Die Krönung Karls zum Kaiser (ERZÄHLUNG)

Wieder war Maifeld. Diesmal hatte der König die Stämme der Franken und Sachsen zur Musterung auf die Ebene von Padabrunn befohlen. Das Dorf Padabrunn (Paderborn) lag mitten im unruhigen Land der Niedersachsen. Seine ausgedehnte Grasebene zwischen den finsteren Wäldern und Eggeberge und der Lippeschen Hügel hatte schon im Jahr 777 die erste Reichsversammlung nach dem Sachsenkrieg gesehen. Dann war 785, nach Beendigung des Sachsenkampfes, eine zweite Versammlung der Truppen bei Pada­brunn abgehalten worden.

Mit Mord und Brand waren die fränkischen Scharen im Sach­senland eingefallen. Immer wieder hatten die starrköpfigen Nie­dersachsen die Holzkirchen und die Klöster der christlichen Missionare niedergebrannt. Sie wollten ihre blonden Häupter nicht der Taufe beugen. Das ganze Frankenreich musste aufgeboten wer­den, um die Dickköpfe zu besiegen.

Nur wer die heidnischen Pferdeschädel von den Firstbalken nahm, wer dem Fohlenfleisch abschwor und das Zeichen des Kreuzes an seine Haustür nagelte, blieb verschont. Nach langen Kriegszügen und wilden Feldschlachten waren die Sachsen endlich geschlagen. Sie waren Christen geworden und fügten sich in die Ordnung des Frankenreichs.

Auf der Ebene zu Padabrunn ließ ihnen Karl damals die neuen Gesetze verlesen. Es hallte über die Wiesen, wo schweigend die Massen der entwaffneten Sachsenkrieger standen und vom fränkischen Heerbann bewacht wurden.

»Wer während der Fastenzeit Fleisch isst: Der soll sterben!Wer einen Bischof oder Priester tötet: Der soll sterben!
Wer einen Toten nach heidnischem Brauch verbrennt: Der soll sterben!
Wer sich vor der Taufe versteckt: Der soll sterben . . .«

Immer wieder dröhnte die Drohung über die Ebene: Der soll sterben!

In den vergangenen vierzehn Jahren hat sich manches geändert. Die Sachsen stehen nun gleichberechtigt neben den fränkischen Heerhaufen mit Speer, Schwert, Schild und Helm zur Besichtigung aufgereiht. Das Zeltlager mit seinen Wagenburgen dehnt sich weit bis zum Wald.

Als König Karl eben mit seinen Grafen und anderen Beamten beschäftigt ist, die Reihen durchzuschreiten und die Bewaffnung zu kontrollieren, sprengt ein Botenreiter die staubige Straße heran. Vor König Karl wirft er sich aus dem Sattel und hält eine Papier­rolle hoch. Ein wichtiger Brief? Karl winkt seinem Kanzleivorstand Kaplan Archimbald. Denn er selber kann nicht gut lesen und über­haupt nicht schreiben. Seine Unterschriften macht er gewöhnlich nach einer Vorlage.

Doch der Bote weiß, was in dem Brief steht. »Herr König«, ruft er atemlos, »du bekommst hochwürdigen Be­such! Der römische Papst selber ist unterwegs und reitet schon von Kloster Fulda ab.« »Wie? Der Papst?« wundert sich Karl. »Was sucht der Heilige Vater im deutschen Land? Gibt es nicht in Rom genug zu tun?« »Wahrscheinlich gibt es dort zu viel zu tun!« lacht der junge Einhard, Baumeister, Geschichtsschreiber und Liebling des Kö­nigs. »Man hört, dass in Rom große Unruhe herrscht.«

Kurze Zeit darauf naht sich dem Lager zu Padabrunn tatsäch­lich eine vornehme römische Reisegesellschaft. Kloster Fulda hat dem Papst Leo III. Wagen, berittene Krieger und mehrere Knechte mitgegeben, so dass der Heilige Vater mit würdigem Gefolge bei der Heerschau eintrifft.

Der König empfängt die römischen Bischöfe und Priester mit aller Achtung. Zwar spricht er etwas Latein, aber den Rest überset­zen seine Minister.

Papst Leo III. ist als Flüchtling gekommen. Seine Klagen sind bewegt und rühren an das Herz König Karls. Rings um Rom woh­nen die Häupter der mächtigen Adelsgeschlechter auf ihren Bur­gen. Diese achten weder Gesetz noch Würde. Sie rauben, plündern, belästigen die frommen Pilger. Und jetzt haben sie es sogar gewagt, Papst Leo in Rom selbst zu überfallen, zu misshandeln und sein Leben zu bedrohen. Wie soll endlich Ordnung in Italien einkehren, wenn die Grafen und Herzöge dort tun dürfen, was ih­nen gefällt?

