grundlegende Motive

Ein Beitrag von Grit Wenzel (Freie Waldorfschule Magdeburg)

Das Wesen der Bienen, ihr Zusammenleben in einer gemeinschaftlichen Ordnung und ihr Wirken an einem Organismus, der ihnen Heimat, Nahrung und Arbeit schenkt, ist ein Wunder, das uns immer wieder in Erstaunen versetzt. Dieses Wunder wollte ich auch meiner zweiten Klasse zum Erlebnis werden lassen. Deshalb hatte ich zum Ende des Schuljahres hin eine Naturkundeepoche geplant.

Diese sollte keine Tierkunde auf rein sachlicher Ebene werden, sondern eine Orientierung in der Umwelt geben, mehr noch ein unbefangenes Eintauchen in die Naturereignisse sein. Zu berücksichtigen war zudem die Wesensart des Kindes im 8. Lebensjahr:

In der zweiten Klasse gestaltet sich das Verhältnis des Kindes zur Umwelt noch recht träumerisch. Das Kind erlebt sich als eins mit der Natur, nimmt sie jedoch schon wacher auf als der Schulanfänger. Die Achtjährigen leben im reinem Einklang mit der Welt und verstehen sich als Bestandteil eines ganzen Organismus. Dadurch erscheint es ihnen wie selbstverständlich, wenn Steine, Pflanzen und Tiere miteinander reden und so ihr Wesen offenbaren. Ein distanziertes Verhältnis zur Welt ist dem Zweitklässler noch fremd. Der Lehrer steht vor der Aufgabe, das Kind allmählich für seine Umgebung aufzuwecken und sie durch fantasievolle Erzählungen ins Bewusstsein zu heben.

Das Gedächtnis nimmt viel auf, wenn der Stoff so dargeboten wird, dass starke Gefühle geweckt werden: Liebe zum Wahren und Guten; Abscheu vor Falschem und Bösen. Auf diese Weise lässt sich vieles einprägen.

Jakob Streit hat es in wundersamer, kindgerechter Weise verstanden, das oben Beschriebene in seiner märchenhaften Erzählung „Kleine Biene Sonnenstrahl" aufzugreifen.

Inhaltlich bin ich beim Erzählen über das Leben der Bienen dem Buch gefolgt. Gemeinsam haben wir eine Reise durch ein ganzes Bienenjahr unternommen und haben unsere kleine Biene Sonnenstrahl von ihrem ersten Lebenstage an begleitet. Wir haben gesehen, wie die Biene heranwächst, welche Aufgaben sie im Verlaufe ihres kurzen Lebens übernimmt und wie dabei ihre Verantwortung wächst. Die Kinder haben erfahren, dass jede Biene je nach ihrem Vermögen wichtig ist, damit das Zusammenleben funktioniert. Jede erfüllt gewissenhaft und fleißig ihre Aufgabe und trägt damit zur Existenz der Gemeinschaft bei.

Zwei grundlegende Motive zeichnen sich hier ab, die sich im zweiten Schuljahr durch die Haupt- und Fachunterrichte ziehen: Zum einen sollen die Kinder genauso fleißig wie die Bienen üben, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten erweitern und vertiefen. Zum anderen ist es ein Bestreben, den Zusammenhalt innerhalb der Klasse weiter anwachsen und zu einem gesunden Organismus reifen zu lassen.

Aus wunderbaren Erzählungen ließ sich viel über das Wesen der Honigsammlerinnen erahnen, die unermüdlich von Blüte zu Blüte flogen und erst ruhten, wenn ihr Tagwerk vollbracht war. An so manchen Stellen ging es auch sehr spannend zu. Nämlich immer dann, wenn unsere kleine Biene Sonnenstrahl ein gewagtes Abenteuer im Wald bestehen oder sich in letzter Minute der überall lauernden Gefahren erwehren musste. Wie haben die Zweitklässler mitgebangt und mitgelitten, wenn die Kälte die Biene überraschte oder Wespen ihnen den Honig streitig machten oder der Bienenschnäpfer Unheil verheißend aus dem Nichts auftauchte! So manches Stöhnen oder Raunen und letztlich Aufatmen ging dann durch die Klasse! Wie beruhigend hingegen wirkten die eingeflochtenen Beschreibungen der Naturabläufe ... Aber es kam mitunter auch eine traurige Stimmung auf: Wenn etwa eine Biene gefressen wurde oder starb. Auch das Abschiednehmen, als der Bienenstock sich teilte, löste einige Emotionen aus. Die Kinder gingen jedoch immer mit der Gewissheit und Zuversicht nach Hause, dass daraus etwas Neues und Gutes entstehen kann.

Was ist in unserer Klasse daraus entstanden?
Ein hoffentlich nachhaltiger Eindruck in unseren Herzen, der durch einen Besuch bei der Imkerin Frau Weingärtner sicherlich noch verstärkt wurde. Ein verständnisvolleres Inkaufnehmen von „fliegenden Gästen" in unserem Klassenraum. Ein liebevoll gestaltetes und bebildertes Epochenheft.

Und was ist aus unserer Biene Sonnenstrahl geworden? Auch darüber haben sich die Kinder Gedanken gemacht, beflügelt von ihrer Fantasie.