Wasserleitungen
Aus „Rom und römisches Leben im Altertum" von Hermann Bender (1898)
Jahrhunderte lang hatte die Stadt mit ihren Quellen sich begnügt, welche in reicher Menge vorhanden waren, weshalb man nicht wie in manchen anderen Städten auf das Regenwasser angewiesen war; am Fuß des Palatin rieselten noch in der Zeit des Augustus reichliche Quellen hervor. Als aber die Römer allmählich mit der künstlichen Wasserversorgung in den griechischen Städten bekannt wurden, schritten sie als Leute von praktischem Sinn zur Nachahmung derselben, übertrafen aber bald ihre Meister bei weitem.
Mit Recht waren die Römer stolz auf diese Werke: der ältere Plinius zählt sie unter den „nach wahrer Schätzung unübertroffenen Wunderwerken" auf. „Wenn man", sagt er, „den übergroßen Reichtum des Wassers auf öffentlichen Plätzen, in den Bädern, den Bassins, den Kanälen, den Privathäusern, den Gärten, den Landhäusern in der Umgebung der Stadt, die Dimensionen der Leitungen, die für dieselben aufgetürmtem Bögen, die Durchgrabung von Bergen, die Nivellierung von Tälern - wenn man dies alles in Anschlag bringt, so wird man gestehen müssen, dass es auf dem ganzen Erdkreis nichts Bewundernswürdigeres gibt". „So groß", sagte Strabo, „ist die Masse des nach Rom geleiteten Wassers, dass ganze Ströme durch die Stadt sich ergießen, dass fast jedes Haus mit Wasserbehältern, mit Röhren und Kranen versorgt ist".
Die ältesten Leitungen waren unterirdisch, die späteren wurden gewöhnlich über der Erde auf gewaltigen Substruktionen geführt. Das Wasser lief teils durch Röhren von Blei, Holz oder Ton, teils durch steinerne Kanäle, welche innen mit wasserdichtem Bewurf von Kalk ausgestattet waren; bei den unterirdischen Leitungen waren in gewissen Zwischenräumen Luftlöcher angebracht. Von einem an der Quelle eingerichteten Quellhaus, caput, wurde so das Wasser bis zu den Reservoirs, castdla, geleitet, von welchen es sodann an die einzelnen Quartiere und in die Häuser verteilt wurde. Solang die Zahl der Leitungen kleiner war, war man im Abgeben des Wassers sparsam; man beschränkte sich - abgesehen vom Bedürfnis des Staats - auf die Bäder und gewisse Handwerker; auch musste ein Wasserzins entrichtet werden; je größer die Zahl der Leitungen wurde, desto unbeschränkter und allgemeiner wurde die Benutzung, und in der Kaiserzeit hörte auch der Wasserzins ganz auf. Es war übrigens genau bestimmt, wie viel an jedem Ort abgegeben werden sollte; manche Inschriften zeigen, dass die Abgabe auf gewisse Stunden beschränkt war.
Die Aufsicht über das gesamte Wasserleitungswesen war in der Hand der Ädilen und Censoren; indessen fand Augustus es für nötig, ein eigenes Amt für diesen wichtigen Gegenstand einzurichten (cura aquarum), welches durch ein Kollegium von drei Männern versehen wurde; diese Beamten wurden vom Kaiser ernannt und hatten bei der Wichtigkeit ihres Geschäfts eine sehr angesehene Stellung; man nahm dazu gewöhnlich gewesene Konsuln; ein zahlreiches Dienstpersonal war ihnen beigegeben.
Der erste, welcher eine Wasserleitung anlegte, war der berühmte Ap. Claudius Caecus; seine aqua Appia, welche er als Zensor 312 v. Chr. einrichtete, begann bei den Quellen zwischen dem Anio und der pränestinischen Straße, 7 - 8.000 Schritt, ca. 12 km, vor dem esquilinischen Tor, und lief in einem unterirdischen, nur beim capensischen Tor 60 Schritte weit überirdischen Kanal an der Südseite des Caelius und des Circus maximus vorbei bis zur Porta trigemina; die ganze Länge betrug über 11.000 Schritte (ca. 18 km). Von den im Lauf der Zeit entstandenen Wasserleitungen - es werden deren neunzehn genannt, welche aber nicht alle nachweisbar sind - waren die bedeutendsten:
- die aqua Marcia, im Jahr 144 v. Chr. von dem Prätor Q. Marcius Rex begonnen; sie hatte eine Länge von 61.000 Schritten (gegen 100 km), wovon etwa ein Achtel über dem Boden; von Augustus wurde ihr noch eine Verstärkung, die aqua Augusta, zugeführt, ihr Wasser war ganz besonders gut;
- ferner die aqua Virgo, welche Agrippa auf seine Kosten für seine Thermen anlegte; sie war über 14.000 Schritte (ca. 22 km) lang, 1.240 Schritte waren über der Erde; diese Leitung ist deshalb von besonderem Interesse, weil sie die bedeutendste von denjenigen ist, welche jetzt noch im Gebrauch sind: als aqua deiTrevi speist sie die fontana deiTrevi;
- sodann die aqua Claudia, die kolossalste von allen, von Caligula und Claudius eingerichtet, 46.000 Schritte lang und mit einem dem der Marcia an Vortrefflichkeit gleichkommenden Wasser;
- endlich der Anio novus, 58.000 Schritte lang. Für die beiden letztgenannten Leitungen wurden dieselben Bögen benutzt, so dass das Wasser des Anio novus über dem der Claudia hinlief. „Was sind gegen diese ebenso kolossalen als nützlichen Anlagen die Pyramiden oder die hochgefeierten, aber praktisch wertlosen Werke der Griechen!" ruft Frontin aus.