Judenverfolgung
Beginn der Judenverfolgung
Sogleich nach Hitlers Machtantritt im Jahre 1933 begann auch die Verfolgung der Juden. Schrittweise wurden sie aus der Staatsverwaltung und allen geistigen Berufen gedrängt. Das Volk wurde aufgefordert, jüdische Geschäfte zu meiden und den Juden nichts zu verkaufen. Bald hingen an Lebensmittelläden, Gaststätten, Konzertsälen, Theatern, Kinos Schilder, auf denen stand: „Für Juden kein Zutritt“.
Ein 1935 erlassenes „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ schloss die Juden vom deutschen Staatsbürgerrecht aus, verbot Heiraten zwischen Juden und Deutschen und erklärte schon bestehende Mischehen für ungültig.
Die Konzentrationslager
Nach Hitlers Machtergreifung reichten die Gefängnisse nicht mehr aus, die vielen unschuldigen Männer und Frauen zu fassen, die man los sein wollte. Die SA errichtete darum riesige Konzentrationslager, das erste schon im März 1933 mit einem Fassungsvermögen von 5.000 Menschen. Am Ende des Krieges gab es etwa 50 Haupt- und 300 Nebenlager. In stärkster Erinnerung blieben Dachau bei München, Buchenwald bei Erfurt und Auschwitz in Polen.
Die Einweisung in ein KZ-Lager erfolgte durch die politische Polizei ohne jede Gerichtsverhandlung. Eine „Empfangszeremonie“ bestand aus Folterungen durch SS-Leute, die hier ihre „Härte-Ausbildung“ erhielten. Die Wachtmannschaften waren angehalten, die Zahl der Insassen stetig zu vermindern, um für Neuankömmlinge Platz zu gewinnen.
Die Vernichtung der Juden
Anlässlich der „Kristallnacht“ im November 1938 verkündete Propagandaminister Goebbels in einer Berliner Rede, „die Judenfrage“ werde „in kürzester Zeit einer das deutsche Volksempfinden befriedigenden Lösung zugeführt“ werden. Hitler redete deutlicher, indem er für den Kriegsfall „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ ankündigte.
Polen, das erstbesetzte Land, beherbergte etwa drei Millionen Juden. Aber schon im Sommer 1940 meldete Statthalter Frank, das deutschbesetzte Gebiet werde „in absehbarer Zeit judenfrei“ sein. Man sammelte sie in Konzentrationslagern oder pferchte sie in abgesonderte Stadtviertel, umzäunte, ummauerte Gettos. Die kräftigen wurden noch zur Zwangsarbeit eingesetzt; aber auch ihnen war der Tod gewiss.
Der vierzehnjährige jüdische Bauernjunge Ghaim schob einen Brief durch den Stacheldrahtzaun, und ein Bauer hob ihn auf: „Am frühen Morgen treibt man uns in den Wald zur Arbeit. Meine Füße bluten, weil man mir die Schuhe weggenommen hat. Den ganzen Tag arbeiten wir, fast ohne zu essen - bisweilen wirft man uns ein paar rohe Karotten oder eine Runkelrübe zu - und nachts schlafen wir auf der Erde; denn auch die Mäntel hat man uns weggenommen. Jede Nacht kommen betrunkene Soldaten und schlagen uns mit Holzstöcken. Mein Körper ist schwarz von blutunterlaufenen Flecken wie ein angekohltes Stück Holz. Vorgestern sind zwei Buben ausgebrochen. Da hat man uns in eine Reihe gestellt und jeden Fünften erschossen. Ich weiß, dass ich nicht lebend von hier fortkomme.“
Nach der Unterwerfung Polens begann die Gestapo aber auch die Juden aus dem Reich massenhaft in verschlossenen Viehwagen nach dem Osten abzuführen. Und nach Hitlers Siegen im Westen und auf dem Balkan, zu Beginn des Russlandfeldzuges, erhielt Heydrich, Chef des „Zentralamtes für jüdische Auswanderung“, Befehl, „einen Gesamtentwurf zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen“. Das Finanzministerium erließ die Weisung: Das Vermögen der abzuschiebenden Juden wird zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Es verbleiben den Juden 100 RM und 50 kg Gepäck je Person. Die Gestapo sorgt für die Sicherstellung des Vermögens und versiegelt die Wohnungen.
