Francesco
Eine neue Geschichte von einem Menschenfreund
Für die Klasse 2b an der Freien Waldorfschule Engelberg neu geschrieben von Alexander Bräutigam
Eine wunderbare und stimmungsvolle Erzählung, hier auch als Word-Datei.
Große Dinge haben immer einen Vorlauf, der lange im Strudel der Ereignisse unbemerkt bleiben mag. Große Dinge brauchen ihre Zeit, wirken zunächst unscheinbar und bekommen Ihre Bedeutung manchmal erst im Rückblick.
I. Papst Innozenz III. hat einen Traum.
Im Jahre des Herrn 1198 schreckt eines Nachts Papst Innozenz III., gerade erst in dieses Amt gehoben, in seinen Privatgemächern aus einem intensiven und merkwürdigem Traum auf und sofort nähern sich mehrere Diener, um sich nach seinem Wohlergehen zu erkundigen. Mit einem flüchtigen Wink bringt er sie zum Schweigen und sie ziehen sich leise wieder in die Tiefen des Raumes zurück, bis kaum mehr ihre Schemen im Dämmerlicht des riesigen Raumes zu erkennen sind. Die Kerze am Fuße des übergroßen Bettes wird ruhiger, flackert noch einmal kurz auf und brennt dann wieder ruhig vor sich hin und beleuchtet die prächtigen Bilder mit denen das Gemach über und über ausgemalt ist. Die berühmtesten Maler Roms, ja ganz Italiens haben hier ihre Kunst zur Vollendung gebracht. Kaum wäre noch eine Steigerung denkbar. Nur die Decke ist zu hoch. Dort, wo sich die herrlichsten Bilder des Neuen Testamentes befinden, glänzt nur undeutlich ein leichter Schimmer der Vergoldung der hölzernen Rahmen. Als sein Blick langsam in der Flamme zur Ruhe gekommen ist, erinnert er sich wieder. Was war das gerade? Hatte ihm im Traume nicht jemand eine wichtige Botschaft zugerufen? Eine Antwort auf seine drängenden Fragen zum Gedeihen der gesamten Christenheit als deren oberster Hirte er eingesetzt war und die er Abend für Abend in seine Gebete aufnahm? Eine Stimme, nicht laut, aber so eindringlich, dass ihm alles noch völlig gegenwärtig erschien, als wenn der Klang noch immer auf den marmornen Böden widerhallte oder flüsterte: „Die Welt ist im Wandel, die Herde, die zu hüten ist, wird unruhig und das Gebäude, in dem jeder Platz finden soll, bröckelt. Das Haus des Herrn wankt. Ich werde einen Baumeister schicken…...“
Hatte er richtig gehört? Einen Baumeister? Warum sollte er gerade jetzt einen Baumeister benötigen. Auch für die gewagtesten Ideen fand sich in einer Stadt wie Rom immer jemand der einen Weg fand sie umzusetzen. Und an Geld scheiterte es auch nicht. Mit Freude spendeten selbst die Ärmsten um den Ruhm von Mutter Kirche zu mehren. Wohl war Hilfe notwendig. Die Menschen suchten nach neuen Erklärungen, nicht mehr nach Bildern, die doch seit Jahrhunderten das Brot der Hilfebedürftigen und Suchenden gewesen waren. Aber die Bauwerke? Selbst kleine Gemeinden richteten als erstes eine Kapelle oder kleine Kirche auf und suchten sie nach Vermögen immer reicher auszugestalten. Aus Holz wurde Backstein, Sandstein und dann Marmor. Die Kirchen wurden jedes Jahr prächtiger und schöner und ragten immer weiter in den Himmel hinein. Die Kirchtürme schienen mit den Wolken zu spielen und Rom, der Mittelpunkt der Welt, bot mit jedem Jahr dem Auge ein abwechslungsreicheres Bild.
Nein! An der Substanz der Bauwerke konnte es nicht liegen. Einen Baumeister….. Was er jetzt dringend brauchen konnte, war ein Heer von Soldaten, welche die heilige Stadt verteidigen konnten, wenn wieder einmal ein deutscher Kaiser meinte, den Vorrang vor Mutter Kirche erklären zu müssen.
Er gab dem Diener einen Wink und dieser brauchte keine weiteren Erklärungen. Nach kurzer Zeit öffnete sich eine kleine Tür an der Seite, die sonst niemandem auffiel, da sie hinter einem kostbaren gestickten Wandbehang verborgen lag und mit leisen Schritten näherte sich der päpstliche Schreiber Paolo, seine Würdenkette nur notdürftig über Schlafgewand und den goldverbrämten Umhang geworfen, setzte sich mit einem unterdrückten Stöhnen auf einen kleinen Schemel, bereitete alles vor, räusperte sich kurz um seine Bereitschaft zum Aufschreiben zu bekunden und lauschte dann dem Worte seines Herren. „Schreib auf, mein Lieber! Bevor mein Traum verrinnt…..“
Noch im Schreiben der letzten Worte hörte Paolo am ruhigen Atmen des Papstes, dass dieser bereits wieder in einen ruhigen Schlummer getaucht war und so versah er die Notiz mit dem Datum, trocknete die Tinte, und versorgte alle Schreibgeräte möglichst ohne jegliches Geräusch in seinem kleinen Laden, den er sich wiederum umhängte und mit einer Verbeugung und mehrmaligen Bekreuzigungen schlich er wieder zu der Geheimtür zurück und schloss diese ohne jegliches Geräusch. Immer noch schlaftrunken nahm er vorsichtig die Stufen hinab. Die Kerzen in den Nischen erhellten den Gang kaum. Er nahm sich vor, die nächtliche Notiz zu den privaten Schriften des neuen Papstes zu legen, vielleicht würde der Vater aller Christen in den nächsten Tagen danach fragen. Doch der heilige Vater hatte den merkwürdigen Vorfall wohl schon wieder vergessen und so fiel der Staub der Zeit auf das Pergament, das in dieser stürmischen Nacht geschrieben worden war. Es sollte bis in den Frühling des Jahres 1210 dauern, bis in Innozenz III. eine unbestimmte Ahnung aufdämmerte, als Kardinal Colonna einen kleinen unscheinbaren Mann mit schäbigen und abgetragenen Kleidern hereinführte. Der Mann sah erbärmlich aus. Wie hatte ihm der Kardinal nur eine Privataudienz beim mächtigsten Lenker der Christenheit bewilligen können? Doch als er in die leuchtenden Augen des Bettlers sah, erinnerte er sich an diese fast vergessene Nacht, in der er einen Traum hatte aufschreiben lassen. Er hob die Augenbrauen und seine Stirn legte sich in tiefe Falten. Was hatte er geträumt? Ein Baumeister? Sollte dies der versprochene Baumeister sein? Ein Bettler?
Fragen:
- Was gefiel dir an der Geschichte am besten?
- Wie viele neue oder schwierige Worte hast du gefunden?
- Hat der Papst den Traum verstanden?
- Hat der Schreiber seine Arbeit gerne gemacht?
- Wie prächtig stellst du dir das Schlafgemach des Papstes vor?
- Was denkst du ist die Aufgabe des Papstes?
II. Die Eltern des Fancesco di Assisi
Die Familie Bernadone lebte schon lange Zeit in Assisi, eigentlich konnte sich niemand daran erinnern, dass sie jemals woanders gelebt hätten. Sie waren bekannt als ehrliche Kaufleute, ohne aber jemals zu Reichtum und größerem Ansehen gekommen zu sein. In der politisch aufregenden Zeit, in der im Rathaus über alle Geschehnisse der Welt hin und her gesprochen wurde und die wichtigen Entscheidungen getroffen wurden, hatten sie kein Wörtchen mitzureden, zeigten sich aber stets als loyal der Stadt gegenüber, vor allem in der Rivalität zu der ebenfalls aufstrebenden Stadt Perugia.
Zu Kriegsdiensten wurden die männlichen Erben der Familie höchstens im Fußvolk eingegliedert und sie schauten mit Bewunderung zu den reichen Kaufmannsfamilien auf, die, prächtig ausgestattet, mit den adeligen Burschen und Rittern zu Pferde die Ehre der Stadt verteidigten und mehren durften. Ritten sie durch die Gassen und Tore Assisis ertönten Fanfaren unter wehenden Fahnen und die Menschen riefen Segensgrüße während duftende Blütenblätter von oben hernieder segelten.
Im Traume blieb stets eines dieser Rosenblätter auf dem Lederwams von Pietro Bernadone hängen und er konnte es kaum erwarten endlich einmal unter der Fahne Assisis in den Kampf hinaus zu ziehen und Ruhm und Ehre zu erlangen. Doch diese Gelegenheit kam nicht und so vertiefte er sich mit aller Kraft und Energie in das Tuchgeschäft seines Vaters in der engen Gasse nahe des Platzes mit dem kleinen Brunnen und tat sich schon nach kurzer Zeit durch Geschick im Umgang mit den Menschen, ein gutes Gedächtnis und einen rechten kaufmännischen Sinn hervor. Viele Geschäfte gelangen ihm bald besser als dem Vater. Er spürte dessen Stolz und so hätte er mit dem guten Ansehen in der Stadt zufrieden sein können. Aber hier zeigte sich bald hinter all der äußerlichen Freundlichkeit und Gelassenheit ein Ehrgeiz, der in der Familie auf Unverständnis, ja zunächst sogar auf Unmut stieß. Pietro wusste, dass er es sich mit dem kleinen väterlichen Geschäft nicht leisten konnte, bessere und kostbarere Stoffe auf den Märkten in Rom zu besorgen. Dies erledigten andere Familien und verteidigten diese Quelle des Reichtums. So hielt er eines Tages einen Edelmann auf dem Platz vor dem Palast ehrerbietig an, der durch seine erlesene Kleidung auffiel. Er kam mit ihm ins Gespräch und fragte nach dem kostbaren Stoff, aus dem dessen kostbare Kleidung gefertigt worden war. Er erfuhr, dass der Fremde aus dem Land der Franken stammte und diese Stoffe in der Stadt Montpellier erworben hatte. Ein Leuchten glitt über die Augen Pietros und er konnte gar nicht anders, als nebenbei abzuschätzen, was solch ein edles Tuch wohl auf den Märkten in Assisi an gutem Geld bringen würde. Noch während des Gespräches stand der Entschluss fest. Er, Pietro Bernadone würde als erster Kaufmann in Assisi diese Stoffe im Geschäft seines Vaters anbieten. Und den anderen Kaufleuten würden die Augen übergehen. Wie der Edelmann ausgesehen hatte wusste er schon am nächsten Tage nicht mehr, aber den Schimmer des Stoffes, der ein Leuchten in seine Augen gezaubert hatte, vergaß er sein ganzes Leben nicht mehr.
In den nächsten Tagen nutzte er jede freie Minute, um sein Projekt zu planen, denn er wollte auf alle Unwägbarkeiten der gefährlichen Reise möglich gut vorbereitet sein. Er besorgte sich Karten und suchte einen sicheren und kurzen Weg. Dies gelang sehr einfach, bis er auf den Namen eines Gebirges stieß, welches quer die Karte durchschnitt und wie ein Riegel die Länder auf der anderen Seite bewachte. Die Alpen mit ihren gefährlichen Pässen.
Er kalkulierte alle Kosten auf dem Weg sehr genau und vergaß selbst das Futter des Lasttieres nicht. Es musste genügend übrig bleiben, um auf den Märkten von Montpellier großzügig einkaufen zu können. Dann rief er die Familie zusammen und unterbreitete seine Idee. Pietros Mutter war sofort gegen diese Reise, denn auch ohne genaueres zu wissen, wusste sie wohl, dass dies eine Reise auf Leben oder Tod war. Sie wartete aber um zu hören, was der Vater zu sagen hatte. Der hatte sofort ausgerechnet, was eine erfolgreiche Reise einbringen würde, aber auch, dass es das Geschäft in den Ruin bringen konnte, wenn nur weniges fehl schlug. Erst als der Vater nach mehreren Tagen merkte, dass diese Idee dem Pietro nicht aus dem Sinn zu schlagen war, stimmte er zu.
So besorgte sich Pietro ein gutes Lasttier und ein unansehnliches aber recht kräftiges Reitpferd und machte sich mit dem Segen des Vaters und den Tränen der Mutter begleitet auf den langen Weg.
Am Tor wartete dann sein Freund auf ihn und hielt ihm halb spöttisch ein eingewickeltes Geschenk hin. „Damit du deinen zukünftigen Reichtum auch beschützen kannst!“ und Pietro zog ein blankes Schwert aus dem Stoff. Er hielt es blitzend in die Höhe und rief: „Das will ich tun! Meinen Schatz werde ich zu behüten wissen!“
Die Reise stand aber unter einem guten Stern und so musste der Stahl auf der ganzen Reise nicht ein einziges Mal gezogen werden. Seine Freundlichkeit kam überall an und als er die Sprache der Anderen nicht mehr verstand, half ihm oft sein gewinnendes Lächeln weiter. An der Grenze musste er warten, denn die Zöllner hatten wohl schlechte Laune. Sie durchsuchten jeden Reisenden und nahmen sich hier und da etwas, das ihnen gefiel. Während er wartete, humpelte ein altes Weib heran und machte mit wenigen Bewegungen deutlich, dass sie ihm die Zukunft aus seiner Hand lesen könnte. Er ließ sich darauf ein und hörte aus dem Kauderwelsch aus mehreren Sprachen heraus, dass er etwas kostbares auf seiner Reise finden werden. „Sie wird wegen des Packpferdes darauf geschlossen haben, dass ich ein Kaufmann bin … und was wünscht sich jeder Kaufmann?“ Er schmunzelte, warf aber doch der Alten eine Münze hin und bedankte sich mit einem Nicken. Als ihn der Zöllner unsanft aus dieser Begegnung herausriss und ihn durchsuchen wollte, ließ er seinen Wettermantel etwas zur Seite gleiten, bis das Glitzern seines kostbaren Schwertes nicht mehr zu übersehen war. Sofort ließ der Zöllner von ihm ab machte ein paar Schritte rückwärts und ließ ihn mit einer mürrischen Handbewegung passieren. Den Zoll hatte er eigentlich als Kostenpunkt eingeplant und er lachte vor sich hin und freute sich, dass den Zoll die Wahrsagerin bekommen hatte. Doch als er sich nach ihr umsah, war sie verschwunden. Er gab seinem Pferd die Sporen und setzte seinen Weg fort. Nach einigen Umwegen langte er bei der Stadt Montpellier an, stellte seine Tiere unter und suchte dann die Märkte der Stadt auf, um zunächst das gesamte Angebot an Stoffen zu sehen, wie er es bei seinem Vater gelernt hatte und kaufte nicht gleich den ersten Ballen, der ihm gefiel.
Im ersten Laden hatte ihm mehr noch als das Tuch die Tochter des Kaufmanns gefallen, die ihn bedient hatte und trotz der schimmernden Stoffe, die er in den nächsten Tagen sah, musste er immer wieder an den Glanz in ihren Augen sowie an ihre anmutigen Bewegungen denken. Und so kam es, dass er länger als gedacht in der Stadt blieb und sie dann nach einiger Zeit nicht mehr alleine verließ. Da ihm ihr Name nicht immer leicht von der Zunge ging, nannte er sie bald nur noch Pica. „Meine allerliebste Pica! Ich freue mich schon, wenn dich endlich meine Eltern sehen können. Mutter wird dich lieben! Ganz in seinem Glück lebend bemerkte er zu spät, dass ihnen mehrere Männer auf Pferden aufgelauert hatten und sofort nach dem Zügel des Packpferdes und dem Reittier seiner lieben Frau griffen.
