Schalen schnitzen
Ein Beitrag von Gamal Ragab, die Bilder von Andreas Ardler (Freie Waldorfschule Bremen Touler Straße)
Wir haben nach den Sommerferien mit dem Herstellen einer Schale aus Lindenholz begonnen. Jeder erhielt einen ordentlichen Klotz aus einer 10 cm dicken und unbesäumten Bohle. Zur Auswahl gab es verschiedene Größen mit oder ohne Rinde, einige aus einem Seitenbrett des Baumes mit einer entsprechenden Schräge und andere mit kubischer Form. Zu Beginn stand die „geistige" Auseinandersetzung mit der bevorstehenden Aufgabe. Das Holz wurde skizziert und verschiedene Formen wurden zeichnerisch ausprobiert. Schnell zeigte sich, dass eine schlichte Schale in der Form eines Ovals für die meisten nicht in Frage kommen konnte. Etwas Individuelles, Kreatives, wenn nicht gar Spektakuläres musste es zumindest sein. Eine typische „Waldorfschale" mit „ab'n Kanten" schien unvorstellbar.
Wir sprachen über die Eigenarten des Holzes, dessen Wuchsrichtung und Faserverlauf und passten die gewählte Form dem vorhandenen Holzblock an. Schon in dieser Phase der Arbeiten zeigte sich, wie unterschiedlich die Jugendlichen an die Aufgabe herangingen. Es gab einige, die skizzierten diverse verschiedene Formen und suchten nach einer für sie perfekten Lösung, andere hatten im Eiltempo eine Raute auf das Holz gezeichnet und den Klöpfel schon zum ersten Schlag erhoben. Die einen schauten ganz genau hin und rangen der Linde ihr Potential ab, während andere sie im (Über-)Eifer in die Knie zu zwingen versuchten. Doch alle widmeten sich auf ihre Art der Herausforderung, dem Ausarbeiten des Inneren der Schale. Mit Hammer und Hohleisen kann dies eine mitunter mühselige Arbeit sein. Die groben Schläge gelingen meist, doch bergen sie auch Gefahren. Das keilförmige Werkzeug treibt sich tief, manchmal zu tief in das Holz. Und es hinterlässt Spuren, die später eine neue Herausforderung darstellen würden. Oder es spaltet ganze Teile des Objekts ab. Erst ein kleiner Riss und, wenn man nicht aufpasst, fehlt schnell ein großes Stück. Dem Jugendlichen wird an dieser Stelle bewusst, dass er seinem Gegenüber nicht ungestraft seinen eigenen Willen überstülpen darf. Auch wenn es nur ein Stück Holz ist, scheint dies zu sagen: „Schau mich an, ich bin nicht Dein Feind, also behandele mich auch nicht so."
Ist diese Hürde erst einmal genommen, haben sich viele mit wirklicher Hingabe der Ausarbeitung der Schaleninnenwand gewidmet. Soll sie makellos und ohne Asymmetrien sein, wird jede geschnittene Faser nachbearbeitet, jeder Schleifgang mit Akribie vollendet: 40er, 60er, 80er, 100er, 120er, 180er ... haben wir noch feineres Schleifpapier?! Stunde um Stunde, der Weg scheint das Ziel. Das Ziel ist die Belohnung, wenn man zum Schluss über das Holz streich(el)t und das Gefühl hat, es könnte auch umgekehrt sein.
Genauso aufwändig ist die geschnitzte Oberfläche herzustellen. Sie kann auf ihre Art gleichmäßig und nicht minder makellos erscheinen, wenn jeder Stich mit dem gekröpften Hohleisen fühlend gewollt und sinnig geführt wurde. Hier muss jeder Handgriff sitzen, ausnahmslos. Eine konvexe Form bietet da durchaus Tücken im Übergang von Faserverläufen. Diesen Punkt gilt es zu erspüren und sich ihm von beiden Seiten zu nähern. Mit scharfer Klinge und gebändigter Kraft. So entstanden kleine Kunstwerke, die über die Monate mit ihren Schöpfern auf eine bemerkenswerte Art zusammen wuchsen, um dann mit ihnen zusammenzuwachsen. Im Gespräch fanden wir manche Parallele zwischen den Jugendlichen und ihrem Werkstück, sowohl in der inneren als auch in der äußeren Form. Sie haben mit Überraschung feststellen können, dass eine Arbeit, die „getan" wird, auch gewollt werden muss, damit sie gelingt. Und wenn man sich auf das Abenteuer einlässt, hält man zum Schluss etwas in der Hand, das viel von einem selbst erzählt.