Die Mongolen - Dschingis-Khan
aus dem „Studienmaterial zur Geschichte des Abendlandes“ (Band: Mittelalter) von Karl Heyer
[…] Wie Attila einst seinen Völkern als Himmelssohn gegolten hatte und wie - aus der gleichen nachwirkenden alt-atlantischen Gesinnung und Welteinstellung heraus - der chinesische Kaiser als der Sohn des Himmels verehrt wurde, so wusste sich auch Dschingis-Khan unter dem Schutze und als Werkzeug des «Ewigen blauen Himmels». Dieser «Ewige blaue Himmel» ist wohl nichts anderes als eine Repräsentanz des «Großen Geistes», und an Attila knüpfte Dschinges-Khan bewusst an; er nannte Attila seinen Ahnen, machte ihn gleichsam zum Kronzeugen der Legitimität seiner eigenen Herrschaftsansprüche. Temudschin, wie der Dschingis-Khan bisher geheißen hatte, berief im Jahre 1206 einen großen Reichstag aller ihm verbündeten oder ihm unterworfenen Stämme ein. Dort verkündete der Schamane Göktschu-Teb-Tengri (Göktschu der Vertraute des Himmels), dass der «Ewige blaue Himmel» ihm jetzt befohlen habe, dem Volk der Mongolen zu sagen, dass Temudschin auserwählt sei, über alle Völker zu herrschen und den Namen Dschingis-Khan zu tragen. Und so wird er zum Dschingis-Khan ausgerufen, zum Herrn der Welt, zu dem «vom Geiste des Lichts begnadeten Herrscher». […] Dschingis-Khan kündigt nun an, er werde die Mongolen zur Weltherrschaft führen. Und er verleiht seinem Volk oder seinen Stämmen den Namen Kökö-Mongol («Himmelblaue» Mongolen), ein Ehrenname, der den Nationalstolz seiner Völker erweckt. Alle Völker, «die in Filzhütten leben», fühlen sich emporgehoben und nennen sich fortan, welchem Stamm sie auch angehören, «Mongolen». Dschingis-Khan aber, in allem, was er unternimmt, «tut die Befehle des Himmels kund». Im Auftrag des «Ewigen blauen Himmels» schreitet er zur Welteroberung.
Dass diese Mongolen alt-atlantisches Wesen nachleben, tritt auch besonders deutlich an der Art zutage, wie sie individualitätslos, in einem rein kollektiven Bewusstsein leben, ganz und gar eingeschlossen in die Bande des Blutes: der Familie, der Sippe, des Stammes. Es ist das gleiche «Kompakte» des Zusammenlebens, von dem wir schon bei den Hunnen hörten und das allem abendländischen Bewusstsein diametral entgegengesetzt ist. Das ganze soziale Gemeinwesen ist bei den Mongolen auf diese Blutzusammenhänge gestellt. Und so ist auch Dschingis-Khans «Staatsgrundgesetz», wenn wir es einmal so modern ausdrücken wollen, das er seinen Mongolen gab und womit er seinem Reich ewige Dauer zu begründen hoffte, die «Yassa», ganz aus dem starken Sippengefühl der Nomaden und ihrer patriarchalischen Lebensform hervorgegangen. Besonders schwere Strafen waren darin für Verbrechen gegen Verwandte und Verstöße gegen die Sippendisziplin vorgesehen. Dieses individualitätslose Gruppenbewusstsein war offensichtlich die Grundlage für jenes dekadent-visionäre Hellsehen, von dem Rudolf Steiner sagt, dass die Mongolenstürme es auch über das Abendland hätten verbreiten sollen. Ein Ausdruck für dieses atavistische Bewusstsein dürfte die eigenartig ausgeprägte Bildersprache der Mongolen sein, die, anscheinend noch kaum im Element des Begrifflichen lebend, von Bild zu Bild fortschreitet.
