Alles oder nichts: Die Schlacht bei Alesia

Als die gallischen Stämme unter der Führung des Vercingetorix sich in einem allgemeinen Aufstand erhoben, eilte Cäsar mit seinem Heer nach Süden, um die narbonensische Provinz und Italien zu decken.

 

Der römische Schriftsteller Plutarch berichtet:

Der Krieg, auf den er sein ganzes politisches Schicksal gesetzt hatte, endete in einem übereilten Rückzug; das Werk, an dem er sieben Jahre gearbeitet hatte und das ihn neben Lucullus und Pompeius stellen sollte, war vernichtet. Diese 30.000 Mann, die in stumpfer Resignation ihren Führern folgten, mit einem langen Gefolge von Maul­eseln, Kriegsmaschinen, Gepäck, Sklaven, den Resten der Beute, den dem Gemetzel entronnenen italischen Kaufleuten, kurz allem, was von Menschen und Gegenständen noch Italisches im Lande vorhanden war, das man schon für erobert gehalten hatte, dieser ganze Zug schien das Ende der römischen Herrschaft jenseits der Alpen und den Zusammenbruch der neuen Eroberungspolitik zu bedeuten, in der Cäsar Lucullus hatte nachfolgen und sogar überflügeln wollen. Es ist schwer, seine Marschroute genau festzustellen...

Gewiss ist, dass er am Morgen des vierten Marschtages plötzlich von Vercingetorix angegriffen wurde und eine reguläre Schlacht liefern musste... Vercingetorix wusste vielleicht nicht, dass Cäsar von der andern Seite des Rheins eine neue Reiterei geworben hatte, und anstatt wenig zahlreicher und schwacher römischer turmae fand er sich starken germanischen Geschwadern gegenüber. Der Kampf zwi­schen den beiden Reitermassen war heftig, aber kurz, denn Cäsars Germanen schlugen, von den Legionen unterstützt, die Gallier sehr bald in die Flucht und töteten eine große Anzahl. Jedenfalls hatte diese keineswegs besonders blutige Schlacht bedeuten­de Folgen, die man nur bei der Annahme verstehen kann, dass es der gallischen Armee gänzlich an Organisation und Ausdauer gefehlt und Cäsar die Gefahr überschätzt habe. In der Tat zog sich Vercingetorix unmittelbar nach der Schlacht mit seinen Truppen auf Alesia zurück. Cäsar aber erkannte sofort, dass dieser Rückzug in eine Festung eine tiefe Mutlosigkeit des Heeres bedeute; er änderte daher seinen Plan und entschloss sich, anstatt seine eigene Rückzugsbewegung in die Provinz fortzusetzen, zur Offen­sive überzugehen und einen Hauptstreich zu wagen. Hatte er Glück, so war der Krieg beendet und sein Ansehen in Rom wiederhergestellt; würde er besiegt, so ging er hier mit seinem Heer zugrunde und nahm nur in Gallien sein Schicksal voraus, das ihn unfehlbar in der Provinz traf, wenn er mit seinen besiegten Legionen dorthin zurückkehrte. So machte er sich am nächsten Tage an die Verfolgung des gallischen Heeres, und als er, vor Alesia angelangt, den Felsen sah, auf dem sich die Zitadelle erhob, zögerte er keinen Augenblick, in feindlichem Lande und ohne gesicherte Zu­fuhr mit seinen 30.000 Mann einen Feind zu belagern, dessen Kräfte ebenso stark oder stärker waren. Dabei musste er der Angriffe der nach dem narbonensischen Gallien aufgebrochenen feindlichen Heere gewärtig sein, wenn sie den Belagerten zu Hilfe kamen, ja er wollte es, wo nötig, unter den Mauern Alesias mit dem gesamten auf­rührerischen Gallien aufnehmen. Das hieß allerdings alles auf eine Karte setzen! Aber dieser Mann, durch den sich Europas Geschick erfüllte, war jetzt entschlossen, alles zu wagen. Seine Legionssoldaten nahmen ihre Hacken und Schaufeln vom Rücken der Saumtiere und fingen von neuem an, die Erde zu bearbeiten, um die Stadt mit Laufgräben und Wällen einzuschließen.

