Otto I und seine Zeit

Vier Söhne wurden Heinrich geschenkt. Thankmar, der älteste Sohn, ist von Missgunst und Hass erfüllt, seine Jugend überschattete das Bewusstsein, als ein Bastard zu gelten. Die zweite Gemahlin - Frau Mathildis - stammt aus dem Geschlecht des Widukind, des Gegners Karls des Großen; sie ist eine leidenschaftliche und stolze Frau, die eifersüchtig über den Rechten ihrer Kinder wacht. Ihre Töchter sind den Großen der Erde vermählt, die drei Söhne vereinen die Hoffnungen des Sachsenstammes auf sich.

Brun, der zweite Sohn aus Heinrichs Ehe mit Mathil­dis, regiert als Erzbischof von Köln mit Weisheit und Stärke die Mark im Westen. Ihm und dem Erstge­borenen Otto hat die Mutter niemals viel Beachtung geschenkt; denn beide sind nicht von ihrer Art - dunkelhaarige, beherrschte Menschen vom Schlag des Vaters. Mathildis, die mit dem Andenken ihres Vorfahren Widukind einen wahren Kult treibt, hat sich immer das Idealbild eines Sachsenrecken zum Sohn gewünscht: einen hochgewachsenen, strahlenden Helden.

Dieser Wunsch erfüllt sich in dem dritten Sohne Heinrich, der kraftvoll, blond, blauäugig und in Tugenden und Fehlern gleich leidenschaftlich ihr als Urbild eines Widukindenkels erscheint.

Otto und Brun wachsen ohne Mutterliebe heran und werden unter des Vaters Hand zu tüchtigen und verlässigen Männern, während Heinrich alles Glück der Jugend erntet. Otto ist zu einer Zeit geboren, als sein Vater noch Herzog in Sachsen war, Heinrich ist der erste der Söhne, über dessen Wiege eine Königskrone stand. Darauf stützt Frau Mathildis ihren Anspruch, dass Heinrich der Nachfolger des Vaters werden müsse.

 

Heinrichs Tod und sein Thronfolgerregelung

Von allen Gauen eilen die Großen ans Lager des Königs. Jetzt, da das Land seinen König verlieren soll, erwacht überall das Bewusstsein seiner Größe. Aus dem ganzen Volk werden dem Todkranken Beweise der Verehrung und Dankbarkeit dargebracht. Als Frau Mathildis in Erfurt eintrifft, sind die Be­schlüsse des Hoftages bereits festgelegt. Otto, der älteste der rechtmäßig geborenen Söhne, wird die Krone der Deutschen tragen. Den Kranken bringt man auf seinen Wunsch in die Pfalz zu Memleben. Als der Morgen tagt, steht das Herz des Königs still.

Der Tote hat über die Herzöge und Kirchenfürsten wie der Erste unter Gleichrangigen geherrscht. Die Auffassung des Sohnes von der Würde des Gekrönten ist anspruchsvoller. Ihm genügt nicht mehr der Name ohne Inhalt, er will der wirkliche Herr im Reiche sein. Sein Vorbild ist Karl der Große, der mit souveräner Gewalt über die Völker gebot. Deshalb wählt der neue König keine sächsische Stadt, sondern Aachen, die Kaiserpfalz am Rhein, zum Schauplatz der feier­lichen Krönung. "Ein Säulengang verbindet die Pfalz mit der Marien­kirche. Dort scharen sich die Herzöge und Grafen um den vierundzwanzigjährigen Thronfolger, sie begrüßen ihn mit Heilrufen und führen ihn zum Thronsitz. Dann geloben sie ihm Treue und Gefolgschaft, die Dienst­mannen und Lehensträger wiederholen den Eid.

Mit der Ausrufung zum König durch die Versamm­lung der Großen ist der Sachse rechtmäßiger Herrscher der Deutschen. Seinem Vater genügte die Wahl der weltlichen Machthaber, aber Otto will seine Würde aus den Händen göttlicher Mächte nehmen.

 

Die Stunde der Kirche ist wiedergekommen.

Der König betritt in feierlichem Zuge die Kirche Karls des Großen, in der ihn inmitten der hohen Geist­lichkeit der Primas der deutschen Kirche, der Erzbischof von Mainz, erwartet. Im Pontifikalmantel, die Mitra auf dem Haupte, schreitet der Kirchenfürst dem König entgegen und ergreift mit seiner Linken die Rechte Ottos. Ritter, Knappen und Bürger stehen in den Bogen­gängen zu Seiten der Halle, die Emporen sind vorn hohen Adel besetzt.

„Ihr Herren," ruft der Erzbischof, „hier steht der von allen Fürsten zum König erhobene, rechtmäßige Erbe des Thrones. Wenn ihr die Wahl billigt, so hebt die Rechte zum Himmel."

Unter brausenden Heilrufen schreiten Erzbischof und König Hand in Hand zum Altar, auf dem die Zeichen der Würde ausgebreitet sind: Das Reichs­schwert mit Wehrgehenk, der Mantel und die Spangen, Herscherstab, Zepter und Diadem.

Der Primas ergreift das Schwert und umgürtet den König. „Empfange in Ehrfurcht diese Waffe und kämpfe mit ihr gegen die Heiden und schlechten Christen, denn darum hat dir Gott alle Macht im Frankenreiche ge­geben, dass du der ganzen Christenheit sicheren Frieden gewinnst."