Mit dieser ganzen Bewusstseinslage hängt auch ein weiterer Zug der Mongolen zusammen, ihre sprichwörtliche Unsauberkeit. «Die Schmutzigen» oder «die Stinkenden» hatten schon vor Jahrhunderten die Chinesen ihre Nachbarn in der Mongolei, der Mandschurei und in Chinesisch-Turkestan genannt. Die Mongolen machten aus ihrer Unsauberkeit geradezu eine Haupttugend, sie genoss religiöse Verehrung, und jeder Drang zur Reinlichkeit war durch rituelle Verbote aufs äußerste eingeschränkt. Die Yassa, das Grundgesetz Dschingis-Khans, enthielt den Satz: «Alles ist rein, es gibt nichts Schmutziges.» Sie drohte die Todesstrafe dem an, der in Flüssen badet oder seine Kleider wäscht. Die Felle mussten getragen werden, bis sie völlig unbrauchbar geworden waren. Physische Sauberkeit und Sauberkeit der Begriffsbildung und Wachheit des Bewusstseins hängen zusammen; die atavistischen traumhaften, visionären Bewusstseinsverhältnisse werden durch Unsauberkeit begünstigt.
Mit all dem ist auf die Seelenart hingedeutet, die uns als eine östliche Abspiegelung des atlantischen Wesens, die eng mit dem luziferischen Element verbunden ist, in den Mongolen entgegentritt. Aber das alles erscheint doch nur wie die Innenseite, die zwar das eigentlich Wesentliche des mongolischen Weltenimpulses ausmacht, der aber eine ebenso stark entwickelte Außenseite des Mongolismus entspricht, und diese Außenseite kommt überwiegend, ja oft fast ausschließlich zur Darstellung. Das ist, wenn ich so sagen darf, die «organisatorische» Seite des Mongolentums, vor allem die militärische, die Organisation des Krieges, weiterhin des staatlichen Wesens, die Fähigkeit, in diszipliniertester Art die zusammengeballte Kraft des ganzen Volkes den Intentionen der zentralen militärisch-politischen Leitung dienstbar zu machen und eine groß angelegte militärisch-politische Strategie zu entwickeln, deren gewaltige Erfolge eben auf dieser bedingungslos-disziplinierten Zusammenballung und Organisation beruhen.
Nehmen wir die beiden Wesensseiten zusammen, so ergibt sich, dass wir es in dem Phänomen des Mongolismus mit einer echten Polarität zu tun haben, deren Spannweite außerordentlich groß ist. Die luziferischen und ahrimanischen Impulse ergänzen sich hier zu einem einzigartigen Ganzen. Nicht das Menschlich-Mittlere steht hier zwischen ihnen, sie im Gleichgewicht haltend, sondern sie durchdringen und verbinden sich unmittelbar zu einer Gesamtkraft von unwiderstehlicher Macht. Das scheint das eigentliche Phänomen dieses Mongolismus zu sein, und so gesehen bestätigt es eine Erfahrung, die auch sonst vielfach in Geschichte und Leben gemacht werden kann, dass die stärksten Attacken der luziferischen und ahrimanischen Macht, auch gerade auf das menschliche Bewusstsein, dann zustande kommen, wenn diese beiden Mächte sich zu einer solchen verknäuelten Verbindung zusammenfinden. Die militärisch-politische Organisation und Disziplin der Mongolen im Dienst einer rauschhaft-luziferischen Idee und der beflügelnde Sturmwind dieses luziferischen Vergangenheitsimpulses, der sich stützt auf die hervorragende, geniale Militär- und Staatsorganisation, ließen die Mongolen Erfolge erzielen, die auch der spätere Betrachter bei allem Grauen vor dieser Macht mit Recht anstaunt. Dschingis-Khan eroberte das größte Weltreich zusammen, das es jemals auf Erden gegeben hat. Aber es war ein zerstörerischer Impuls, und seine grauenhaften Spuren sind unauslöschlich in der Geschichte eingegraben durch Ströme von Blut, durch millionenfachen Mord. […]