Zuerst versuchte Vercingetorix, die Schanzarbeiten der Römer durch Reiterangriffe zu hemmen, aber bald sah er ein, dass er sie wohl verzögern, aber ihre Ausführung nicht hindern könne. Was tun? Einen Ausfall zu versuchen und in einer regulären Schlacht alles aufs Spiel zu setzen, war zu gefährlich, aber sich einschließen lassen, war Selbstmord. In einem Kriegsrat kam man nach lebhaften Verhandlungen zu dem Entschluss, die Reiterei vor Vollendung der Zernierungslinien diese durchbrechen zu lassen, dann die verschiedenen keltischen Völkerschaften um Hilfe zu bitten und das ganze Gallien unter die Waffen zu rufen. Zweihundertfünfzigtausend Mann sollten zu­sammenkommen und sich auf die römischen Laufgräben werfen! Wirklich machte in einer Nacht die gesamte gallische Reiterei in aller Stille einen Ausfall, täuschte glück­lich die römischen Schildwachen, gelangte durch die noch unvollendeten Belagerungswerke und verschwand in zahlreichen Trupps nach allen vier Windrichtungen. Der erste Teil des Planes war geglückt. Was würde nun, fragte man sich, in Gallien ge­schehen? Würde das ganze Land dem Aufruf der Belagerten von Alesia, der vor­nehmsten Verteidiger seiner Freiheit, Folge leisten? Würde man auf allen Wegen in den großen Druidenwäldern und den menschenleeren Sümpfen von Ort zu Ort die Feuer entzünden, um allen Stämmen die Gefahr zu künden und sie zur Hilfe zu rufen? Würden die Boten des Aufruhrs bis in die letzten Bergdörfer dringen und ver­künden, das gallische Vaterland heische ein höchstes, blutiges Opfer? Und würde diese gewaltige Woge von Bewaffneten heranbranden gegen die Klippe von Alesia? Auf diese bangen Fragen vermochte Cäsar keine Antwort zu geben. Aber zurück konnte er nicht mehr. Für ihn war es unmöglich, wie es Lucullus unter den Mauern von Tigranocerta getan hatte, einen Teil seiner dreißigtausend Soldaten zur Fortsetzung der Belagerung zurückzulassen und mit dem Rest gegen das Entsatzheer zu marschieren, weil seine Armee zu klein war und bei einer Teilung jedem der beiden Heerkörper die Vernichtung drohte; ebenso wenig konnte er sich aber von einem großen Heer unter den Mauern von Alesia angreifen lassen. Er befand sich also wieder in einer sehr kritischen Lage. Da fasste und vollführte dieser Mann, aus dessen erfinderischem Geist seit sieben Monaten die rettenden Gedanken wie eine mächtige Quelle aus einer zu engen Fassung hervorsprudelten, ohne einen Moment des Besinnens und mit unerhörter Schnelligkeit eine der außerordentlichsten und großartigsten Ideen in der Kriegsgeschichte des Altertums. Er schloss sich seinerseits ebenfalls in eine große improvisierte Festung ein. Er stellte nach der Ebene zu eine zweite Umwallung mit Türmen und Wachtposten her, so dass zwischen dieser Zernierung und der um die Stadt ein breiter Gürtel blieb. Zwischen den beiden Schanzlinien sollte sein Heer wie in einer langgedehnten Festung den Kampf mit zwei Fronten aufnehmen, dem dop­pelten Ansturm der belagerten Alesianer und der erwarteten 200.000 gallischen Frei­heitskämpfer Widerstand leisten. Aber konnte man darauf rechnen, dass die Soldaten noch zur rechten Zeit mit den ungeheuren Grabarbeiten fertig würden, die, wie man berechnet hat, ein Ausschachten von 2.000.000 Kubikmeter Erde nötig machten? Lief Cäsar nicht Gefahr, seinerseits von dem Hilfsheer... ausgehungert zu werden? Die Lage war schrecklich. Obwohl der Feind noch fern war und die Remer und Lingonen Hilfe leisteten, war die Verpflegung der Armee jetzt schon schwierig. Wie sollte das werden, wenn eine ungeheure Menge Bewaffneter das ganze Land besetzte und alle Straßen schloss? Aber durch diese Erwägungen unbeirrt, lenkte Cäsar von Morgen bis Abend zusammen mit Mamurra, Antonius, Labienus, Decimus Brutus... die Riesenarbeit und wusste seinen Soldaten denselben glutvollen Eifer, der ihn beseelte, einzuflößen. Er studierte die Werke über die Belagerungskunst, er beriet sich mit Mamurra und den orientalischen Sklaven, die in militärischen Arbeiten am geschick­testen waren, er ließ sie Pläne entwerfen und verteilte sie an seine in Ingenieure ver­wandelten Zenturionen. Überall her ließ er Holz und Eisen holen, während 9.000 Sol­daten unablässig arbeiteten, die Erde aufhäuften, weiter in der Ebene Löcher machten, eiserne Haken und spitze Pfähle hineinrammten und dann mit Reisern und Gras zudeckten, um so furchtbare Fallen zu legen.

So gingen Wochen dahin. Inzwischen hob man in den Dörfern Galliens die jungen Leute aus, sammelte die Kontingente, schmiedete Waffen, zog die Lasttiere aus den Ställen und belud sie mit Getreide; auf allen Straßen trafen junge Leute und Züge von Lasttieren auf dem Wege zu den bestimmten Sammelpunkten aufeinander. Von hier sollten sie sich sämtlich nach Bibracte begeben, wo die Vornehmsten aus den Haupt­staaten Galliens schon zur Wahl des Oberfeldherrn und zur Beratung des Kriegs­planes zusammengetreten waren. Indessen lag die weite Ebene um Alesia in düsterer Ruhe. Nur unbestimmte Kunde von einem Entsatzheer drang zu Cäsar, und von den Mauerzinnen Alesias befragten die Späher des Vercingetorix vergebens den Horizont.