Judenstern
Die Juden mussten jetzt im ganzen Besatzungsgebiet der Nazis einen gelben Stern auf ihre Kleider nähen, und ganz Europa wurde „von Westen nach Osten durchgekämmt“. Adolf Eichmann, Heydrichs rechte Hand, organisierte die Transporte. Der Statthalter in Polen mahnte zur Eile und wies alle Mitleidserwägungen ab: „Wir müssen die Juden vernichten, wo immer wir sie treffen. Mitleid wollen wir grundsätzlich nur mit dem deutschen Volke haben, sonst mit niemandem auf der Welt.“ Und die SS-Horden gehorchten. Die Jagd war ergiebig, auch in Russland. Von allen Seiten wurden Massenmorde gemeldet, z.B. am 31. Juli 1942: „Wir haben in Weißrussland innerhalb von zehn Wochen rund 55.000 Juden liquidiert. Im Gebiet Minsk-Land ist das Judentum völlig ausgemerzt. In Minsk-Stadt sind rund 10.000 Juden liquidiert worden, überwiegend Alte, Frauen und Kinder; der Rest bestand aus nichteinsatzfähigen Juden, die auf Befehl des Führers aus Wien, Brunn, Bremen und Berlin nach Minsk geschickt worden sind.“
Zahl der Opfer
Man nimmt heute an, dass etwa zwei Drittel der sechs Millionen Juden, die der deutschen Judenvernichtung, später Shoah bzw. Holocaust genannt, zum Opfer fielen, in Vernichtungs- und Konzentrationslagern direkt ermordet wurden oder dort an Folgen von systematischer Aushungerung, den Misshandlungen und an unbehandelten Krankheiten gestorben sind. Das verbleibende Drittel starb in - von der SS so genannten - Ghettos, bei Massenerschießungen vor allem durch die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei auf den so genannten Todesmärschen.
Es wurden in den Konzentrationslagern auch viele andere Menschen ermordet, wie politische Gegner, Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, geistig Behinderte und so genannte Asoziale. Die genaue Anzahl der Toten ist bis heute unklar, da die Mörder längst nicht über alle Opfer Akten führten, am Ende des Krieges keine Ermordungen mehr dokumentarisch festgehalten wurden und viele Unterlagen ebenso wie die Zeugen gezielt vernichtet wurden bzw. durch Kriegsereignisse unwiederbringlich verloren gingen.
Neben dieser effizient organisierten Ermordung von Millionen Menschen starben weitere unzählige Opfer durch Zwangsarbeit, Unterernährung, Seuchen und Krankheiten. Weite Zweige der deutschen Industrie profitierten direkt oder indirekt durch das Lagersystem.
Die Nummer, Verlust der Identität
Bei der Aufnahme in ein KZ wurde den Häftlingen nicht nur das Haar und die Privatkleidung genommen, sondern auch der Name. Sie erhielten eine in jedem „Transport" fortlaufende Nummer, die in Auschwitz auch eintätowiert wurde. Damit zählten sie zum Bestand des KZ und konnten „verwaltet" werden. Ab sofort waren sie im Lager nur noch eine Nummer:
„Wenn man es mit einem SS-Mann zu tun hatte, musste man als erstes die Mütze herunterreißen, und seine Nummer laut und deutlich, natürlich auf Deutsch, angeben. Ich beginne zu begreifen, welches Glück im Unglück ich habe, fließend Deutsch zu sprechen. Die meisten griechischen und italienischen Juden verstehen keinen Befehl und können nicht einmal ihre Nummer aussprechen. Natürlich können sie auch keine deutschen Lieder singen, die wir, wie zum Hohn, beim Hin- und Rückmarsch von der Arbeit auch noch zum Besten geben müssen. Das ist ausreichend, um brutal geschlagen, manchmal auch totgeschlagen zu werden." (Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Ölbaum, Augsburg 2003, S. 60)
Zählappelle
Die täglichen Zählappelle vor und nach der Arbeit dienten zunächst der Feststellung der Vollständigkeit der Gefangenen. Durch dieses System wurde ein Vortäuschen der Anwesenheit von fehlenden Häftlingen zum Beispiel durch eine doppelte Meldung erschwert. Fehlten beim Appell Häftlinge, wurde Alarm wegen eines Fluchtversuchs ausgelöst und die äußere Postenkette nach dem Einrücken der Arbeitskommandos zum Beispiel nicht zurückgezogen, um eine weitere Flucht aus diesem gesicherten KZ-Bereich in die Umgebung zu verhindern. Erst bei Vollständigkeit stand nachts die Postenkette nur direkt um den inneren Lagerbereich.
