Bau einer Lehmhütte

Ein Bericht von Anna Brockmann (Mutter der Freien Waldorfschule Bremen Touler Straße)


Montag 2. Mai

Endlich ist es soweit! Voller Erwartung und Vorfreude stürmen die 35 Kinder der 3. Klasse auf den Schulhof. Unter den großen Kastanien auf einer 10 m² Fläche soll eine Lehmhütte entstehen. Die mutige Idee der Klassenlehrerin für die Hausbauepoche soll nun in die Praxis umgesetzt werden. Frau Stangenberg vom BUND wird als erfahrene Fachkraft das Projekt begleiten, die Eltern mit Muskelkraft und Organisationsgeschick das Projekt unterstützen.

Einige Eltern haben erste Vorbereitungen getroffen. Ein Transporter mit Werkzeug und Material steht bereits da, ein Zeltdach ist aufgebaut. Die erste wichtige Aktion ist es, den Standort und die Größe der Hütte zu bestimmen. Die Kinder sind voller Elan und es wird feierlich der Kreis für die Hütte gezogen. Nun geht es darum, den in Arbeitsgruppen eingeteilten Kindern, erste Arbeitsschritte zu erläutern und Arbeitsbereiche aufzuteilen.
 


Eine Gruppe Kinder gräbt mit Hilfe von Erwachsenen 12 tiefe Löcher, in die die Weidenäste für das Gerüst gesteckt werden sollen. Eine andere Gruppe zieht eine Rille für die Ziegelsteine, die den Kreis bilden, so dass der Lehm später keinen Kontakt mit dem feuchten Untergrund bekommt. Eine andere Gruppe Kinder ist mit Astschere bestückt und sortiert und beschneidet die Weidenäste, die Eltern der Schule in den letzten Wochen gebracht haben.
 


Nach der Pause wird weitergebaut und am Ende der 3. Stunde steht das Grundgerüst, größer und schöner als erwartet. Die Kinder sind sehr stolz. Das Gerüst ist schon jetzt eine große Attraktion und wird von den Kindern auf dem Schulhof begutachtet und kommentiert.

In den nächsten Tagen wird geflochten. Leider zeigt sich der Mai von seiner nassen Seite und es ist kalt und regnerisch. Dennoch wird fleißig weitergearbeitet. Die unterschiedlichen Flechttechniken der Kinder sind an dieser Stelle hervorzuheben. Die meisten Kinder arbeiten in Zweiergrüppchen. Einige Mädchen flechten so perfekt und engmaschig als ob sie einen Korb flechten würden. Andere Kinder sind eher für das Grobe zu begeistern: lange dünne Äste werden vertikal und horizontal mal mit Gefühl mal vehementer in das Weidengerüst eingebaut. Zwischendurch gibt es kleine Weidenstockkämpfe die sich aber rasch wieder auflösen und eingearbeitet werden. Gespräche jeglicher Art begleiten das Geschehen und manch Ärger über abgebrochene Äste wird in philosophischen Sätzen kundgetan: „Mein Stock ist wie ein störrischer Esel!“

In den nächsten Tagen wird die Klasse in zwei Gruppen geteilt, da es bei zum Teil vier Grad in den Morgenstunden, zu kalt ist, um zwei Stunden durchzuarbeiten. Bis Montag sollen die Flechtarbeiten abgeschlossen sein, denn dann ist Richtfest und der Lehm wird geliefert. Die Kinder flechten und flechten und suchen sich geeignete Äste aus den Weidenbergen. Besonders das Flechten auf dem Dach der Hütte ist sehr beliebt.
 

 

Die zweite Woche

Am 8. Mai ist Richtfest. Die Kinder bilden eine Kette um die Hütte und der Hausbauspruch wird feierlich zusammen gesprochen. Ein kleiner Snack und dann geht es weiter an die Arbeit.
 


Zunächst muss noch ausgebessert werden. Dann der Höhepunkt: Ein großer Kipplader kommt und schüttet drei Kubikmeter Lehm auf den Schulhof neben die Hütte. Die Kinder sind begeistert. Das ist also Lehm. Und was für ein tolles Baustellenauto!