Da durchfuhr Pietro plötzlich ein übermächtiger Zorn. Er ließ alle Bedachtsamkeit und Vorsicht fahren, zog sein Schwert und brüllte die Räuber an, das sie verdutzt innehielten und sogar die Zügel wieder losließen. Mit seiner entschlossenen Art machte er den Wegelagerer klar, dass ohne heftigen Kampf hier nichts zu gewinnen wäre und der Ausgang der ganzen Sache noch nicht ausgemacht sei. Die unheimliche Stille im Anschluss durchschnitt er mit machtvollen Worten: „Hier ist für euch nichts zu holen. Ich bin Kaufmann und habe nichts zu verschenken. Wollt ihr uns aber sicher über die Pässe der Alpen bringen, so wird es euer Schaden nicht sein. Die Stoffe wollen erst gut verkauft werden. In meinem Säckel ist gähnende Leere. Aber wenn ihr zusagt, so gebe ich mein Wort, dass ihr euren Lohn erhalten sollt“!
Es war für die Wegelagerer eine ganz neue Erfahrung und manchmal fragten sie sich was sie hier eigentlich machten. Aber sie erfüllten ihre Abmachung und nicht einmal einen Monat, nachdem sie sich nach der gelungenen Überquerung der Alpenpässe wieder getrennt hatten, überbrachte ein Bote ein kleines Säckchen mit der verabredeten Summe.
Fragen:
- Wie viele neue oder schwierige Worte hast du gefunden?
- Was gefiel dir an der Geschichte am besten?
- Wie fandest du die Lösung, dass die Räuber die Bernadones nun beschützen?
Malaufgabe:
- Denk dir selber ein Muster für ein prächtiges Stück Stoff aus!
III. Die Familie Bernadone steigt auf zu den angesehensten Tuchhändlern der Stadt Assisi
Die neuen Stoffe im Laden der Familie Bernadone waren in kürzester Zeit das Gesprächsthema in den Gassen der Stadt und selbst Menschen, die sich nicht einmal Stoff für ein neues Taschentuch hätten leisten können, schauten herein um sich davon zu überzeugen, dass die Beschreibungen der Erlesenheit der Stoffe nicht übertrieben war. Lagen die Waren erst einmal ausgebrietet auf dem Ladentisch, mochten viele ihre Hände gar nicht mehr von dem Stoff lassen und fuhren immer wieder sanft über die herrlichen Muster. Nach einigen Tagen gab es gar nichts mehr zu sehen, denn der Adel der Stadt beeilte sich, die kostbarsten Stücke für sich zu erstehen, überbot sich mit immer höheren Preisen und den Rest hatten die reichsten Kaufleute ohne viel Nachdenken gekauft. Der Name der Familie Bernadone war in aller Munde und die Menschen neigten sich beim Gruß tiefer zu Boden, wenn sie den erfolgreichen Händler sahen und viele bemühten sich darum, als sein Freund zu gelten. Doch hier blieb für Pietro alles beim Alten. Er besuchte weiterhin seine alten Freunde und nahm nicht jede Einladung der neuen Freunde an. Es stellte sich bald heraus, dass auch Pica nicht allzu viel Trubel und Ablenkungen brauchte, um ihr Glück zu finden. Mit ihrer herzlichen und liebevollen Art wurde sie im Hause Bernadone mit offenen Armen aufgenommen und lenkte schon bald die Geschicke des Hauswesens mit Überblick und Umsicht. Nicht allzuviel zu verschwenden hatte sie in ihrer Familie gelernt und so mehrten sich die Truhen, in denen die Kostbarkeiten der Familie verstaut wurden. Die Mägde waren froh, wenn sie eine Arbeit im Hause Bernadone erhielten und bemühten sich, ihre Aufgaben zur Zufriedenheit zu erledigen um ein Lächeln der Hausherrin geschenkt zu bekommen. Zudem bekamen sie einen reichen Lohn ausbezahlt und wurden von den Mägden anderer Häuser still beneidet. Eines aber fragten sich die Mägde immer wieder: „Warum zeigen die Bernadones ihren Reichtum nicht und lassen die kostbaren Kerzenhalter und alles andere Geschirr in den Kästen verstaut? Und Frau Bernadone könnte doch jeden Monat in einem neuen Kleid sich zeigen!“
Die Bewohner Assisis rechneten damit, dass Pietro nun ein größeres Haus mit einem stattlicheren und beeindruckenderen Laden erstehen würde. Doch daran dachte Pietro überhaupt nicht und erzählte seinen Freunden gerne, was er noch alles plane: „Ein neues Haus bringt neue Sorgen, ein größeres Haus größere Sorgen! Nein, ich bin zufrieden, wenn meine Frau zufrieden ist und nutze meine Kraft lieber für die Umsetzung meiner Ideen. Wünscht mir Glück!“
Doch auf dem Weg nach Hause schüttelten seine Freunde einhellig ihre Köpfe und zeigten ein besorgtes Gesicht „Warum ist er nicht mit dem zufrieden, was er jetzt hat? Warum versucht er sein Schicksal schon wieder? Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht und keiner weiß, wann er stolpert!“
Schon bald hatte er seine nächste Reise geplant, auch wenn es seiner Frau nicht so recht war. Doch schließlich gab sie beste Grüße für ihre Familie in Monpellier mit auf den Weg und sprach jeden Tag die bekannten Segenssprüche für eine sichere Ankunft und Heimreise. Pietro kannte nun vieles auf dem Weg schon und kam viel schneller an sein Ziel. Auf dem Weg nahm er wieder die Dienste der Wegelagerer in Anspruch, die daraus nun einen Beruf gemacht hatten und immer wieder Reisende auf den unsicheren Pässen durch die Berge begleiteten, sich dies mit klingender Münze vergüten ließen und sichtbar gut davon lebten.
Als er nach einer erstaunlich kurzen Zeit wieder kam und die Menschen schon nach kurzer Zeit nach neuen Stoffen fragten, drängte eine dritte Reise. Doch diesmal fiel ihm der Abschied besonders schwer. Denn seine Frau Pica war guter Hoffnung und in seinem Stolz suchte er schon nach einem Namen für seinen Sohn und trank manchen Becher mit seinen Freunden auf das Wohlergehen seines Erben, denn dass es ein Sohn werden würde, war für ihn beschlossene Sache.
Fragen:
- Wie viele neue oder schwierige Worte hast du gefunden?
- Was hat sich im Leben der (ehemaligen) Räuber geändert?
- Warum macht Pietro Bernadone noch einmal eine Reise? Auf was spart er? Was will er unbedingt? (Vielleicht gar nicht für sich selber...)
- Warum hat sich Pietro Bernadone kein größeres Haus gekauft?
- Kennt ihr noch den Namen des Papstes?
- Welches Gebirge musste Pietro überqueren?
IV. Die Geburt Francescos
Frau Bernadone spürte, dass die Geburt näher rückte, ließ von der extra eingestellten Magd alles vorbereiten und richtete sich darauf ein, dass Pietro Bernadone nicht rechtzeitig wieder nach Hause kommen würde um die Geburt seines Kindes mitzuerleben. Aber als es an der Zeit war, zog sich die Geburt hin und die Magd wusste kaum noch, wie sie ihrer Herrin Erleichterung verschaffen sollte. Da klingelte es auf einmal an der Tür, obwohl die Nacht bereits hereingebrochen war. In der Hoffnung, dass der Herr des Hauses zurückgekehrt sei, öffnete sie die Türe, erblickte aber nur einen alten Bettler, der zudem noch blind zu sein schien und immer nur nach oben blickte, wo bloß ein kleiner Balkon zu sehen war, auf dem sich niemand befand. Er wurde von einem Knaben geführt, der mit leiser Stimme meldete, dass der Einsiedler vom Monte Subbasio heruntergestiegen sei, da er im Traum ein Bild gesehen habe, dass für die Familie Bernadone von Wichtigkeit sei. „Das Kind, dass den Glanz der Welt ablegen wird, kann nicht im prächtigsten Saal zur Welt kommen. Es will im Stall geboren werden!“ Die Magd bedankte sich, aber da hatte sie die Türe bereits wieder zugeworfen und war zum Lager der Herrin geeilt. Der herbeigerufene Arzt schüttelte zwar ungläubig den Kopf, doch die Hebamme packte sogleich alle Sachen zusammen und gemeinsam brachten sie Frau Bernadone auf ein Gelege aus Heu und Stroh in dem Teil des Stalles, der zur Zeit leer stand. Sogleich beruhigte sich das Antlitz der werdenden Mutter und die Geburt vollzog sich in aller Ruhe und einer geradezu heiligen Stimmung. „Der Knabe soll Johannes heißen!“ habe der alte Mann noch gerufen, erinnerte sich die Magd und so taufte der Priester den kleinen Erdenbürger nach wenigen Tagen auf diesen Namen. Giovanni Bernadone.
Mutter Pica hielt ihren Sohn in ihren Armen und zog das Tuch, in das er gewickelt war, etwas höher damit ihn die Strahlen der aufgehenden Sonne nicht weckten und sie noch lange in sein zufriedenes Gesicht hineinträumen konnte. Leise rief sie die Dienerin. Diese sandte sogleich eine Magd aus, um den blinden Bettler zu finden und ihm zu danken. Eine Herberge und gutes Essen seien ihm sicher, sowie der Dank des ganzen Hauses Bernadone. Doch der Einsiedler war nirgends zu finden, obwohl die Magd selbst in den entlegendsten Winkeln der Stadt gesucht hatte. Der Junge, der ihn geführt hatte, wusste noch zu berichten, dass ein paar übermütige Raufbolde ihren Spott mit ihm getrieben hatten. Doch der Alte schien dies gar nicht mitbekommen zu haben, hatte langsam den einsamen Pfad hinauf zum Gipfel des Monte Subbasio eingeschlagen und war schon bald den Blicken aller entzogen. Dass auf dem ganzen langen und beschwerlichen Weg ein Lächeln auf seinem Antlitz lag und er sich alle paar Schritte bekreuzigte und dem Himmel still dankte, sah niemand und wenn es jemand gesehen hätte, hätte er sich keinen Reim darauf machen können.
Pica Bernadone wiegte Ihren Sohn ganz behutsam während sie auf der Loggia des Hauses im Schatten der Oleanderbüsche auf und ab schritt und sang ihm fast flüsternd alle Lieder ihrer Heimat vor, in der sich Pietro Bernadone immer noch aufhielt und den sie innigst herbeisehnte. Tatsächlich ein Knabe, ein Erbe! Pietro würde so stolz sein, dass wusste sie sicher. Welches lebendige Gemüt konnte vor diesem Lächeln bestehen und hart bleiben. Da fing er an sich zu bewegen, schlug die Augen auf und lächelte die Mutter an. Sie strich zärtlich durch die winzigen Locken des Kindes, das nun die milden Strahlen der Morgensonne sichtlich genoss. Er strampelte sich frei und da lachten die beiden zur gleichen Zeit und es hörte sich fast wie ein heiteres Lied aus einem fernen Land an.
Voller Stolz hielt Pietro Bernadone wenige Wochen später seinen Sohn in die Höhe und am liebsten hätte er ihn sogleich der ganzen Welt gezeigt. Mit dem Namen allerdings war er nicht zufrieden. Ungeachtet aller wiederholten Berichtigungen nannte er ihn Francesco und so wurde er bald von allen gerufen: Francesco, der kleine Franzos! Der Name Giovanni (Johannes) geriet bald in Vergessenheit. Nur seine Mutter behielt ihn im Herzen.
Fragen:
- Welche besonderen Wörter hast du gefunden?
- Was hat dir besonders gut gefallen?
- Wie stellst du dir das Haus und den Stall vor, in dem Francesco geboren wurde?
- Der Name Giovanni wäre doch auch ein schöner gewesen, oder nicht?
V. Francescos Jugend
Auf der Mauer am Brunnen hinter dem Haus saß ein kleiner Junge in kostbaren Gewändern und blickte staunend in das Plätschern des herab spritzenden Wassers. Wie schön kühl das Wasser war, wenn es Tropfen für Tropfen von der Hand zurück ins Becken sprang. Er fühlte, wie das Wasser kalte Stellen hinterließ und genoss es, wenn diese von der Sonne langsam wieder erwärmt wurden, bis man gar nichts mehr merkte. Da huschte endlich sein kleiner Freund unter den Steinen am Grund durch den dichten Algenbewuchs und war gleich wieder in einem anderen Versteck verschwunden. „Wie sollen wir Freunde werden, wenn du dich immer nur versteckst!“ rief Francesco lachend in die sprudelnden Fluten und entdeckte plötzlich einen Sonnenstrahl, der in den Flügeln einer Libelle glitzerte, die sich ebenfalls auf dem Beckenrand niedergelassen hatte. Wie viele Farben waren da zu sehen: rot, grün, weiß glänzend…..Das ließ ihn mit einem Male aufspringen. „Richtig, die Schule…“ denn so hieß sein Lehrer, Magister Bianco, der bestimmt schon auf ihn wartete.
Nicht nur der Lehrer wartete in der Schule der Pfarrei von San Giorgio. Die ganze Klasse drehte sich zur Tür als die Klinke quietschend betätigt wurde und ein freudiger Schüler auf den Lehrer zu rannte „ Herr Lehrer, Magister Bianco! Ich habe etwas wunderschönes entdeckt! Direkt beim Brunnen hinter dem Haus! Habt ihr schon einmal gesehen wie...“ Der Lehrer ließ deutlich seine Sorgenfalten wachsen, hob die Augenbrauen und zog das Kinn merklich zur Brust. Die Klasse wusste schon, was dies bedeutete. Der Lehrer würde eine Standpauke halten. Die zaghafteren unter ihnen hielten sich vorsorglich schon einmal die Ohren zu und drückten sich enger an die unbequeme Schulbank. Aber zunächst war nur ein ärgerlich ausgestoßenes „Francesco!“ zuhören. „Da bist du ja heute immerhin schon weiter gekommen, als gestern. Da hast du die Eidechse unter der Türschwelle entdeckt!“ „Ja, Herr Lehrer, die ist auch mein Freund und...“ Francesco strahlte den Lehrer immer noch an und wartete ungeduldig, bis er von all dem erzählen konnte, was seit gestern geschehen war und was er alles erlebt hatte. Vor allem hatte er Sorge, dass die Schulstunde überhaupt reichen konnte, um alles erzählen zu können. Der Lehrer sah in das begeistere Strahlen in Francescos Gesicht und brachte kein einziges Schimpfwort heraus. Wie sollte er ihm nur begreiflich machen, dass er pünktlich zum Unterricht kommen müsse und er versuchte, den Jungen bei seiner Zuneigung zu allem zu packen. „Francesco, hast du denn deine Eidechse, deinen Lurch, alle die Vögel, Mäuse und anderen Tiere lieber als deinen Lehrer und deine Klasse?“ „Aber Herr Lehrer, euch habe ich natürlich auch lieb!“ Der Lehrer wollte schon sein zufriedenes Gesicht aufsetzen und auf dem gerade gehörten aufbauen, doch Francesco fuhr fort. „Und die Hunde und Pferde und natürlich die Bienen…..“ „Franceso, verschiebe doch bitte deine Verabredungen mit all deinen Freunden auf den Nachmittag und komme in Zukunft pünktlich. Wenn die Schulglocke läutet, will ich dich auf deinem Platz sehen! Und jetzt geh bitte genau dorthin! Auf deinen Platz!“ Freudestrahlend setzte sich Francesco neben einen Freund und blickte erwartungsvoll zum Lehrer. Der Lehrer ging zur Tafel, um etwas aufzuschreiben, da brach in der Klasse ein Tumult aus, denn ein weiterer kleiner Freund des Francesco war aus dessen Tasche geklettert und trohnte nun auf seiner kostbaren Mütze.
