Circus Maximus
Ein Beitrag von Wolfgang Aretz (Freie Waldorfschule am Kräherwald/Stuttgart)
Der Circus Maximus war zur Kaiserzeit die einzige wichtige Rennbahn der Stadt, damit also die älteste und bekannteste Kampfbahn. Er liegt zwischen dem Palatin und dem Aventin und kann wahrscheinlich bis ins 6. Jahrhundert v. Chr. datiert werden Lange Zeit blieben die Starttore und die Sitze aus Holz. Claudius ließ Tore aus Marmor und unter Trajan verwandelte sich das Gebäude in ein monumentales Denkmal mit einer Gesamtlänge von 600 Metern, wenn die Arena und die Stufen eingerechnet werden sowie einer durchschnittlichen Breite von 150 Metern (andere Angabe: 200 Meter Breite). Das riesige Olympiastadion mit bis zu 69.000 Plätzen hat dagegen recht bescheidene Ausmaße. Angeblich fanden dann sogar bis zu 385.000 Zuschauer Platz. Man kann sich gut vorstellen, wie etwa ein Provinzbewohner, der zum ersten Mal hierher ins „Zentrum der Welt" kam, einfach geblendet war - angesichts der ungeheuren Weite und der prunkvollen Ausstattung dieses Monsterbauwerkes.
In der Mitte der Arena befand sich eine erhöhte, 344m lange Strebe (spina = Rückgrat). Sie war mit Statuen und Trophäen sowie mit 7 beweglichen Eiern und 7 Delphinen ausgestattet, die dazu benutzt wurden, die 7 Runden eines jeden Rennens abzuzählen: nach jeder Runde wurde ein Ei und ein Delphin heruntergenommen, sodass die Zuschauer immer wussten, in welchem Stadium des Rennens man sich gerade befand. An den Stirnseiten befanden sich die Wendepunkte (metae) in Form großer mit Bronze beschichteter Kegel. Augustus hatte einen 24m großen Granitobelisken von Ramses II. aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. im Jahre 10 v. Chr. von Ägypten nach Rom gebracht. Die drei Geschosse der Tribünen hatten eine Höhe von etwa 35 Metern. Die unteren, marmornen Sitzplätze waren natürlich den „besseren" Leuten vorbehalten, wohingegen sich das gemeine Volk auf den oberen (hölzernen) Stehplätzen tummelte. Eine kaiserliche Loge ließ Augustus bauen; von hier aus verfolgten seitdem die Kaiser und seine Familie, Würdenträger und andere „große Tiere" das Geschehen von ihren Logen aus. Als Eingangstor diente ein Triumphbogen im Zentrum der Kurve seit 80 n. Chr. und sollte an Titus‘ Plünderung von Jerusalem erinnern.
In den Säulengängen und Hallen unterhalb der Sitzreihen ging es an Renntagen zu wie auf einem Jahrmarkt: da gab es unzählige Tavernen, Inhaber von Verkaufs- und Imbissständen schrien um die Wette. Menschentrauben sammelten sich um Musikanten, Akrobaten und Wahrsager. Bereits in der Nacht vor Rennbeginn drängten sich Tausende vor den Einlasstoren, um einen der begehrten Plätze zu ergattern. Dabei kam es wiederholt zu Unfällen, bei denen Menschen von den Nachrückenden erdrückt wurden. Die Starttore (carceres) hatten 12 Boxen. Beim Start zog ein Aufseher einen Hebel, der ein Katapultsystem in Gang setzte. Das Katapult zog die Schnapper der Tore einer jeden Box zurück, die daraufhin aufflogen. Jede am Rennen teilnehmende Mannschaft hatte ihre eigenen Farben. Die Albata trugen Weiß die Russata Rot, Die Veneta Blau und die Prasina Grün. Mit den „Roten", den „Blauen", den „Grünen" und den „Weißen" identifizierten sich Millionen bis an den Rand der Besessenheit. Der Schriftsteller Plinius der Jüngere (61 - 113 n. Chr.) äußert sich in einem Brief darüber:
„Um so unverständlicher ist es mir, dass so viele tausend Männer so kindisch sein können, immer wieder rennende Pferde und auf Wagen stehende Menschen sehen zu wollen. Wenn es nur wenigstens die Schnelligkeit der Pferde oder die Kunst der Menschen wäre, was sie anzieht, so läge noch Vernunft darin. So aber ist's ein farbiger Lappen, dem sie ihre Liebe und Gunst zuwenden. Und würde man mitten im Wettrennen die Farben vertauschen, so wird ihre Liebe, ihre Gunst den Tausch mitmachen und sie werden auf einmal ihre lieben Wagenlenker, ihre lieben Pferde, die sie schon von weitem kennen, die sie laut beim Namen rufen, aufgeben. Solche Beliebtheit, solches Ansehen kann sich eine einzige lumpige Tunika erwerben, ich will ja nichts sagen bei der Masse, nein, bei manchen ernsten Männern!"