Zwei Bischöfe umhüllen Otto mit dem Mantel, und wiederum ertönen die feierlichen Worte des Bischofs: „Dies bis zur Erde wallende Gewand soll dich ge­mahnen, nicht kalt zu werden im Eifer für den Glauben und bis zum Ende ein Schützer des Friedens zu sein."

Die Überreichung des Zepters begleitet er mit den Worten: „Gedenke, dass du mit väterlicher Zucht deine Unter­tanen leitest und gegen die Diener Gottes, gegen Wit­wen und Waisen barmherzig seiest."

Diakone bringen das heilige Öl und die goldene Krone. Der Erzbischof von Köln tritt herzu, und ge­meinsam mit dem Primas salbt und krönt er den König. Über Aachen dröhnen die Glocken, Weihrauch wölkt aus den geöffneten Münstertoren. Nach dem feierlichen Hochamt zieht der König mit den Fürsten zur Pfalz Karls des Großen, eine prächtige Tafel ist gerichtet. Die Mächtigsten unter den Herzögen verwalten die Hofämter. Otto ist wahrhaft der König der Deutschen, denn die Herzöge von Bayern, Franken, Schwaben und Lothringen umstehen seinen Thronsitz als Marschall, Kämmerer, Mundschenk und Truchsess.

 

Das Rütteln an der Macht: außen und innen

König Otto muss sich sogleich mit den Waffen be­haupten, die feindlichen Gewalten rütteln am Bau seines Staates. Die Slawen erheben sich und greifen die sächsischen Burgen an. Der Markgraf des sorbischen Gaues, Herr Siegfried, fällt in den Kämpfen, und der König beruft den getreuen Gero als Nachfolger. An Havel und Nordelbe führt Hermann Billung den Heerbann zum Sieg, Gero stößt tief in die Lausitz vor. Das neue Bündnis von Kirche und Staat bewährt sich; die Erfolge deutscher Waffen werden durch die Mission und Kolonisationstätigkeit der Priester verankert, zahlreiche neue Klöster und Bischofssitze entstehen, Magdeburg wird zum Zentrum der Ostmission.

Die Ungarn versuchen nach dem Ableben König Heinrichs noch einmal den Waffengang mit den Sachsen. Aber  sie   erleiden   durch  die   Grenztruppen   schwere Niederlagen.

Gefährlicher als die Angriffe der äußeren Feinde wird für das junge Königtum die Rebellion in den Reihen der eigenen Gefolgsmänner. Der stets zurückgesetzte Thankmar entsinnt sich seines Erstgeburtsrechtes und versucht, die Herrschaft Ottos in Sachsen zu brechen. Doch die Königsgewalt erweist sich als stärker, und Thankmar fällt mit seinen Anhängern in der Eresburg unter den Schwertern der Sieger.

Dann bäumt sich der Liebling Mathildens, der junge Heinrich, gegen den Bruder auf; ein Teil des Feudal­adels, der die strenge Hand des Landesherrn fürchtet, tritt hinter ihn. Die deutschen Herzöge, die mit Sorge das Anwachsen einer zentralen Staatsgewalt sehen und für ihre Hoheitsrechte fürchten, schließen sich der Revolte Heinrichs an. Die Herzöge Giselbert von Loth­ringen und Eberhard von Franken lassen ihre Kriegs­völker gegen den König marschieren.

Bei Andernach muss Otto um seine Krone kämpfen. Die Heilige Lanze, das Zeichen des Reiches, trium­phiert über die Empörer. Herzog Eberhard fällt in der Schlacht, und Giselbert von Lothringen, der Schwager Ottos, ertrinkt auf der Flucht in den Fluten des Rheins. Am Weihnachtsabend des Jahres 941 wirft sich Hein­rich in demütiger Bitte um Gnade im Frankfurter Dom seinem Bruder zu Füßen. Gerührt umarmen sich die Versöhnten, Heinrich verspricht, künftig eine Stütze des Thrones zu sein.

Die neue Macht hat sich durch diese Erfolge im deut­schen Raume gefestigt. Franken bleibt in der Hand des Königs, während Lothringen als erledigtes Lehen dem getreuen Frankengrafen Konrad dem Roten übertragen wird, Schwaben erhält der Königssohn Liudolf. Als bald darauf der Herzog Bayerns ohne unmittelbare Nach­kommen stirbt, belohnt Otto die nun bewährte Treue des jüngeren   Bruders Heinrich, indem er ihm das schöne Land zu Lehen gibt.

Wie sein Vorbild Karl schickt Otto in alle Gaue Pfalz­grafen, die als Vertreter der Krone Kontrollen durch­führen. Das Ziel der königlichen Bemühungen wird immer klarer. Der Schritt vom Wahlkönigtum zur erb­lichen Herrschaft ist getan, schon spricht das Volk von der Wiederkehr der größeren Krone, vom neuen Kaiser­tum, und vom gemeinsamen Dach aller Christen, dem Imperium eines abendländischen Kaisers.

 

Spanien

Die überlegene Stellung des neuen deutschen König­tums unter Otto I. dringt mehr und mehr ins Bewusstsein der Nachbarstaaten, die in der Kraft der deutschen Ordnung Sicherheit vor den Raubfahrten der östlichen Reitervölker sehen. Gesandtschaften aus Rom, England, Frankreich und sogar aus dem fernen Byzanz suchen den König auf; seine Sendboten durchziehen den Kon­tinent.