Als die Schüler zu Hause von dem Vorfall erzählten, der beileibe nicht der erste gewesen war, vermuteten viele, der Lehrer würde nur deswegen nicht härter durchgreifen, weil der Vater im Rat der Stadt saß und der Lehrer sich nur nicht mit ihm anlegen wollte. Die Frauen wussten es besser. Dem Francesco konnte einfach niemand gram sein. Nicht einmal sein eigener Vater, der bei allem Stolz mit strenger Hand dafür sorgte, dass aus Francesco ein guter Kaufmann werden konnte und Pünktlichkeit gehörte durchaus zu den Tugenden, die anzustreben waren.
Der Lehrer aber saß abends vor der Tür seiner kleinen Wohnung und dachte an Francesco, der so voller eigener Ideen steckte, als bräuchte er keinerlei Belehrung. Ja, manchmal hatte Herr Bianco sogar das unbestimmte Gefühl, dass er selber etwas von Francesco lernen könnte und sogleich begann er zu schmunzeln….. Das Rechnen und das Schreiben gehörten aber bestimmt nicht dazu.
Fragen:
- Wie viele schwierigere Worte hast du gefunden?
- Was hat dir in der Geschichte am besten gefallen?
- Welcher Freund saß wohl dem Francesco auf der Mütze?
VI. Ein besonderes Erlebnis
Francesco musste an den vergangenen Tag denken, während er dem bunten Treiben auf der Gasse vor dem Geschäft zusah. Er hatte alle seine Freunde vor sich. Zusammen hatten sie mit einem Lumpenball hinter dem Geschäft gespielt und im Durcheinander des fröhlichen Spiels war der Ball durch das Fenster eines Nachbarn geflogen. Das Fenster hatte zum Glück offen gestanden, doch drinnen fiel etwas um, ging zu Bruch und der Besitzer des Hauses kam heraus gestürmt, gefolgt von seiner wütenden Frau, die noch grießgrämiger dreinschaute als sonst. Sie hielt die Bruchstücke von etwas getöpfertem in die Höhe und der Mann fragte scharf in die Runde:“Wer war das? Wer von euch Taugenichtsen hat den Krug zerschossen?“ Francesco drängte sich nach vorn: „ Lieber Herr Cantucci, es tut uns ganz leid! Wir haben es nicht absichtlich gemacht!“ „Ach was – nicht absichtlich! Ob es euch Leid tut ist mir egal. Ich will wissen, wer mir den Schaden ersetzt! Also! Wer war es?“ In den Augen seiner Freunde sah Francesco, dass niemand seiner Freunde ihn verraten würde. Vielleicht hatte nicht einmal jemand überhaupt mitbekommen, dass er den letzten Ball getreten hatte und er spürte zum ersten Mal in seinem Leben die Verlockung, nicht die Wahrheit zu sagen. Einfach lügen – was sollte ihm schon passieren? Auch wenn er wusste, dass der Schaden seinem Vater nicht einmal ein Wimpernzucken entlocken würde und er nichts zu befürchten hatte, kitzelte ihn mit nie gekannter Eindringlichkeit die Möglichkeit, es trotzdem zu tun. Sich hinter Halbwahrheiten zu verstecken, zu lügen. Doch dann kitzelte ihn die Sonne warm an der Nase und sogleich war diese Möglichkeit verworfen. Wie hatte er nur an so etwas nur denken können. Er fühlte sich befreit und rief: „Aber Herr Cantucci! Das war doch ich, Francesco Bernadone und ich will sogleich meinen Vater holen, der euch den Schaden ersetzen wird!“ „Ach, wer wird denn gleich den Vater holen.“ entgegnete da Herr Cantucci mit einer abwehrenden Gebärde und Frau Cantucci setze hinzu, dass der Krug eh schon alt gewesen sei und längst hätte ersetzt werden müssen.
Da riss ihn das Glöckchen der Ladentüre aus dieser Erinnerung und er spürte wieder die abgearbeiteten Kanten des Tisches auf dem die Stoffe abgemessen wurden. Er blickte auf, und sah, wie eine reiche Bürgersfrau die wenigen Stufen hinauf in den Verkaufsraum kam, eine Dienerin kam gleich hinterdrein und schloss die Türe wieder. Nach einer überschwenglichen Begrüßung ließ sie sich einen um den anderen Ballen Stoff zeigen und es schien als würde ihre Entschlussfreudigkeit mit jedem neuen Muster, das er vor ihr ausbreitete, mehr und mehr sinken. Als sie sich zu guter Letzt für einen Stoff entschied, war es aber tatsächlich der erste Ballen, den er aus dem Regal gezogen hatte und Francesco konnte ein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. Da betraten weitere Kunden zusammen mit ihrer Dienerschaft den Laden und warteten darauf bedient zu werden. Die reckten die Köpfe und bewunderten die Fülle der prächtigen Stoffe, die erst vor kurzem aus Frankreich angelangt waren. Und gerade jetzt, als er allein im Laden bediente und mehr und mehr Kundschaft kam, öffnete sich zögernd die Türe um ein weiteres Mal und mit einem deutlich hörbaren Tock, tock, tock mühte sich ein alter Mann die Stufen hoch, gestützt von seinem einfachen Gehstcock aus einer abgeschlagenen Hainbuche und hob stumm die Hand zur bittenden Schale in die plötzliche Stille hinein. Da versagte ihm die Stimme und außer einem verschluckten Krächzen kam ihm nichts über seine Lippen.
„Na, wenigstens sein Sprüchlein wird er ja wohl aufsagen können!“ durchbrach ein Kunde mit vornehmen Kleidern die Stille und hielt sich ein Taschentuch unter die Nase, um seinen Ekel nur halber zu verbergen. „Es wird immer schlimmer mit dieser Bettelei! Ich weiß gar nicht mehr, ob Assisi noch mehr Einwohner als Bettler hat!“ , pflichtete ihm ein anderer bei und erhielt allgemeine Zustimmung.
Francesco, der sonst stets eine kleine Münze für die Bittenden bereithielt, scheuchte diesmal den Bettler mit unwirschen Worten hinaus und nahm seine Arbeit wieder auf. Als er aber mitten im Abmessen der 20 Ellen Stoff war, sah er plötzlich das verängstigte und erschrockene Gesicht des alten Bettlers ganz nahe vor sich. Dann blickte er auf das Tuch vor sich, von dem er wusste, das man mit dem Preis dafür mehrere Bettler gut durchs ganze Jahr bringen konnte und schüttelte den Kopf. „Was mache ich denn nur!“ Er ließ die Ware auf den Tisch zurück gleiten, öffnete die Lade unter dem Tisch und nahm seine private Börse mit seinem Verdienst der ganzen Woche heraus, wog sie in der Hand und lief unter allerlei Entschuldigungen hinaus auf die Straße. Den alten Bettler fand er nach einiger Zeit im Schatten unter einem Feigenbaum sitzen. Als er angestürmt kam, hielt der Bettler schützend die Arme hoch, denn er erwartete das, was Bettler jeden Tag zur Genüge bekamen: Beleidigungen, Demütigungen und Tritte. Da redete Francesco ganz ruhig auf ihn ein und lachend entschuldigte er sich für sein Verhalten.
Währenddessen hatte er dem Bettler seine Börse in die Hände gesteckt und war mit einem freundlichen Winken zurück zum väterlichen Geschäft gelaufen. Das kleine Türglöckchen des Ladens ließ das Gemurmel verstummen und als er nun seine Geschäfte wieder aufgenommen hatte, versuchten sich die Menschen einen Reim auf seine Flucht und die schnelle Wiederkehr zu machen. Francesco ging an diesem Abend mit ruhigem Herzen und einem leichten Lächeln ins Bett und beim Einschlafen meinte er das zerfurchte Gesicht des Bettlers zu sehen. Doch diesmal lächelte es milde zurück.
Fragen:
- Wieviele schwere oder neue Worte hast du gefunden?
- Was hat dir in der Geschichte am besten gefallen?
- Was hättest du an der Stelle von Francesco gemacht? Die Wahrheit sagen ist nicht immer leicht!
- Was würdest du am liebsten malen?
VII. Ein Bild erinnert Francesco an das, was er wirklich tun will
Niemand von den vielen Freunden Francescos konnte so schön singen, wie er. An manchen Abenden hatten sie in fröhlicher Runde beisammen gesessen und neben vielen Scherzen und Gedichten auch manchen Singwettstreit ausgetragen. Doch egal welchen Diener man als Richter herbeiholte… stets bekam Francesco den Preis. Ja, eines Tages wetteten sie, wer wohl die meisten Lieder kannte. Doch auf jedes neue Lied der vielen Freunde wusste er noch ein anderes anzustimmen und als ihm langsam die italienischen ausgingen, sang er die Lieder weiter, die er von seiner Mutter gelernt hatte. Auch wenn er das Lesen und Schreiben nur mit viel Hilfe des Lehrers erlernt hatte, hier fand jeder seinen Meister. Dies musste sogar ein fahrender Musikant zugeben, der Stunde um Stunde hingebungsvoll seinen Liedern lauschte. „Bittet ihn aber nicht, ein Lied einmal aufzuschreiben. Sonst sitzt ihr nächste Woche noch hier fest“, so frotzelten seine Freunde und Francesco nickte heftig. Anstatt sich über den Hinweis über seine mangelnde Begabung beim Schreiben zu ärgern, lachte er von ganzem Herzen mit und bereicherte das Ganze mit einigen Anekdoten über die Mühen, welche der Lehrer sich gemacht hatte.
Francesco führte manchen fröhlichen Umzug durch die nächtlichen Gassen der Stadt an, bei denen Fackelträger für die nötige Beleuchtung sorgten. Eines Abends kam er auf die Idee, allen jungen Mädchen der Stadt ein Lied unter dem Fenster zu singen. Als aus den Fenstern kaltes Wasser geschüttet wurde, lachten alle und machten sich weiter auf den Weg zur nächsten Adresse. Erst der alte Nachtwächter, der mit viel Getöse über die Plätze Assisis polterte und sie wegen Ruhestörung suchte, löste den Zug auf und die Freunde samt der Fackelträger stoben nach allen Seiten durch die engen Gassen davon. Was ihnen der Nachtwächter lallend nachrief, hörten sie schon nicht mehr. Vor einer Kirche hielten Francesco und sein Freund an und brauchten einige Zeit um trotz des Lachens wieder normal Luft holen zu können. Sie schwiegen und lauschten gebannt, doch der schlurfende Gang des Nachtwächters war nirgends zu hören. Da bemerkte Francesco ein gemaltes Madonnenbild an der Wand, zog den Hut mit der großen Feder und verbeugte sich tief. Schon vermutete der Freund einen Scherz, tat es Francesco gleich und verbeugte sich noch tiefer. Er wollte schon anfangen zu lachen, da bemerkte er, wie Franceso plötzlich ganz still stand und das Bildnis anstarrte, als wenn er noch nie eine Madonna gesehen hätte. Auf dem ganzen Weg ließ sich Francesco zu keinen weiteren Späßen mehr verleiten und so liefen sie stumm bis zu seinem Elternhaus. „Die Madonna an der Kirchenwand zeigte schon manchem das Bild seiner zukünftigen Liebsten! Ich möchte zu gerne wissen, wen du gesehen hast!“ „Ja, vielleicht hast du Recht! Dann werde ich wohl Frau Armut heiraten!“, sprach Francesco und ließ den verdutzten Freund ratlos auf der Gasse stehen.
Fragen:
- Welche Stelle hat dir am besten gefallen?
- Welche schweren Worte hast du gefunden?
- Kamen Worte öfter vor?
- Hat sich Francesco auch in dieser Geschichte entscheiden müssen?
VIII. Man wundert sich über Franceso und der Vater ist im Glück
Die Freunde machten sich ernstlich Sorgen um Francesco, der in den letzten Wochen immer stiller und ernster geworden war. Manche hatten ihn zwar singend auf den Feldern und im Wald in der engeren Umgebung von Assisi gesehen, aber stets allein, was sonst überhaupt nicht seine Art war. Einmal hatte ihn jemand in einem nahen Dorfe angetroffen. Er stand an einem Marktstand und hatte eine schöne neue Lederbörse in der Hand. „Die ist aber schön!“ sagte der Freund nach einer freundlichen Begrüßung. „Möge sich der Gewinn darin vermehren!“ Doch Francesco schüttelte den Kopf und erwiderte:“ Ja, sie ist schön. Und ich habe sie gekauft, weil ich es kann. Doch eigentlich… eigentlich brauche ich sie überhaupt nicht. Ich habe bereits zwei Börsen, was soll ich mit einer dritten? Ach, Paolo! Eigentlich braucht der Mensch überhaupt wenig …. zu seinem Glück… Und ich weiß noch nicht einmal was ich brauche! Ich meine, wirklich brauche…..“ Und er schenkte die kostbar gearbeitete Börse dem Freund und war sogleich in der Menschenmenge verschwunden. Er musste krank sein. Sonst hatte er doch jedes Fest angeführt und hatte sich durch seine Lebensfreude und Großzügigkeit hervorgetan. Oftmals hatte er sogar die Feste bezahlt, zu denen er gar nicht selber eingeladen hatte. Vater Bernadone hatte zwar hin und wieder gegrummelt, er solle es nicht übertreiben, denn das Geld wachse nicht auf den Bäumen. Doch auch wenn er noch so streng tat – er konnte seinem Francesco keinen einzigen Wunsch ablehnen. So waren die Freunde freudig überrascht, als Francesco jeden einzelnen aufsuchte und zu einem Fest am nahen Giovanni-Tag einlud. Alle waren lange vor der Zeit erschienen, um einen der besten Plätze in der Nähe von Francesco zu ergattern. Das Fest wurde wie gewohnt von Musikanten eröffnet, die seine wunderbar weiche Stimme begleiteten. Schon nickten sich alle insgeheim zu: „Er ist wieder der Alte! Jetzt wird es wieder lustig und angenehm.“ Wohl war Francesco wie gewohnt freundlich gegenüber jedermann, und hörte aufmerksam zu, als sich jeder einzelne hervortun wollte, durch die Streiche und Späße, die in der letzten Zeit gelungen waren, doch jedem hätte auffallen können, dass er bei aller Zuvorkommenheit auch ernster geworden war und den Kelch oft nur bis zu den Lippen führte, aber nicht wirklich trank. Auf dem Höhepunkt des Festes warteten alle, was Francesco diesmal als Überraschung vorbereitet hatte und so wurde es sogleich still, als er sich erhob. Er schritt um die Tafel und nahm aus den Händen einer Dienerin einen Kranz, schritt wieder zurück zum Platz und setzte ihn sich langsam auf, während er ein altes Liebeslied sang. Es wurde ganz still. Doch plötzlich rief einer in die Runde: “Er ist verliebt! Das erklärt alles! Warum hast Du es uns nicht früher gesagt? Wer ist es? Wir werden es bestimmt nicht sofort herumposaunen!“
„Ja, Freunde! Ich habe eine Liebste gewählt und auch sie hat mir ihre Hände gereicht. Ich wähle die allerliebste Frau Armut … und ich werde ihr treu sein, wie ich bis jetzt Frau Verschwendung treu war!“ Dann hatte er das Fest verlassen und die Freunde ratlos zurück gelassen.