Papst Leo ist bei Nacht und Nebel aus Rom geflohen. Wo an­ders kann der Hirt der Herde Schutz und Hilfe finden als beim mächtigen König der Franken, beim Herrscher des neuen, christli­chen Abendlandes?

Wenn Karl der Schutzherr Europas sein will, kann er nicht ta­tenlos zusehen. So ordnet er seinen Sohn Pippin ab, gibt ihm den klugen Erzkanzler Archimbald und den schlauen Baumeister Einhard mit. Einige tausend der zu Padabrunn versammelten Krieger sollen die Gesandtschaft begleiten. Übers Jahr wird König Karl dann selber nach Italien reisen.

Es geschieht, wie der König befiehlt. Als Baumeister Einhard nach Italien kommt, besucht er auch die Stadt Ravenna. Er ist so hingerissen von den schönen Kirchen, dass er die Baupläne und die Schönheiten dieser Bauwerke abzeichnet. Der König will seine Lieblingspfalz Aachen zu einer schönen Hauptstadt des Nordens ausbauen. Aachen ist eine römische Ruinenstadt. Wenn Einhard zurückkommt, wird er sie mit Kirchen und Palästen schmücken, wie er sie in italienischen Städten gesehen hat.

Im Rom angelangt, verjagen die Frankenkrieger die Adelshor­den. Papst Leo III. besteigt wieder den Stuhl Petri, und die Ruhe kehrt wieder ein.

Ein Jahr später kommt König Karl nach Rom. Die Stadt emp­fängt den mächtigen Franken mit allen Ehren, aber auch mit Furcht. Der Herbst geht dahin, indem Karl Gericht über die Gra­fen und Herzöge hält. Sogar Papst Leo III. muss sich vor dem kö­niglichen Gericht verantworten, wird aber für unschuldig befun­den.

So kommt Weihnachten, das zugleich das Ende des alten und den Beginn des neuen Jahres anzeigt. Am ersten Tag des nun an­hebenden Jahres 800 geht König Karl in dem langen weißen Un­tergewand der Römer mit darübergeworfenem Purpurmantel und den roten Lederschuhen eines römischen Konsuls in die Peterskirche. Tausend fränkische, sächsische und und bayrische Recken folgen ihm nach. Auch die Römer strömen in Massen zur Neu­jahrs- und Weihnachtsmesse.

Ehrfürchtig haben römische Bischöfe den König zu einem Bet­stuhl geleitet, der dicht am Hochaltar in der ersten Reihe steht. Hinter dem König steht wie eine stählerne Mauer das bewaffnete Gefolge. Die Messe wird zur Kirchengemeinde hin zelebriert. So sieht Karl, dass neben Kelch und Messbuch eine schwere, edelsteinbe­setzte Krone auf dem Altar steht. Der König ahnt, was geschehen soll, und es ist ihm gar nicht recht.

Zwar ist es ihm gelungen, einen Großteil des untergegangenen Römerreiches wieder zusammenzuschmieden und daraus das Frankenreich zu machen. Auch hat er mit Hilfe der lateinischen Sprache und Verwaltung wieder Ordnung geschaffen. Sein Reich ist erfüllt vom Geist der Römischen Kirche, und man vernimmt da und dort, dass die Völker König Karl einen neuen »römischen Cä­sar« nennen. Was aber wird der immer noch in der Stadt Konstan­tinopel regierende echte Römerkaiser sagen? Und was soll es be­deuten, wenn Karl die Krone aus der Hand des Papstes erhält? Werden nicht spätere Päpste sagen: »Was wir gegeben haben, kön­nen wir auch wieder nehmen?«

Doch für all diese Überlegungen ist es zu spät. Ehe es sich König Karl versieht, hebt Papst Leo die Krone em­por und zeigt sie allem Volk. Die Franken und Römer jubeln glei­chermaßen. Dann tritt der Papst herab und salbt Karls Haupt, setzt die Krone darauf und ruft: »Dem erhabenen Karl, dem von Gott gekrönten, großen und friedbringenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg!«

Die Deutschen schlagen tosend die Schwerter aneinandern, die Römer schreien vor Begeisterung, und die Priester stimmen das »Te deum« an. Karl steht im Schmuck der Kaiserkrone vor allen Gläubigen. Man legt ihm den goldgestickten Mantel um, reicht ihm Reichsschwert, Apfel und Zepter. Die Welt sieht, dass die Zeiten der Unruhe und des Verfalls vorüber sind. Das Römerreich ist als »christliches Abendland« neu erstanden.

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