Im Jahre 954 nimmt Otto die Beziehungen zum Hofe des spanischen Omaijaden Abd er Rahman III. auf und schickt Abt Johann von Gorze als Gesandten nach Cordoba.

Steil und kühn liegen die mohammedanischen Kastelle mit fensterlosen Rundtürmen auf kahlem Felsen, uralte Römerbrücken schwingen sich über tiefe Schluch­ten, und märchenhafte Tore öffnen sich zu dämmerigen Moscheen. An trutzigen, zackengekrönten Mauergebir­gen kleben, Schwalbennestern gleich, vergitterte Erker, feingliedrige Balkone und zierliche Balustraden.

Eng und farbenflimmernd unter heißer Sonne winden sich die Gässchen Toledos, verschleierte Frauen in fal­tenreichen Gewändern schreiten, von bewaffneten Die­nern begleitet, unter den Bogengängen, Kamele schwan­ken mit Lasten beladen über die Marktplätze, und von hohem Flachdach ruft ein Imam zum Gebet. Alles Land ist in Gärten verwandelt, die Schneewasser der Sierra Nevada sprudeln in Kanälen durch die glühende Ebene; Ulmen, Eichen, Lorbeer und Granatbäume gruppieren sich zu freundlichen Hainen; das Silbergrau der Oliven, das satte Grün der Orangen- und Pfirsichgärten durchzieht die blühenden Felder, die den Fel­sen Granadas umkränzen.

Abt Johann und seine Begleitung traben wie durch ein Märchenland. Die Männer aus den dunklen nörd­lichen Wäldern, über denen so oft ein grauer Nebel­himmel lastet, meinen manchmal, im Paradies zu sein. Welch ein Land! Hier dichten die Bauern hinter dem Pflug, die Bettler sind Philosophen und lernen zu Füßen der gelehrten Imams.

An einem der Tage tritt der Abt, begleitet von deutschen Rittern, unter die geschwungenen Kielbögen eines Innenhofes und lauscht den Worten eines Weisen. Ein ehrfürchtiger Kreis von Schülern kauert auf Teppichen am Rande eines Brunnens; verwundert er­kennt Herr Johann zwischen den bunten Turbanen der Araber die Tonsur eines jungen, fränkischen Mönches.

Später spricht er den Christen - einen hageren, klug aussehenden Mann - an und erfährt die seltsame Geschichte eines Suchenden. Seine Mutter hat ihn einst als Findelkind auf die Schwelle des Klosters Aurillac in der Provence gelegt. Die Mönche gaben ihm den Namen Gerbert, erzogen ihn und lehrten ihn die sieben freien Künste. Als er die Gelübde abgelegt hatte, zog der Unstete, der Landfahrer und Abenteurer in die Welt und gelangte bis nach Spanien.

„Der Weise dort", sagt Gerbert, „ist der berühmte Josephus von Sevilla - ein spanischer Jude - das Licht der Hohen Schule von Sevilla; er weiß viele geheime Dinge, von denen selbst die klügsten Magister der fränkischen Klöster nichts ahnen."

Der junge Mönch erläutert mit ruhiger, überzeugen­der Stimme den geheimnisvollen Pfad der Wissenschaft; er schildert, wie die klassischen Quellen der Philosophie mit den uralten Kulturböden Vorderasiens und Ägyp­tens in die Hände der Araber gefallen seien und wie die arabischen Gelehrten auf den Fundamenten des Griechentums weitergebaut hätten. In den Schulen der Sarazenen hätten Aristoteles, Platon, die Neuplatoniker und Alexandriner eine Heimstatt gefunden, auf den belebten Handelswegen übers Mittelmeer und längs der afrikanischen Küsten seien die Erkenntnisse und Weisheiten, die Buchrollen und Schriften durch die islamitische Welt bis nach Spanien gewandert.

„Wenn ihr nach Cordoba kommt, so werdet ihr von den Weisen in den bunten Säulenhallen der Moschee hören, die die mathematischen und logischen Sätze der arabischen Schulen von Basra und Bagdad diskutieren, wie sie vor langer Zeit schon Meister Alkindi auf­gestellt hat."

Erstaunt zuerst, dann misstrauisch und voll innerer Ablehnung hört der Gesandte dem abtrünnigen Kle­riker zu, der ganz erfüllt scheint von dem Wissen dieser fremden Welt, die denkt, statt zu glauben, forscht, statt zu beten und dem Irrwahn der Erkennt­nisfähigkeit alles Seins erlegen ist. Der Geist des Heidentums - so denkt der Abt mit heißem Mit­gefühl - hat Besitz ergriffen von der verlorenen Seele dieses wandernden Mönches. Lange noch blickt er dem Franken nach, bis er ihn im Gewühl der Straßen aus den Augen verloren hat.

Unter feinziselierten Wippbögen prunkt der Bal­dachin des Kalifen wie eine tropische Blume; juwelen­geschmückte Würdenträger umstehen die Stufen, ein Herold meldet die Ankunft der Gesandtschaft.

Der eisenklirrende Schritt der deutschen Ritter hallt von den Wänden wider. Johann von Gorze wandelt träumend durch eine Woge von Farbe, Sandelholzduft und Fremdheit, seltsam angerührt von dem Zauber der Stunde. Dann entrollt er ein Pergament und beginnt König Ottos Botschaft zu verlesen.