Nun beginnt die eigentliche Muskelarbeit. Der Lehm muss mit Stroh gemischt werden und über Nacht einweichen, so dass er verarbeitet werden kann. Dazu muss er mit Wasser vermischt und gestampft werden, so dass er klumpenfrei wird. Die Kinder haben sich Handtücher und kurze Hosen mitgenommen und tatsächlich finden sich einige, die sich in den kalten Lehm trauen und mit bloßen Füßen stampfen. Da es nach wie vor sehr kalt ist, werden aber vor allem dicke Stämme zum Stampfen benutzt. Diese Arbeit ist sehr anstrengend und insbesondere das anschließende Mischen mit dem Stroh stellt eine echte Herausforderung dar.
 


Am Dienstag kann die erste Stroh-Lehmschicht aufgetragen werden. Gewickelt und gestrichen, diese Technik ist nicht ganz einfach, aber die Kinder finden nach einige Anläufen ihre eigenen Wege, den Lehm so aufzutragen, dass er gut auf dem Gerüst hält.

Es muss immer wieder Nachschub vorbereitet werden und es braucht viel Zeit, um hinterher alles wieder zu säubern. Das Wetter ist sehr wechselhaft, aber am Donnerstag wird es wärmer, so dass viele Kinder mit großem Spaß den Lehm stampfen. Man kann geradezu beobachten wie der Kontakt zum Lehm immer freudiger wird und die anfänglichen Berührungsängste schwinden. Um den Takt beim Stampfen zu halten wird gesungen. Einige Kinder haben Kuchen für alle mitgebracht. Die Stimmung ist heiter und gelöst.
 

 

Die dritte Woche

Montag ist Ruhetag. Eltern und Kinder brauchen eine Verschnaufpause.

Dank des Wochenendeinsatzes von einigen Eltern und Kindern wurde die erste Stroh-Lehmschicht auf das gesamte Weidengerüst aufgetragen. Die Hütte sieht aus wie ein großer Bienenstock. Bienen und Wespen umschwirren neugierig den Lehmbau.

Die zweite Schicht Lehm muss ebenfalls gestampft und eingeweicht werden, hinzu kommt Sand und frischer Kuhdung. Dieser wird morgens in drei Eimern von einem Vater „erntefrisch“ angeliefert. Dank eines Kindes, dass auf dem Land wohnt, ist für Nachschub an Kuhdung kein Problem. Dies ist eine alte Methode Lehmbauten haltbarer und gegen Nässe unempfindlicher zu machen.
 


35 Kinder werden in Arbeitsgruppen eingeteilt. Nun wird systematisch gearbeitet: Eine Gruppe Kinder schneidet das Stroh klein, eine Gruppe füllt Lehm in Eimer und zerkleinert ihn, eine Gruppe vermengt ihn mit Wasser, kleingehäckseltem Stroh und Kuhdung und stampft das Gemisch, eine Gruppe „klatscht“ den Lehm auf die Hütte. Da Sturm und Regen angesagt sind, wird die Hütte mit Planen ummantelt. Jetzt darf nichts schiefgehen, der Lehm muss gut durchtrocknen, damit nächste Woche eine wasserabweisende Schicht aufgetragen werden kann.

Die Kinder zeigen vollen Einsatz und auch in der Hütte kann die erste Schicht aufgetragen werden. Hier ist es dunkel und feucht und es riecht wie auf einer Kuhweide, für die einen ein Genuss mit vielen schönen Assoziationen, für andere eine olfaktorische Herausforderung.

Im Laufe der Woche wird es warm, das Arbeiten macht Spaß und es gibt jeden Tag sichtbare Fortschritte. So muss es auch sein, da die zweite Lehmschicht bis Freitag aufgetragen sein soll, da dann der Lehm Zeit zum Trocknen braucht und für die Kinder die lang ersehnte Rechenepoche startet. Am Samstag ist Werktag. Nun dürfen auch die Eltern erste Lehmbau- Erfahrungen machen und sehen und spüren womit sich ihre Kinder in den letzten Wochen täglich beschäftigt haben.

