Ein Poesiealbum für die 8. Klasse
Ein Beitrag von Emma-Allison Fink (Waldorfschule Marburg)
Unsere Klasse hat in den letzten Jahren viele ungewollte Wechsel in der Klassenlehrerschaft erlebt – Krankheit, Schwangerschaft, plötzliche Veränderungen haben ihren Weg mitgestaltet. Ein Thema, was viele Waldorfschulen ungewollt betrifft. Auch wenn wir alle unser Bestes geben, um die Klassen gut gehalten zu wissen, spüren die Kinder diese Brüche. Der Verlust eines vertrauten Menschen wirkt nach, gerade in einer Altersstufe, in der innere Sicherheit und Orientierung so kostbar sind.
Wie könnte ich dem begegnen?
Kreativ, mit einem Anklang von Wehmut, einem Hauch Abschied – und zugleich mit ganz viel Hoffnung und Vorfreude auf das Neue, was da kommen mag: Mit einem selbstgebundenen, selbstgestalteten Poesiealbum. Ein fast vergessenes Schmuckstück vieler Kindheitserinnerungen.
Jede Seite ist ein Geschenk – ob von der besten Freundin oder von jemandem, mit dem man nur selten spricht. Ein Poesiealbum ist anders als ein vorgedrucktes Freundebuch: Es eröffnet Räume für Kreativität, Persönlichkeit, Poesie und echte, leise Wahrhaftigkeit.
Ob ein Lieblingsspruch der Großmutter, ein Gedicht aus dem rhythmischen Teil, ein selbst gemaltes Bild, nostalgisch, avantgardistisch oder progressiv – alles findet darin seinen Platz.
Die Umsetzung
Im Rahmen unserer Stationsarbeit zu Gedichten und Balladen gab es eine Station: „Binde dein eigenes Poesiealbum.“
Die Kinder fertigen dazu ein kleines Heft an – schlicht, aber mit viel Raum für große Inhalte:
- A4-Papier
- buntes Kartonpapier, etwas größer als A4
- eine Ahle oder dicke Nadel
- Faden
- eine Lochkarte für gleichmäßige Abstände —> ich hatte hier Hilfe von den wunderbaren Kollegen aus der Kunstfachschaft, die dort auch mit den älteren Schülern selbst Hefte binden.
Falten – stechen – nähen – fertig.
Seit letzter Woche Montag läuft der kleine Countdown: Bis Weihnachten soll jeder Jugendliche von jedem Klassenkameraden einen Eintrag sammeln.
Das ist sportlich, aber die Freude darüber, einander etwas Bleibendes zu schenken, ist groß, wenn sie denn als solches verstanden wird.
Ich hoffe sehr, dass die Schülerinnen und Schüler den Wert dieser kleinen, liebevoll gestalteten Zeugnisse ihres Werdeganges erkennen – und vielleicht trägt diese Idee ja auch in andere Klassen. Gerade für die 7. und 8. Klasse, in der Poesie innerlich auf besondere Weise anklingt, stelle ich es mir schön vor. Besonders weil der Schritt von der Klassenlehrerzeit in die 9. immer einen Umbruchs- und Abschiedsmoment bedeutet. Allerdings denke ich, dass auch jüngere Kinder Freude an einem solchen Impuls haben könnten. Dann mit einer anderen Qualität.
Zu Beginn habe ich den Kindern mein eigenes Poesiealbum mitgebracht; wer wollte, durfte sogar die Einträge lesen. Für sie war es etwas Besonderes, einen wohlüberlegten, persönlichen Einblick zu bekommen – und nun wissen sie auch, was meine Oma mir einst hineinschrieb. ?