„Um 5.00 Uhr standen wir blockweise - ein Block bestand aus 100 - 150 Häftlingen - auf dem Appellplatz, auf welchem vom Blockältesten die Anzahl der Angetretenen, der Toten, Kranken und nicht mehr Arbeitsfähigen festgestellt wurde. Die Toten wurden auf einer Ecke des Platzes aufgeschichtet. Sie wurden täglich von einem Lastwagen abgeholt und zur Verbrennung in die Krematorien nach Auschwitz-Birkenau gebracht, ebenso auch die meisten nicht mehr arbeitsfähigen Häftlinge. Allein in dem Lager der IG-Farben in Monowitz kamen von 1942 bis 1945 zirka 32.000 Häftlinge zu Tode. Das war die angekündigte Vernichtung durch Arbeit. Danach wurden wir in Arbeitskommandos in einer Größenordnung von 20 - 30, gelegentlich auch von 60 - 80 Häftlingen eingeteilt." (Alex Deutsch: Ich habe Auschwitz überlebt. Homburg 1996, ISBN 3-9801611-3-7)
Beim Aus- bzw. Einmarsch aus dem Lager wurden diese Zahlen an der Torwache wiederholt. Deshalb mussten auch seit dem letzten Appell verstorbene Häftlinge mit zum Appellplatz hingetragen werden. Die Appelle wurden auch als Kollektivstrafe für die Häftlinge eingesetzt.
Medizinische Experimente
An Inhaftierten wurden von Ärzten wie Josef Mengele (Auschwitz) und Robert Ritter (KZ Buchenwald) unter anderem medizinische Experimente vorgenommen, in deren Verlauf die Häftlinge meist qualvoll starben. Sie wurden beispielsweise mit Fleckfieber, Malaria- oder TBC-Erregern infiziert, um Impfstoffe zu testen, ihnen wurden Brandbombenverletzungen zugefügt und an ihnen erfolgten Salzwasserversuche.
Gaskammern
Man kam mit Erschießen aber nicht rasch genug zum Ziel. Da erinnerte man sich an eine Äußerung Hitlers zum Ersten Weltkrieg: „Hätte man damals zwölf- bis fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber unter Giftgas gehalten...“ Ein teuflischer Gedanke! Aber jetzt wurde er Wirklichkeit. Man fing an, die Juden zu vergasen. Zuerst in Gaswagen, die als Wohnwagen getarnt waren. Doch die waren zu klein. In Auschwitz baute man größere Gaskammern, und andere Lager folgten. Und nun wurden Millionen unschuldiger Menschen mit Giftgas umgebracht, nur weil sie Juden waren. Rudolf Höss, während dreieinhalb Jahren Lagerkommandant in Auschwitz, schätzte, „dass mindestens 2.500.000 Opfer dort durch Vergasung hingerichtet wurden; eine weitere halbe Million starb an Hunger und Krankheit“. Genaue Zahlen kennt man nicht, denn die Juden kamen waggonweise an und wurden nicht einzeln registriert.
Ein Augenzeuge berichtet von einer solchen Ankunft in dem kleineren, ebenfalls polnischen Vernichtungslager Belzec: „Um sieben Uhr kam der erste Zug von Lemberg: 45 Waggons mit 6.700 Menschen, von denen 1.450 schon tot waren. Durch die vergitterten Luken schauen Kinder, entsetzlich bleich, die Augen voll Todesangst, auch Männer und Frauen. 200 SS-Männer reißen die Türen auf und peitschen die Leute heraus. Ein Lautsprecher gibt weitere Anweisungen: Sich ganz ausziehen, die Wertsachen am Schalter abgeben, die Schuhe zusammenbinden. Dann die Frauen und Mädchen zum Friseur, der ihre Haare mit zwei, drei Scherenschlägen abschneidet und in Kartoffelsäcken verschwinden lässt. Und jetzt setzt sich der Zug in Bewegung, alle nackt. Männer, Frauen, Kinder, Mütter mit Säuglingen an der Brust - sie kommen die Rampe herauf, zögern, treten ein in die Todeskammern, von den nachfolgenden geschoben und von den Lederpeitschen der SS getrieben. Viele beten. Die Menschen stehen einander auf den Füssen. 700 bis 800 auf 25 Quadratmetern. Die Türen schließen sich.
Anfänglich warf man die Toten in riesige Massengräber. Später baute man gewaltige Öfen, in denen täglich bis zu zweitausend Leichen verbrannt werden konnten. Auschwitz bekam deren vier. Nach Angaben Eichmanns betrug die Zahl der ermordeten Juden — Männer, Frauen und Kinder - etwa sechs Millionen. Eine englischamerikanische Untersuchung nach dem Krieg bestätigte diese Zahl.
Warschauer Getto
Verzweifelt kämpften im Frühling 1943 die letzten 60.000 Insassen des Warschauer Gettos um ihr Leben, nachdem bereits 340.000 verhungert oder zur Vernichtung abgeführt worden waren. Mit wenigen Waffen in Kellern und Kanalschächten verschanzt, setzten sie sich heldenhaft zur Wehr, bis der SS-Kommandant das ganze Quartier in Brand steckte, „um dieses Gesindel und Untermenschentum an die Oberfläche zu zwingen“. Nach vier Wochen wurde gemeldet: „Das ehemalige jüdische Wohnviertel in Warschau besteht nicht mehr. Die Zahl der in diesem Kampf vernichteten Juden beträgt 56.065.“