Für die Mannschaften bauten die Imperatoren Stallungen auf dem Marsfeld und sie stellten das gesamte Personal: Trainer, Hufschmiede, Tierärzte und Tierpfleger. Die Wagenlenker waren Professionelle, die sich aus den unteren Klassen, aus Freigelassenen und aus Sklaven rekrutierten. Wenn sie erfolgreich waren, wurden sie von der Menge abgöttisch verehrt, genau wie die Gladiatoren. Wer als Sklave angefangen hatte, konnte sich irgendwann freikaufen, wenn er es erlebte.
Am Tag des Rennens führte eine Prozession bzw. einem Umzug in den Circus, der zu Ehren der Götter veranstaltet wurde. Er startete beim Kapitol, ging über das Forum Romanum und schließlich durch das mittlere Tor des Circus Maximus und die Rennbahn entlang. Junge Männer eröffneten den Festzug, gefolgt wurden sie von den Wagenlenkern und ihren Gespannen, denen sich Tänzer, Chore und Musikanten anschlossen. Den Abschluss bildeten die Götterbilder, die man auf Wagen durch die Stadt fuhr, ihnen schlossen sich die Priester an und der hohe Beamte, der den Renntag organisiert hatte. Die Menge begleitete das Geschehen begeistert und gab Wetten ab. Zu einem Trompetenstoß zeigte der vorstehende Magistrat den Start des Rennens durch das Fallenlassen eines Taschentuches an. Die Zwölf Gespanne kamen aus den 12 Starttoren in der Nordkurve in die Arena. Sie rasten gegen den Uhrzeigersinn und umrundeten die spina 7 Mal. Zusammenstöße waren häufig, vor allem am Anfang. Es gab Rennen mit 2-, 3-, oder 4-spännigen Wagen. Die Gespanne wurden von den Fahrern im Stehen gelenkt und zwar mit der linken Hand während sie mit der rechten die Peitsche schwangen. Die siegreichen Fahrer und ebenso die Pferde wurden von der Menge sehr verehrt, sie genossen eine Popularität wie heute sehr erfolgreiche Sportler. Die Berufsfahrer gehörten zwar dem niederen Volke an, doch hatte die Leidenschaft auch die besseren Kreise ergriffen. Nero stieg mehr als einmal in die Arena, um als Wagenlenker aufzutreten. Die Wagenlenker trugen einen Metallhelm und eine kurze, eng anliegende Tunika, die durch Riemen festgehalten wurde. Das Umfahren der Wendemarken war die größte Schwierigkeit. Manchmal fanden auch Kuriositätenrennen statt, Staffelrennen oder es wurden 10 Pferde vor die Wagen gespannt. Männer führten Kunstreiten vor oder liefen um die Wette. Ein Renntag bestand aus 24 Rennen. Auch Gladiatorenspiele wurden im Circus abgehalten. Am Ende wurden die Preise verteilt, die Siegespalmen, Kronen und Halsketten aus Gold.
Ähnlich wie die besten Gladiatoren wurden auch die erfolgreichsten Wagenlenker in Rom als absolute Superstars gehandelt. Die aufs Siegen abonniert waren, scheffelten Reichtümer, ihre Namen standen fast täglich in der „acta diurna" (der römischen „Tageszeitung", die allmorgendlich öffentlich ausgehängt wurde. Von den römischen Massen erfuhren sie fast göttergleiche Verehrung. Traten sie in der Öffentlichkeit auf, waren sie schnell von Hunderten hysterisch jubelnder Anhänger umgeben. Allerdings mussten viele vorzeitig ihr Leben lassen. Für viele angehende Stars war bereits im Alter von 20 Jahren Karriere und Leben beendet wie z. B. AURELIUS MOLLICIUS, der mit 20 Jahren verunglückte, nachdem er bereits 125 Mal auf der Rennbahn gesiegt hatte. Die Grabschrift eines anderen lautet:
„Hier liege ich, Florus, ein noch junger Wagenlenker, begraben.
Als ich den Wagen beschleunigte, fiel ich zu den Schatten der Unterwelt."
Die Glücklichen unter den Matadoren des Zirkus konnten in die kleine Elitegruppe der „MILIARII" („Tausender", d. h. solche Wagenlenker, die mehr als 1000 Mal gesiegt hatten) aufsteigen. So z. B. der spanische Lenker APULEIUS DIOCLES, der im 2. Jahrhundert n. Chr. 4257 Rennen absolviert hatte und davon 1462 Mal gesiegt. Als er sich im Alter von 42 Jahren aus dem Renngeschäft zurückzog und dann seine Prämiengelder von insgesamt sage und schreibe 38.863.120 Sesterzen genüsslich ausgeben konnte.
Zwischen den Rängen eilten geschäftig die Buchmacher umher, denn angesichts der Wettleidenschaft der Römer wechselten an Renntagen oft kleine oder auch größere Vermögen ihren Besitzer.