Bauernhofepoche
Ein Beitrag von Veronika Handte (Freie Waldorfschule Engelberg)
Die Klasse 2b
Es ist der erste Schultag nach den Weihnachtsferien, etwa 8:20 morgens auf dem Demeterhof Engelberg. Ein paar Eltern stehen in der eisigen Kälte und erwarten die Kinder der Klasse 2b, deren Bauernhofepoche an diesem Morgen beginnen wird. Trotz angestrengten Lauschens ist nichts zu hören, 35 gespannte, erwartungsfreudige Kinder können ja nicht überraschend auftauchen.
Können sie doch! In aller Ruhe und sehr gesittet kommen sie schließlich an. Nachdem geklärt ist, welche Kindergruppe in dieser Woche für welche Aufgabe zuständig ist, geht es an die Arbeit. Mit Feuereifer und ohne nennenswerte Berührungsängste packen die Kinder die vor ihnen liegenden Arbeiten an: Die Schweine warten darauf, das ersehnte Futter zu bekommen. Während sie fressen, wird ihr Stall ausgemistet, die überdachte Schlafhütte mit frischem Stroh versehen und die Schweine selber genießen eine ausgiebige Bürstenmassage.
Bei den Hühnern werden die Eier eingesammelt, die Nester wenn nötig frisch gemacht und für frisches Wasser und Futter gesorgt.
Eine Gruppe schafft riesige Heuhaufen vom Heustock in den Stall und füttert die Kühe, während eine andere die fressenden Kühe striegelt, bis ihr Fell glänzt; die Ziegengruppe muss zunächst ein Stück durch die Obstwiesen zum Ziegenstall laufen. Dort angekommen, versorgen sie die Ziegen mit Heu und frischem Wasser, füttern ihnen Lrockenes Brot und Mohren und führen sie zu einem köstlichen Brombeergebüsch außerhalb ihrer Weide, das von den Ziegen begeistert beweidet wird. Eine letzte Gruppe schließlich ist damit beschäftigt, Holz für den Ofen des Bauwagens zu sägen.
Sechs Wochen lang sind die Kinder bis kurz nach 9:00 Uhr auf dem Hof und helfen mit, alle, auch die Eltern und die Klassenlehrerin Frau Sabo, sind mit vollem Einsatz dabei. Neben der Arbeit, die selbstverständlich erledigt werden muss, gibt es noch genügend Zeit, die Tiere in Ruhe zu beobach-ten. Welche Laute geben die Tiere in welcher Situation von sich, wie begrüßen sie sich, lässt sich der Schwanz der hochträchtigen Kuh schon biegen, schwillt das Euter der ebenfalls hochträchtigen Ziege schon?
Scheue Tiere zu „zähmen", kleine Mutproben zu bestehen - schaffe ich es, die Hand so lange still zu halten, bis das Huhn ein Korn daraus gepickt hat? Bringe ich die nötige Ruhe und das Selbstbewusstsein auf, um dem Ziegenbock so zu begegnen, dass er mich als Stärkeren akzeptiert? Wie fühlten sich eine Kälberzunge, der „Teller" des Schweinerüssels eigentlich an?
Damit ist auch schon ein Teil der Frage, warum diese Bauernhofepoche überhaupt jedes Jahr für die 2. Klassen stattfindet, beantwortet. Die Kinder erleben einerseits eine Wertschätzung, die ganz unmittelbar mit der geleisteten Arbeit zu tun hat, und fühlen sich dadurch in einer Weise ernst genommen, wie sie es sonst nicht erleben.
Andererseits lernen sie jenseits aller Theorie komplexe Zusammenhänge kennen und verinnerlichen diese.
Für eine Waldorfschule ist diese Art des Lernens nichts Neues. Seit den Anfängen ist das konkrete Lernen wichtig, das die Erfahrung von etwas und nicht die Reflexion über etwas an den Beginn stellt (nach dem Motto „nachdem wir besprochen haben, was alles zu einem Bauernhof gehört, kucken wir uns mal an, wie so ein Bauernhof in echt aussieht").
Die zunächst unkommentierten Erlebnisse und Erfahrungen können in einem weiteren Schritt verarbeitet werden, Fragen entstehen, Schlussfolgerungen werden gezogen, zum größten Teil von den Kindern selbst. Auf die so erarbeiteten Lerninhalte kann man ein Leben lang zurückgreifen und, besonders wichtig, sie haben Konsequenzen für unser Handeln. Während theoretisches Wissen über ökologische Zusammenhänge z.B. selten Auswirkungen auf unser ökologisches Verhalten hat, so hat Wissen, das durch selbst erlebte und begriffene Zusammenhänge erarbeitet wurde, dies in sehr hohem Maße.
Auch die derzeitigen Schlagworte in staatlichen Lehrplänen wie handlungsorientiertes Lernen, außerschulische Lernorte, nachhaltiges Lernen, Kompetenzerwerb finden sich hier alle umgesetzt.
Doch zurück zu den Kindern, die von derlei Überlegungen nichts wissen und die Zeit auf dem Hof einfach genießen. Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung fühlen sie sich auf dem Bauernhof wie zu Hause, kennen die Arbeitsabläufe. Der Morgenspruch wird von einer dezenten Hintergrundmusik durch die Schweine, die inzwischen wissen, dass die große Kindergruppe „Futter" bedeutet, begleitet. An die wirklich klirrende Kälte haben sich alle gewöhnt, niemand beschwert sich, bei der Arbeit wird es ja warm. Nach der Arbeit werden die Erlebnisse in der Schule und zu Hause im Heft zunächst bildlich und dann auch schriftlich festgehalten, kurze allgemeine Texte zu den Tieren folgen.
Am Ende der sechs Wochen sind alle traurig, gerne würden sie länger bleiben. Die Lernwilligkeit der Klasse ist nach dieser Epoche deutlich gestiegen und so können auch diejenigen, die befürchten, es könne durch solch ein Projekt zu viel ausfallen, beruhigt sein.