Bald hielt der Hunger seinen Einzug in Alesia, und es kam der Tag, wo Vercingetorix, nachdem er jedem eine Ration gewährt hatte, sich der unnützen Mäuler entledigen und die ganze nicht waffentragende Bevölkerung vor die Mauern, in den Raum zwischen diesen und dem inneren Laufgraben der Römer hinausschicken musste. Er hoffte, Cäsar würde sie aufgreifen lassen, um sie als Sklaven zu verkaufen, und sie würden so dem Tode entgehen. Aber Cäsar hatte kein Brot für seine eigenen Soldaten. Vergebens boten die ausgestoßenen Greise, Frauen und Kinder, den Unbil­den des Wetters und dem Hunger ausgesetzt, ihre Arme den Ketten dar und flehten die Römer um Brot an. Tag für Tag konnten die belagerten Alesianer und die römi­schen Belagerer Greise, Frauen und Kinder an Gräsern kauen sehen und ihr Jammer­geschrei hören, bis sie endlich erschöpft zusammenbrachen. Der Raum zwischen den Laufgräben und dem Hügel wurde zu einer Stätte des Todes, zu einem Friedhof, wo die schon dem Tode Geweihten zu Skeletten abgemagert waren. Aber das herzzer­reißende Geschrei dieser dem Hungertode verfallenen Unglücklichen bewegte weder die Herzen der Römer noch die der Gallier, welche die eigene Gefahr, das Gespenst des Hungers und die bis zum Wahnsinn gesteigerte Spannung des Kampfes Mann gegen Mann verhärtet hatte.

Wenn zwischen den Mauern der Stadt und den Laufgräben der Hungertod wütete, so sah auch die Garnison der Stadt den Tag nahen, wo ihr der letzte Bissen gereicht wurde, und mussten auch die Römer mit leerem Magen an den Schanzwerken arbeiten. Wenn jetzt anstatt der Aushebung eines riesigen Ent­satzheeres zahlreiche Kriegerscharen alles in der Runde verwüstet und die Lebens­mittelzüge der Lingonen und Remer abgefangen hätten, so wäre vielleicht das Heer des Vercingetorix und die Bevölkerung der Umgegend vor Hunger umgekommen, aber sie wären wenigstens mit dem Bewusstsein hinübergegangen, die 30.000 Römer, die um den Felsen von Alesia lagerten, gleichfalls als Opfer des Hungers und der Entbeh­rungen mit sich ins Verderben zu ziehen.

Anstatt dessen sollte Cäsar noch einmal das Schlachtenglück retten. Eine sehr zahl­reiche gallische Armee, wenn sie auch weniger als 250.000 Mann zählte, eilte Alesia zu Hilfe. Aber es war nur eine ungeheure Masse, die man in der Eile aus allen Bevölke­rungsschichten zusammengelesen hatte und die unter der Anführung von Feld­herrn. .. stand, die sich, wie es scheint, nicht im besten Einvernehmen befanden. ... Cäsar musste belagert werden, so dass er sich, wollte er nicht vor Hunger umkom­men, mit Gewalt einen Weg öffnen musste. Statt dessen trieb das mangelnde Einver­ständnis unter den Führern, der geringe innere Zusammenhalt und der eilige Drang, Vercingetorix zu retten, zu wiederholten Sturmversuchen auf die römischen Lauf­gräben, während diese von Vercingetorix auf der anderen Seite angegriffen wurden. Diese Stürme dauerten sieben Tage, aber es gelang den Galliern nicht, den mächtigen Erd- und Menschenwall, den Cäsars Genie in einem einzigen Monat errichtet hatte, zu durchbrechen ... Diese unnützen und verlustreichen Versuche erschöpften und entmutigten das Entsatzheer, das seiner Zusammensetzung nach rasch siegen musste oder der Auflösung verfallen war. In der Tat löste es sich, ohne den eisernen Ring von Alesia gebrochen zu haben, bald auf und ließ zahlreiche Gefangene in den Händen der Römer.

So war die gewaltige Macht wie ein Traum oder Spuk im Augenblick verweht. Endlich ergaben sich denn auch die Verteidiger nach unsäglichen Leiden und Mühen, die sie selbst wie Cäsar hatten tragen müssen. Vercingetorix, der große Führer dieses Krieges, legte seine glänzendsten Waffen an und begab sich auf prächtig geschmücktem Pferd zum Tor aus der Stadt hinaus. Im römischen Lager ritt er einmal um das Tribunal herum, auf dem Cäsar thronte, dann sprang er vom Pferd, warf die Rüstung ab und setzte sich zu Cäsars Füßen. Dort wartete er schweigend, bis man ihn fortführte, um ihn für den Triumph in Haft zu halten.