Chlodwig

Das fränkische Reich - etwas völlig Neues

Das fränkische Reich ist etwas völlig Neues, das vom Königtum ausgeht und germanische wie römische Elemente zu einer höheren Einheit verschmilzt. Einmalig ist bei ihm vor allem die duldsame Be­handlung der unterworfenen Völker: Abgesehen von der teilweisen Vertreibung der Alemannen behalten alle besiegten Völker ihr Recht, ihren Grundbesitz und ihre Freiheit. Die Merowinger verstanden es aber auch, durch eine umfassende Kolonisation ihre Herrschaft über die neuen Gebiete zu sichern.

Das Frankenreich, das Chlodwig begründet hatte, bot im Gegensatz zu den germanischen Mittelmeerstaaten Aussicht auf Bestand. Das Herrschervolk blieb in der Heimat in engster Fühlung mit den übrigen germanischen Stämmen. Die Staatsländereien und das noch herrenlose Gut gaben genügend Raum zur Ansiedlung. Der Ackerbau stand in hoher Blüte, überall gab es große Bauernhöfe mit verschiedenen Wirtschafts­gebäuden. Dazu kamen die zum Hof gehörigen Felder. Außerdem be­arbeiteten die Bauern bestimmte Feldanteile des der gesamten Gemeinde gehörenden Landes und benützten gemeinsam die Weiden, ebenso die dem Dorf gehörigen Wald- und Wiesengründe. Volles Privateigentum an Boden gab es zu jener Zeit bei den Franken nicht. Landeigentümer war die ganze Dorfgemeinde.

Neben den Landgütern bestand Großgrundbesitz. Den größten Boden­besitz hatte der König, daneben standen seine Gefolgsleute, die hohe Geistlichkeit und die römischen Grundbesitzer, die ihre Ländereien zum Teil erhalten hatten und in engen Beziehungen zum Hofe standen. Der König gewann durch seinen unermesslichen Reichtum einen gewaltigen Einfluss auf das Wirtschaftsleben. Durch die Verleihung von Grund und Boden machte er auch das Heer von sich persönlich abhängig. Dazu er­höhten Zoll, Steuern und Münzeinrichtungen sein Vermögen beträcht­lich, er konnte daher auch einen ansehnlichen Schatz sammeln.

 

Seine Persönlichkeit

In seiner Persönlichkeit repräsentierte Chlodwig im Guten wie im Schlechten die Franken der damaligen Zeit. Neben Energie, Herrschergeschick und richtiger Erfassung einer gegebenen Situation traten als Schattenseiten Grau­samkeit, Tücke, Hinterlist und Gewalttätigkeit:

Er war ein Realpolitiker durch und durch, dessen Blick sich nur auf das Nächstliegende richtete, hier aber sofort Mögliches und Unmögliches zu scheiden wusste und der, indem er überall nur die durch die vorgefundenen Verhältnisse wünschenswerten Einrichtungen traf, dabei unbewusst einen neuen und eigentümlichen Bau aufführte. Von einer genialen Primitivität sondergleichen, deren Abwegigkeit berechenbar waren, von dessen Eiden jeder wusste, dass sie falsch waren, obwohl man nie genau die Hinter­türen kannte, die er sich offen ließ, von einer barbarischen Unmoral steht dieser fast zeitlebens knabenhafte, kränkliche, zartgliedrige Mann, der, als er starb, kaum sechsundvierzigjährig war, mit den langen roten Locken der Merowinger gleichsam als die Verkörperung eines ganzen Geschlechtes vor uns.

Übertroffen hat ihn keiner seines Geblütes, gleichgekommen ist ihm mancher, schwächlicher waren die meisten, besser war keiner, weil er in der ungezügelten Wildheit seiner Instinkte eben alle Eigenschaften in sich vereinigte mit Ausnahme der Güte und zu alledem aber auch noch ein Feldherr und Diplomat von mehr als Durchschnittsbegabung war. Denn es gab keinen Krieg, den er nicht diplomatisch gewandt eingeleitet und den er nicht durch Bündnisse gesichert hätte. Wenig genug lässt sich aus der ungenügenden Überlie­ferung von den verschiedenen Seiten seiner Persönlichkeit erkennen.

 

Katholizismus

Um das Jahr 491 »erblickten Boten, welche der Frankenkönig Chlodwig oftmals in das Burgunderland sandte, die Jungfrau Chrodechilde. Weil sie aber fanden, dass diese schön und verständig« sei, berichteten sie darüber ihrem Herrn, woraufhin Chlodwig sofort Brautwerber nach Lyon schickte. Dass er selbst bereits eine Frau hatte, störte ihn dabei wenig. Ehen zu dritt waren in seinen Kreisen nicht unüblich, und Chrodechilde wurde nicht lange gefragt. Sie dürfte auch erst erfahren haben, dass der Franke weder Arianer noch Katholik, sondern ein krasser Heide war, als er schon »großes Wohlgefallen an ihr gefunden« und sie geheiratet hatte. Was es sonst noch über ihn zu wissen gab, mutete ebenfalls nicht gerade erfreulich an.

