Gaius' Tod

Plutarch (45 - 125 n. Chr.): Gaius Gr. 13 - 18

"Für 121 wurde Gaius nicht wieder zum Tribunen gewählt. Um ihn vor Gericht stellen zu können, suchten seine Gegner ihm seine letzte Vollmacht zu entziehen, indem sie bean­tragten, den Beschluss der Koloniegründung in Afrika rückgängig zu machen.

An dem Tage, an dem (der Konsul Lucius) Opimius jene Gesetze aufheben wollte, wurde das Kapitol von beiden Parteien gleich am frühen Morgen besetzt. Der Konsul vollzog das heilige Opfer, und ein Liktor, Quintus Antyllius, sollte die Eingeweide herumtragen. Da sprach er zu Fulvius: „Hinweg, ihr nichtswürdigen Bürger, gebt Raum den guten." Einige behaupten, er habe diese Worte noch mit einer höhnischen Bewegung des entblößten Armes begleitet. Im nächsten Augenblick wurde Antyllius dort auf der Stelle getötet. Die Menge entsetzte sich über die Bluttat, bei den Führern war die Stimmung geteilt. Gaius war ärgerlich über seine Anhänger, weil sie der Gegenpartei ihren längst gehegten Wunsch erfüllt und sich ins Unrecht gesetzt hatten. Für Opimius war es ein Glücksfall, der ihn ganz übermütig machte. So rief er das Volk zur Vergeltung auf. Doch wurde für dieses Mal die Versammlung aufgelöst, weil ein Wolkenbruch niederging.

In der Frühe des nächsten Morgens berief der Konsul den Senat in die Kurie und beriet über die Lage. Andere bahrten Antyllius' nackten Leichnam auf und trugen ihn unter Klagen und Jammern absichtlich über das Forum an der Kurie vorüber. Opimius wusste, was draußen vorging, tat aber sehr erstaunt, so dass die Senatoren ebenfalls herauskamen. Als man die Bahre inmitten der Volksmenge niedersetzte, begannen manche zu jammern, als wenn ein großes, schreckliches Unglück geschehen sei. Die meisten aber machten ihrem Hass und Abscheu gegen die Vornehmen Luft: Tiberius Gracchus, den Volkstribunen in Amt und Würden, habe man auf dem Kapitol umgebracht und seinen Leichnam in den Tiber geworfen, aber einen Sklaven, wie Antyllius, bahre man auf dem Forum auf. Vielleicht sei ihm Unrecht geschehen, aber in der Hauptsache habe er sein Unglück selbst verschuldet. Jammernd umstehe der Senat diesen Mietling, um ihm das letzte Geleit zu geben, nur zu dem Zweck, den einzigen Volksfreund, der noch übrig sei, aus dem Wege zu räumen. Darauf kehrten die Senatoren in die Kurie zurück und gaben durch ein Dekret dem Konsul Opimius die Vollmacht gemäß dem senatus consultum ultimum: er solle nach Kräften die Stadt schützen und die Tyrannenmacht brechen. Opimius befahl den Senatoren, in Waffen zu erscheinen, und jedem Ritter, am anderen Morgen mit zwei bewaffneten Sklaven sich einzufinden. Auch Fulvius traf seine Gegenmaßnahmen und sammelte eine Schar von Anhängern.

Gaius verschmähte es, sich zu bewaffnen; als wenn er aufs Forum ginge, legte er die Toga an, nur einen kleinen Dolch nahm er als Waffe mit. Als er aus dem Hause gehen wollte, warf sich seine Gattin in der Tür vor ihm nieder und umarmte ihren Gatten und das Kind. Wehklagend sagte sie: „Sonst, Gaius, gingst du von mir fort aufs Forum als Tribun und Gesetzgeber oder in einen ehrenvollen Krieg. Dann konnte ich dich, auch wenn dir etwas Menschliches begegnete, doch wenigstens noch in Ehren betrauern. Jetzt lieferst du dich Tiberius' Mördern freiwillig aus, ohne Waffen. Das verdient Lob: denn Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun. Dem allgemeinen Besten aber wird dein Tod nichts nützen. Das Böse hat schon gesiegt; jetzt lassen sie die Gewalt des Schwertes entscheiden..." So jammerte Licinia, Gaius löste sich indes sanft aus ihrem Arm und ging inmitten seiner Freunde schweigend davon. Sie suchte sich an sein Gewand zu klammern, fiel jedoch zu Boden und lag lange stumm da, bis die Diener sie aufhoben und ohnmächtig zu ihrem Bruder Crassus trugen. Gaius' Partei hatte sich inzwischen versammelt. Da schickte Fulvius auf Gaius Bitten seinen jüngsten Sohn mit einem Heroldstab aufs Forum. Es war ein Jüngling von auffallender Schönheit. Bescheiden und mit allem Anstand schritt er herab und überbrachte mit Tränen im Auge Konsul und Senat die Vorschläge zur Versöhnung. Die meisten Anwesenden waren gern damit einverstanden, die Feindseligkeiten bei­zulegen. Opimius aber wollte von Unterhändlern zwischen Gaius und dem Senat nichts wissen. Persönlich sollten sie als Bürger zur Verantwortung herabkommen und das Urteil über sich ergehen lassen. Nur so könnten sie den Zorn des Senats

