Enttäuschte Juden und die Begeisterung der Urchristen

Ein Text von Jara Schmitt

Um den Schülerinnen und Schülern im Unterricht die Andersartigkeit und das wirklich Neue in der Botschaft Jesu begreiflich machen zu können, muss man die Erwartungen verstehen, in denen die Juden damals lebten.

Die Juden zur Zeit Jesu Christi warteten auf den Erlöser, den Messias. Durch ihn erhofften sie das Reich Gottes auf Erden. Darunter verstanden sie u.a., dass das Joch der römischen Herrschaft abgeworfen werden würde.

Als Jesus Christus am Palmsonntag in Jerusalem auf einem Esel reitend einzog, jubelte das jüdische Volk ihm zu und streute Palmzweige auf den Weg. Der Esel war ein Reittier der Armen, ein Gegenbild zu den Kriegswagen der Mächtigen. Palmen wurden vielerorts als heilige Bäume verehrt und zum Zeichen des Königtums vor Jesus niedergelegt.

Aber zur größten Enttäuschung und Verbitterung der Juden warf Jesus die römische Herrschaft nicht nieder. Stattdessen ließ er sich ohne Gegenwehr gefangen nehmen. Die Bibel schildert den Hergang folgendermaßen: „Der ihn aber verriet, hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt: Der, den ich küssen werde, der ist’s, den ergreift! Und sogleich trat er zu Jesus und sprach: Sei gegrüßt, Rabbi, und küsste ihn. Jesus aber sprach zu ihm: Freund, wozu bist du hier? Da traten sie hinzu, legten Hand an Jesus und nahmen ihn fest. Und siehe, einer von denen, die bei Jesus waren, streckte die Hand aus, zog sein Schwert, schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm ein Ohr ab. Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Platz! Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen! Oder meinst du, ich könnte nicht jetzt meinen Vater bitten, und er würde mir mehr als zwölf Legionen Engel schicken? (Matthäus 26,48-54)

Als das jüdische Volk von der Gefangennahme erfuhr, war es von Jesus bitter enttäuscht. All ihre Hoffnungen auf den Erlöser schlugen ins Gegenteil um. Aus dem Jubel am Palmsonntag wurde Hass am Gründonnerstag. Pontius Pilatus, der von 26 bis 36 n. Chr. Statthalter des römischen Kaisers Tiberius in der Provinz Judäa war, bot dem Volk an, Jesus zu begnadigen. Aber die Juden schrien Pilatus voller Zorn entgegen: „Kreuziget ihn, kreuziget ihn!“

Was war hier passiert? Jesus verhielt sich ganz anders, als die Juden es von ihm erwarteten. Die Juden stellten sich ihren Gott mächtig und durchsetzungsstark vor, um das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen. Ihr Gott würde jetzt handeln, die Römer vertreiben und die göttliche Ordnung wiederherstellen. Von dieser Macht zeigte Jesus jedoch rein gar nichts. Stattdessen ließ er sich gefangen nehmen, geißeln, eine Dornenkrone aufsetzen und vor aller Augen ans Kreuz schlagen. Die Juden höhnten: Das sollte Gottes Sohn sein? Nein, meinten sie und wendeten sich verbittert ab. Sie konnten im Handeln Jesu nur Schwäche entdecken.

Die ersten Christen sahen darin hingegen eine innere Stärke. Die Kernbotschaft von Jesus war Liebe, allerdings auf einer bislang nicht gekannten Stufe. Wie macht man aus einem Feind einen Freund? Man kann den Feind bezwingen, ihn niederringen und fesseln. Aber was geschieht, wenn der Feind die Möglichkeit sieht, sich zu befreien? Freiheit entsteht letztendlich nur durch Liebe und Liebe ist immer ein Geben ohne Gegenleistung. Daher sagte Jesus in seiner Bergpredigt: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen …“ (Matthäus 5.43)

Jesus durchbrach damit ein tief im Menschen verankertes fast mechanische Prinzip, das uns auf Sympathie mit Sympathie und auf Antipathie mit Antipathie reagieren lässt. Erst wenn man diesen Mechanismus durchbricht, entsteht innere Freiheit bzw. Liebe. Zahlreiche Menschen wollten Jesus nach dessen Tod auf diesem Weg nachfolgen, indem sie mit den Armen teilten, den Schwachen halfen, die Verfolgten schützten. Das Schwierigste war und ist wohl, den „Sündern“ zu vergeben.

Für diese Botschaft der Liebe und der inneren Freiheit begeisterten sich die Urchristen so stark, dass manch einer bereit war, dafür den Märtyrertod zu sterben. Sie erkannten, dass innere Freiheit und Liebe stärker waren als jede Form der Waffengewalt. Sogleich wird der wohl wichtigste Grund der Christenverfolgung erkennbar: In dem Maße, wie man seine Freiheits- und Liebefähigkeit entwickelt, wird man aus Sicht der Herrschenden unberechenbar. Unterdrückungsmechanismen wie Angst und Gewalt funktionieren dann nicht mehr.

Aus der Begeisterung für die Botschaft Jesu bildeten sich nach dessen Tod viele kleine christliche Gemeinden, die rege miteinander in Kontakt standen. Der Keim des sich nun ausbreitenden Christentums war gelegt.