Einmaleins oder Reihen?
Ein Beitrag von Dieter Centmayer (Freie Waldorfschule Braunschweig)
Es gibt eine gewisse Tradition in den Schulen, wie man die Kinder an das Einmaleins heranführt. Gewöhnlich entwickelt man aus dem lebendigen Zählen heraus die sogenannten „Reihen". Man zählt z.B. rhythmisch 1,2,3, 4 und betont dabei die 4 durch klatschen, stampfen usw., dann so weiter 5,6,7, 8 .... Alle Zahlenreihen können so erarbeitet werden. Schließlich lässt man die dazwischenliegenden Zahlen weg und spricht 4,8,12,16.... Danach lässt man diese Reihen auswendig lernen.
Etwas später, beginnt man meist mit dem Erlernen des Einmaleinses: Einmal fünf ist fünf, zwei mal fünf ist zehn, drei mal fünf ist fünfzehn....
Nun gibt es zur Vorgehensweise beim Lernen des Einmaleins relativ klare Hinweise von Rudolf Steiner in den Lehrplanvorträgen, die man am Ende des Buches „Seminarbesprechungen" (GA 295) findet: „Dann aber beginne man, wenn das Kind mit dem Zahnwechsel fertig ist, ja gleich damit, es das Einmaleins lernen zu lassen, und meinetwillen sogar das Einspluseins; wenigstens sagen wir, bis zur Zahl 6 oder 7. Also das Kind möglichst früh das Einmaleins und das Einspluseins einfach gedächtnismäßig lernen zu lassen, nachdem man ihm nur prinzipiell erklärt hat, was das eigentlich ist, es prinzipiell an der einfachen Multiplikation erklärt hat, die man so in Angriff nimmt, wie wir das gesagt haben. Also kaum dass man imstande ist, dem Kinde den Begriff des Multiplizierens beizubringen, übertrage man ihm auch schon die Pflicht, das Einmaleins gedächtnismäßig zu lernen ".
Es gibt keinen Hinweis Rudolf Steiners auf das Erlernen von "Reihen". Nun wäre dagegen auch gar nichts einzuwenden, dass man zuerst die Reihen auswendig lernen lässt und danach das eigentliche Einmaleins. Wir sind ja völlig frei zu tun, was wir für richtig halten.
Allerdings kann man beobachten, dass viele Kinder, wenn sie zuerst die Reihen gelernt haben, trotz intensivstem Üben des Einmaleinses, später beim Multiplizieren mehr oder weniger heimlich, statt dass sie z.B. bei der Aufgabe „5 x 7" sofort innerlich antworten könnten „ist 35", beginnen z.B. an ihren fünf Fingern 7, 14, 21, 28, 35 abzuzählen. Das kann sehr geschwind gehen, so geschwind, dass man es als Lehrer eben kaum bemerkt. Was fehlt, das ist, dass quasi automatisch aus dem Gedächtnis das Bild oder der Klang „35" als Antwort auf die Frage: „Was ist 5 x 7 ?" auftaucht.
Wer das Einmaleins nicht so richtig fest im Gedächtnis verankert hat, der behält immerfort eine gewisse Unsicherheit oder Verzögerung beim Rechnen. Je nach Begabung kann sich das ganz unterschiedlich auswirken. Sehr gute Rechner können allerdings auch ohne die Stütze des Gedächtnisses sehr schnell solche Rechenoperationen nachholen. So wird verständlich, warum Rudolf Steiner fordert, dass das Einmaleins, also nicht die Reihe, so sehr früh schon gedächtnismäßig geübt werden soll. Man gibt damit den Kindern für ihr ganzes Leben die größtmögliche Sicherheit im Rechnen und stärkt obendrein das Gedächtnis.
Nach meiner Erfahrung kann man durchaus im rhythmischen Teil mit den Zahlenreihen arbeiten, man kann sie hüpfen und klatschen lassen, aber auswendig gelernt wird gleichzeitig z.B. nur der ganze folgende Satz als Wortklang: Drei mal acht ist vierundzwanzig, vier mal acht ist zweiunddreißig...
Das Lernen des Einmaleinses hat zunächst einmal überhaupt nichts mit dem Rechnen im engeren Sinne zu tun, sondern es ist eine Gedächtnisübung, genau wie bei einem Gedicht.
Es empfiehlt sich also, genau dem Wortlaut Rudolf Steiners zu folgen, und sofort das „richtige" Einmaleins gedächtnismäßig zu lernen.