Vorübergezogen sind die wechselnden Bilder Spa­niens, die Gesandtschaft reitet wieder unter dem Him­mel des südlichen Frankenlandes und nähert sich der Landschaft Burgund. Jetzt, da Johann von Gorze die geschlossene Kultur­welt jenseits der Pyrenäen erlebt hat, empfindet er manche Rohheit und Wildheit des abendländischen Lebens stärker denn je.

 

Frankreich

Im streitzerrissenen Reich Westfrankens, das die feste Obergewalt eines starken Königtums entbehrt, herrschen wahrhaft chaotische Zustände. Mehr als einmal müssen die Ritter ihre Schwerter gegen angreifende Banden von Straßenräubern gebrauchen, als sie über die grasbewachsenen Römerstraßen der Pro­vence reiten. In den Nächten schlafen sie in Klöstern und entsetzen sich über den tiefen Verfall der kirch­lichen Zucht, dem sie überall begegnen.

Die meisten dieser einst blühenden Klöster Südfrankiens sind vom gewalttätigen Feudaladel ihrer Güter und Vorwerke beraubt; mächtige Nachbarn und gewissenlose Grafen haben die Mühlen, Höfe und Äcker der Mönche an sich gerissen; Laien, die großen Geschlechtern angehören und auf die Waffenhilfe ade­liger Familien rechnen können, sind als ungeweihte Äbte an die Spitze der Orden getreten, haben die Äcker der Klöster unter ihre Kinder und Vettern verteilt.

Manchmal übernachten Herr Johann von Gorze und die Seinen in Klöstern, die von Musik, vom Gesang fröhlicher Zecher widerhallen; dann wieder finden sie verlassene Kirchen ohne Altargerät, durch deren von Wind und Wetter zerstörte Dächer der graue Himmel scheint. Zurückgebliebene Mönche berichten von blu­tigen Überfällen, von Mordbrand, Plünderung und entsetzlichen Hungersnöten.

„Viele Leute mengen Erde unter das Mehl . . . es gibt Familien, die Gott fürchten und die ihr eigenes Grab graben, in das sie sich setzen, um darin zu sterben. So ruhen sie wenigstens in ge­weihter Erde."

In der Stadt Clermont - einem unsäg­lich schmutzigen Ort - erleben sie einen Volksauflauf. Aus dem Stadttor quillt eine schreiende, mit Stöcken und Spießen bewaffnete Menge, die eine nach Hun­derten zählende Schar von Aussätzigen vor sich her­jagt.

Diese Unglücklichen, die mit schorfbedeckten, teilweise ganz weiß verkrusteten, teigig verflossenen Gesichtern bösartig zu den fremden Reitern aufsehen, humpeln und kriechen wie ekles Gewürm in das nahe gelegene Dickicht zurück, in das man sie ausgestoßen hat. Hunger und Hass mögen sie nach Clermont getrieben haben; sie sind mit Lumpen und Schaffellen kaum notdürftig bedeckt und erwidern die Steinwürfe der Einwohner mit schrillem Zorngeschrei.

Einsam steht zwischen den Parteien ein Mönch, der die Arme emporreckt und vergeblich versucht, die bar­barische Szene zu beenden. Da trifft ihn ein Steinwurf an der Stirn, blutend taumelt er auf die Erde.

Johann von Gorze befiehlt, ihn aufzunehmen und zu versorgen. Als der Mönch wieder zu sich kommt, dankt er mit wohlgesetzten, lateinischen Worten.

„Herr", sagt er, „niemals vordem war der echten Menschenliebe ein größeres und fruchtbareres Feld bereitet als in unseren Tagen. Wenn sich die Kirche ihrer Aufgabe besinnt, wenn sie Gerechtigkeit, Rein­heit und Wohltätigkeit aus den Klöstern über die leidende, verwilderte Menschheit ergießt, so gewinnt das Gottesreich eine Macht, die unüberwindlich ist."

„Sprich nicht von Klöstern", sagt Herr Johann mit schmerzlicher Bitterkeit, „auch sie sind dem Nieder­gang aller Sitte unterworfen; Gewalt und Rohheit triumphieren, und die Not ist Herrscherin allerorten. Welchem Kloster gehörst du an, Bruder, dass du solch kühne Hoffnung hegst?"

Aus brennenden Augen blickt der Mönch mit dem blassen, blutüberströmten Gesicht den Abt an. „Ich bin aus Cluny, Herr!", sagt er, und aus seinem Munde klingt das wie ein Bekenntnis. Herr Johann, dessen Heimatkloster nahe bei Metz in Lothringen liegt, hat schon viel von den Bestrebungen der Äbte von Cluny vernommen.

 

Burgund

Nun nimmt er den Weg zum Rhonetal über die Waldberge, die zwi­schen der oberen Loire und der Landschaft Burgund liegen. Nach langer, mühsamer Reise erblickt er in dem engen Tal die Bauten des berühmten Klosters. Alles ist noch im Werden, aber die Kirche steht be­reits wuchtig und breit hingelagert im Kern einer kleinen Siedlung, die mit halbfertigen Mauern um­geben ist.

