Qualitäten der Drei

aus dem Buch „Vom Wesen der Trinität“ von Alfred Schütze (Urachhaus)

In hervorragender Weise tritt einem in diesen Abschnitten die innere Gestalt der Drei vor Augen.

[…] Die Welt weist eine Fülle von Erscheinungen auf, die nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet sind. In der unorganischen und organischen Natur sowie im Leben des Menschen finden sich die verschiedensten Zahlengesetzmäßigkeiten, unter denen die nach der Dreizahl eine hervorragende Stellung einnimmt. Das könnte bloßer Zufall sein. Bei näherer Betrachtung zeigt es sich jedoch, dass die Dreiheit, die sich in den allerverschiedensten Bereichen darbietet, stets drei gleichartige oder ähnliche Wesenszüge aufweist, die auf eine übergeordnete Gesetzmäßigkeit schließen lassen.

Ganz allgemein betrachtet, bedarf es keiner Zahlenmystik, um die besondere Bedeutung der Drei für alles Dasein zu erkennen. Die Zahl Eins mit dem Kreis als reinstem Bildausdruck ist die klarste Manifestation für die vollkommene noch in sich ruhende Einheit. Hier ist Harmonie, Abgeschlossenheit, Vollkommenheit und Übereinstimmung mit sich selbst, aber noch kein Leben, keine Bewegung, kein Werden, keine Entwicklung.

Diese werden erst möglich, wenn Einheit und Harmonie vorübergehend gestört werden und irgendwelche Gegensätzlichkeiten entstehen. Wenn die Eins »entzwei« geht, dann entsteht die Zwei und damit Spannung, Kampf, Entwicklung und Leben. Aber ein bloßer Dualismus, eine ewige Spannung von Polaritäten wäre auf die Dauer sinnlos ohne ein Ziel, ohne einen Ausgleich, der zugleich eine Steigerung in sich beschließt. Und tatsächlich lässt sich beobachten, wie überall, wo Polaritäten einander gegenüberstehen, dieser Ausgleich gesucht und gefunden wird. Damit kommt man zur Drei, die eine neue Harmonie darstellt. Das ist der ewige Weg alles Daseins: Von der Einheit über die Polarität zum neuen Einklang der Dreiheit. Beim Menschen zeigt sich dieses Prinzip am deutlichsten in der Urtatsache von Mann, Frau und Kind. In der unbelebten Natur lebt es sich in einer Fülle von Erscheinungen aus: die Gegensätzlichkeit von Säuren und Basen findet eine Art Aufhebung im Salz, positive und negative Elektrizität in der Erzeugung von Licht und Kraft usw.

Das trinitarische Prinzip tritt aber nicht nur in dieser Form der Steigerung von der Einheit über die Zweiheit zu einem dritten ergebnisartigen Ausgleich auf, sondern auch in einem Nebeneinander oder Ineinander dreier Elemente, die mehr oder weniger zusammengehörig eine höhere Einheit bilden. Solche Dreigliederungen finden sich ebenfalls in allen Daseinsbereichen und lassen die Frage wachwerden, ob hierbei nur eine gleichgültige Zahlenübereinstimmung vorliegt oder ob hinter diesen mannigfachen Dreiheitsordnungen eine ihnen allen gemeinsame höhere Gesetzlichkeit steht.

Die tote Materie hat drei Zustandsformen: den festen, den flüssigen und den gasförmigen Aggregatzustand. Das Feste ist das bis zu einem hohen Grade in sich Ruhende, Unbewegte, Überdauernde. Es ist das Fundament, der tragende Grund, auf dem alles andere ruht. Am klarsten kommt das Charakteristische des festen Aggregatzustandes im Kristall zum Ausdruck, der nach inneren Formgesetzen aufgebaut und gegliedert ist. Seine Kanten und Flächen, die nach mathematisch ausdrückbaren Gesetzen angeordnet sind, bilden einen formenstrengen Körper, der Klarheit, Sicherheit und Beständigkeit zu atmen scheint. Ganz anders das Flüssige. Seine Merkmale sind im Gegensatz zur Statik des Festen: Beweglichkeit, Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit. Das Wasser als Urbild des Flüssigen ist unmittelbarster Ausdruck des Lebendigen, Dynamischen, Schöpferischen. Es bringt die Starrheit des Festen in Bewegung und fügt zum ruhenden Dasein das Werden. Während das Feste und Flüssige einander polar gegenüberstehen, bringt die gasförmige Materie eine ganz neuartige Note mit sich. Das Stoffliche scheint sich zu verflüchtigen und aufzulösen. Die außerordentliche Ausdehnungsfähigkeit der Gase, ihr Bestreben, sich überallhin zu verteilen, ihr fast schwereloses Dasein können wie ein Versuch empfunden werden, mit dem die Materie sich selbst aufheben will. Dafür spricht insbesondere die Tatsache, dass viele Gase unsichtbar sind. Des Weiteren dürfte charakteristisch sein, dass die Materie erst im gasförmigen Zustand riechbar wird und damit gewisse Qualitäten ihres »Inneren« zeigt, die sonst verborgen bleiben.