Am nächsten Tag wurde die Erinnerung an dieses denkwürdige Ereignis von einem Ruf ausgelöscht, der durch die Straßen Assisis hallte: „Krieg! Es geht gegen die von Perugia. Sattelt die Pferde! Schärft die Waffen! Beschützt Assisi!“ Pietro Bernadone lief aufgeregt nach Hause. Ohne seiner besorgten Frau viel zu erzählen eilte er sogleich in ein kleines Lager und zog eine recht große verschlossene Holzkiste hervor. Als er sie in der Küche öffnete, konnte man nicht sagen, wer mehr strahlte, die schwarz-goldene Rüstung die zum Vorschein kam oder Pietro Bernandone selber, der die kostbaren Stücke einzeln hervorholte. Als Francesco den Raum betrat, wurde er sogleich vom Vater unter Tränen umarmt und er legte ihm ohne ein Wort zu verlieren mit aller Sorgfalt und Aufmerksamkeit die Rüstung an und es sah aus, als wenn der Ritter eines hohen Hauses im Saal seiner Burg stände. „Du bekommst mein bestes Pferd. Beschütze uns, beschütze Assisi! Zeige, was wir Bernadones wert sind! Wir gern würde ich dich begleiten und an deiner Seite kämpfen!“ Und dann wurde Francesco unter mancherlei Umarmung nach draußen geschoben und auf das gesattelte Streitross gehoben. Der Vater selber führte die Zügel unter dem lauten Ruf der Fanfaren, der Lieder und Segensrufe. Und von oben herab fielen Rosenblüten. Die Freund reihten sich ein und der Zug ließ die Tore der Stadt hinter sich.
Die edlen Ritter Assisis bewunderten zwar Francescos Rüstung, mieden ihn auf dem Zug aber doch, denn sie neideten ihm seine Rüstung die allerorten bewundernde Blicke auf sich zog. So freundete er sich mit einem älteren Ritter an, der nicht einmal einen Knappen dabei hatte und dessen Rüstung schon bessere Tage gesehen hatte. Über und über war die Rüstung von Beulen und Scharten übersät und statt der Goldverzierung lag Rost auf der Wehr. Der Alte erzählte gerne aus seinem wechselvollen Leben und oft gebrauchte er die Wendung: „Und wenn mein Schutzengel mir dies nicht geschickt hätte, wer weiß wo ich gelandet wäre, Gelobt sei Gott!“ „Und du vertraust auf diese Stimme?“, fragte Francesco. „Worauf sonst? Würde ich sonst mit einer löchrigen Rüstung in den Krieg ziehen?“ antwortete dieser und ließ sein brüllendes Lachen hören. Bis zum Abend war von Francesco nichts mehr zu hören – nur hin und wieder sang er gedankenverloren ein Lied vor sich hin. Als die beiden abends im Lager die Pferde absattelten und die Rüstungen ablegten, fasste Francesco einen Entschluss und am nächsten Tag, der mit Regen und Gewitter eingeläutet wurde, waren sowohl die Rüstungen, als auch die Pferde vertauscht und Francesco ließ sich auch nicht mehr umstimmen. So half Francesco dem Alten in die prächtige Rüstung und zog alle Gurte und Schnallen gut fest. Sie passte dem Alten tatsächlich noch besser als Francesco. Er selbst legte die gebrauchte Rüstung an und zusammen hoben sie ihre Schwerter in die Höhe, als wenn der Sieg schon erstritten wäre.
Auf der weiteren Reise wurde Francesco immer matter und so musste er unterwegs allein zurückbleiben und seine Krankheit auskurieren. Er fiel in der niedrigen Bauernhütte in einen langen Fiebertraum doch niemand konnte sich das Lächeln auf seinem Gesicht erklären. „Er sieht wohl schon das Paradies!“, meinte einer der Bauern die ihn pflegten und bekreuzigte sich. Niemand hätte auch nur ein Kupferstück darauf verwettet, dass der Kranke wieder zu Kräften kommen würde. Doch der Himmel hatte noch anderes mit Francesco vor.
Fragen:
- Welche Stelle hat dir besonders gut gefallen?
- Warum hat Francesco die Börse und die Rüstung verschenkt?
IX. Francesco verliert alles und findet noch viel mehr
Auf dem Marktplatz hatte sich eine Menschentraube gesammelt, die einen zerlumpten Kerl begleitete, der sich langsam seinen Weg durch die Gassen Assisis bahnte und jeden freundlich begrüßte. Darüber wunderten sich manche, denn sie meinten diesen daher gelaufenen Bettler, der sie wie alte Freunde begrüßte, noch nie gesehen zu haben und suchten nach Unrat, mit dem sie den Fremden bewerfen konnten. Andere meinten den jungen Bernadone zu erkennen und liefen voraus, um den Vater zu holen. Als Pietro Bernadone aus dem Laden trat war der merkwürdige Zug bereits angelangt und fassungslos starrte er auf seinen Sohn, der ihn freudig anblickte und die Hände nach ihm ausstreckte. Mit einem Schreckensschrei stürzte der Vater auf seinen Sohn zu, packte ihn und zog ihn in Richtung der Ladentüre, wobei er sich mit der freien Hand einen Weg bahnen musste. Auch als die Türe mit einem lauten Schlag geschlossen wurde, verlief sich die Menge nicht sofort. Jeder wollte wissen, was passiert sei. War die Schlacht bereits verloren? Warum kam Francesco als Einziger zurück?
In der elterlichen Wohnung musste sich Pietro Benadone lang gedulden, um seinen Sohn befragen zu können. Zunächst hatte Pica Bernadone ihren Francesco geherzt und unter Tränen dem Himmel gedankt, dass er wieder zu Hause war. Dann wurde ein Bad bereitet und neue Kleidung bereit gelegt. Die alten Lumpen musste ein Diener verbrennen. Dieser fasste das dreckstarrende Kleidungsstück nicht mit den Fingern an, sondern trug es mit einem Stock hinter das Haus.
Nach dem Bad erfuhr nun der Vater von den Geschehnissen der letzten Tage. Er war zornig, als er davon hörte, wie sein Sohn von den adeligen Rittern geschnitten worden war. „Alles nur Neid!“sprach er laut in die Runde hinein und erhielt überall Zustimmung. Der Rüstungstausch aber ließ einen verständnislosen ja verzweifelten Gesichtsausdruck im Gesicht des Vaters zurück. „Schämst du dich denn nicht. Mit einer rostigen Rüstung dem Gespött preisgegeben zu sein?“
„Vater, vorher haben die Ritter hinter vorgehaltener Hand über mich gelacht. Nein, diese Rüstung war leichter zu tragen. Ich brauchte die andere nicht. Das glänzende Gold habe ich nicht wirklich verdient.“ Doch der Vater ließ nicht locker: „Und wo ist die schäbige Rüstung jetzt? Warum bist du in Lumpen gehüllt zurück gekommen?“
„Nach meiner Krankheit war ich zu schwach auch nur die Beinschienen zu tragen. Ich habe sie als Dank für die Pflege während des Fieberlagers verschenkt. Wenn der Schmied einen Pflug daraus arbeitet, wird sie zu etwas nutze sein. Auf dem Rückweg wurde ich dann ausgeraubt und um die letzten Güter gebracht.“ Francesco erzählte dies alles mit einer solchen Leichtigkeit, dass der Vater kaum glauben konnte, dass sich alles genau so zugetragen hatte. Doch in den kommenden Tagen drangen immer mehr Berichte vom Kriegszug durch die Gassen der Stadt und landeten auch bei Pietro Bernadone. „Immerhin ist er doch nicht verrückt geworden. Es scheint tatsächlich alles so geschehen zu sein, wie er es erzählt hat.“
Er schob den Rüstungstausch auf die Behandlung der Adeligen und als er hörte, dass der Kriegszug gescheitert war und viele der Söhne von Kaufleuten und Burgbesitzern als Geiseln gefangen genommen worden waren, dachte er doch noch auf der Gewinnerseite der ganzen Geschichte zu stehen. Er hoffte darauf, dass Francesco nach und nach wieder die Geschäfte übernehmen würde und ging wieder hoch erhobenen Hauptes durch die Straßen.
Francesco erledigte alle Aufgaben, mit denen er betraut wurde zur Zufriedenheit des Vaters, doch unmittelbar nach deren Erledigung verließ er das Haus und die Stadt und strich unter einem herrlich blauen Himmel durch die anmutige Gegend. Er setze sich an den verschiedensten Stellen auf den Boden oder unter einen Baum und versuchte ein Gespräch mit dem Traumbild zu beginnen, dass ihm während seines Krankenlagers immer wieder mit allergrößter Klarheit erschienen war. Er flehte, er versuchte zu beten und sang seine Sehnsucht in das grün schimmernde Blätterdach. Doch alles blieb stumm und nur das Rauschen der Quelle und der Windhauch in den Zweigen war leise zu hören.
Nach und nach verblasste dieses Bild jedoch merklich und Francesco fing an zu zweifeln. War es vielleicht wirklich nur ein Fieberbild gewesen? Hatte der Vater doch recht und das einzige was zählte war die klingende Münze im Beutel mit der man sich alles kaufen konnte? Auf seinen Wegen kam er auch an dem kleinen Kirchlein St. Damian vorbei, das kaum noch für Messen genutzt wurde und nur von einem wunderlichen Priester belebt wurde, der wie ein Einsiedler lebte und nur selten Besuch bekam. Er hielt sich Bienen und das Summen des ganzen Schwarms in einer großen Kastanie holte Francesco aus seinen trüben Gedanken heraus und ließ ihn aufblicken.
Der Priester wunderte sich, dass ein reicher Kaufmannssohn an einem so schönen Tag gerade hier vorbei kam und wollte ihm den richtigen Weg zeigen. Doch Francesco sagte nach einem Gruß nur: „ Ich glaube, ich bin hier genau richtig!“ Er betrat die Kapelle allein und kniete vor dem Bild auf dem Altar nieder. Als sich seine Augen an den Dämmer im Kirchenschiff gewöhnt hatten, wurde ihm plötzlich ganz warm ums Herz und er spürte das Leben in sich sprießen, wie eine frische Quelle. Was er langsam deutlich und immer deutlicher sah, war genau das lebendige Traumbild, das er in den letzten Wochen gesucht hatte.
Er neigte sich zu Boden und legte sich dann wie ein lebendiges Kreuz flach auf den Boden. Die Kühle der Steinplatten spürte er nicht. Und als er innerlich ganz ruhig geworden war, hörte er endlich eine Antwort. Das Bild kam ihm ganz nahe. Sein Herz wurde so weit, als könnte es die ganze Welt aufnehmen und die Helligkeit drang überall ein. „ Sieh dir alles an, Christus! So bin ich und will nichts mehr vor dir verstecken! Ich bin dein, wenn du mich annehmen magst als Suchenden!“ Als er sich wieder erhob, war auch das Bild wieder zur Ruhe gekommen. Er umarmte draußen den Priester, rief ihm im Fortgehen etwas zu, was dieser nicht verstand und ließ den Alten mit großen Augen und einem Achselzucken zurück.
X. Francesco trifft auf einen Menschenbruder
Seine kostbaren Gewänder abzulegen und die einfachen und schmucklosen anzuziehen traute sich Francesco zunächst nur, wenn der Vater auf Reisen war. So ritt er eines Tages auf seinem Pferd und ließ ihm die Zügel, so dass es selber den Weg nahm. Als er nach einer schattigen Strecke durch den Wald auf eine Lichtung kam, sah er ein Bündel in die hohen Farne springen. Ein Aussätziger war nicht schnell genug von der Straße heruntergekommen und warnte ihn nun laut mit seinem Glöckchen nicht näher zu kommen, wie es Brauch und Pflicht für alle unheilbar Kranken war, bei denen man sich anstecken konnte. Der Unglückliche versuchte, den Abhang hinauf zu klettern, rutschte aber immer wieder herab und blieb schließlich keuchend in der Nähe des Weges liegen. Francesco mühte sich, sich den Ekel den er empfand nicht anmerken zu lassen, schaute nicht weg, wie es sonst alle Menschen taten und grüßte den Kranken. Dann ritt er schnell weiter. Die zerlumpte Kleidung und die zahlreichen Verbände vergaß er schnell, doch nicht die abgrundtiefe Einsamkeit, die diesem Menschen ins Gesicht geschnitten war. Da wendete Francesco das Pferd und ritt eilig wieder zurück. Er sprang vom Pferd und ging dem Aussätzigen nach. Dieser versuchte davon zu rennen, stolperte aber und bald stand Francesco neben ihm, schaute in seine ängstlichen Augen und sprach lange beruhigend auf ihn ein. Er holte seine Geldbörse hervor und legte einige Silbermünzen vor ihm ins Gras. „Davon kannst du einen Arzt bezahlen, der deine Leiden lindert und dich mit frischen Tüchern verbindet.“ Der Mann brachte nicht mehr als ein Stammeln hervor und Francesco deutete mit einer Handbewegung an, dass er keinen Dank wünsche. Wieder bei seinem grasenden Pferd angelangt wollte sich Francesco schon hinauf schwingen als er plötzlich den Kopf schüttelte und sich selber immer wieder einen Feigling nannte. „Ist es das, was Christus dich gelehrt hat? Almosen hinzuwerfen für die, welche bedürftig sind?“ Er spürte in seinem Herzen, dass er eigentlich genau wusste, was zu tun war. Er suchte den aus der Gemeinschaft der Menschen ausgestoßenen noch einmal auf, und nahm den entsetzten Mann in den Arm und drückte ihn an sich. Dies war dem Einsamen seit dem Ausbruch der Krankheit vor Jahren nicht mehr geschehen. Nicht einmal seine Mutter hatte sich ihm ohne Ekel mehr nähern können und die mildtätigen Mönche, die ihn versorgten, legten das kärgliche Essen täglich in eine Nische in der Klostermauer. Da öffneten sich alle zurückgehaltenen Quellen des Leids und beide hielten sich schluchzend in den Armen. „Du bist mein Bruder! Ich werde nie wieder an dir vorbeigehen! Morgen komme ich wieder. Zeige mir, wo ich dich finden kann!“
Am nächsten Tag ritt er zu der beschriebenen Ruine in der mehrere Menschen in völliger Abgeschiedenheit hausten. Er begrüßte jeden einzelnen, wechselte Verbände und strich die Heilsalbe, die er beim Apotheker besorgt hatte, vorsichtig auf die schmerzhaften Stellen. Die Mutter gab bereitwillig immer mehr Laken heraus um daraus Verbandsmaterial herzustellen. Der Apotheker aber, der ständig neue Salben herstellen musste und daran gut verdiente, machte dem heimgekehrten Vater gegenüber eine scherzhafte Bemerkung und so stellte Pietro Bernadone den Sohn zur Rede. Bereitwillig erzählte Francesco von seinen Besuchen bei den Aussätzigen und auch davon, wie viel Überwindung es ihn gekostet hatte die üblen Gerüche zu ignorieren und trotzdem das zu tun, was notwendig war.
