehen wollte. Dazu konnte man in Wien ganz gut untertauchen. Eine noch bessere Chance bot sich ihm allerdings im Jahr 1913, als Hitler 24 Jahre alt wurde und damit die Grenze zur Volljährigkeit erreicht hatte. Er erbte nochmals 820 Kronen von seiner verstorbenen Tante Johanna Pölzl. Von dieser Summe konnte er ein Jahr leben. Hitler beschloss, Österreich zu verlassen und nach München zu ziehen.
In Bayern angekommen, meldete sich Hitler als staatenlos und gab Architekturmaler als seinen Beruf an. Er lebte ein relativ angenehmes Leben, malte und verkaufte wieder Postkarten, und besuchte regelmäßig Museen, Bibliotheken und die Oper. Es blieb noch viel Zeit zu lesen.
Im Januar 1914 wurde Hitler aber doch noch von der österreichischen Armee aufgespürt, weil er sich der Musterung entzogen hatte. In einem Brief an die Behörden versuchte er, seine Situation mit einer verwirrenden Geschichte voller unglücklicher Zufälle zu erklären. Letztlich musste er zur Musterung nach Salzburg. Er wurde jedoch als waffenunfähig eingestuft und somit vom Militärdienst befreit. Später, als Hitler Reichskanzler wurde, ließ er sich die Musterungsdokumente und weitere offizielle Akten aushändigen, um zu verhindern, dass ein schlechtes Licht auf seine frühere Vergangenheit fiel.
Ausbruch des Ersten Weltkriegs
Ein halbes Jahr nach seiner Ausmusterung brach der Erste Weltkrieg aus. In seinem Buch „Mein Kampf" behauptete Hitler, dass er von stürmischer Begeisterung überwältigt in die Knie gesunken sei und dem Himmel gedankt habe, in dieser Zeit leben zu dürfen. Diese Darstellung wird wohl stark übertrieben gewesen sein, doch eine Tatsache bleibt: Hitler war begeistert, wie viele andere Deutsche auch. Der Erste Weltkrieg veränderte Hitlers Leben grundlegend. Trotz seiner österreichischen Herkunft meldete sich Hitler mit 25 Jahren freiwillig zur deutschen Armee.
Während des Krieges diente Hitler als Meldegänger. Das bedeutete, dass er Nachrichten zwischen den Kommandoposten und den Frontlinien überbrachte. Diese Aufgabe war äußerst gefährlich, da Meldegänger oft unter feindlichem Beschuss standen. Trotz der Gefahren erfüllte Hitler seine Aufgaben mit großem Eifer. Für seine Tapferkeit und seinen Einsatz erhielt er mehrere militärische Auszeichnungen, darunter das Eiserne Kreuz 1. Klasse und 2. Klasse. Diese Ehrungen waren eine hohe Anerkennung für seine Leistungen und steigerten seinen Stolz und seine Hingabe an die deutsche Sache. Allerdings wurde er niemals befördert, da man ihn nicht als Führungspersönlichkeit sah.
Der Krieg prägte Hitler tief. An der Front erlebte er starke Kameradschaft. Die engen Beziehungen zu seinen Mitsoldaten und das gemeinsame Erleben von Gefahren und Herausforderungen schufen ein tiefes Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit, das Hitler sehr schätzte. Er fühlte sich als Teil einer größeren Sache und genoss das Zusammengehörigkeitsgefühl, das er im zivilen Leben nicht gefunden hatte.
Ein weiterer wichtiger Aspekt war die klare Struktur und Disziplin des militärischen Alltags. Das Leben im Militär gab ihm eine feste Rolle und Aufgabe, was ihm eine Art von Stabilität und Sicherheit bot. Diese Ordnung stand im Gegensatz zu seinem zuvor eher ziellosen Leben und gab ihm ein Gefühl von Orientierung. Er sah sich selbst als Teil einer großen nationalen Anstrengung und war stolz darauf, für das Deutsche Reich zu kämpfen. Diese patriotischen Gefühle wurden durch den Krieg in Hitler stark genährt.
1916 wurde Hitler bei der Schlacht an der Somme verwundet, und 1918 erlitt er eine vorübergehende Erblindung durch einen britischen Gasangriff. Diese traumatischen Erfahrungen hinterließen tiefe Spuren in ihm.
Kriegsende und dessen Folgen
Über das Ende des Ersten Weltkriegs im Jahr 1918 war Adolf Hitler tief enttäuscht und wütend. Er fühlte sich von der politischen Führung Deutschlands verraten. Dies trieb ihn dazu, sich politisch zu engagieren. Er zog wieder nach München, wo er eine Zeit lang arbeitslos war und ein ziemlich trostloses Leben führte. Doch bald fand er eine neue Aufgabe, die sein Leben und das Schicksal Deutschlands radikal verändern sollte.
1919 trat Hitler der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) bei, einer kleinen politischen Gruppe, die später zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wurde. Hier bemerkte er, dass er mit seinen Reden die Menschen erreichen konnte. Seine Redekunst und sein energischer Einsatz für die Partei machten ihn schnell zu einem prominenten Mitglied. Seine Reden waren voller Leidenschaft und richteten sich gegen die Weimarer Republik, die neue demokratische Regierung Deutschlands, sowie gegen Juden und Kommunisten, die er für die Niederlage Deutschlands verantwortlich machte.
