Absetzung des Marcus Octavius
Appian (römischer Geschichtsschreiber, 90 - 160 n. Chr.): Bürgerkriege I 11 - 13.
Nachdem Gracchus durch eine lange Rede die Armen und wer sich sonst noch mehr von der Vernunft als von der Habsucht reizen ließ, bewegt hatte, befahl er dem Schreiber, das Gesetz vorzulesen. Aber ein anderer Volkstribun, Marcus Octavius, war vorher von den großen Güterbesitzern gewonnen worden, die Sache zu verhindern. Und er konnte das wirklich nach römischen Gesetzen, wenn er Einsprache tat. Dieser befahl dem Schreiber zu schweigen. Gracchus begnügte sich für jetzt, ihm viele Vorwürfe zu machen, und verschob die Verhandlung auf die morgige Versammlung.
Bei dieser hatte er eine hinlängliche Wache aufgestellt, um dem Octavius, wenn er abermals abgeneigt wäre, Gewalt zu zeigen. Jetzt befahl er dem Schreiber mit Drohung, das Gesetz der Menge vorzulesen. Dieser las vor, schwieg aber, als Octavius Einsprache tat. Wie sich nun ein gegenseitiges Schelten unter den Tribunen erhob und das Volk nicht wenig lärmte, so verlangten die Angeseheneren, die Tribunen sollten den Gegenstand ihres Zwistes dem Senate zur Entscheidung überlassen. Rasch ergriff Gracchus diesen Vorschlag, als müsste sein Gesetz wenigstens aller Gutgesinnten Beifall erhalten. Er lief auf die Kurie. Dort aber, im engeren Kreise, scheuten sich die Reichen nicht, ihm mit Übermut zu begegnen. Da rannte er wieder in die Volksversammlung und erklärte, in der morgigen Versammlung werde er über das Gesetz sowie in Beziehung auf Octavius darüber abstimmen lassen, ob ein Tribun, der zum Nachteile des Volkes handle, sein Amt fortbehalten könne. Und er blieb auch dabei. Denn als Octavius, ohne sich schrecken zu lassen, abermals Einsprache tat, so brachte Gracchus vorerst die Frage wegen seines Amtes zur Abstimmung. Als die Stimmen der ersten Klasse den Octavius zur Niederlegung seines Amtes verurteilt hatten, so wandte sich Gracchus zu ihm mit der Bitte, sein Wort zurückzunehmen. Wie er unbeweglich blieb, so wurden die weiteren Stimmen eingeholt. Es waren damals 35 Tribus. Schon hatten die 17 ersten sich einstimmig mit Heftigkeit gegen ihn erklärt. Eben wollte die achtzehnte die Sache zur Entscheidung bringen. Da lag Gracchus dem Octavius, der jetzt in der höchsten Gefahr schwebte, noch einmal im Angesichte des Volkes, aufs dringendste an, er solle doch eine so heilige, für ganz Italien so vorteilhafte Sache nicht verwirren und einen so großen Eifer des Volkes nicht niederschlagen. Auch könne die Verurteilung und der Verlust seines Amtes doch gar nicht gleichgültig für ihn sein. Nach diesen Worten rief er die Götter zu Zeugen an, dass er nur gezwungen einen Amtsgenossen entehren würde. Als dieser noch immer unbeweglich blieb, setzte er die Abstimmung fort. Und Octavius, plötzlich zum Privatmanne geworden, lief heimlich davon. An seine Stelle wurde Quintus Muminius zum Tribun gewählt, und das Ackergesetz erhielt seine Gültigkeit. Die ersten, die nun zur Verteilung der Ländereien gewählt wurden, waren Gracchus selbst, der Urheber des Gesetzes, sein Bruder gleichen Namens und sein Schwiegervater Appius Claudius, ein Beweis, wie das Volk noch jetzt fürchtete, das Gesetz möchte unvollzogen bleiben, wenn nicht Gracchus mit seiner ganzen Familie es handhabe. Jetzt wurde Gracchus, stolz auf sein Gesetz, vom Volke nach Hause begleitet, das ihn als den Gründer nicht einer einzelnen Stadt oder eines einzelnen Völkerstammes, sondern sämtlicher italischen Völker betrachtete. Nach diesem begab sich die siegreiche Partei auf das Land zurück, woher sie zu der Verhandlung gekommen war. Die besiegte blieb erbittert zurück und äußerte laut, es werde den Gracchus, sobald er wieder Privatmann geworden, gereuen, ein heiliges unverletzliches Amt entehrt und so vielen Gärungsstoff in Italien hineingeschleudert zu haben.