„Und was ist mit der Gefahr, in die du deine Familie bringst? Willst du dass die Mutter auch bald dort leben muss, bei den ausgestoßenen Assisis?“ Eine Antwort zu geben war gar nicht mehr möglich, denn schon
gab ihm der Vater eine schallende Ohrfeige und riss ihn am Ärmel aus dem Zimmer, stieß ihn hinab, bis zum Keller und öffnete das rostige Schloss, welches schon lange nicht mehr benutzt worden war und nur quietschend den Weg frei gab. „Ich war viel zu nachsichtig mit dir! Du musst deine Flausen nun endlich verlieren! Die Welt ist keine Spielwiese, auf der jeder nur machen kann, was ihm gerade einfällt. Jeder hat seine Aufgaben! Denk darüber nach! Wenn diese Verrücktheit nun deine Aufgabe sein sollte, hast du an meinem Tisch keinen Platz mehr!“ Das kleine Tor wurde laut zugeschlagen und Francesco stand im feuchten Dunkel des alten Kellergewölbes und das Geräusch der zugefallenen Tür hallte noch lange in dem finsteren Gewölbe wieder. Er spürte sein eigenes Herz wild schlagen und meinte er könne die dunkle Stille laut hören. Er nahm seine Furcht bei der Hand und fing an ein trauriges Lied zu singen, doch mit der Zeit wurden die Lieder immer fröhlicher und nun merkte er das, was er den Kranken bisher immer gesagt hatte. Christus ist da! Er hält euch die Hand auch in der größten Dunkelheit hin und hofft, dass ihr sie annehmt. Ihr seid nicht allein! Er selber war nicht allein!
So wunderte sich der Vater am nächsten Tag, als er Francesco aus dem Keller herauf holte. Denn es war keine Furcht an ihm zu sehen. Er begrüßte den Vater freundlich und blickte auch die Mutter zuversichtlich an. „Es tut mir leid, wenn ich euch Sorgen bereitet habe! Ich habe nicht daran gedacht!“ „Wirst du jetzt vernünftig sein?“, fragte ihn der Vater streng, „Oder wirst du wieder zu den Ausgestoßenen gehen?“
„Ich werde das tun, was das einzig Vernünftige ist. Ich werde versuchen dem zu helfen, der Hilfe benötigt.“
XI. Folge deinem Herzen
Diesmal befreite die Mutter Francesco aus seinem Gefängnis und bemühte sich ihren Schmerz nicht zu zeigen. Sie tupfte die Wunden rein und wollte gerade Verbandszeug bereit legen, da frage Francesco was er tun solle. „Ich will Vaters Willen doch gehorchen, doch mein Herz sagt mir etwas anderes. Beides kann ich nicht erfüllen! Was willst du?“ Die Mutter brauchte einige Zeit um antworten zu können: „Ich will, dass du deinen Weg findest. Dein Vater hat seinen Weg gefunden und ich schätze diesen Weg. Doch du findest deine Aufgabe nicht, indem du nur das tust was man von dir will. Du musst deinem Herzen folgen, wenn es dich ruft!“ Da erzählte er von seiner Begegnung mit Christi Bild und seinem Versprechen, die Kirche St.Damiano wieder aufzubauen. Er verabschiedete sich von der Mutter mit dem Gedanken, dass es das letzte Mal sein konnte, dass er sein Elternhaus sah. Er nahm einen großen Ballen Tuch aus dem Lager für die einfachen Stoffe, band ihn auf sein Pferd und ritt davon. Um möglichst wenig Aufsehen zu erregen, ritt er in die nahegelegen Stadt Foglio und verkaufte dort das Tuch für gutes Geld. Mit dem Beutel hoch in der Hand ritt er in den Kirchhof von St. Damiano ein und rief schon von weitem den Priester aus seinem Verschlag, den er sich dieser in einer nahestehenden Scheune gebaut hatte. „Das sollte fürs erste für die wichtigsten Arbeiten reichen!“ Als ihn der Priester irritiert anschaute, schob er eine Erklärung hinterher: „Ich bleibe hier! Ich werde die Kirche wieder in Stand setzen! Hier, schau! Dies wird reichen, um die Mauern auszubessern und das Dach zumindest notdürftig zu flicken.“ Da bremste ihn der Priester in seinem Gedankenflug. „Und wer will dies tun? Du? Ein verzogener Kaufmannssohn, noch ein reicher dazu, der nur gelernt hat in prächtigen Stoffen daher zu stolzieren und sich dabei bewundern zu lassen? Einer der gelernt hat, die Hand auf dem eigenen Säckel zu halten und zu schauen, dass möglichst wenig heraus geht? Einer, der nie einen Acker gepflügt hat in sengender Sonne, geschweige denn Steine geschleppt und eine Mauer gesetzt hat. Einer, der der Nächstenliebe schon dann genüge getan hat, wenn er von seinem Reichtum ein paar Kupferstücke den Armen hinwirft?“ Nachdem der Priester geendet und kein Blatt vor den Mund genommen hatte, legte ihm Francesco seine Hände auf die Schultern und strahlte ihn an.
„Ja, mein Lieber! Du hast recht und die Liste meiner Irrtümer und Unfähigkeiten könnte ich noch stundenlang weiterführen. Ich führe als erster Klage gegen mich und meinen bisherigen Lebenswandel. Doch Gott fordert nicht von uns, dass wir Dinge tun, die wir nicht verstehen. Erst wenn wir etwas als richtig erkannt haben, so fordert er eine Entscheidung. Erst dann heißt es: Ändere deinen Sinn und zeige es in deinen Taten! Also hilf mir und zeige mir wie man einen Stein setzt und ihn mit Mörtel festigt. Wie man einen Garten anlegt und die Pflanzen hegt, wie man einen Zaun baut um die Tiere des Waldes abzuwehren. All dies möchte ich nun lernen. Und schau dies wird uns helfen und hielt den prall gefüllten Sack mit klingender Münze hoch.“
Doch der Priester wollte das Geld nicht annehmen. „An diesem Geld klebt Unheil, denn du hast es dir genommen. Es wurde dir nicht gegeben und geschenkt, auch wenn es ein Vorabschlag auf dein künftiges Erbes sein sollte, wie du gesagt hast. Wenn du darauf dein neues Leben bauen willst, so wirst du scheitern.“ Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an das Geld zu verlieren, warf Francesco den Beutel in eine Nische an der Umfassungsmauer der Kirche und beachtete ihn nicht mehr.
Als der Vater wieder nach Hause gekommen war, hörte er sogleich von den Dienern, dass Francesco befreit sei und nun in der St. Damiano Kirche lebe. Sogleich rief er die kräftigsten Knechte zusammen und marschierte voller Zorn dorthin, um seinen Sohn zurück zu holen. Sein Rufen war schon von weitem zu hören und Francesco spürte, dass er der direkten Begegnung mit dem Vater noch nicht gewachsen war. Er verkroch sich in einem Unterschlupf, der durch hohe Brombeerranken verdeckt wurde und lauschte dem Donnerwetter, welches nun über den Priester herniederging. Zum Schluss hatte er damit gedroht, seinen eigenen Sohn beim Bischof zu verklagen.
„Du kannst nicht in Frieden leben, wenn du dich dem nicht stellst. Du kannst dem Willen des Vaters nicht entgehen, indem du dich versteckst“.
„Das will ich tun!“, sagte Francesco und sprach sich damit selber Mut zu. „Doch bis dahin zeige mir, wie ich Mörtel herstelle.“ Der Priester schaute sich noch einmal die zarten Hände an, die nun harte Arbeit verrichten wollten, doch nickte er und so suchten die beiden guten Sand, Wasser und alle anderen Zutaten zusammen und am Abend waren seine Hände mit Schwielen und Schrammen übersät. Doch anstatt dies zu beklagen zeigte er die Wunden wie einen Orden und nahm es als Zeichen, seine Arbeit gut gemacht zu haben. „Trotzdem ist es das Ziel, Gott zu dienen, ohne jedes Mal Wunden davonzutragen“. Und beide mussten herzlich lachen. Der Priester nahm ihn mit auf seine tägliche Runde und zeigte ihm, wie er den Armen und Kranken in der Umgebung von Assisi mit seinen wenigen Mitteln half. Das fröhliche Lachen von Francesco wirkte dabei in manchem Herzen wie eine gute Salbe, was dem Priester nicht entging. So nahm er Francesco in sein Nachtgebet auf und fiel bald in einen gesegneten Schlaf.
XII. Sorgt euch nicht
Der Platz war bereits in den frühen Morgenstunden gut gefüllt. Da viele eine längere Verhandlung erwarteten, hatten sie sich gleich etwas als Vesper mitgebracht und Wasserverkäufer liefen emsig durch die Menge und boten einen kühlen Trunk an. Die armen Bürger der Stadt mussten selbst anstehen, die Reichen hatten ihre Dienerschaft vorgeschickt um einen der besseren Plätze direkt bei den Stufen zu bekommen. Die Ärmsten wussten wo ihr Platz war und hockten am Rande auf Mäuerchen und Sockeln. Da wurden Stühle für die Nobilität der Stadt herausgetragen. Der Bürgermeister und die Räte nahmen gemäßen Schrittes ihren Platz ein. Nur einer blieb frei. Zuletzt wurde ein vergoldeter Trohn in die Mitte gesetzt. Zwei Wachen stellten sich mit Ihren Hellebarden und dem Banner des Bischofs zu beiden Seiten und vom Turm war ein lang gezogener Fanfarenstoß zu hören. Die Gespräche, die sich nur um ein einziges Thema drehten, wurden merklich leiser und hier und da begannen sich die ersten Köpfe zu recken. Als sich nun Pietro Bernadone und sein Sohn Francesco vor dem großen Tor des bischöflichen Palstes gegenüberstanden war die gleiche Fanfare noch einmal zu hören und das große Tor öffnete sich. Während sich der Bischof setzte und in aller Ruhe seine kostbaren Gewänder ordnete wurde es so leise, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Als erstes brachte der Vater seine Klage vor. Der Bischof nickte und blickte dann Francesco lange und eindringlich an. „Du hast die Klage deines Vaters gehört und es ist eindeutig, dass alle vorgebrachten Punkte rechtens sind. Was hast du also zu sagen?“
„Herr Bischof! Der Vater hat in allem Recht und so will ich alles wieder zurechtrücken, was durch meine Taten in Unordnung gekommen ist!“ Fast waren die Zuhörer enttäuscht, dass der Streit so schnell befriedet sein sollte. Da nahm Francesco den Beutel auf, den er am morgen aus der Nische geholt und mitgenommen hatte, zeigte ihn dem Bischof und legten ihn Bernadone in die Hand, der es gleich an einen Diener weiterreichte. „Dies ist der Erlös aus meinem eigenmächtigen Tuchhandel auf dem Markt von Foglio. Ich habe einen guten Preis für den Stoff erzielt und keine einzige Münze seitdem entnommen.“ Als der Bischof Pietro Bernadone fragte, ob dieser Punkt damit erledigt sei, nickte dieser. „Aber er muss auch auch mit diesen Verrücktheiten aufhören. Ich habe Vaterrechte
an ihm und wenn er sein Erbe haben will, so muss er sich fügen!“ Ohne etwas zu sagen leitete der Bischof diese Forderung an Francesco weiter. „Wenn der Vater diese Rechte an mir nur wegen des Erbes hat, so gebe ich mein Erbrecht an den Vater zurück, ich will sein Erbe nicht. Ich will frei sein, das zu tun, was mein Herz mir gebietet.“ Nun konnten die Umstehenden sich nicht mehr halten. Der vermögendste Sohn der Stadt gab alles Vermögen und allen Besitz hin. So etwas hatte es noch nie gegeben. Nicht in Assisi und nicht einmal im verrückten Perugia. „Auch den Namen Bernadone lege ich ab, um mit meinem Tun niemandem zu schaden. Ab jetzt werde ich nur noch sagen: Mein Vater im Himmel, schau gnädig auf mich armen Sünder!“
Es brauchte eine ganze Zeit, bis sich die Menge wieder beruhigt hatte und bemerkte, was auf den Stufen geschah. Francesco hatte nach und nach alle Kleidung und sogar die Schuhe ausgezogen und vor dem Vater niedergelegt. „So gebe ich auch das Letzte zurück, das dein Geld bezahlt hat und stehe als freier Mensch vor euch, wie mich Gott schuf.“ Der Bischof bedeckte Francescos Blöße mit seinem Purpurmantel und ließ derweil ein einfaches wollenes Gewand bringen, wie es Pilger allerorten trugen. Dies wurde Francesco angelegt und der Bischof präsentierte ihn der Menge. „Dieser Streit ist befriedet! Möge dein Tun gottgefällig sein!“
Unter Fanfarenklängen begab sich der Bischof mit seinem Tross wieder zurück in seinen Amtssitz und die Menge verzog sich kopfschüttelnd, da nun ein leichter Nieselregen einsetzte. Nur die Bettler der Stadt blieben und kamen sogar näher. Sie spotteten ob seiner Dummheit und manche erleichterten ihre Wut aus all den Jahren der Demütigung indem sie den Dreck der Straße aufhoben und nach Francesco warfen. Niemand kam, um ihn zu schützen, nur der stärker gewordene Regen wusch den Unrat von seiner Kleidung. Francesco machte keinerlei Anstalten, den anfliegenden Geschossen auszuweichen. Statt dessen breitete er die Arme aus und begann mit aller Inbrunst und Erleichterung ein Lied über die Schönheit der Welt zu singen. Da ließen sie nach und nach von ihm ab, machten die ersten Schritte rückwärts und verzogen sich an die Ecken, an denen sie für gewöhnlich standen und um milde Gaben bettelten. Die meisten schüttelten nur die Köpfe als der Gesang sich weiter ausbreitete und lauter zu werden schien. Manche aber spürten wie das Lied innerlich wie eine kleine Sonne war, die wärmte und vergaßen den eigenen Hunger und alle Sorgen wenigstens für eine Zeit.
Im Palast stand der Bischof am Fenster im Erker und blickte lange Zeit hinunter. Selbst bis hier hin war das Lied zu hören. Zuletzt läutete er nach seinem Schreiber und ließ einen Brief aufsetzen an seinen Freund und Förderer Kardinal Colonna in Rom. Es sollten noch mehr solcher Nachrichten und Berichte folgen und so begleitete der Kardinal aus der Ferne die Geschehnisse in Assisi und merkte sich den Namen der Stadt und den Namen des reichen Kaufmannssohnes, der alles weggegeben hatte um Christi Wort zu folgen. Francesco aus Assisi. Dass er ihm einst gegenüberstehen sollte, ahnte er zu dieser Zeit allerdings noch nicht.
