Rhythmus trägt Arbeit
Ein Beitrag von Klaus Wagner (Fachlehrer an der Freien Schule Elztal für Handwerk und Kunst)
„Ihr werdet den Rhythmus erfahren im Fluge eines Vogels, im Puls der Arterien, in den Schritten eines Tänzers, in den Abschnitten eines Vertrags."
Plato
Wenn vor Jahrhunderten durch Menschenhand gewaltige Bauwerke entstanden wie die ägyptischen Pyramiden, die griechischen und römischen Tempel und Monumentalbauten oder auch wo schwere monotone Arbeiten von Menschen verrichtet wurde wie das mühsame flussaufwärts Treideln von Lastkähnen oder das Bewegen schwerster Massen, immer kam ein uraltes Gesetz dahinter zur Anwendung: die Arbeitsbewegung wurde mit Puls- und Atemrhythmus abgestimmt. Auf diese Weise gelang eine Arbeit über einen längeren Zeitraum hinweg, ohne unnötig zu ermüden.
Meist waren diese Arbeiten von rhythmischen Gesängen in ganz bestimmten Tonfolgen unterstützt. Bis vor noch gar nicht allzu langer Zeit konnte man diese Arbeitslieder noch in vielen Handwerken vorfinden, z.B. bei den Schnittern, Dreschern, Müllern, Bäckern, Schreinern, Schmieden... u.v.a. Der Schmiedemeister gab den Schlag vor und die beiden Gesellen, die zusammen mit ihrem Meister um den Ambos standen, schlugen nacheinander zu und so ging es im dreier Takt reihum. Wer das schon am eigenen Leibe erfahren hat, weiß, dass der Rhythmus die Arbeit „trägt", die Arbeit dann wie von selbst geht und leichter wird.
Doch wie viel Erfahrung steckt dahinter den eigenen Rhythmus zu finden! Was ist zu schnell, zu hastig und dadurch erschöpfend, was zu langsam, so dass der verlorengegangene Schwung durch Kraftaufwand ausgeglichen werden muss?
Und wo können Kinder heutzutage noch rhythmisches Arbeiten erleben, da doch fast alle Arbeitsprozesse von den Maschinen übernommen werden? Selbst zu Hause bestimmen die elektrischen Geräte weitestgehend die Arbeiten. Die Wäsche kommt in die Waschmaschine, die Teppiche werden nicht mehr geklopft, sondern gesaugt, der Kaffee wird fertig gemahlen gekauft, das schmutzige Geschirr kommt in die Spülmaschine, das Kochen wird immer mehr durch Fertiggerichte und Tiefkühlkost ersetzt und selbst die Zähne werden von der elektrischen Zahnbürste geputzt. Immer mehr wird uns im täglichen Leben von den Maschinen abgenommen. Wir bedienen und kontrollieren sie nur noch - Rhythmus ist da nicht mehr gefragt.
„Durch solche Mechanisierung erstarrt das Arbeitsleben insofern, als Lunge und Herz-Kreislauf, unsere rhythmischen Organe, nicht mehr mit dem Bewegungsorganismus zusammenschwingen und von hier aus harmonisiert werden können. Die Nerven-Sinnes-Tätigkeit des Menschen einerseits und die Gliedmaßen-Muskel-Tätigkeit andererseits ermüden unseren Körper- nicht aber Puls und Atem, die unermüdlich bis zum Lebensende in uns wirken."
(Herbert Seufert aus Der künstlerisch-handwerkliche Unterricht)
Die Werkstatt der Schule ist daher der Ort, an dem ich versuche möglichst viele mechanische Arbeitsgänge in rhythmische zu verwandeln, um den Kindern so Zugang zu Erfahrungen mit Rhythmus im Tätigsein zu ermöglichen. Das Schnitzen des Holzes mit dem Messer, später mit dem Hohleisen und Klöpfel, das Bohren von Löchern, das Absägen von Holzstücken und das Hobeln und Schleifen von Hölzern, alles wird erst einmal von Hand erfahren und geübt.
In der Oberstufe darf hier und da einmal eine Maschine einen Arbeitsvorgang ersetzen. Dieses rhythmische Tun, in das die Menschen früher so leicht finden konnten, spielt sich in unserer Tiefe ab, lässt den Verstand zur Ruhe kommen. Während es den Jüngeren eher ermöglicht werden muss wieder in diese Weise einzutauchen und zu erleben, bedarf es bei den älteren Schülerinnen und Schüler ein bewussteres Einlassen.