Selbstbeherrschung

Eine Eigenschaft, die besonders auch in den Heldendichtungen der Germanen beschreiben wird, war die Selbstbeherrschung. Schmerzen und Wunden mussten ertragen werden, ohne zu klagen oder zu weinen. Die Forderung nach Selbstbeherrschung durchzog das alltägliche Leben. Sie verlangte die Bezähmung der Neugierde. So war es beispielsweise gegen die gute Sitte Fremdlinge mit Fragen zu bestürmen. Man verschloss seine Gedanken und Gefühle in der Brust. Ernst, Schweigsamkeit und Schwermut zeichneten den germanischen Gemütszustand oftmals aus. Die Germanen sahen das Leben mit ruhigem, nüchternem Sinn.

Natürlich fielen diese Eigenschaften als erstes den lebhaften und redefrohen Südländern auf. Auf sie wirkte dieses Verhalten als stumpf und gefühlsarm. Aber dem war durchaus nicht so. Denn der unbewegte Gleichmut und ihr Ernst wurde Willensanstrengung errungen. Die Germanen besaßen nämlich durchaus ein großes inneres Feuer. Wenn die Dämme durchbrachen, machte sie den Germanen zum gefürchteten und grausamen Angreifer. Maßlosigkeit und Unbeherrschtheit zeigten sich auch, wenn sie ihre seltenen Feste feierten und diese vereinzelten Gelegenheiten nützten und Tag und Nacht durchzechten. Die derbe Geselligkeit führte in der Folge unmäßigen Trinkens wiederholt zu Streitigkeiten, die nur selten mit bloßen Beschimpfungen, viel öfter mit blutigen Schlägen endeten. Das übrige Verhalten bezeichnen die römischen Berichterstatter als träg und untätig.

So schreibt Tacitus:

»Wenn sie nicht im Krieg sind, verbringen sie wohl die Zeit mit Jagen, mehr aber mit Nichtstun, dem Schlafen und Essen ergeben. Gerade die Tapfersten und Kriegstüchtigsten arbeiten nicht, die Sorge um Haus und Herd und Feld ist den Frauen, den alten Leuten und schwächlichen Mitgliedern der Familie überlassen; sie selber sind untätig. Ein seltsamer Widerspruch in ihrem Wesen, da dieselben Menschen so den Müßiggang lieben und die Ruhe hassen.«