Unmittelbar nach seiner Ankunft wird Johann von Gorze vor Majolus, den Abt des Klosters, geführt. Der von der Askese durchglühte, schlicht gekleidete Klosterobere empfängt die Gäste in seiner Studier­stube. Die Kammer ist kahl, wie es die Regel vorschreibt, nicht einmal Teppiche schmücken die Wand, ein Schreib­pult mit einem mächtigen Codex steht neben dem schmalen Fenster, das mit durchsichtiger Tierhaut ver­schlossen ist.

Johann von Gorze nimmt auf der Pritsche des Abtes Platz, sein Gastgeber setzt sich auf einen hölzernen Schemel. Nach wenigen Sätzen der formellen, höflichen Be­grüßung entwickelt sich ein angeregtes Gespräch.

 „Der Geist von Cluny wird sich ausbreiten, Bruder Johann!", fährt Herr Majolus fort, „wir haben große Erfolge erzielt, seit die Päpste unser Privileg bestätigt haben, andere Klöster unserer Hoheit zu unterstellen und zu reformieren. In Burgund hat der Handel mit geistlichen Würden fast ganz aufgehört, die Kloster­güter werden dem Orden zurückgegeben, die neugeord­neten Klöster unterstellen sich Cluny und damit der Hoheit des Papstes. Nur so vermag sich die geistige Welt der Kirche aus der eigenen Verderbnis, aus der Habgier und den Machtkämpfen der Fürsten zu lösen.

Die Kirche gewinnt wieder an Macht und Ansehen, die Organisation der Klöster ist zum Gerüst einer kommenden, straff geleiteten Christenheit geworden. Wir sind uns, Herr Johann von Gorze, darüber klar, dass der Kampf dieser Zeit ein Widerstreit zwischen den Kräften ist, die zum Mittelpunkt streben, und jenen, die sich davon lösen wollen. Die Streiter des Gottesreiches stehen wider die Eigennützigen, die Raubgierigen und Gottlosen - gegen die Feudalherren, die nur an die Mehrung ihrer Besitztümer und Rechte denken. Diese Scheidung der Parteien müsste eigentlich eine Brücke zwischen Cluny und dem deutschen König schlagen, der doch - wie man hier spricht - den Universalstaat Karls des Großen wieder errichten will. Das christliche Gesamtreich ist ein Ziel, das sowohl Cluny wie der künftige Kaiser erstreben müssen. Es wäre mir von Wert, lieber Gastfreund, eure Meinung darüber zu hören, wie Cluny die Politik König Ottos zu verstehen hat. Ich habe schon oft an eine Reise an den Hof Ottos gedacht, die vielleicht zu einem Bündnis führen könnte."

Herr Johannes horcht auf; hier scheinen sich Zu­kunftsaussichten zu eröffnen, die König Ottos Bestrebungen wirkungsvoll unterstützen würden. Sein Ver­stand arbeitet schnell und überfliegt das weite Feld der kühnen Reichspolitik des Sachsenherrschers. Einen Augenblick zögert er noch, dann beginnt er zu sprechen.

„Ihr seid sicherlich ein aufmerksamer Beobachter der letzten Ereignisse gewesen, ehrwürdiger Bruder, so wird es euch nicht entgangen sein, dass die Politik Ottos von drei Begriffen beherrscht wird: behaupten - aus­dehnen - vereinigen.

 „Jedermann im Westen hat es verstanden", antwor­tet der Abt von Cluny. „Der deutsche König wünschte keinen starken und geeinten Nachbarn jenseits von Rhein und Maas. Er brauchte Rückenfreiheit für grö­ßere Pläne, die sich im Osten oder Süden erfüllen sollen. Was wir aber nicht zu durchschauen vermögen", fährt Majolus fort, „ist die Linie der Politik, die nach euren Worten die Ausdehnung und Vereinigung zum Ziel haben soll. Bald steht Herr Otto an der wilden Heidengrenze des Ostens, bald in der Lombardei. Hat Otto einen Plan, den er verfolgt, oder wird er von den Ereignissen getrieben?"

 „Welche Frage, Ehrwürden! Der König weiß genau, was er will, und er schöpft alle Möglichkeiten aus, die sein Werk vorantreiben können. Die Priester und Mönche betrachtet er als seine wichtigsten Helfer. Er sorgt dafür, dass entlang der östlichen Grenze Deutsch­lands die Mission in die unkultivierten Gaue vor­dringt. Bischof Pilgrim von Passau hat begonnen, die Ungarn zu bekehren, von den Marken Merseburg, Meißen und Lausitz aus gehen Glaubensboten in das Polenreich Mieskos,

Die Königsmacht ist gezwungen, sich nach Hilfskräften umzusehen, die zuverlässiger sind als der Feudaladel. Es  gibt nur eine  Organisation,  die sowohl  an  Macht wie an Bildung, Einfluss und Fähigkeit berufen ist, das Gegengewicht zu den aufsässigen Feudalherren zu bil­den:   die   Kirche.   Die   geistlichen   Würdenträger   - Bischöfe und Äbte - werden zwangsläufig den Zentra­lismus des Königs unterstützen; sie erstreben ein Reich aller Christen und werden deshalb immer auf der Seite der Könige gegen die Zerfallstendenzen der Herzöge stehen; zudem sind sie ohne Familie und ohne Erben; ihre   Machtbereiche   fallen    nach   dem    Ableben    des Lehensträgers  an  die  Krone zurück  und  bleiben  zur erneuten   Belehnung   in   ihrer   Hand. König   Otto   ist entschlossen,  sich künftig aufs  engste  mit  den  geist­lichen Fürsten zu verbünden

 

Das Deutsche Kaiserreich

Als Herr Johann von Gorze nach Deutschland zurück­kehrt, findet er König Otto mit dem sächsischen Heer­bann in der bayrischen Stadt Regensburg. Die Auf­stände der schwäbischen und bayrischen Stämme sind niedergeworfen, ruhig und sicher ruht die Gewalt in Herrn Ottos Hand; der Herrscher Deutschlands darf nun seine Pläne weiter spannen und an die nächsten Schritte denken, die zur Ordnung des Abendlandes führen sollen.

