Julius Caesar aus dem „Gallischen Krieg“

„De bello gallico“, 6. Buch

[....] Da wir einmal so weit gekommen sind, so scheint es hier die passende Stelle zu sein, von den Sitten der Gallier und Germanen zu handeln, und worin diese beiden Nationen sich voneinander unterscheiden. [....] Zwischen diesen Gebräuchen und den germanischen besteht ein großer Unterschied; denn bei den Germanen findet man weder Druiden, die den Gottesdienst versehen, noch geben sie sich viel mit Opfern ab. Sie haben nur solche Gottheiten, die man sieht und von denen man augenscheinliche Vorteile hat, (zum Beispiel) die Sonne, das Feuer und den Mond. Die übrigen Gottheiten sind ihnen nicht einmal vom Hörensagen bekannt. Ihr ganzes Leben ist zwischen Jagd und Kriegsübungen geteilt. Von Jugend auf gewöhnen sie sich an Strapazen und sind auf Abhärtung bedacht. Ein vorzügliches Lob bei ihnen ist, lange unverheiratet zu bleiben; denn nach ihrer Meinung trägt lange Enthaltsamkeit vieles zur Größe, zur Stärke und zur Festigkeit der Muskeln bei. Man hält es für die größte Schande, wenn jemand vor dem zwanzigsten Jahr Umgang mit einem Weibe hat, obschon übrigens, was die Verschiedenheit des Geschlechtes angeht, gar kein Geheimnis gemacht wird; denn Jünglinge und Mädchen baden gemeinsam in den Flüssen und tragen als Kleidung nur Felle und kleine Pelzüberwürfe, die den größten Teil des Körpers nackt lassen.

Ackerbau betreiben sie nicht viel, ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Milch, Käse und Fleisch. Niemand besitzt ein bestimmtes Ackerland oder eigenen Grund, sondern die Obrigkeit und die Fürsten weisen jährlich den Stämmen, den Sippen und denen, die sich sonst miteinander verbunden haben, Feld zu, soviel und wo es ihnen gefällt, und zwingen sie, das Jahr darauf anderswohin zu ziehen. Sie geben hierfür verschiedene Gründe an, nämlich: damit man nicht aus Liebe zum gewohnten Aufenthalt statt der Kriegsübungen nur noch Feldbau betreibe; damit man nicht nach dem Erwerb großer Ländereien trachte und nicht die Mächtigeren die Ärmeren aus ihrem Besitz vertrieben; damit man nicht zu sorgfältig baue, um Kälte und Hitze zu meiden; damit keine Begierde nach Reichtümern entstehe, woraus Parteiungen und Zwistigkeiten hervorgehen; damit man den gemeinen Mann bei guter Laune erhalte, wenn ein jeder sähe, er habe ebensoviel Güter wie die Mächtigsten.

Den Staaten wird es zum höchsten Ruhm angerechnet, wenn alles weit und breit um sie herum verwüstet ist. Sie sehen es als ein Merkmal der Tapferkeit an, wenn man die Nachbarn vertreibt, so dass sie das angrenzende Gebiet räumen und niemand sich getraut, in der Nähe zu wohnen. Zugleich glauben sie, man sei dadurch besser gesichert, weil man keinen unvermuteten Überfall zu befürchten habe. Wenn ein Staat Krieg anfängt oder sich zur Gegenwehr rüstet, werden Obrigkeiten gewählt, die das Kommando führen und Gewalt über Leben und Tod haben. In Friedenszeiten gibt es keine gemeinsame Regierung, sondern die Vornehmsten in den Provinzen und Gauen versehen bei ihren Leuten die Rechtssprechung und schlichten die Streitigkeiten. Raubzüge außerhalb der eigenen Grenzen haben bei ihnen gar nichts Anstößiges; sie erklären, dies sei ein Mittel, die jungen Leute zu üben und vor dem Faulenzen zu bewahren. Sagt ein vornehmer Germane in der Volksversammlung, er habe einen solchen Raubzug vor, wer teilnehmen wolle, möge sich melden, so stehen alle auf, denen das Unternehmen und der Anführer gefällt, und versichern ihn ihres Beistandes; worauf sie von Seiten des versammelten Volkes Beifall erhalten. Wenn dann einer (gegen sein gegebenes Wort) den Zug nicht mitmacht, so betrachtet man ihn als einen Ausreißer und Verräter; in keinem Stücke findet er in der Folge mehr Glauben. Fremde darf man bei ihnen nicht misshandeln; aus welchem Anlass auch immer man zu ihnen kommt, man ist vor allem Unrecht geschützt und gilt als unverletzlich. Ein jedes Haus steht einem offen und ein freier Tisch zu Diensten.