Gaius Gracchus

Plutarch (römischer Geschichtsschreiber, 45 - 125 n. Chr.)

Gaius Gracchus hielt sich anfangs vom politischen Leben fern und lebte zurück­gezogen und still für sich, weil er seine Gegner fürchtete oder weil er sie beim Volk in Verruf bringen wollte. Jedenfalls erzählte Cicero, Gaius habe jede Betätigung als Beamter abgelehnt und sich einem völlig unpolitischen Leben hingegeben. Da sei ihm sein Bruder im Traum erschienen und habe zu ihm gesagt: „Was besinnst du dich noch, Gaius? Es gibt für dich kein Entrinnen. Dir ist dasselbe Leben, derselbe Tod im Dienste des Volkes beschieden wie mir."

Nachdem Gaius sich in Sardinien als Quästor des Konsuls Orestes bewährt, aber auch das Misstrauen der Optimaten [Adeligen] erregt hatte, bewarb er sich trotz ihres Widerstandes um das Volkstribunat.

Das einfache Volk strömte in solcher Menge aus ganz Italien in Rom zusammen, um seine Wahl durchzusetzen, dass viele keine Unterkunft fanden, das Marsfeld die Volks­menge nicht fasste und viele von den Giebeln und Dächern herab ihre Stimme ab­gaben. Doch hatten die Optimaten mit ihrem Druck auf das Volk einen gewissen Erfolg. Sie betrogen Gaius insofern um seine Hoffnung, als er nicht an erster, sondern erst an vierter Stelle zum Tribunen gewählt wurde. Aber nach der Amtsübernahme war Gaius doch gleich der erste. Der Gewalt seiner Rede war keiner gewachsen, die leiden­schaftliche Trauer um seinen Bruder öffnete ihm die Lippen zu freimütiger Rede. Auf ihn lenkte er die Erinnerung des Volkes bei jeder Gelegenheit; er rief ihnen die schimpflichen Ereignisse bei seinem Tode wieder ins Gedächtnis zurück und stellte dem entgegen, wie sich ihre Vorfahren in ähnlichen Fällen verhalten hätten. So hätten jene mit den Faliskern Krieg angefangen, um die Beleidigung zu rächen, die man einem Tribunen Genucius zugefügt hatte; und Gaius Veturius habe man zum Tode verurteilt, weil er einem Tribunen auf dem Forum als einziger nicht Platz ge­macht habe. „Vor euren Augen", rief er, „haben diese Elenden Tiberius mit Knüppeln niedergeschlagen, vom Kapitol herunter den Leichnam durch die ganze Stadt ge­schleift und in den Tiber geworfen. Ohne Urteil hat man seine Anhänger, deren man habhaft werden konnte, dem Tode überantwortet. Und wenn ein Verbrecher sich nicht dem Gericht stellen wollte, war es bei uns doch von jeher Brauch, dass ein Trompeter am frühen Morgen vor sein Haus ging und ihn mit einem Trompetenstoß nochmals mahnte. Vorher dürfte kein Richter das Urteil sprechen. So vorsichtig und behutsam waren sie in ihrer Rechtsprechung."

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