Eine andere bemerkenswerte Dreiheit lässt sich an der Pflanze ablesen, die sich in der Hauptsache aus den drei Systemen von Wurzel, Blatt (nebst Stengel) und Blüte (nebst Frucht) aufbaut. Diese drei Organgruppen, die alles Wesentliche an der Pflanze ausmachen, sind sehr verschiedenartige Gebilde von ausgeprägter Eigenart und Funktion. Die Wurzel gibt der Pflanze Halt und Festigkeit, Sicherheit und Dauer. Sie ruht in dem sicheren Grund der Erde und vermittelt die notwendige Substanz zur Ernährung. Sie trägt und begründet das Dasein der Pflanze. Indem sie sich in das Mineralisch-Harte hineinsenkt, neigt sie dazu, selber zu verhärten, und weist einen hohen Anteil an mineralischer Substanz auf. - Blatt und Stengel vermitteln den eigentlichen Lebensprozess: den Säftestrom und die »Atmung«. Hier finden die chemischen Umwandlungen statt, hier konzentriert sich das Wässerige. - In der Blüte (und späteren Frucht) vollendet sich die Pflanze. Während die Wurzel dem dunklen Erdreich verhaftet ist, strebt die Blüte dem Licht und der Wärme des Kosmos entgegen und wird selber zu Licht und Farbe. Die einzelnen Pflanzenarten bringen das Besondere ihres Wesens zumeist in der charakteristischen Form und Farbe ihrer Blüten zum Ausdruck, weshalb sie daran oft am leichtesten zu erkennen und zu bestimmen sind. Es ist wie eine Art Wesensoffenbarung, die sich in der Blüte ausspricht, als ob die Pflanze die ihr eingeborene Idee sinnvoll zur Erscheinung bringen möchte.

Als ein weiterer Beleg für das Auftreten von Dreiheitsgliederungen sei die Sprache herangezogen. In ihr finden sich sogar mehrfache Dreierordnungen, von denen hier nur die wichtigste nach Hauptwort, Zeitwort und Eigenschaftswort betrachtet werden soll. Sie sind die wichtigsten Satzbestandteile, denen gegenüber alle anderen von untergeordneter Bedeutung sind. Das Hauptwort stellt das feste Gerüst des Sprachlichen dar; die Grundlage, auf die alle anderen Sprachgebilde bezogen werden. Hauptwörter sind die Bausteine, mit denen das Bauwerk der Sprache errichtet wird. Sie bezeichnen die in sich gegründete Existenz einer Sache, ein Sein, das an und für sich besteht. Die Bezeichnung »Substantiv«, die mit »Substanz« zusammenhängt, drückt deutlich genug aus, dass es sich hierbei um den wesenhaften Kern einer Sache handelt, der das Übrige trägt. Das Zeitwort oder Tätigkeitswort macht überaus anschaulich, dass mit ihm ein Tun, ein Schaffen, ein Werden der in sich beruhenden Welt des Substantivs an die Seite tritt. Das statische Sein des Hauptwortes wird durch die Dynamik des Tätigkeitswortes in lebendige Bewegung gebracht. Die Sphäre des Aktiven, Schöpferischen, Prozessualen ergreift das im Sein beharrende Substantiv. Das Eigenschaftswort bringt als ein drittes Element das Qualitative, Besondere oder Bemerkenswerte zur Geltung. Es wirft seine Glanzlichter auf Substantiv und Verbum, die in einem höheren Licht aufleuchten, das ihnen nicht durch sich selbst zukommt.

