Der Kampf um die Ausdehnung des Bürgerrechts

Auszug aus dem Buch: "Geschichte Roms während des Verfalls der Republik" von Carl Neumann, 1881.

Bei der Begründung seines Antrags scheint Gracchus die politischen Motive, die ihn selbst bestimmten, wohlweislich nicht berührt oder sie wenigstens viel weniger betont zu haben als einfache Humanitätsrücksichten, von denen er hoffen mochte, dass sie bei dem gemeinen Mann mehr Anklang finden würden. Er schilderte mit brennen­den Farben die Brutalität, mit welcher Latiner und Italiker jetzt von übermütigen römischen Beamten behandelt wurden, weil sie die Wohltat der lex Porcia pro tergo civium entbehrten, und die Greueltaten, die in den von Gellius erhaltenen Fragmen­ten erzählt werden, sind allerdings von der empörendsten Art.

„Neulich kam ein Konsul nach Teanum Sidicinum. Seine Frau wünschte in dem Männerbade zu baden, und dem Sidicmischen Quastor M. Marcius wurde der Auftrag erteilt, die Män­ner, die dort badeten, zu entfernen. Darauf erzählt die Frau ihrem Manne, sie habe lange warten müssen, auch sei das Bad nicht rein gewesen. Sofort wird auf dem Markt der Pfahl aufgepflanzt und M. Marcius, der angesehenste Bürger der Stadt, herbei­geschleppt. Er wird entkleidet und öffentlich mit Ruten gepeitscht... Vor wenigen Jahren wurde ein ganz junger Mann, der damals noch kein Amt bekleidet hatte, mit dem Titel eines Legaten nach Asien geschickt. Er ließ sich in einer Sänfte tragen. Ein Kuhmrte aus der Gegend von Venusia, der dem Zuge begegnet, fragt, da er nicht wusste, wer in der Sänfte war, scherzhafter Weise den Träger, ob sie einen Toten hin­austrügen. Der junge Mann ließ die Sänfte sofort niedersetzen und mit den Riemen, mit denen sie zusammengebunden war, den Hirten so lange peitschen, bis er den Geist aufgab."

Aber wie empörend solche Tatsachen auch waren, - die Bürgerschaft hatte sich in den Hass gegen die stammverwandten Italiker so hineingelebt, dass sie auch dem Appell an rein menschliche Empfindungen, an Mitleid und Erbarmen, ein taubes Ohr bot; sie hatte sich daran gewöhnt, die Italiker als Menschen zweiter Klasse zu betrachten, und nahm jede Bemühung zu deren Gunsten nicht viel besser auf wie eine gegen sie selbst gerichtete Beleidigung.

Ihre Verstimmung beschloss der Senat zu benutzen, um gegen Gracchus die Offensive zu ergreifen; bei dieser peinlichen Frage konnte er den furchtbaren Gegner stürzen, denn hier stand der ganze Unverstand des Pöbels auf seiner Seite. Er ließ den Antrag energisch bekämpfen. Der Konsul C. Fannius hielt gegen ihn eine Rede. Ein erhal­tenes Fragment derselben wirft auf die Nichtsnutzigkeit der Menge ein grelleres Schlaglicht, als es die weitläufigste Deklamation eines ausgeprägten Volksfeindes vermöchte. „Glaubt ihr denn", rief Fannius den Bürgern zu, „dass ihr, wenn den Bundesgenossen das Bürgerrecht verliehen wird, noch ebenso in den Volksversamm­lungen und bei den Spielen Platz finden werdet wie jetzt? Begreift ihr nicht, dass jene euch die besten Plätze wegnehmen werden?" Fannius kannte seine Leute; das waren die erbärmlichen Gründe, nach welchen eine so wichtige Frage entschieden wurde; und einen solchen jämmerlichen Haufen sollte Gracchus zur Vernunft bringen!... Das Unglück wollte, dass ihn das Los bestimmte, als Triumvir die Ausführung der projektierten Kolonie nach Karthago zu leiten. Überall geneigt, persönlich einzugrei­fen, ging er nach Afrika, um dort die Landesvermessung zu leiten. Seine Abwesenheit benutzten die Oligarchen, seine stark erschütterte Popularität ganz zu untergraben. Es kam ihnen nur darauf an, ihn zu stürzen; war dies gelungen, so hofften sie, das Verlorene leicht wiedergewinnen zu können. Nur auf einem Wege war es möglich, das Band zwischen der Bürgerschaft und ihm zu lösen - das Volk durch noch weiter gehende Versprechungen zu ködern. Sie gewannen für diese Taktik den Volkstribunen Livius Drusus.

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