Gefängnis
Schon 1923 versuchte Hitler, mit dem sogenannten „Hitlerputsch“ die Macht in Bayern zu übernehmen, was jedoch scheiterte. Er wurde verhaftet und wegen Hochverrats zu einer Gefängnisstrafe von 5 Jahren verurteilt, von der er allerdings nur 9 Monate absaß. Dann wurde er vorzeitig entlassen. Während seiner Zeit im Gefängnis schrieb er den ersten Teil seines Buches „Mein Kampf“, in dem er ganz offen seine politischen Ideologien und Zukunftspläne darlegte.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 1924 arbeitete Hitler weiter an seinem politischen Aufstieg. Die wirtschaftlichen Probleme und die Unzufriedenheit vieler Deutscher mit der Weimarer Republik halfen ihm, immer mehr Anhänger zu gewinnen. 1933 wurde Hitler schließlich zum Reichskanzler ernannt, und von da an begann seine diktatorische Herrschaft, die in den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust führte.
Redekunst
Viele Menschen faszinierte an Hitler die Begeisterung, die er durch seine Reden in den Massen wecken konnte. Der Hitler-Biograph Joachim Fest beschreibt, wie Hitler gezielt den Anfang herauszögerte und damit eine sich zuspitzende Erwartungshaltung bei seinen Zuhörern aufbaute. Die ersten Worte fielen oft gedämpft und tastend in die atemlose Stille.
Der Anfang seiner Reden blieb meist eintönig und banal, oft erzählte er von seinem Aufstieg: „Als ich im Jahre 1918 als namenloser Frontsoldat...“. Dieser formelhafte Beginn verlängerte die Spannung. Hitler versuchte sich einzustimmen und Witterung aufzunehmen. Ein Zwischenruf aus dem Publikum konnte ihn dann inspirieren: zu einer Antwort oder einer zugespitzten Bemerkung, bis der erste Beifall aufbrandete. Dieser Beifall verschaffte ihm Kontakt mit dem Publikum und steigerte ihn rauschhaft. Jetzt war er wie verwandelt. Seine Gesten wurden theatralisch und fesselten die Aufmerksamkeit des Publikums. Er steigerte die Lautstärke und Intensität. Auf dem Höhepunkt der Erregung schrie er seine Worte den Tausenden entgegen.
Hitler weckte starke Emotionen bei seiner Zuhörer wie Wut, Angst, Stolz und Hoffnung. Er nutzte rhetorische Fragen, dramatische Pausen und Betonungen, um diese Emotionen zu verstärken. Oft wies Hitler auf die Größe und das Potenzial Deutschlands hin, sprach von der Wiederherstellung der nationalen Ehre und der Schaffung eines starken, vereinten deutschen Reiches.
Nach seiner Ernennung zum Reichskanzler hielt Hitler Reden im Reichstag, der nach dem Reichstagsbrand 1933 in der Kroll-Oper in Berlin tagte. Diese Reden wurden oft im Radio übertragen und von Millionen Menschen gehört.
Was faszinierte?
Hitler führte Deutschland und die Welt in den Zweiten Weltkrieg. Unendliches Leid, Tod und Zerstörung ergoss sich über ganz Europa. Warum folgte ihm Deutschland darin und nannte ihn sogar den „Führer“?
Die Faszination der Menschen für Adolf Hitler speiste sich sicher aus mehrere Schlüsselbereichen. Einer der Hauptgründe war die oben beschriebene Fähigkeit, als Redner sein Publikum zu begeistern. Ganz entscheidend war aber auch, dass Deutschland in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg unter schweren wirtschaftlichen und sozialen Krisen litt, darunter Hyperinflation und hohe Arbeitslosigkeit. Hitler versprach, diese Probleme zu lösen und das Land wieder zu Wohlstand und Stabilität zu führen, was vielen Menschen aus dem Herzen sprach. Ordnung und Stabilität wurden nach der langen Zeit der Unruhe ersehnt.
Auch der kulturelle und soziale Wandel der 1920er Jahre erzeugte bei vielen Menschen Ängste und Unsicherheiten. Hitler bot eine Rückkehr zu traditionellen Werten, was besonders konservative Kreise ansprach. Schließlich trug der von der NSDAP geschaffene Führerkult wesentlich dazu bei, dass Hitler als unfehlbarer Führer gesehen wurde, der das Schicksal Deutschlands in die Hand nehmen würde. Diese Kombination aus charismatischer Führung, wirtschaftlichen Versprechungen, nationalistischen Parolen und einem starken persönlichen Kult führte dazu, dass viele Menschen in Hitler den Retter und Erneuerer Deutschlands sahen.
Trotz allem bleibt die Frage
Wie konnte aus dem Schulabbrecher, dem gescheiterten „Künstler“, dem bindungsunfähigen Einzelgänger, dem Obdachlosen, dem Militärdienstverweigerer, dem Gefreiten ohne Führungsqualität jener „Führer“ werden?