Einige der Kinder helfen auch an ihrem freien Tag weiter fleißig mit, die meisten Kinder spielen währenddessen auf dem Schulhof und sind sichtlich stolz darauf, dass ihre Eltern beim Erbauen ihres Werkes mithelfen. Auch die Eltern lernen sich nochmal von einer ganz neuen Seite kennen. Ungeahnte Fähigkeiten, und handwerkliches Geschick, sowie körperlicher Einsatz waren insbesondere bei den Eltern, die sonst eher in sitzenden Tätigkeiten beschäftigt sind, eine erfreuliche Abwechslung. Insbesondere das Lehm-Stroh-Kuhdung-Gemisch mit bloßen Füßen zu stampfen, findet bei den Eltern unerwartet großen Anklang. Die zweite Schicht ist aufgetragen, lediglich der Dachstuhl braucht noch eine extra Behandlung, da hier viele Äste in den Raum rein ragen und das Geflecht zu reizvoll für Bienen Wespen Hummeln sein könnte.

Dann muss die letzte Schicht aufgetragen werden. Da es wenig bis keine Erfahrungswerte mit Lehmhütten-Bau in unseren Breitengraden mit so viel Feuchtigkeit gibt, werden unterschiedliche Informationen zusammengetragen, um einen Putz zu erfinden der hoffentlich die Hütte vor Nässe schützten kann. Wir entscheiden uns für ein Lehm-Quark-Marmormehl-Leinöl-Gemisch. Dieser soll als Putz aufgetragen werden. Es finden sich tatsächlich wieder zahlreiche Eltern, die mit Spachtel bestückt die Lehmhütte mit diesem Spezialputz verputzen. Nun sieht sie heller aus, die Risse sind weniger geworden und einer feierlichen Einweihung steht nichts mehr im Wege...
 

 

Samstag, 10.06

Am 10.Juni ist die letzte Monatsfeier vor den Sommerferien. Im Anschluss soll die Hütte gemeinsam mit Eltern und Kindern eingeweiht werden. Es gibt ein feierliches Büfett, die Kinder haben ein langes Band gehäkelt, dass um die Hütte gebunden wird. Die wichtigste Person muss dieses Band durchtrennen. Wer könnte das sein? Was waren die wichtigsten Qualitätsmerkmale für den Bau der Lehmhütte? Engagement, Durchhaltevermögen, Motivation, sind nur einige der Merkmale, die die Kinder aufbringen mussten, um kontinuierlich arbeiten zu können. Ein Kind hat während des Baus seine Fähigkeiten besonders hervorbringen können und bekommt die Ehre das Band zu durchtrennen.

Nun wollen wir sehen ob auch alle 35 Kinder in der Hütte Platz finden. Und tatsächlich: alle 35 Kinder passen in die Hütte. War also doch die richtige Größe! Eine kleine Überraschung gibt es noch in der Hütte: Die Weiden haben ausgetrieben und wo noch einzelne, zarte Äste aus dem Lehm ragen sind kleine hellgrüne und weiße Blättchen zu sehen. Es hat etwas Ursprüngliches, zauberhaft Verwunschenes.

 

Danksagung

Danke an Herr Shay (Gartenbau), der uns bereitwillig alle Werkzeuge zur Verfügung gestellt hat und uns bei allen Belangen flexibel und spontan beiseite stand. Danke an Frau Stangenberg, die uns mit ihrem fachlichen Wissen unterstützt hat und mit uns gemeinsam das Projekt konzipiert und durchgeführt hat. Danke an die Kinder der 3. Klasse, die gezeigt haben, wie viel Motivationskraft, Kreativität und Begeisterungsfähigkeit in ihnen stecken und welchen Einsatz sie zeigen können, wenn sie Projekte mitgestalten dürfen. Danke an eine engagierte Klassenlehrerin, die den Mut gehabt hat, den Schwerpunkt des Projektes auf den Prozess zu setzen und nicht auf das Ergebnis. Danke an die Eltern ohne die das Projekt nicht möglich gewesen wäre.

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