Wieder in anderer Weise kommt das trinitarische Prinzip in der Musik zur Geltung. Ihre Grundelemente sind: der Rhythmus, die Harmonie und das Melos. Der Rhythmus stellt gleichsam das feste Gerüst dar, in das das Musikalische eingespannt ist. Es wurzelt in der naturhaften Sphäre und spricht am stärksten zu den unterbewussten Tiefen des menschlichen Wesens. Seine Wirkung erstreckt sich bis in die Region des Gliedmaßensystems, das er in Schritt und Tanz zu den entsprechenden Bewegungen veranlassen kann. Im Rhythmus kommt ein Willenselement zum Ausdruck, das seinerseits wiederum die menschliche Willensnatur zu erregen vermag. Die Pauke und Trommel, insbesondere bei primitiven Völkern, der Jazz, Marschmusik und anderes können am besten veranschaulichen, was gemeint ist. - So dunkel und schwer durchschaubar der Rhythmus ist, so licht und klar ist die Melodie. Sie spricht mit ihrer eindeutigen Linienführung das wache Bewusstsein an, ja, sie appelliert geradezu an das Denken. Will man sich oder einem anderen ohne Instrument ein bestimmtes Musikstück in Erinnerung rufen, so pflegt man sich im Allgemeinen nicht an den Rhythmus, sondern an die Melodie zu halten, weil man durch sie meist am leichtesten das betreffende Stück erkennt. Hat der Rhythmus in sich ein suggestives Element, so lässt die Melodie innerlich frei. Sie verbirgt nichts, sondern zeigt sich unmittelbar in ihrem Wesen. Die Harmonie steht, in dieser Art betrachtet, in der Mitte zwischen Rhythmus und Melos. Sie ist farbiger, vielfältiger, komplizierter als die Melodie, aber nicht naturhaft dunkel und suggestiv wie der Rhythmus. Ihr Wesen wendet sich vornehmlich an die Empfindung. - Man könnte sagen: Die Melodie ist die Gedankenführung, die Harmonie die Gefühlsnuancierung und der Rhythmus die Willenskomponente in der Musik.

Schließlich sei noch auf eine im Menschen vorhandene Dreiheit verschiedenartiger Bereiche hingewiesen: der aus materiellen Stoffen bestehende physische Leib, die in ihm sich abspielenden Lebensprozesse und das, was ganz allgemein genommen als Innenleben (Bewusstsein) bezeichnet wird. Der Körper als räumlich-physisches Gebilde gibt dem Ganzen die Grundlage der Existenz. Er unterliegt den rein irdischen Gesetzen der Statik, der Schwerkraft, der Chemie usw. In den Lebensvorgängen herrscht schöpferische Dynamik, Beweglichkeit und Entwicklung. Während das Physische, das sich am deutlichsten am Leichnam offenbart, den Gesetzen des Raumes unterliegt, verlaufen die Lebensfunktionen in der Zeit. Sie hängen in ihren charakteristischen Rhythmen nicht nur mit der Erde, sondern auch mit dem Kosmos zusammen. Im Innenleben erfährt der Mensch Gedanken, Gefühle, Gewissensregungen, Willensimpulse, Erinnerungen u.a., in denen sich eine Welt eröffnet, die in sich selbst begründet und bestimmt ist und sich über die Sphäre des Physischen und Vitalen erhebt. Es ist die Selbstoffenbarung des Geistes, die sich im Innenleben vollzieht.