XIII. Ein Neuanfang
Der Priester sah, wie sich auf Francescos Antlitz der Regen mit Freudentränen mischte und das Lied kein Ende zu nehmen schien, doch irgendwann legte er seinen Arm auf seine Schultern, wartete bis Francesco die Augen geöffnet hatte und sprach ihn freudig an: Willkommen unter Gottes freiem Himmel mein Bruder!“ Und er führte ihn zurück zur Kirche. Im Stall hatte er ein Lager gerichtet und wies Francesco seinen neuen Platz an. Doch Francesco sprach: „Wer mag sich jetzt zur Ruhe legen, wo der Tag noch lang ist. So vieles kann noch getan werden. Ich will einen Garten anlegen, mit Wegen und einer Mauer, damit Bruder Wind den Boden nicht allzu sehr austrocknet. Einen Graben will ich ausheben, damit Bruder Regen nicht alle Samen mit seinem Himmelssegen fortschwemmt. Ich will Pflanzen am Waldrand suchen und im Garten einpflanzen, aus denen ich selber Salben herstellen kann.“
„Alles recht, doch achte auch deinen Leib als einen Bruder, der dir dient. Er soll auch bekommen, was er braucht.“ So setzten sie sich nieder, segneten die Speise und dankten Sonne und Erde, welche die Gaben hatten wachsen lassen.
In den nächsten Tagen wanderte Francesco jeden Vormittag nach Assisi hinein und bettelte um Steine für die Kirche. Manche gaben den ein oder anderen guten Stein, andere hoben einen Kiesel vom Wegrand auf und warfen ihn spottend vor seine Füße. Er bedankte sich für jede Gabe und trug alles in seinem Korb hinunter zur Kirche und fand in den auszubessernden Mauern auch für den kleinsten Kiesel einen Platz. „Alles kann letztlich doch dem Guten dienen!“, lachte er und setzte ein winziges Steinchen in eine winzige Lücke. Nachmittags nahm er eine hölzerne Schale und bettelte um ein wenig Nahrung für sie beide. Er nahm stets nur so viel, wie für den Tag ausreichend war und dankte aus vollem Herzen. Diejenigen, die vermutet hatten, dass Francesco spätestens nach einem Monat reumütig wieder an den elterlichen Herd zurückkehren würde, hatten sich getäuscht. Mit der Zeit wuchs die Mauer des Gartens bis einer stattlichen Höhe und die letzten Reparaturen an der Kirche waren nahezu abgeschlossen. Da wurde Francesco eines Tages von einer aufgeregten Stimme aus der Scheune herausgerufen. Ein Mann, der mit ihm am Kriegszug gegen Perugia teilgenommen hatte, hatte ihn aufsuchen wollen, um mit ihm zu sprechen. Doch beim Eintreten in den Kirchhof hatte er bemerkt, wie sich ein Wildschwein einen Zugang zum frisch angelegten Garten bahnte und mancher Stein bereits wieder zu Boden gerollt war. Francesco und der Priester kamen heraus und sahen das Unglück. Francesco sah seine ganze Arbeit in Gefahr und merkte kaum, wie seine Hand bereits einen starken Stecken gefunden hatte und lief laut schreiend auf das mächtige Tier zu. Er sprang auf die Reste der Mauer und war bereit alles zu tun, um seine Pflänzchen zu schützen. So standen sie sich gegenüber doch das Wildschwein machte keine Anstalten zu fliehen. Da senkte Francesco den Stab, schaute an sich herab und begann zu lachen. Er entschuldigte sich mit einer ausladenden Bewegung bei dem Wildschwein für sein grobes Auftreten. „Bruder Schwarzkittel. Verzeih, dass ich vergaß! Auch du bist ein Geschöpf Gottes und so mag ich dir nicht grollen. Du machst das, was ein Wildschwein eben machen muss. Du hast ein Recht darauf, nicht hungrig schlafen gehen zu müssen. Das sehe ich ein! Direkt neben dem Garten will ich also einen Kompost anlegen und in diesem magst du dann suchen nach dem, was gut für dich ist. Diese Mauer aber lass in Ruhe. Die meisten Pflanzen die ich pflege sind herb und nur den Menschenbrüdern zuträglich bei schwerer Krankheit. Also Bruder Schwarzkittel. Kehre zurück in den Wald und lass mir Zeit den Kompost anzulegen!“ Er schlug das Kreuzeszeichen über dem borstigen Tier und da machte es kehrt und stürmte unter lautem Grunzen in den Wald, der unmittelbar hinter dem winzigen Gärtchen begann.
„Wie vernünftig doch so ein Rauhbein sein kann!“ rief der Priester lachend und begrüßte den Ankömmling. „Ich muss mit Francesco sprechen!“ erwiederte dieser den gebotenen Gruß und wandte sich an Francesco, der Bernado von Quintavalle sofort wiedererkannte, war es doch ein alter Freund aus Kindheitstagen. „Sicher! Du kannst mir gleich helfen den Kompost anzulegen. Du hast ja gesehen, wie dringend es ist. Dabei können wir uns gerne unterhalten!“
Nach einigem hin und her und manchem wieder zurecht gerückten Stein in der Mauer stellte er seine wichtigste Frage: „Warum lebst du so, wie du es tust? Warum hast du alles weggegeben. Kann man nicht auch als ein Reicher den Armen helfen – vielleicht sogar besser?“
Anstelle einer Antwort nahm ihn Francesco mit auf seine abendliche Runde, bei der er die zuvor gesammelten Almosen des Tages gerecht verteilte und für alle Notleidenden ein gutes Wort hatte. Zuletzt suchten sie auch die Ruine auf, in der Francesco wie ein Freund und Bruder begrüßt wurde. Auf dem Rückweg wurde es schon langsam dunkel. Francesco fragte, ob er denn eine Antwort auf seine Frage gefunden habe und dieser nickte fast unmerklich.
In den kommenden Tagen war der Freund immer wieder bei ihnen und half, wo er nur konnte. Eines Tages bat er die beiden bleiben zu dürfen. „Hier bei euch zu helfen hat mehr Freude in mein Herz gebracht als alle Dinge, die ich mir kaufen konnte. Was muss ich tun, um dein Bruder zu werden?“ Da entgegnete Francesco: “Du bist schon mein Bruder! Dafür musst du nichts tun!“ Wenn du aber dem Himmel auf der Erde dienen willst, so verschenke was du hast und folge dem, was uns Christus gelehrt hat!“
XIV. Die Sonne erwärmt selbst den harten Stein
Eines Tages kamen Francesco und die Seinen zurück von einem Besuch in der Stadt, wo sie milde Gaben für alle Notleidenden gesammelt hatten. Da stand mitten im Kirchhof Pietro von Cattaneo, ein kräftiger und groß gewachsener Mann, bat um Aufnahme in die kleine Gemeinschaft und erzählte stolz davon, wie er in der Abwesenheit der Brüder alles beschützt habe, denn es wären Räuber gekommen die alles durchsuchen wollten, die er aber schnell in die Flucht habe schlagen können. Und tatsächlich bemerkten die Brüder eine ungewöhnliche Unordnung auf dem ganzen Platz.
Francesco legte dem Neuankömmling die Hand auf die Schultern, begrüßte ihn und gab ihm sogleich seine erste Aufgabe. „Wenn du anderen helfen willst ihr Leben zu ändern, so musst du zuerst bei dir selber anfangen. Gib den Stolz auf deine Kraft auf! Hast du die Räuber gefragt, was sie brauchen? Vielleicht hätten wir ihnen ja helfen können, oder meinst du, wir helfen nur denen, die schon Heilige sind? Wir sind für jeden Menschenbruder da! Also, Menschenbruder! Laufe Ihnen nach und hole sie zurück!“ Es brauchte schon eine Weile bis Pietro von Cattaneo die Räuber überzeugen konnte wieder zurückzukommen. Sie vermuteten eine Falle oder gar einen Hinterhalt und waren bei jedem Schritt auf der Hut. Aber mit dem was bei ihrer Rückkehr auf sie wartete, hätten sie nie und nimmer gerechnet. Die Brüder hatten alle ihre letzten Habseligkeiten zusammengetragen und auf einer kleinen Decke ausgebreitet. Francesco bat die Räuber einen um den anderen herbei, deutete auf die ärmlichen Kostbarkeiten und sprach freudig: „Ich weiß nicht was ihr wirklich braucht. Wenn ihr nichts brauchen würdet, würdet ihr nicht rauben unter den Menschen. Wir aber wollen nicht mehr haben als ihr und wenn ihr etwas mehr braucht als wir, so nehmt es euch. Wir geben es von Herzen, denn von dem, was wir wirklich brauchen, haben wir in Überfülle…. Die Liebe Gottes, der die Sonne über Gut und Böse gleichermaßen aufgehen lässt und uns bei allen Irrwegen doch in seiner schützenden Hand hält“. Da knieten alle Brüder nieder und sangen ein Lied zum Lobpreis des Herrn und verständnislos blickten die groben Gesellen in fröhlich singende Gesichter. Ohne etwas von dem Dargebotenen anzurühren zogen sie sich zurück und verschwanden im Dickicht des Waldes.
Irgendetwas aber hatte sie im Inneren berührt und so tauchten sie in den nächsten Wochen hin und wieder einmal auf, halfen bei verschiedenen Aufgaben immer selbstverständlicher mit und ließen es bald auch zu, dass die Brüder für sie betteln gingen und dann von den Almosen stets als erste sich nehmen durften.
Mit der Zeit kamen noch einige Brüder hinzu. Jeder musste sich seine eigene Hütte bauen und wenn er gelernt hatte, sich selber zu helfen, lernte er die Pflege der Kranken und die Versorgung derjenigen, die sich selbst nicht mehr helfen konnten.
XV. Auf der Wanderschaft
Francesco wanderte mit zweien seiner Brüder von Dorf zu Dorf um die Menschen daran zu erinnern, wie nahe der Himmel den Menschen sei und dort, wo er den notleidenden Bauern tatsächlich unerreichbar schien, so zu helfen, dass die Menschen wieder einen offenen Sinn für die Schönheit der Schöpfung finden konnten. So blieben sie in einem Dorf länger, weil dort der Schmied krank geworden war und nun Gartengeräte für die Bestellung der Äcker fehlten. Sie pflegten aber nicht nur den Kranken und zeigten, wie man Heiltees aus Wildkräutern zubereiten konnte, sondern halfen dem Gehilfen des Schmiedes so lange, bis alle Bestellungen an Gerätschaften ausgeliefert waren. So war der Beutel des Schmieds wohl gefüllt, als er wieder an seine Arbeit gehen konnte. In seiner Dankbarkeit suchte er im ganzen Haus etwas , dass die drei Helfer gebrauchen konnten. Doch jedes mal winkte Francesco ab und nahm nur etwas Brot für den Weg dankbar an.
In einem anderen Dorf hörten sie, das ein großer Teil der Ernte durch wilde Tiere verloren gegangen sei und tatsächlich saßen die Bauern betrübt vor ihren Hütten und rührten Hacke und Spaten nicht mehr an, so aussichtslos schien ihnen alle weitere Arbeit. Da sang Francesco auf dem Platz des Dorfes so lange, bis alle Bewohner zusammen gekommen waren, erzählte dann von der Größe des Himmels, der keine hilfreiche Idee für sich behalten würde und schlug dann vor, alle Äcker zusammen zu legen und einen einzigen, starken Zaun außen herum zu bauen. Ohne lange zu warten lieh er sich eine Handaxt aus, schlug kleine Baumstämme, zog sie an den Ackerrand und fing mit seinen Brüdern die Arbeit an. Zuerst kamen die Kinder und die Alten, doch nach und nach halfen alle Dorfbewohner mit und so umschloss am Ende des Tages ein einfacher, aber standfester Zaun alle Äcker. „ Jetzt habt Ihr euch gegenseitig geholfen. Sobald sich aber jeder wieder nur um seinen eigenen Acker kümmert, ist der Zaun in kürzester Zeit wieder verloren. Und so ist es auch mit dem Himmel. Wenn ihr den Himmel vergesst, kann der Himmel euch nicht helfen. Haltet euch gegenseitig die Treue und auch dem himmlischen Vater, der euch liebt.“
Das Staunen war allen noch ins Gesicht geschrieben und die Dorfbewohner hätten sie gerne noch ein paar Tage beherbergt, doch Francesco verabschiedete sich mit einem Gebet, das alle auf den Knien anhörten und machte sich wieder auf die Wanderschaft.
Unterwegs erfuhr er von der Not der Bürger von Gubbio und so machten sie sich sogleich auf den Weg. Unterwegs mussten sie rasten und da sie keine Herberge für die einbrechende Nacht fanden, suchten sie sich eine Höhle, in der sie auch vor dem einsetzenden Regen geschützt waren. In der Nacht hörte der Regen plötzlich auf und sie staunten gemeinsam in einen hellen und klaren Sternenhimmel hinein. Francesco wollte sogleich die Schönheit de Sterne loben, doch klapperten seine Zähne so stark aufeinander, das kaum etwas wirklich zu verstehen war. Francesco lachte und bibbernd vor Kälte sprach er zu seinen Brüdern: „Bruder Frost scheint sich übergangen zu fühlen und so wollen wir auch den Frost loben, denn er lässt in uns die Sehnsucht nach der Wärme der Sonne erstehen. Sie hielten sich die ganze Nacht hindurch wach und zogen ihre einfachen Kutten enger an sich. Gegen Morgen waren seine Brüder aber doch in einen kurzen Schlummer gefallen und so begrüßte Francesco ganz allein den Morgenstern, den ersten Dämmer und auch den ersten Sonnenstrahl. Er bemerkte nach und nach, dass er auf einer Lichtung stand. Der Wind begann sachte in den Ästen zu flüstern und Nebelfetzen zogen die Hänge hinauf und verhüllten manchmal die weichen Wellen der umliegenden Hügel bis sie sich auflösten und den Blick auf die Zypressen am Horizont freigaben. Ein tiefer Frieden lag über diesem frisch anbrechenden Tag als das Licht nun golden in das Tal flutete und Francesco hörte, wie nach und nach die verschiedenen Vögel zu singen begannen und dieses Zwitschern aus hunderten von kleinen Kehlen war der schönste Lobgesang, den er je gehört hatte. Auch die Freunde waren von dem Konzert geweckt worden und nahten sich still. Als es etwas stiller wurde und die Kraft der Sonne mächtig aufstieg lud Francesco mit einer großen Armbewegung alle Vögel ein, zu ihm zu kommen. Und sie kamen. Zuerst setzten sich die frechen Spatzen in die erste Reihe, doch sie blieben nicht lang allein. Nacheinander kamen Rotkehlchen, Meisen, Finken, Kuckuck,Lerchen, Gartenrotschwänze, Zaunkönige, Amseln, Gimpel, Buchfinken und Schwalben. Dann setzen sich zwei Reiher ins hohe Gras, etwas abseits hockten Krähen und Raben und an den nahen Baumstämmen hatten es sich Buntspecht, Grünspecht und Kleiber eingerichtet. Oben in der Krone des größten Baumes saßen Falken, Bussarde und Milane ohne dass dies bei den anderen Vögeln eine Unruhe ausgelöst hätte. Obwohl es eigentlich gar nicht gemeint war saß auch ein kleines Eichhörnchen in einer Gabel und blickte aus seinen lustigen Augen auf Francesco. Zu guter Letzt senkten sich zwei weiße Tauben vom Himmel herab und setzten sich auf seine Schultern. Der fing nun an vom Glanz jedes einzelnen Gefieders zu sprechen und dass keines als schöner als das andere anzusehen sei. Dann wies er darauf hin dass keine einzige Feder ohne die Schönheit der Sonnenstrahlen aufschimmern könne. „So ist es recht, dass ihr jeden Morgen dem Schöpfer dankt, der für euch sorgt und den Luftraum wunderbar für euch zubereitet hat und euch dieses prächtige Gefieder geschenkt hat“. Er sprach immer freudiger von der Schönheit der Welt, dann segnete er alle Tiere und auf ein Zeichen schüttelten sie ihr Gefieder und flogen hinauf in den hellblauen Himmel. Nur die beiden Tauben blieben noch etwas länger auf seiner Schulter sitzen, bevor auch sie davonflogen. Die Freunde wagten kaum ein Wort zu sprechen um die andächtige Stimmung nicht zu stören. Zu sehr erinnerte diese Zusammenkunft, an ein Bild vom versprochenen Paradies, in dem Taube und Falke einträchtig neben einander werden sitzen können.