Chlodwig hatte gestattet, dass sein erstgeborener Sohn Ingomar getauft wurde. Als das Kind erkrankte und noch in den weißen Tauf­gewändern starb, da war er freilich erzürnt und sprach: »Wenn der Knabe den Göttern meines Volkes geweiht worden wäre, so wäre er wohl am Leben geblieben!« Aber Chrotechilde wusste ihn zu trösten, so dass er schließlich zugab, dass auch sein zweiter Sohn getauft wurde. Als dieser gleichfalls krank wurde, stiegen die Zweifel seines Vaters an der Macht Christi und seine Befürchtungen vor der Rache der Götter Walhalls. Erst als das Gebet der Königin zu den Heiligen das Kind wiederherstellte, wurde Chlodwigs Meinung von diesen erheblich verbessert.

Dennoch konnte Chrotechilde nicht von ihrem Gatten erreichen, dass auch er sich taufen ließ. Da brach ein Krieg gegen die Alemannen aus, und der Geschichtsschreiber jener Tage, Gregor von Tours, erzählt, dass damals die Franken zu weichen begannen. Es war vorauszusehen, dass ihr ganzes Heer in dem heftigen Treffen vernichtet werden würde. Chlodowech sah dies, und nun soll er klagend die Hände zum Himmel emporgehoben und ausgerufen haben: »Jesus Christus, den Chrotechilde den Sohn des lebendigen Gottes nennt, der du den Unglücklichen helfen willst, wenn sie dir vertrauen, ich flehe dich an um deinen Beistand. Wenn du mir den Sieg gewährst und wenn du so mächtig bist, wie die Christen sagen, dann will ich an dich glauben und mich taufen lassen. Denn ich habe meine Götter vergeblich angefleht, und nun rufe ich dich an, damit du mich vor meinen Feinden errettest!« Kaum hatte er so gesprochen, wandten sich die Alemannen zur Flucht. Ihr Herrscher war gefallen, und die Vornehmsten unter ihnen kamen zu Chlodwig und baten: »Lass jetzt des Mordens genug sein! Wir wollen dir gehor­chen.« Da gebot der König, dem Kampf Einhalt zu tun, kehrte heim und erzählte der Königin, wie ihm der Christengott zum Sieg verholfen habe.

Chrotechilde ließ sofort den Bischof Remigius kommen, der Chlodwig in seiner neuen Religion unterweisen sollte. Als dem König dabei von Christi Leiden und Tod erzählt wurde, geriet er in Zorn und rief: »Wäre ich nur mit meinen Franken dabei gewesen, so hätte ich seine Schmach alsbald gerächt!« Da forderte Remigius ihn auf, er möge dafür sorgen, dass auch sein ganzes Volk sich zur Lehre Christi bekenne. Aber da hatte der König ernste Bedenken: »Ich für meine Person will dich gerne anhören, aber mein Volk wird seine heimatlichen Götter nicht verlassen wollen. Ich werde jedoch hingehen und deinem Rat gemäß mit ihnen reden.« Als der König dann zu den Seinen sprach, antworteten viele: »Wir lassen ab von unseren vergänglichen Göttern und wollen dem unsterblichen Gott folgen, den Remigius predigt!«

Diese Bereitschaft wurde dem Bischof gemeldet, der hoch erfreut befahl, das Tauffest vorzubereiten. Die Kirche zu Reims wurde festlich geschmückt und das Taufbad hergerichtet, eine große Menge von Geistlichen und hohen Würdenträgern aus ganz Gallien geladen. Angetan mit dem symbolischen weißen Gewand des Täuflings, schritt Chlodwig zuerst in das Bad. Bischof Remigius segnete ihn mit den wohl historischen Worten: »Beuge sanft dein Haupt, Sigamber, bete an, was du bisher zerstört hast, zerstöre, was du angebetet hast!« Auch zwei Schwestern Chlodwigs wurden getauft und außer diesen noch angeblich dreitausend Franken. So wurde Chlodwig der erste katholische König unter den germanischen Stämmen der Völkerwanderung, denn die anderen Könige waren damals noch alle Arianer.