Die angeführten Beispiele mögen genügen, um deutlich zu machen, wie auf ganz verschiedenen Gebieten das Prinzip des Trinitarischen in Erscheinung tritt. Es kommt nicht darauf an, allerlei Dreiheitsordnungen in möglichster Reichhaltigkeit aufzuzählen, um durch ihre quantitative Menge zu überzeugen. Dreiheiten aller Art gibt es mancherlei; das könnte zunächst ganz belanglos und gleichgültig sein. Ebenso gut ließen sich Vierheiten oder Siebenheiten zusammenstellen. Das könnte eine bloße Spielerei bleiben oder zu einem leidigen Schematismus führen. Es handelt sich darum, festzustellen, ob sich aus den genannten Beispielen ein übergeordnetes Gesetz ableiten lässt, das ihnen allen zugrunde liegt. Hat man in den skizzierten Beispielen lediglich eine vielleicht zufällige Übereinstimmung zahlenmäßiger Art zu sehen, oder zeigt sich in ihnen, nur jeweils abgewandelt, ein und dieselbe Dreiheit von Wesensverschiedenheiten? Nur wenn die einzelnen Faktoren der auf diesem oder jenem Gebiet anzutreffenden Dreigliederungen einem gemeinsamen Prinzip unterliegen, kann von einer ursächlichen, übergeordneten oder bestimmenden Idee die Rede sein. Die Frage ist also, ob sich etwa in den an sich so ganz verschiedenartigen Entitäten: fester Aggregatzustand, Wurzel, Hauptwort, Rhythmus und physischer Leib, eine gemeinsame Qualität finden lässt; ob die zweite Reihe: flüssiger Aggregatzustand, Blatt, Tätigkeitswort, Harmonie und Lebensfunktionen, auf etwas Gemeinsames zurückzuführen ist; und inwiefern sich zu der dritten Reihe: gasförmiger Zustand, Blüte, Eigenschaftswort, Melodie und Innenleben, eine solche Entsprechung ergibt. Auf den ersten Blick mag es erscheinen, als seien damit völlig zusammenhanglose Aneinanderreihungen gegeben. Bei näherer Betrachtung lässt sich aber unschwer erkennen, dass trotz aller Differenzierung jeder Reihe eine ganz bestimmte Note zukommt. Der Betrachter kann jeweils eine allen Einzelgliedern der betreffenden Gruppe gemeinsame Nuance feststellen, die sich freilich nicht in einen einzigen Begriff pressen lässt, vielmehr erlebnismäßig empfunden werden muss. Die erste Reihe vermittelt ein Erlebnis, das sich umschreiben lässt, indem man etwa die folgenden Begriffe heranzieht: Grundlage, Festigkeit, Sein, Dauer, Sicherheit, Statik, wie sie sich auch bei der Besprechung der einzelnen Gebiete ergaben. An der zweiten Gruppe kann erlebt werden: Bewegung, Dynamik, schöpferisches Werden und Entwicklung. An der dritten zeigt sich, wie die einzelnen Seinsgebiete (Materie, Pflanzenwelt, Sprache, Musik und Menschenwesen) eine Art Gipfelpunkt erreichen, sich verfeinern und verklären, über sich selbst in ein Sinnhaftes hineinzuwachsen und Offenbarungscharakter anzunehmen scheinen, ja, man möchte sagen, wie sie einen Verinnerlichungs- und Vergeistigungsprozess anstreben.

Die drei übergeordneten Prinzipien, die sich zunächst nur andeutungsweise und wie von ferne in den genannten Dreigliederungen ankündigen, mussten vorerst mit einer ganzen Reihe von Ausdrücken umschrieben werden. Es handelt sich dabei aber um drei Grund-Erlebnisse und Ur-Erfahrungen, die nur zumeist nicht genügend beachtet oder allzu abstrakt genommen werden. Die Gesamtheit der menschlichen Erfahrungswelt kann auf diese drei grundlegenden Erlebnisse zurückgeführt werden. Vereinfacht und in der allerdings abstrahierenden Sprache der Begriffe ausgedrückt, handelt es sich um das Erlebnis von Sein, Werden und Wesensoffenbarung. Man ist versucht, diese damit angedeuteten Sphären als die Ur-Kategorien menschlicher Erfahrung anzusprechen. Man kann ihnen überall begegnen. Wie abgewandelt sie sich auch in den Einzelerscheinungen der Welt darbieten mögen, ihre charakteristisch Eigenart wird unverkennbar sein.

Es scheint nur so, als käme man damit in die dünne Luft wirklichkeitsarmer Begriffe, in Wahrheit aber stößt man damit auf den Kern der Welt, der sich in dreifacher Gestalt darbietet. Allen Wesen und Dingen dieser Welt, seien sie belebt, unbelebt, durchseelt oder geistig, denen der Mensch in äußerer oder innerer Erfahrung begegnen kann kommt das Prädikat »es ist« zu. Sie haben ein Sein. Aber es gibt kein Sein für den menschlichen Erfahrungsbereich, das nicht der Veränderung, der Entwicklung, dem Fortschritt oder dem Vergehen unterworfen wäre. Alles Sein wird durch das Werden in Fluss gebracht. Wie immer auch irgendein Seiendes, das im Strome des Werdens dahinfließt, beschaffen sein mag: es strahlt mehr oder weniger deutlich den ihm eingeborenen Sinn, seine Ur-Idee, sein innerstes Wesen aus. Alles Sein und Werden hat Offenbarungscharakter. Letzten Endes ist alles Seiende und Werdende ein Ausdruck geistiger Wesenhaftigkeit, die im Menschen zur Erscheinung kommen will. Das Seiende schafft sich im Werden seine Wesensoffenbarung.

Was sich in diesen drei Grund-Tatsachen von Sein, Werden und Wesensoffenbarung auslebt, ist der innerste Herzschlag der Welt. […]

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