XVI. Der Wolf von Gubbio
Je näher sie sie der Stadt Gubbio kamen, mit ihren verschiedenen Marktplätzen, reichen Kaufmannspalästen und prächtigen Kirchen, deren Türme man weithin sehen konnte, waren ihnen immer weniger Menschen begegnet. Das war ungewöhnlich und Francesco versuchte von einem Reisenden den Grund dafür zu erfahren. Doch der hielt seinen schnell dahinjagenden Wagen gar nicht erst an und reagierte unwirsch und abweisend. So hörte er den Gruß nicht mehr, den sie ihm verwundert nachsandten.
Obwohl sich die Kunde des „schenkenden Bettlers“, wie Francesco von manchen nun genannt wurde, auch schon bis in diese Gegend verbreitet hatte, erhielten sie nur die Abfälle der vergangenen Tage, als sie an den Türen der vereinzelt stehenden Bauernhöfe pochten und mit einem Gruß um etwas Essen bettelten. Sie wurden nicht hereingebeten und die Türen wurden sofort wieder zugeschlagen und verriegelt. So setzten sie sich nahe des Weges einsam auf einen umgefallenen Baum, dessen Wurzelwerk nun zur Hälfte hilflos in die Luft ragte. Der Hunger war groß und so verspeisten seine Brüder die wenigen Brocken sogleich nach einem inbrünstigen Gebet. Francesco aber blieb regungslos sitzen, ohne von den spärlichen Gaben nur ein weniges zu nehmen. „Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht!“ wollte ihn Paolo zum Essen einladen, doch Francesco schüttelte den Kopf und lachte: „Mein Hunger ist so groß, ich könnte zwei Schüsseln von unserem Hauptgericht essen! Nein, Brüder mir fehlt die nötige Dankbarkeit. Als wir die Brocken demütig entgegennehmen wollten, kam mir unaufgefordert der Gedanke, dass wir bestimmt etwas besseres verdient hätten. So schnell ich den Gedanken auch wieder verjagte…. ich möchte dankbar sein für alles, was mir geschieht, so wie wir gestern sowohl Frost als auch Wärme angenommen haben“. Stattdessen fing er nun ein Lied nach dem anderen zu singen und ermutigte die Freunde auch noch seinen Anteil zu verspeisen. Als sie etwas später auf den Hauptweg stießen, der sie vor die mächtigen Tore der Stadt bringen würde hielt ein einfacher Karren an, der von zwei alten Rindern gezogen wurde. Der Bauer lud sie mit einer Bewegung ein hinten aufzusetzen, ermahnte sie zur Eile und kaum, dass sie sich gesetzt hatten zog das Gefährt ruckend wieder an. „Ihr habt Mut euch hier ohne Schutz aufzuhalten! Habt ihr denn nicht von der Bestie gehört, die diese Gegend unsicher macht und allen Handel zum Erliegen gebracht hat? Selbst die Ritter der Stadt und herbeigerufene Söldner haben das Tier weder fangen noch töten können und so treibt es immer weiter sein Unwesen und die Marktplätze der Stadt trocknen langsam aus.“ Als sich die Stadttore schnell wieder hinter ihnen geschlossen hatten, suchte Francesco mit seinen Brüdern das geistliche Oberhaupt der Stadt auf, der bereitwillig Auskunft gab. „Es scheint ein Wolf zu sein. Ein mächtig großes Tier, das ohne Rudel jagt. Es ist zu schlau, sich von den ausgesandten Jägern fangen zu lassen und schlägt gerade dort zu, wo es keinen Schutz gibt und wo niemand mit einem Angriff rechnet.“ Francesco hatte genug gehört, verließ die Halle mit einem Gottesgruß und suchte den größten Marktplatz auf. Dort holte er die Menschen zusammen und sprach: “Ihr Menschen von Gubbio! Gefahren des Lebens prüfen uns! Die größte Gefahr aber ist die Angst vor der Gefahr, wo sie sich nicht unmittelbar zeigt, denn dies verhindert, die Sache wirklich zu erkennen und eine Lösung von der Prüfung zu finden!“ Die Rede wurde nicht gut aufgenommen und jemand rief: „Na, wenn du keine Angst hast, dann gehe doch hinaus. Vielleicht kannst du ja erledigen, was alle Ritter nicht konnten!“ In das Lachen der Menge kniete sich Francesco nieder und betete laut die Nöte der Menschen zum Himmel und bat darum, Helfer sein zu können. Als er sich erhob war es still geworden und als sich Francesco nun zu den Toren begab, folgten ihm alle Umstehenden und aus den Häusern kamen immer mehr Menschen, die sich dem Zug anschlossen. Seinen Brüdern empfahl er hinter den Mauern zu bleiben, doch Paolo wollte sich ihm unbedingt anschließen. Nachdem die Tore wiederum verschlossen waren, erklommen alle Bürger die Mauern und Türme der Stadt, um zu sehen, was nun geschehen würde. Manche riefen ihm auch zu, doch sofort wieder umzukehren, doch er ging weiter mit großen Schritten auf den Wald zu. Laut rief Francesco den Wolf herbei und nach einiger Zeit zeigte sich am Waldrand tatsächlich ein riesiger grauer Wolf und hob sein Haupt schnuppernd in den Wind. Da erscholl ein Schreckensruf des Entsetzens von den Wällen, denn der Wolf kam den beiden Brüdern nun entgegen, erst langsam, doch dann immer zügiger und hielt zielstrebig auf sie zu. Da blieb sein Bruder Paolo an dem letzten Baum am Rande des Weges stehen und hielt sich zitternd an der groben Rinde fest. Francesco stapfte laut singend weiter und ging auch dann weiter, als er den Wolf schon leise knurren hörte. „Bruder Wolf!“ redete er den Wolf freundlich an und beide blieben voreinander stehen. „Du kannst es nicht wissen, aber du bist ein Geschöpf des Himmels genau wie ich!“ Der Wolf roch keinerlei Angst bei Francesco und setzte sich hin, als wenn er seinen Worten lauschen wollte. „Nun aber sage ich es dir! Die Welt ist voller Liebe, auch wenn du noch so grimmig blickst und dein gefährliches Gebiss zeigst. Du hast anderen Leid angetan, mehr als dies für ein wildes Tier des Waldes notwendig wäre. Verlass diesen Weg des Leids und schließe Frieden mit den Bürgern von Gubbio!“ Staunend sahen die Menschen, wie der Wolf nach einiger Zeit nun seine mächtige Pranke in die zarte Hand Francescos legte und von diesem langsam vor die Mauern der Stadt geführt wurde.
„Bürger von Gubbio. Dieser Wolf wird niemandem mehr ein Leid tun, wenn ihr ihn nicht mehr jagt! Außerdem habe ich versprochen, dass ihr euren Tieren in Zukunft kein Leid mehr antut und der Wolf im Winter keinen Hunger mehr zu leiden braucht. Wollt ihr dies befolgen?“ Auf das Johlen und Jarufen der Menge verzog sich der Wolf in die Tiefen des Waldes. Doch war die Gefahr wirklich gebannt? Vor allem die Ritter konnten dies nicht sogleich glauben. Die ersten Wagenladungen begleitete Francesco noch, doch nach und nach wurden die Menschen wieder zuversichtlicher, das gewohnte Leben kehrte wieder zurück und Francesco und seine Gefährten schlugen den Weg heimwärts nach Assisi ein und freuten sich schon alle Brüder wiederzusehen und von den Geschehnissen der letzten Tage zu berichten.
Der Wolf wurde noch einige Jahre immer wieder in der Umgebung von Gubbio gesichtet, bis er ganz verschwunden blieb und die Gaben im Winter nicht mehr anrührte. Einige Bürger erinnerten sich aber auch dann noch an ihr Versprechen und behandelten ihre Tiere besser, als sie es früher getan hatten.
XVII. Wie wollen wir leben?
Auf dem Heimweg nach Assisi schloss sich ihnen ein junger Wanderer an, der auf dem Weg zu einer berühmten Schule war. Er erzählte begeistert von der Weisheit der berühmten Lehrer die ihn dort erwarteten und hielt auch nicht mit den Fragen zurück, die ihn bewegt hatten, sich auf den weiten Weg zu machen. „Ich bin nicht gelehrt, aber manches lässt sich auch mit offenen Augen und einem geöffneten Herzen erklären.“ Über Francescos Antworten staunte der junge Mann sehr und befragte ihn, wo er solche Weisheiten gelernt habe. „Wenn du alle Weisheit der Welt ansammelst und auftürmst, weiß deine Hand doch noch immer nicht, was sie tun soll, damit das Gute in der Welt geschehe. Würdest du sagen, dass du deinem Nächsten helfen solltest?“ Nachdem dieser die Frage bejaht hatte, wies Francesco auf einen ärmlich daher ziehenden Mann, der seine Lumpen immer wieder enger an sich zog und sichtlich vor Kälte bibberte. „Wenn du wissen willst was Mildtätigkeit ist, so schenke ihm deinen Wettermantel. Du hast ja noch einen anderen. Denk nicht lange nach! Wenn er dir leid tut, so handle!“ „Aber ich kann doch nicht einfach so meinen Mantel einem Wildfremden geben.“ Doch Francesco erwiderte: „Natürlich kannst du! Was dich hindert sind tausend Gründe es nicht zu tun. Aber einen Grund gibt es, der dir etwas anderes sagst… wenn du es tun willst, weil es vor deinem Herzen und vor Gott richtig ist!“ Der Alte wankte langsam näher und schaute sie mürrisch an.
Der junge Schüler bewegte das Gehörte sichtlich in seinem Herzen und sah Francesco staunend an. Schon wollte er seinen Wettermantel abstreifen, da hielt ihn Francesco zurück. „Tue es nur, wenn du keinen Dank des Menschenbruders oder des Himmels begehrst!“ Nach einem kurzen Zögern zog er den Wettermantel aus, schritt auf den humpelnden Greis zu und hielt ihn dem verdutzt Innehaltenden hin: „Wenn du ihn brauchen kannst, so schenke ich ihn dir.“ Nach einem kurzen Zögern griff der Alte schnell nach dem dargebotenen Mantel, drückte ihn fest an sich und humpelte so schnell davon, dass es fast wie eine Flucht aussah. „Er hat wohl Angst, dass du es dir noch einmal anders überlegst!“ Alle vier mussten herzlich lachen. Da legte Francesco dem angehenden Schüler seine Hand auf die Schulter: „Und, bereust du deine Tat?“
„Nein! Es fühlt sich gut an! Ich meine fast, dass ich noch nie in meinem Leben etwas richtigeres getan habe! Lasst mich mit euch wandern, denn ich möchte mehr von dem erfahren, wie ihr lebt!“ So wanderten sie nun zu viert und verkürzten sich die Zeit mit mancherlei Geschichten. Als sie in der Gemeinschaft ankamen, saßen alle Brüder gerade beisammen. Sie räumten sofort für Francesco den besten Platz, doch dieser setzte sich ganz an das Ende der langen Tafel. „Geliebte Brüder, da wir alle nur einen Herren über uns haben, der uns in seiner Hand hält und alle unsere Sorgen und Irrungen kennt, so lasst und auf Erden niemanden dulden, der besser behandelt wird als die anderen. Niemand steht dem Himmel näher. Wenn jeder das tut, was sein Herz ihm eingibt und wir gemeinsam dem Weg Christi folgen, so sind wir Menschenbrüder die niemanden brauchen, der sagt was wir tun haben oder was wir lassen sollen.“
Als die Gemeinschaft nun auf 12 Brüder angewachsen war und sich immer mehr Menschen anschließen wollten, wurde deutlich, dass sie die Regeln, die sie sich selber gegeben hatten einmal aufschreiben mussten. Es waren nur wenige Regeln, doch deren Befolgung stellte das gewohnte Leben ganz und gar auf den Kopf. Zum Beginn der Klausur legten sie ein Neues Testament auf den Altar und jeder durfte vortreten, eine Seite aufschlagen und die gefundene Stelle vorlesen. Und bei jeder neuen Stelle nickten die Brüder, denn es schien genau das auszusprechen, was in ihren Herzen lebte.
Der erste schlug das Neue Testament auf und las: „Willst du wahrhaftig leben, so verkaufe, was du hast und gib es den Armen!“
Der zweite schlug eine andere Seite auf: „Nehmt nichts mit auf den Weg. Weder Stab noch Tasche, kein Brot und kein Geld!“
Der dritte las: „Wer mein Jünger werden will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir!“
Da fanden Sie ihre eigene Suche bestätigt und beschlossen auch weiterhin so zu leben und dies auch von allen zu fordern, die der Gemeinschaft beitreten wollten. Der Bischof von Assisi billigte den Lebenswandel der Brüder und erlaubte ihnen sogar dem Volk auf Marktplätzen und auf den Straßen zu predigen, obwohl dies von den Priestern nicht gerne gesehen wurde. Er ließ eine Abschrift der Regeln anfertigen und schickte sie wiederum nach Rom, wo sie von Kardinal Colonna sehr genau studiert wurde. War diese Gemeinschaft, die so sehr Wert legte auf die Armut und Einfalt des Herzens, eine Gefahr für Mutter Kirche mit all ihrer Pracht? Da erinnerte sich Kardinal Colonna an das Bibelwort „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“ Und an Francescos Taten war wirklich kein Fehl zu finden.
XVIII. Das Paradies auf Erden
Mit der Zeit hatte Francesco mit seinen Brüdern noch zwei weitere Kirchen in der Umgebung von Assisi wieder aufgebaut. Die „Portiunkula“ die eigentlich Santa Maria degli Angeli hieß wurde ihnen als Wohnsitz überlassen. Eine Schenkung hatte Francesco abgelehnt, da er jeglichen Besitz ablehnte. Sie einigten sich auf eine Pacht, die mit einem Korb an Flussfischen abgegolten wurde. Francesco forderte, dass die Pacht im Voraus abzugeben war und so fingen alle Brüder frohen Herzens Fische, bis der Korb voll war und abgeliefert werden konnte. Dann erst bezogen sie ihr neues Zuhause. Bis sie wiederum kleine Hütten für sich gebaut hatten, lebten sie in winzigen Unterständen, die nur mit Reisig aus der Umgebung abgedeckt waren. So fand der Regen bei jedem Gewitter einen Weg in das Innere und setzte alles unter Wasser. Um so unverständlicher war es den Menschen, wie fröhlich die Brüder lebten, arbeiteten und Gott lobten. Auf einem seiner Bettelgänge war Francesco auch einem Mädchen aus reichem Hause mit dem Namen Klara begegnet. Als sie nach wenigen Tagen ebenfalls um Aufnahme in die Gemeinschaft bat und zwei Freundinnen mit sich führte nannte er sie seine Schwestern und brachte sie in einem nahen Frauenkloster unter. Nach und nach entstand durch Klara ein eigener Orden, den es auch heute noch gibt. Die Clarissinnen.
