Freie Symmetrien

Ein Beitrag von Christina Singer (Freie Waldorfschule Freiburg St. Georgen)

 

Zur Entwicklungssituation der Kinder

Mit dem Entwicklungsschritt des Rubikon begibt sich das neun- bis zehnjährige Kind in ein neues Gefühl: Es erlebt sich viel stärker in seinem Getrenntsein von Mitmenschen und Umwelt, als das bis etwa zum achten Lebensjahr noch der Fall war. Die Unterschiedlichkeit der Menschen, etwa der einzelnen Familienmitglieder, aber auch der Mitschülerinnen und Mitschüler wird bewusster erlebt und ein Umgang damit muss gesucht werden. Das Eigene, Individuelle wird neu entdeckt und damit gespielt: wie eigenständig bin ich schon? Aber auch ein tiefes Gefühl der Einsamkeit und Unsicherheit gehört dazu. Der Rubikon bringt die Notwendigkeit mit sich, sich in der Welt gefühlsmäßig neu zu verorten. Das betrifft das Verhältnis zu Nähe und Distanz, zu Eigenem und Fremdem, zu Freiheiten und Erfordernissen. Diese Polaritäten können beim Zeichnen freier Symmetrien erlebt und erprobt werden.

 

Die Formen

Freie Symmetrien geben die axiale Spiegelung auf. Sie haben keinen symmetrischen Aufbau, sondern bestehen z. B. aus einer Drei- oder Fünfheit. Der Zeichnende muss nun selbst innerlich das Gleichgewicht finden, das er seiner Form geben will. Inhaltlich bietet sich das Suchen von Ergänzungsformen an, z. B. zwischen geraden und gebogenen Linien, Innen- und Außenformen, offenen und geschlossenen Formen. Der Entwicklungsbezug besteht darin, dass sich die Kinder aus dem Gefühl heraus und im schöpferischen Tätigsein mit den Aufgaben auseinandersetzen und individuelle Lösungen finden. Dabei geht es nicht um ein kreatives sich Austoben, sondern darum, durch das gemeinsame Betrachten, Besprechen und Vergleichen verschiedener Formen ein Gefühl für Stimmigkeit zu entwickeln.

Im Folgenden werden verschiedene Formen dargestellt und erläutert:

 

Zu einer geraden Innenform sollte eine gebogene Außenform gesucht werden. (Zeichnet man die Bögen breiter, wirkt die Form dick und wenig elegant.) 

 

Gleiche Aufgabe, anderes Ergebnis. Die Außenform ist nun offen. (Zeichnet man die Bögen flacher, verliert die Form ihre schöne Spannung.) 

 

Eine andere Form aus fünf Geraden: ein Fünfstern als Innenform. Für die runde Außenform probierten wir Verschiedenes aus. Es war nicht leicht, etwas Passendes zu finden. 

 

Bei dieser runden Außenform war es wichtig, dass die Bögen sich nicht zu einem Kreis schlossen. 

 

Eine runde Form aus drei Elementen. 

Die Aufgabe bestand darin, eine passende Innenform zu suchen, unabhängig davon, ob aus Geraden oder Gebogenen. 

 

Diese Innenform kreuzt den Mittelpunkt und lässt sich, wie die Außenform, ohne Absetzen zeichnen. 

 

Bei dieser Innenform ist der Mittelpunkt ausgespart. 

Hier entsteht mit der Innenform eine zusätzliche Asymmetrie. 

Wenn man die Spiralen von außen beginnt, ist es schwer, die Form harmonisch aussehen zu lassen. 

 

Eine Innenform aus Geraden zu finden, war schwerer als eine gebogene Innenform. 

Wie trifft man eigentlich genau den Mittelpunkt? Vor allem dann, wenn die drei Bögen ungleich groß sind, wie bei der Form rechts oben?

 

Durch die ungleich großen Bögen wird die Form nochmals asymmetrischer.

 

Trotzdem lässt sich eine uns bekannte Innenform hineinzeichnen.  

Was macht es für einen Unterschied, wenn man die Innenform von der Größe her an die Außenform anpasst oder auch nicht?

 

Auch hier schmiegt sich die Innenform nicht immer an die Außenform an und trotzdem wirkt die Form ingesamt interessant. 

Hier ist weder die Innen- noch die Außenform geschlossen. Das Auge ergänzt das Fehlende. 

Wenn die tropfenförmigen Elemente aus der vorherigen Form nach außen zeigen, muss sich die Außenform deutlich verändern.