Die Entstehung des Amphitheaters

Aus „Das Alltagsleben im alten Rom zur Blütezeit des Kaisertums" von J. Carcopino (1948)

Wenn wir nach fast 2000 Jahren Christentum die Arena eines römischen Amphi­theaters betreten, haben wir das Empfinden, in die Hölle des Altertums hinabzustei­gen. Um der Ehre des römischen Volkes willen würden wir gerne dieses Blatt aus seiner Geschichte streichen. Denn dort hat Rom sich mit untilgbarer Blutschuld befleckt und die Zivilisation geschändet, für die es bleibende Worte geprägt und deren lebendige Wirklichkeit es uns vorgelebt hat. Jedes Wort des Tadels wäre zu schwach; unser Verständnis reicht nicht mehr aus, um die Verirrung zu begreifen, der dieses Volk verfallen ist, indem es das munus, das Menschenopfer, in ein vom ganzen Ge­meinwesen freudig gefeiertes Fest verwandelte und unter allen Vergnügungen, die man ihm bot, das Morden von Menschen am liebsten sah, die man nur bewaffnet hatte, damit sie einander vor seinen Augen töteten.

Im Jahre 164 v. Chr. verließ das Volk von Rom wegen eines solchen Gladiatorenspiels das Theater, in dem man die „Hecyra" von Terenz spielte. Im l. Jahrhundert v. Chr. war es bereits so begierig nach diesen Schauspielen, dass die Bewerber um ein Amt dadurch die Stimmen zu gewinnen trachteten, dass sie die Menge zu diesen Metzeleien einluden und der Senat im Jahre 63, um lästige Konkurrenten zu unterdrücken, ein Gesetz erlassen musste, das die Wahl von solchen Kandidaten von vornherein ausschloss, die während der zwei Jahre vor der Abstimmung solche Vorführungen finan­ziert hatten. Auch Cäsar und Pompeius bedienten sich ihrer für ihre ehrgeizigen Ziele, als sie nach der Alleinherrschaft im Staate strebten. Pompeius bot seinen Mitbürgern so viele munera, dass sie ihrer schon überdrüssig wurden. Cäsar verlieh diesen Darbietungen durch die Pracht der Ausstattung, die er ihnen gab, eine neue Anziehungs­kraft. Die Kaiser, von Augustus angefangen, pflegten diesen blutrünstigen Geschmack der Menge mit wohlerwogener Absicht und schmiedeten so im Gladiatorenwesen das sicherste, freilich auch das schrecklichste Instrument ihrer Macht... Seit Augustus gehörten die munera genau so zu den offiziellen und vorgeschriebenen Veranstaltun­gen wie die ludi im Theater und im Zirkus, ja sie waren das kaiserliche Schauspiel par excellence. Zur selben Zeit wurden ihnen auch von Staats wegen großartige Gebäude zur Verfügung gestellt, die eigens für diese Zwecke gebaut waren und deren Form, ganz zufällig entstanden und in Hunderten von Exemplaren wiederholt, uns heute als eine gewaltige Neuschöpfung der Architektur der Kaiserzeit erscheint: das Amphitheater.

Bis Cäsar hatten die Veranstalter der munera entweder den Zirkus für ihre Vorführun­gen verwendet oder rasch auf dem Forum eine Einzäunung errichtet, die am nächsten Tag wieder niedergerissen wurde. Im Jahre 53 oder 52 v. Chr. beschloss der jüngere Curio, der in Cäsars Sold stand und dessen Kandidatur für das Tribunat von diesem mit gallischem Gold unterstützt wurde, die Wähler mit einer großen Sensation zu überraschen. Er schützte eine Totenfeier für seinen kürzlich verstorbenen Vater vor, um Theateraufführungen und ein munus anzukündigen. Seine neuartige Idee bestand darin, dass er als Überraschung für diesen Tag nicht ein, sondern zwei hölzerne Theater konstruieren ließ, die mit ihren runden Außenwänden einander berührten und auf Angeln drehbar waren. Vormittags, für die Theatervorstellungen, blieben sie mit ihren Rückwänden aneinandergefügt, so dass der Lärm einer Vorstellung die andere nicht stören konnte. Nachmittags, wenn das munus stattfinden sollte,... sah man plötzlich, wie sich die beiden Theater einander zuwendeten und mit ihren Vorderseiten zusammenfügten, so daß ihre beiden Halbkreise ein Oval bildeten, während die Scheidewände der zwei Bühnen zurückwichen, um einer einzigen Arena Platz zu machen. Dieser Vorgang erregte die Sensationslust der Zuschauer aufs äußerste. Es bereitete ihnen ein unbeschreibliches Entzücken, durch diese wunder­bare Umwälzung mit fortgerissen zu werden, und sie achteten gar nicht der Gefahr, der sie dadurch ausgesetzt wurden... Sicherlich war es eine Waghalsigkeit, aber man muss bedenken, dass aus diesem Einfall alle Arenen der Welt hervorgegangen sind. Cäsar griff die von seinem Freunde Curio stammende Idee des doppelten Theaters für das munus auf, das er im Jahre 46 v. Chr. aus Anlass seines vierfachen Triumphes dem Volke bot, und führte sie ganz einfach ohne Maschinerie durch. Der geniale Diktator hatte die Lösung gefunden, aber nur auf einen provisorischen Holzbau angewendet. Augustus hat sie in dauerhaftem Stein verwirklicht, und die Schriftsteller seines Zeitalters haben das Wort für dieses neue Bauwerk geprägt: amphitheatrum.

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