 

Die Ungarn

Aber kaum sind die Truppen von den Schlachtfeldern Bayerns und Schwabens in ihre Heimatgaue zurück­gezogen, als der alte Landesfeind im Osten wiederum sein Haupt erhebt. Noch brennt die Niederlage im Gedächtnis der Ungarn, die Stunde der großen Abrechnung scheint nun ge­kommen. Ein innerlich zerrissenes, von Aufständen ge­schütteltes Deutschland soll für die blutigen Tage an der Unstrut bezahlen.

Die Kesselpauken und Hörner dröhnen in der Theißebene; Flüchtlinge aus der Ostmark strömen über die bayrische Grenze und melden das Herannahen eines ungeheuren, bisher nie gesehenen Heerzuges.

„Niemand ist, der uns gleichkommt", prahlen die vorausgeschickten Sendboten, „wir sind zahlreich, wie keine Heeresmacht, öffnet sich nicht die Erde, uns zu verschlingen, stürzt nicht der Himmel ein, uns zu zerschmettern - so vermag nichts uns aufzuhalten."

Im Frühjahr 955 braust die Welle über die Ostmark hin, überflutet rasch die bayrische Mark und ergießt sich raubend und plündernd ins innerdeutsche Land. Langsam sammelt sich der bayrische Heerbann bei Regensburg um den kranken Herzog Heinrich. Wenige feste Plätze ragen aus dem Gewühl, die Fluten schlagen an die Mauern des Klosters Tegernsee, die Hügel der Bischofsstadt Freising stehen inmitten der Ungarnflut, selbst vor dem herzoglichen Regensburg streifen plün­dernde Haufen.

Der Hauptstoß zielt westwärts und staut sich an den Erdwällen Augsburgs. Oadalrich, der Bischof der festen Stadt, hat seine Gefolgsmannen aufgeboten und einige hundert Ritter mit ihren Knechten und Bauern hinter den Schanzen ge­sammelt. Das Volk karrt Erde heran, rammt Palisaden in den Boden, die Wertach wird in die Gräben geleitet. Klosterfrauen tragen in feierlicher Prozession die Reliquien auf die Wälle. Über die Landstraßen hastet das Volk hinter die schützenden Mauern Augsburgs.

Dann wälzt sich die Hauptmasse der Ungarn heran, die Hügel am Lech beginnen lebendig zu werden, und auf der weiten Ebene vor den Toren schießt eine bunte Zeltstadt aus dem Boden. Die Steppenreiter führen zum Schrecken der Deutschen Belagerungsgerät - Sturm­böcke, Leitern, Wurfgeschütze und Rammen - mit sich.

Als Bischof Oadalrich den Streitern das Abendmahl reicht, ruft er ihnen die Worte des Psalms zu: „Und obschon ich wandere im finsteren Tale, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir!"

Während der frommen Handlung lärmt das Geschrei der stürmenden Ungarn an den Schanzen, das Getöse der Waffen schallt von den Mauern. Vom Abendmahl­tisch weg führt Herr Oadalrich seine Gefolgschaft an die bedrohten Wälle, ein Kampf auf Leben und Tod entbrennt.

Als die Kraft der Verteidiger zu erlahmen beginnt, geschieht ein Wunder. Plötzlich hört man im Ungarn­lager die Trommeln dröhnen, die Hörner rufen, und Rauchzeichen ballen sich auf den Höhen jenseits des Lechflusses. Jäh bricht der Feind den Generalsturm ab und zieht sich zurück. Erstaunt sehen die Verteidiger,wie die Scharen ihrer Bedränger gleich einem Spuk am Horizont verschwinden.

Bischof Oadalrich beginnt mit lauter Stimme das Tedeum zu singen. Wie ein Lauffeuer durcheilt das Gerücht die Stadt: König Otto nahe mit dem deutschen Heerbann, um Augsburg zu retten.

Vor wenigen Stunden hatte eine ungarische Streif­wache den Ritter Prechtold, einen Sohn des Pfalzgrafen Arnulf, eingebracht, der von der Reisenburg aus ver­suchen wollte, nach Augsburg zu gelangen, um dem Bischof zu melden, dass der König im Anmarsch wäre.

Die Ungarn pressten aus dem Gefangenen heraus, was sie wissen wollten. Sofort lässt der ungarische Heerführer die Belagerung aufheben und befiehlt seinen Völkern, sich auf dem Lechfelde zur Entscheidungsschlacht gegen die deutsche Heeresmacht zu sammeln.