Seine Zeitgenossen haben die politische Bedeutung des Ereignisses gut erkannt, denn Bischof Avitus von Vienne schrieb damals an Chlodwig: »Während ihr für euch eine Wahl trefft, entscheidet ihr für alle: Euer Glaube ist unser Sieg!« Nun war der Kaiser von Ostrom nicht mehr der einzige katholische Herrscher des Abendlandes. Die weitere Bekehrung der Franken vollzog sich ohne staatlichen Zwang und machte daher im geschlossenen fränkischen Siedlungsgebiet nur allmählich Fortschritte. Aber wir hören dafür auch von keinerlei heidnischem Widerstand. So wurde durch diese Taufe einerseits ein nationaler oder religiöser Gegensatz für das Frankenreich ausgeschlossen, anderseits aber bekam der König hier sofort die Stellung eines Vorkämp­fers der Orthodoxie und erfreute sich damit bei allen seinen Kriegen der Unterstützung des katholischen Klerus, während er persönlich die eigene Kirche in strenger Abhängigkeit halten konnte. Durch die Er­oberung Galliens und die Annahme des Katholizismus werden die römischen Elemente im Reich entschieden gestärkt.

 

Eroberungen

Die nächsten Eroberungen Chlodwigs gelten romanisierten Gebieten. Hier blieben zunächst die Kämpfe gegen die Burgunden erfolglos. Erst der Westgotenkrieg verlief wieder günstig: Es wurden dem Reich Gebiete einverleibt, die nur noch dem Namen nach germanisch gewesen waren. Bei Gregor von Tours motiviert Chlodwig sein Einschreiten gegen die Westgoten damit, dass jene Ketzer seien. In Wahrheit wird wohl das Bestimmende für ihn der Wunsch gewesen sein, seine Herr­schaft auch über Südgallien auszudehnen. 507 griff er im Bund mit Gundobad von Burgund die Westgoten neuerlich an, besiegte sie in der Nähe von Poitiers an einem nicht eindeutig bestimmbaren Ort, wobei König Alarich gefallen ist und Chlodwig, wie erwähnt, bis zur Garonne vorzurücken vermochte. Bereits nach dem Westgotenkrieg verlegt der König seine Residenz in die Umgebung von Paris. Jetzt empfing er auch von Kaiser Anastasios den Konsultitel und wohl auch das Patriziat, was für ihn eine gewisse Anerkennung seitens Ostroms darstellte: Man nahm ihn dort also zur Kenntnis. Für ihn bedeutete es keineswegs ein Abhängigkeitsverhältnis oder eine Änderung im Charakter seiner Herrschaft, für den Kaiser aber beinhaltete die Annahme der Insignien durch den Frankenherrscher zweifellos zugleich die still­schweigende Anerkennung einer Beziehung, die man je nach Bedarf Bundesgenossenschaft oder auch Vasallität nennen konnte.

Nach dem Siege Chlodwigs über die Westgoten reichte seine Herr­schaft von Tournai und dem Mittelrhein bis zu den Pyrenäen. Da ihm das Mittelmeer durch die Ostgoten verschlossen blieb, suchte er sich noch weiter nach Osten auszudehnen, indem er die fränkischen Klein­könige, einen nach dem andern, mit List und Grausamkeit beseitigte. Dadurch schob er die Grenze seines Reiches bis zum Niederrhein hinaus, wo Köln schon damals ein wichtiger Umschlagplatz war. Er bewog die ripuarischen Stammesführer, ihn als ihren König anzuerkennen, und bekehrte die besiegten Arianer zum Katholizismus.

 

Tod Chlodwigs

Bald darauf, in der zweiten Hälfte des Jahres 511, ist Chlodwig im besten Mannesalter gestorben, ein Mann, wie seine sämtlichen Nachfolger, von augenscheinlich sehr zarter Konstitution: Eine allerdings nicht ganz zuverlässige Quelle berichtet, dass er einmal zwei Jahre lang krank dar­nieder gelegen habe, ein Mann, der letzten Endes weit mehr als ein barbarischer Bauernkönig war, wie man ihn auch genannt hat, den wohl das Bewusstsein seiner Sendung und seiner schwachen Gesundheit gegen die zeitraubenden Künste der Diplomatie und der Politik abge­neigt machte und dazu bewog, durch energisches, oft sehr derbes Dreinfahren, unbekümmert um sentimentale Rücksichten und die Gebote der Moral und der Religion, die schwachen Seiten seiner Gegner auszu­nützen. Bei allem Temperament begriff er oft genug den richtigen Zeit­punkt und kannte auch sichtlich genau die Grenzen seiner Mittel. Er hat den Katholizismus erwählt, weil dieser den stärkeren Gott hatte, der ihm und all den Seinen immer nur Mittel zum Zweck bleiben wird.

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