Karl und der Papst

Papst Leo III.

Papst Leo III. stand in dem Ruf, er bereichere sich rücksichtslos, indem er hohe Kirchenämter an den Meistbietenden abgab, bezahlte Urteile fälle und die Bürger der Stadt bis aufs Blut auspresse. Niemand würde es auf sich nehmen wollen, einen Papst zu verurteilen und aus dem Amt zu jagen, also würde man letztendlich die himmlischen Instanzen selbst anrufen und ein Got­tesgericht anberaumen müssen. Nach uraltem indogermanischem - also eigentlich heid­nischem - Brauch konnte ein Angeschuldigter, der nicht eindeutig zu überführen war, selbst entscheiden, ob er sich einem Zweikampf stellen oder die Feuerprobe, die Wasserprobe, die Kreuzprobe auf sich nehmen wollte. Das Duell sprach ihn frei von Schuld, wenn er lebend daraus hervorgegangen war, die Feuerprobe, wenn er es geschafft hatte, mit nackten Füßen über glühendes Eisen zu gehen, die Wasserprobe, wenn er aus siedendem Wasser einen Gegenstand herausgeholt und seine Hand anschließend gut abheilt, die Kreuzprobe, wenn er es aushielt, mehrere Stunden oder sogar Tage lang mit ausgebreiteten Armen dazustehen. Bei allen diesen »Ordalien« verließ man sich darauf, dass Gott einem Unschuldigen beistehen würde, notfalls durch ein Wunder.

 

Der Reinigungseid

Karl und seine Kleriker hatten derlei Praktiken schon früh zu bekämpfen versucht. Hier in Rom würden sie jedoch über ihren eigenen Schatten springen müssen, um ohne Gesichts­verlust das Spiel, das Leo ihnen aufgezwungen hatte, zu bestehen. Und sie wussten, dass es undenkbar war, dem Papst ein Schwert in die Hand zu drücken oder ihn irgendwelchen körperlichen Martern auszusetzen. Nur eine einzige Form des Gottesgerichtes war seiner Würde angemessen: der Reinigungseid.

Vor aller Öffentlichkeit musste Leo am 24. Dezember 800 beschwören, dass die gegen ihn vorgebrachten Anklagen nicht zuträfen, wobei man stillschweigend davon ausging, dass der Herr der Himmel diesen Schwur sowohl annehmen wie zurückweisen könne. Im letzteren Fall würde er eben auch ein Wunder tun und den Meineidigen auf der Stelle entseelen müssen. Leo legte das gebüh­rende Entsetzen an den Tag, als ihm der Beschluss der Versammlung mitgeteilt wurde.

 

Krönung zum Kaiser

Am 25. Dezember 800 betritt Karl mit großem Gefolge zur festgelegten Stunde die Peterskirche. Das versammelte Volk empfängt ihn mit ehrfurchtsvollem Schweigen. Der Papst schickt sich an, die Messe zu zelebrieren. Die beiden Frankenherrscher, Vater und ältester Sohn, treten zum Altar und legen ihre Kronreife auf den Opfertisch. Dann knien sie zum Gebet nieder. Abgesprochen ist, dass Karl nach der Feier sein eigenes Diadem wieder an sich nehmen und dem Sohn das andere auf die Stirn drücken wird. Danach soll dieser von Leo gesalbt wer­den.

Stattdessen geschieht jedoch, was der Papst geplant und vorbereitet hat. Das Schlussevan­gelium ist verklungen, Karl und sein Sohn liegen noch auf den Knien, da tritt Leo an den Altar, ergreift die fränkische Königskrone, hält sie hoch empor und setzt sie dem Vater aufs Haupt. Er sinkt vor ihm zu Boden und betet ihn an. Im selben Augenblick klingen in der Ge­meinde vereinzelte Rufe auf, die sich rasch zu einem Sprechchor verdichten: »Karl dem Augustus, dem von Gott gekrönten großen und friedebringenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg.«

Es ist der vollkommene, der perfekte Staatsstreich. Als Karl sich wieder erhebt, ist er Kaiser. Gemacht hat ihn dazu ein Mann, der vor etwas mehr als vierundzwanzig Stunden in der glei­chen Kirche noch schwören musste, er sei kein Verbrecher. Die Situation, schreibt Einhard, war Karl »zuwider«.

Ob es sich tatsächlich so zutrug oder ob Karl die Krönung zum Kaiser geplant hat, kann heute nicht mehr eindeutig rekonstruiert werden.

 

Ein großer Tag für das Abendland

Das war ein großer Tag, nicht nur für Karl, sondern für das ganze Abendland. Denn mit dieser feierlichen Krönung wurde das im Jahre 476 untergegangene Weströmische Kaiserreich erneuert. Karl nahm den Zuruf der Römer in seinen Amtstitel auf: «Karl, der von Gott gekrönte (Augustus) der große friedebringende Kaiser der Römer, der das Kaiserreich durch Gottes Gnade beherrscht, König der Franken und Langobarden». Wer hegte jetzt noch Zweifel an seiner göttlichen Sendung? Er galt vor aller Welt als «der von Gott Erko­rene», und der Patriarch von Jerusalem überreichte ihm die Schlüssel zum Grabe Jesu als Zeugnis dafür, dass ihn auch die Christen in Palä­stina als den Herrn der ganzen Christenheit anerkannten.

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