Wie sie es gemeinsam verabredet hatten, wanderte Francesco mit seinen Brüdern nach Rom, um eine Bestätigung ihrer Gemeinschaft durch Papst Innozenz III. zu erlangen. Auf dem Weg sahen sie viel Leid und Ungerechtigkeit. Am schlimmsten war aber für sie, dass viele jegliche Hoffnung verloren hatten und jeder nur auf das eigene Wohl bedacht schien. Die Menschen merkten wohl, dass die Brüder freundlich miteinander umgingen und Armut und Elend freudig trugen. Vor allem aber hörten sie Francesco gerne zu, wenn er über das Reich der Himmel sprach, doch sie schüttelten am Ende doch den Kopf, wenn er erzählte, dass der Himmel für jedermann ganz nahe sei. Nach einer langen Reise mit vielen Entbehrungen kamen sie endlich in Rom an. Sie verliefen sich in dieser riesigen Stadt ein um das andere Mal und wurden oft in die Irre geschickt. So dauerte es einige Tage, bis sie sich zum Amtssitz des Kardinals Colonna durchgefragt hatten. Da sie ein Empfehlungsschreiben des Bischofs von Assisi bei sich trugen, wurden so trotz ihres ärmlichen Aussehens bei Kardinal Colonna vorgelassen.
Ein redseliger Diener machten ihnen für ihr Vorhaben keine Hoffnungen: „Ihr kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt! Der Papst muss sich wehren gegen die Ansprüche der Staufer und die Kardinäle haben alle Hände voll zu tun um die Unruhen in Stadt und Land zu befrieden. Wisst ihr, wie viele jedes Jahr kommen um einen neuen Orden anzumelden? Das bringt stets neue Unruhen mit sich und der Vater aller Christen muss sehen, dass ihm die Zügel nicht aus der Hand gleiten.“ Francesco dankte für den Bericht, ließ sich aber nicht von seinem Vorhaben abbringen. Gemeinsam traten sie in den beeindruckenden Saal ein, legten sich vor dem Stuhl des Kardinals auf den kalten Marmorboden und breiteten die Arme aus. Der Sekretär gab ihnen ein Zeichen zum Aufstehen und nun sahen sie ihn direkt vor sich. Lange hörte ihnen Kardinal Colonna zu. Am Ende der Audienz glaubte er an die Aufrichtigkeit ihres Strebens, schlug ihnen aber vor, sich einem der bestehenden Mönchsorden anzuschließen. Nach kurzem Überlegen lehnte Francesco dies freundlich aber bestimmt ab und bestand darauf in seinem Suchen nur Gott selber und dem Papst rechenschaftspflichtig zu sein. Zu lebhaft erinnerte er sich an den Auftrag, den er erhalten hatte. So beschaffte Kardinal Colonna in den nächsten Wochen eine Privataudienz beim Papst und führte Francesco eigenhändig herein, als die großen Flügeltüren geöffnet wurden. Mit leichtem Entsetzen sah Innozenz III. wie Kardinal Colonna einen kleinen unscheinbaren Mann mit schäbigen und abgetragenen Kleidern hereinführte. Der Mann sah erbärmlich aus. Wie hatte ihm der Kardinal nur eine Privataudienz beim mächtigsten Lenker der Christenheit bewilligen können? Doch als er in die leuchtenden Augen des Bettlers sah, erinnerte er sich an diese fast vergessene Nacht, in der er einen Traum hatte aufschreiben lassen. Er hob die Augenbrauen und seine Stirn legte sich in tiefe Falten. Was hatte er damals geträumt? Ein Baumeister? Sollte dies der versprochene Baumeister sein? Ein Bettler?
Papst Innozenz III. hörte Francesco lange und intensiv zu, als dieser von seiner Berufung sprach. Solch eine Inbrunst, solch ein inneres geistiges Feuer, das für den Weg Christi lichterloh brannte, hatte er noch nie gesehen. Er verstand nun den Bericht Colonnas: „Niemand kann sich seiner Rede entziehen. Alles scheint möglich wenn Francesco spricht, selbst das Paradies auf Erden.“
XIX. La Verna
Einst hatte Francesco in der kleinen Stadt Sankt Leo zu allen Bürgern von der Liebe Gottes gepredigt. Ganz hinten in der Menge hatte Graf Orlando Catanio gestanden, seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, denn er wollte endlich einmal den Prediger hören, von dem man so viel erzählte, ohne dabei von den Bürgern der Stadt gleich erkannt zu werden. Der Graf wunderte sich, denn es waren ganz einfache Worte in denen Francesco sprach und doch war es, als wenn diese leise Stimme etwas wie Frieden mitbrachte, die sich auf dem ganzen Platz ausbreitete. In den nächsten Tagen war dieser Eindruck noch ganz gegenwärtig und Graf Orlando merkte, wie er ganz neu über das Leben nachsinnen konnte und seine Diener spürten eine ungewohnte Milde in seinem ganzen Wesen. Francesco hatte von einer inneren freudigen Stille gesprochen, in der erst die Wirklichkeit hinter allem Trubel erfahrbar würde. Graf Orlando spürte die Wahrheit dieser Worte und doch spürte er ganz deutlich, dass der Weg der Armut und der Einsamkeit nicht der seine sein konnte. Alles den Armen zu schenken war für ihn nicht möglich. Zu sehr liebte er die Kunstwerke, die er gesammelt hatte, die ein Vermögen wert waren und um die ihn alle Welt beneidete. Sogar der Papst hätte gerne einige der Stücke am liebsten in seinen Privatgemächern gesehen. Er reiste Francesco nach und beobachtete ihn eine Zeit aus der Ferne. Vieles war Graf Orlando rätselhaft. Wie konnte man für jede Situation dankbar sein und freudig auch Demütigungen annehmen, obwohl jeder doch sehen musste, dass Francesco nie an sich selber dachte und seine Liebe selbst dem größten Grobian schenkte. Gerade zu dieser Zeit ritt mit großem Gefolge ein deutscher König vorbei und alles Volk lief herbei, um das Spektakel zu sehen. Francesco wandte sich nicht einmal um, und widmete seine Zeit einem kranken Kind, das danieder lag und erzählte ihm Geschichten und sang ein Lied nach dem anderen vor. Graf Orlando wartete bis Francesco die kleine Hütte verließ und sprach ihn an. „Ich weiß, das deine Worte wahr sind. Und doch kann ich dir nicht folgen und so leben wie du! Alles wegzugeben Geld, Gut und Titel, das geht über meine Kräfte. Aber ich will dafür sorgen, dass du die Stille, von der du geredet hast, finden kannst. In der Toskana gibt es eine Gegend, die so menschenleer ist, dass manches Tier noch nie einen Menschen gesehen haben mag. Dort gibt es einen Berg „La Verna“ der in meinem Besitz ist. Diesen will ich euch geben. Ihr würdet mir damit eine große Freude machen!“ Francesco spürte, wie sein Herz hüpfte bei dem Gedanken daran, wieder einmal in absoluter Einsamkeit zu beten und Gott nahe zu sein. Er nahm die Einladung an und bedankte sich bei dem Grafen, den er Bruder Berg nannte und machte sich mit dreien seiner Brüder auf den Weg. Der Weg war nicht leicht zu finden. Es gab nicht einmal einen Weg. Doch als sie in eine Gegend kamen, in der man nichts hörte als das sausen des Windes, den Schrei der Vögel hoch oben in den Lüften und das plätschern aus vielen Quellen wussten sie, dass sie am richtigen Ort waren. Sie stiegen den Berg „La Verna“ noch ein wenig weiter hinauf und dann wollte Francesco alleine weitergehen. Er suchte sich einen Felsspalt, der gerade groß genug war und lebte darin in den nächsten Wochen. Alle drei Tage durften die Brüder auf einen flachen Stein unter der winzigen Höhle einen Krug Wasser stellen und einen Brocken Brot dazu legen. Francesco aber bekamen sie niemals zu Gesicht. Nach einer Weile machten sich seine Brüder Sorgen und wollten leise nach Francesco sehen. Als sie genau unter dem Felsspalt standen hörten sie einen Gesang, den sie noch nie zuvor gehört hatten. Da sang jemand aus tiefster Freude und Dankbarkeit und widmete Strophe um Strophe des Liedes der Sonne, dem Feuer, dem Wind und immer wieder seinem Schöpfer. Oft kamen Tiere herbei und hielten sich lange am Rande der Höhle auf, als wenn auch sie dem Gesang zuhörten. Die Brüder wagten kein Geräusch zu machen und kamen in den nächsten Tagen immer wieder und lauschten diesem Liede.
An diesen wunderbaren Ort erinnerte sich Francesco, als er spürte, dass ihm seine Kräfte immer mehr schwanden. Er nannte seinen Leib „Bruder Esel“ und musste diesen immer öfter bitten, nicht so stur zu sein und seine Aufgaben doch zu erfüllen. Trotzdem verließ ihn nach und nach das Augenlicht und so mussten ihn seine Brüder führen, als er den Wunsch hatte „La Verna“ noch einmal zu besuchen. Je weniger Francesco sehen konnte, um so mehr war in seinem Gesicht ein inneres Licht wahrzunehmen, ein Frieden, der alle erfüllte, die ihm begegneten. Als die Menschen erfuhren, dass Francesco durch ihre Gegend kam, liefen sie herbei und baten ihn vom Himmel zu erzählen und zu singen.
Auf dem Berg angekommen, erweiterte Francesco seinen Sonnengesang, wie ihn die Brüder nannten, um einige Strophen, welche die Brüder nun mitsangen und auch aufschrieben. Nur eine einzige Strophe fehlte noch. Und Francesco war bereit auch diese letzte Strophe zu singen.
XX. Sonnengesang und Tod
Die letzte Strophe des Sonnengesangs war geschrieben. Francesco nannte auch den irdischen Tod seinen Bruder und erwartete ihn mit der gleichen Offenheit und Freudigkeit, wie er alles, was ihm in seinem Leben geschehen war, angenommen hatte. Die Brüder wollten ihm gerne die letzte Zeit auf der Erde möglichst angenehm gestalten, doch er wollte gerne noch einmal alles erleben, auch Bruder Kälte, Bruder Regen, Bruder Durst, Bruder Hunger und Bruder Schmerz und bat die Brüder oft, ihn auf die bloße Erde zu legen und ihm die Hände zu verschränken, denn dies konnte er selber nicht mehr tun. Immer wieder ließ er sich den Sonnengesang von Bruder Angelo vorsingen und nickte bei jeder Strophe seine Bekräftigung hinzu.
Unter den Menschen galt Francesco schon seit längerer Zeit als Heiliger und sie meinten in seiner Gegenwart die Anwesenheit der geistigen Welt zu spüren. Niemand ging nach einer Begegnung mit ihm so wie er gewesen war wieder fort und schaute fortan die Welt mit neuen Augen. Und obwohl Francesco niemanden mehr erkennen konnte, kamen Menschen in großen Mengen, nur um die kleine Hütte von weitem sehen zu können, in der er lag. Manchmal ließ er sich heraus tragen und sprach zu den Anwesenden. Auch wenn manchmal mehrere hundert um die Hütte herum standen, war es mucksmäuschen still und oft war nur das Singen der Vögel zu hören. Einträchtig standen Bettler neben reichen Kaufleuten und hier und da waren sogar Priester und Bischöfe zu sehen. Da seine Stimme nicht mehr weit trug und eher ein Flüstern war, wurden seine Worte von einem zum anderen weitergegeben: „Die Liebe zum Himmel ist nicht nur für den Sonntag. Lebt in der Allgegenwart Christi jede Stunde und liebt einander, wie er euch liebt. So wie ihr wisst, dass eine Wolke die Sonne nur kurz verdecken kann, so nehmt alles was zu euch kommt als eures an. Brüder und Schwestern, liebt einander!“ Viele Menschen wollten gerne ein Geschenk da lassen oder etwas spenden, doch keiner der Brüder nahm etwas an und sie gaben stets das Wort von Francesco weiter: „Was ihr dem geringsten eurer Brüder angetan habt, das habt ihr mir getan, so spricht Christus. Gebt denen, die eure Hilfe brauchen.“
Als Francesco spürte, dass er nun die Welt verlassen würde, ließ er sich auf die kühle Erde legen und segnete alle Brüder, die um ihn herum standen.
Die letzten flüsternden Worte konnte niemand mehr verstehen und gingen über in ein Lächeln, das unmittelbar in den Glanz des Himmels hineinschaute.
Übersetzungs-Zusammenstellung von Herrn Bräutigam
Altissimu, omnipotente bon Signore Ad te solo, Altissimu, se konfano Laudato si, mi Signore, Et ellu e bellu e radiante Laudato si, mi Signore, Laudato si, mi Signore, Laudato si, mi Signore, Laudato si, mi Signore, Laudate et benedicete mi signore |
Höchster, allmächtiger, guter Herr, Dir allein, Höchster, gebühren sie Gelobt seist du, mein Herr, Und schön ist er und strahlend Gelobt seist du, mein Herr, Gelobt seist du, mein Herr, Gelobt seist du, mein Herr, Gelobt seist du, mein Herr, Lobt und preist meinen Herrn |
Daten zum Leben von Franz von Assisi
1181 oder 1182 wurde Giovanni in der umbrischen Stadt Assisi am Fuße des Monte Subbasio geboren.
Vater: Pietro di Bernadone
Mutter: Giovanna genannt Pica
1202 beteiligt sich Franziskus an einem Kriegszug gegen Perugia, das zum Machtbereich der Welfen gehörte. (Assisi gehörte zum Machtbereich der Staufer)
Walter III. von Brienne ein Lehensmann des Papstes, unternimmt um dass Jahr 1204 einen Kriegszug nach Apulien in Süditalien um die Vorherrschaft des Papstes gegen die Staufer zu sichern. Francesco will sich an dem Zug beteiligen, kehrt aber auf der Reise um.
Zwischen 1205 und 1205 unternahm er eine Wallfahrt nach Rom, tauscht seine Kleidung gegen ein ärmliches Gewand und versucht zum ersten Mal in Armut zu leben.
1207 vollzieht Franziskus vor dem Bischof Guido II. den endgültigen Bruch mit dem Vater und dessen Ansprüchen an ihn.
Bald danach schließen sich ihm Bernado di Quintavalle und Pietro Catanili an. 1208 übergab ihnen der Abt der Benediktinerabtei am Monte Subbasio das Kirchlein Portiunkula, wo sie sich auch niederlassen.
1209 ging Franziskus mit den ersten 12 Brüdern nach Rom, um vom Papst Innozenz III. die Anerkennung der Gemeinschaft zu erwirken. Diese wurde Sommer / Herbst 1210 mündlich erteilt.
1215 erfolgte die offizielle Anerkennung, wahrscheinlich während des 4. Lateranskonzils.
1219 Missionsreise bis nach Palästina während eines Kreuzzuges.
1220 übertragung der Leitung des Ordens der minderen Brüder an Petrus Catani
1223 schreibt er schon in der Einsiedelei von Fonte Colombo die letzte Ordensregel, die schließlich als gültig erklärt wird.
1224 zieht sich Franziskus in eine Einsiedelei in La Verna zurück,
1226 folgt er der Einladung des Bischofs von Assisi, lässt sich aber wenige Tage vor seinem Tod hinunter zum Kirchlein Portiuncula (Santa Maria degli Angeli) tragen.
1228 Heiligsprechung durch Papst Gregor IX.