Demokratie ganz praktisch

Ein Beitrag von Tanja Krapf


Erster Tag

Ich wollte die wesentlichen Grundgedanken der Demokratie ganz praktisch behandeln. Dafür war ich auf der Suche nach einem Thema, das die Schülerinnen und Schüler emotional betraf und auf der anderen Seite auch praktisch umsetzbar war. 

Ich wählte folgende Frage: „Soll die Sitzordnung in der Klasse vom Lehrer oder von den SchülerInnen festgelegt werden?“ Für die Dauer dieser Epoche würde die demokratisch gewonnene Entscheidung gelten.

Zunächst besprachen wir die Frage der Gleichwertigkeit aller Menschen – ein Grundprinzip der Demokratie. Jeder Mensch hat eine Stimme, die er in die Waagschale der Entscheidung werfen darf, egal, ob er reich oder arm, gesund oder krank usw. ist.

Wir suchten gemeinsam weitere Gegensatzpaare, die uns verdeutlichten, dass in einer Demokratie die Menschen wirklich alle als gleichwertig betrachtet werden. Die Mehrheit der Stimmen entscheidet für alle. Selbst wenn man seine Stimme für die unterlegene Position abgegeben hat, ist man bereit, der Entscheidung der Mehrheit Folge zu leisten – ein weiteres Grundprinzip der Demokratie. Was würde geschehen, wenn die Minderheit nicht dazu bereit wäre? Auch das ist eine interessante Frage, die wir in der Klasse diskutierten.

Nach dieser Vorarbeit galt es Gründe und Argumente für beide Seiten der Fragestellung zu sammeln. Ein nächster wichtiger Punkt: Um verantwortlich eine demokratische Entscheidung zu fällen, reicht es nicht, eine oberflächliche Meinung zu haben, sondern man braucht die Offenheit und die Bereitschaft, sich auch mit den Argumenten der Gegenseite auseinanderzusetzen.

Wir machten uns eine Tabelle, in der wir Argumente für und gegen eine Schülersitzordnung bzw. eine Lehrersitzordnung sammelten. Dies versuchten zunächst alle Kinder für sich, dann taten sich jeweils vier zusammen, um die eigene Tabelle zu vervollständigen. Anschließend trugen wir an der Tafel zusammen.

Im alten Griechenland traf man demokratische Entscheidungen immer auf dem Marktplatz, der Agora. Man hörte Rede und Gegenrede, bevor man zur Abstimmung schritt.

Welche Schülerin, welcher Schüler traute sich eine möglichst begeisternde Rede mit Argumenten für seine Meinung zu halten? Zwei Kinder wurden für beide Positionen ausgewählt. Bei unserer Fragestellung kann man erwähnen, dass man durchaus eine flammende Rede für eine Sache halten kann, obwohl man selbst durchaus anderer Meinung ist. Das ist natürlich eine viel größere Leistung.

Nach der Rede und der Gegenrede schritten wir zur Abstimmung. Diese war geheim und wurde anschließend ausgezählt. Dann stand die demokratische Entscheidung fest. Wie zu erwarten, wollte die Mehrheit eine Sitzordnung, die von Schülerinnen und Schülern erstellt wird.

Der nächste Tag

Soweit, so gut! Dies war der leichtere Teil, jetzt ging es an die Umsetzung. Wir fragten uns, wie nun der Sitzplan erstellt werden soll. Die Kinder brachten zwei Vorschläge:

  1. Die Schülerinnen und Schüler stehen auf und stellen sich dorthin, wo sie sitzen möchten. Nachteil: Zurückhaltende SchülerInnen haben oft das Nachsehen.
  2. Jeder schreibt auf einen Zettel drei Namen, neben denen er gerne sitzen möchte.

In einer nächsten Abstimmung erhielt der zweite Vorschlag die Mehrheit. Aber wer sollte die Einteilung vornehmen? Die Frage lösten wir pragmatisch: ein Junge und ein Mädchen. Alle, die diese Aufgabe übernehmen wollten (die Hälfte der Klasse), schrieben ihren Namen auf einen Zettel und es wurde gelost.

Dritter Tag

Die Sitzordnung sollte nun bis zum nächsten Tag ausgearbeitet werden. Und dies geschah. Am dritten Tag setzten sich alle Kinder in die neue Sitzordnung. Tatsächlich beschwerte sich niemand - vielleicht ein Glücksfall.

Nun habe ich nochmals das oberste Kriterium einer guten Sitzordnung deutlich gemacht: Jedes Kind hat das Recht auf einen störungsfreien Unterricht. Somit ist es eine Frage der Logik, dass die neue Sitzordnung geändert werden muss, sobald vermehrt und gehäuft Unruhe durch Reden an einzelnen Tischen auftaucht. Eine Veränderung der Sitzordnung würden ebenfalls unsere beiden gewählten Sitzplanersteller vornehmen.

Insgesamt verlief aber der Unterricht mit unserer neuen Sitzordnung insbesondere am Anfang überraschend gut.

Ein weiteres Prinzip der Demokratie wurde hier deutlich: Der Einzelne übernimmt Verantwortung für sein Tun.

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