Anhänger des Gracchus besänftigen. Dem Jüngling aber befahl er, nur wiederzukommen, wenn diese Bedindungen angenommen seien. Gaius wollte, wie man erzählt, den Gang wagen und den Senat umstimmen. Doch als keiner der anderen ihm beipflichtete, schickte Fulvius den Jüngling noch einmal zu der gleichen Verhandlung. Opimius aber kam es nur darauf an, mit der Gegenpartei handgemein zu werden. So ließ er den jungen Mann ergreifen und ins Gefängnis abführen. Dann griff er Fulvius mit einer Abteilung Schwerbewaffneter und kretischer Bogenschützen an, die ihre Gegner mit ihren Pfei­len verwundeten und sie in wilde Verwirrung brachten. Sie mussten flüchten. Fulvius suchte Schutz in einem verlassenen Bad, wurde aber bald entdeckt und mit seinem ältesten Sohn niedergehauen. Gaius hatte niemand im Kampf gesehen: heißer Zorn über die Ereignisse hatten ihn in das Heiligtum der Diana getrieben. Dort wollte er sich selbst das Leben nehmen, wurde aber von seinen vertrauten Freunden Pomponius und Licinius daran gehindert. Da sie in der Nähe waren, konnten sie ihm das Schwert entreißen und ihn erneut zur Flucht bewegen. Dem fliehenden Gaius setzten die Feinde nach und erreichten ihn an der „Holzbrücke". Seine beiden Freunde rieten ihm dringend, die Flucht fortzusetzen; sie selbst stellten sich den Verfolgern entgegen und kämpften, um die Gegner aufzuhalten, vor der Brücke so lange, bis sie selbst fielen. Ein einziger Sklave namens Philokrates war Gaius' Begleiter auf der Flucht; denn obwohl alle wetteiferten, ihm zur Flucht zu raten, hielt es doch keiner für der Mühe wert, ihm Beistand zu leisten oder ihm auf seine Bitten ein Pferd zu verschaffen, weil ihnen die Verfolger hart auf den Fersen waren. Mit knapper Not erreichte er noch den heiligen Hain der Erinyen. Dort fand er sein Ende. Philokrates tötete erst Gaius, dann sich selbst mit dem Schwert. Gaius, Fulvius und die anderen Toten - es waren dreitausend umgekommen - wurden in den Tiber geworfen, ihr Vermögen fiel an den Staat. Den Frauen untersagte man, Trauer anzulegen, Licinias Mitgift wurde eingezogen. Am unmenschlichsten verfuhr man mit Fulvius' jüngstem Sohn, obwohl er keinen Widerstand geleistet, überhaupt am Kampf nicht teilgenom­men hatte. Er war als Unterhändler vor Beginn des Gemetzels festgenommen worden und wurde gleich nach dem Kampf hingerichtet.

Die Menge war zwar durch die Ereignisse aufs tiefste gedemütigt, zeigte aber bald darauf, mit welcher Liebe und Sehnsucht sie der Gracchen gedachte. Man ließ Statuen von ihnen anfertigen und an öffentlichen Plätzen aufstellen, und die Stätte ihres Todes sprach man heilig. Man brachte ihnen die Erstlinge aller Jahresfrüchte, viele opferten ihnen auch täglich und erwiesen ihnen kniefällig göttliche Ehren. Wie zu Göttertempeln wallfahrtete man zu ihnen."

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