König Otto ist von Eilstafetten seines Bruders Hein­rich aus Sachsen herbeigerufen worden. Er bringt vor­erst nur den berittenen Teil des berühmten sächsischen Heerbannes; aber am Lech stoßen zu ihm Herzog Kon­rad von Franken, Herzog Burkhard von Schwaben und die gesammelte Macht der Bayern. In der Nacht bricht Herr Diepold, der Bruder Bischof Oadalrichs, aus den Mauern von Augsburg hervor und führt dem könig­lichen Heer seine Ritterschaft zu.

Obschon das deutsche Aufgebot an Zahl dem Feinde weit unterlegen ist, sind die Ritter guten Mutes. Seit dem Siege Heinrichs von Sachsen hat der Ungarnschreck seine Wirkung verloren.

 

Die Schlacht am Lechfeld

Am Morgen des 10. August, nachdem alle Krieger den Segen empfangen haben, verlässt das Heer das Marschlager und rückt den Ungarn entgegen. Unter ungeheurem Getöse wälzt sich der Aufzug in die Ebene hinab. Vor jedem Haufen flattert das Feld­zeichen.

Die ersten drei Treffen stellen die Bayern, die ein Feldhauptmann anführt, weil Herzog Heinrich immer noch krank in Regensburg liegt; hinter ihnen reiten die Franken unter Herzog Konrad. Dann folgt, ganz in Kettenpanzer gehüllt, die Kernschar der Armee, die sächsische Mannschaft, verstärkt durch die besten Ritter aller Stämme; König Otto selbst trabt auf riesigem Rappen in der ersten Reihe.

In der stählernen Rüstung, mit dem goldenen Kron­reif um den Helm, zieht der König alle Blicke auf sich. Neben ihm reitet ein riesengroßer Niedersachse, der das Reichsbanner mit der Heiligen Lanze trägt; ein besonders ausgewählter Gewalthaufe folgt dem Heer­zeichen als Deckung.

Dann drängt das Gewühl der Schwaben als sechste und siebte Linie heran, Herzog Burkhard und seine Ritter erscheinen, und endlich rollt das bunte Gewühl des Trosses, der Gepäckwagen und Saumtiere über das Blachfeld. Der Tross ist von tausend böhmischen Krie­gern umringt, die Herzog Boleslav von Böhmen als Kontingent gesandt hat.

Inzwischen haben die Ungarn den Vorteil ihrer gro­ßen Beweglichkeit genützt und schon in der Morgen­dämmerung eine bedeutende Umgehungsaktion ein­geleitet. Sie sind dem Stoße des gepanzerten Ritter­heeres ausgewichen und in langen Zügen über die Lechfurt gegangen; so gelangen sie den Deutschen in den Rücken und tauchen nun aus den Hügeln auf.

Als das deutsche Heer in Wellen von den Höhen herabbricht und sich in der Ebene ausdehnt, schäumt es wie Höllenspuk aus Wäldern und Getreidefeldern hervor: zottelige, kleine Steppenpferdchen, in deren Sätteln gelbhäutige Dämonen kauern; ein hoher, tril­lernder Kampfschrei geht über den Rand der Lechebene. Die Ungarn werfen sich auf den von Böhmen geschützten Tross.

Ehe das deutsche Heer die Lage recht begriffen hat, sind Gepäck und Tross verloren. Von nackter Furcht gepeitschte Böhmen jagen nach allen Richtungen aus­einander. Die Masse der Ungarn rollt wie eine gelbe, tosende Flutwelle in bedrohliche Nähe.

König Otto erkennt die Gefahr. Er beschwört den Mut seiner Ritter und gibt das Zeichen zur Kehrtwende. Zugleich ergreift er selbst das Banner mit der Heiligen Lanze, zieht das breite Schwert und wirft sein Ross gegen die unübersehbare Linie der anstürmenden Feinde.

Die große Schlacht donnert wie ein Erdbeben über das zum Reiterkampf wie geschaffene Feld. Die Tapferkeit der Bayern, Sachsen und Schwaben, der Thüringer und Franken hält einem Damme gleich die Brandung der Steppenvölker auf; dann schneiden die stählernen Stoßkeile der Ritterschaft in die Flut der Magyaren, langsam wird die ungarische Übermacht zerstückelt und zerschlagen. Die Überlegenheit der Panzerung und Bewaffnung macht sich geltend.

Mehr und mehr Horden lösen sich vom Rande des Steppenheeres, in kleinen Gruppen zerstreuen sich die Reiter auf die umliegenden Dörfer, die Schlacht geht in Verfolgungskämpfe über. Das Gros der Ungarn ist am Steilufer des Lech zu­sammengetrieben, überschlagende Pferde poltern den Kieshang hinab, Menschen bilden unlösbare Knäuel, die in die aufspritzende, von Blut gefärbte Flut des Flusses stürzen.

Da öffnen sich auch die Tore Augsburgs, und die Verteidiger der Stadt fallen den Besiegten in den Rücken; das Lager der Ungarn - Tausende von Fell­zelten, Lederjurten und kleine, mit Beute vollgesta­pelte Wagen - geraten in die Hände der Schwaben.

Noch in der letzten Stunde der Schlacht fällt eines der teuersten Opfer des Tages. Als der junge Franken­herzog Konrad den Helm vom Haupte nimmt, um die Stirn zu kühlen, fährt ihm ein Ungarnpfeil in die Kehle.

Schrecklich ist der Rückzug der Horden. Die Kunde von ihrer Niederlage ist schneller als die Ungarnpferde, überall rotten sich Bauern und Ritter zusam­men, den Fliehenden den Weg zu verlegen. Wälder und Flussauen werden zu tödlichen Hinterhalten, an Furten und Straßenengen warten die Rächer mit Sensen, Äxten und Spießen.

Nur wenigen Ungarn gelingt die Heimkehr ins Theiß­land. Von ihren Fürsten und Heerführern kommt nicht einer zurück. Drei Magyarenfürsten fängt man zu Regensburg, ein König stirbt unter den Knütteln der Inntaler Bauern.

 

Vater des Vaterlandes

Die Katastrophe am Lech ist das Ende der großange­legten Heerfahrten, welche die Ungarn bisher regel­mäßig gegen den Westen unternommen haben. Von jetzt ab beginnen sie sich dem Abendlande einzufügen und sesshaft zu werden; viele beugen sich der Taufe.

Bischof Pilgrim von Passau hat nun leichtere Arbeit bei seinem Bekehrungswerk; die Magyaren haben die Übermacht des Christengottes gespürt und verlassen enttäuscht ihre wilden Steppengötzen.

Otto L, dem Sieger von Augsburg, verleiht die Freude der nun geeinten, in der gemeinsamen Abwehr be­währten Stämme Deutschlands denselben Ehrennamen, den schon sein Vater getragen hat: Vater des Vaterlandes. Seine Tat und seine beherrschende Persönlich­keit prägen sich tief ins Bewusstsein des Volkes ein.

Das Gefühl neuerworbener Größe und Stärke drängt nach Ausdruck, schon regt sich das Bedürfnis, die Ge­schichte jener großen Tage und einer Vergangenheit zu schreiben, die zu stolzer Höhe geführt hat. Im Kloster Corvey malt der fromme Mönch Widukind an seiner Sachsenchronik, zu Gandersheim dichtet die Nonne Hrosvitha das Otto-Lied. Der Mönch findet preisende Worte für den Vollender des deutschen Staates, die Nonne aber schafft ein nationales Epos, den Ausdruck des allgemeinen Hochgefühls.

„Als den Größten der Könige preist ihn das Land, das er für immer von Ungarnnot befreit hat. Er schirmt die Grenzen und hält die Unruhe nieder; Kaiser Otto den Großen nennt ihn das Volk!" Auch im Bewusstsein der anderen abendländischen Staaten wächst der König zu übernationaler Größe heran. Deutlich prägt sich die universale Monarchie, die Erfüllung des alten Wunschtraumes vom christ­lichen Reich der abendländischen Nationen am poli­tischen Horizont ab.

Das Bewusstsein der Christenheit stellt die Bezie­hung zwischen Otto und dem cäsarischen Rom her, lange bevor die historische Stunde geschlagen hat. In Rom ist vor kurzem Alberich I., eine der kraft­vollsten Gestalten seiner Zeit, gestorben. Er hat von einer Wiedergeburt der Weltstellung Roms geträumt, als Senator und Patricius hat er versucht, den Kirchen­staat zur Zelle eines neuen Römerreichs zu machen.

 

Die Kaiserkrone, Papst Johann XII. und Berengar

Ihm ist sein siebzehnjähriger Sohn als Senator und Papst unter dem Namen Johann XII. gefolgt. Der Jüng­ling wird nicht von den gleichen Ideen wie sein Vater bewegt. Wo Alberich die alte Größe Roms und seiner Kaiser sah, führt Johann kleine, planlose Raubkriege gegen seine Nachbarn und sucht sich Burgen und Städte anzueignen.

Von Johann XII. und seiner harten Eroberungspoli­tik aufgereizt, macht Berengar, der Herr der Lombardei, der die Lehensoberhoheit des deutschen Königs abgeschüttelt hat, den Versuch, seine Herrschaft auf den Kirchenstaat auszudehnen. Der jugendliche Papst ruft in seiner Not den mächtigen König der Deutschen zu Hilfe und verspricht ihm die Kaiserkrone.

Die Deutschen rüsten einen neuen italischen Heer­zug. Dann reiten die bayrischen, sächsischen, schwäbischen und fränkischen Ritter über den Brennerpass ins südliche Land. Sie schlagen ohne große Mühe die Truppen des Berengar bei Pavia, die oberitalischen Grafen, Bischöfe und Städte unterwerfen sich der deut­schen Gewalt wie einem übermächtigen Naturereignis. König Otto kann das Weihnachtsfest 961 in der alten Langobardenhauptstadt Pavia feiern, während Hatto von Fulda nach Rom vorauseilt, die Verhandlungen mit dem von römischen Adelsgeschlechtern bedrängten Papste zu führen.

Am letzten Tage des Januar, einem grauen, lichtarmen Tage, der finsteres Gewölk über die Apenninenkämme schiebt, erreicht das deutsche Heer das Tiberufer und schlägt angesichts der Ewigen Stadt ein Lager auf. Der König und seine engere Umgebung haben Quar­tier in dem halbverfallenen Kloster San Onofrio be­zogen; soeben sind die beiden Unterhändler des Königs - Bischof Hatto von Fulda und Abt Majolus von Cluny - von Besprechungen mit dem Papst zurückgekehrt.

Der König, von kleiner, schmächtiger Statur, sitzt in einem der griechischen Scherensessel, Teppiche sind zu seinen Füßen ausgebreitet, und da es empfindlich kalt ist, prasselt im Kamin ein mächtiges Feuer; mehrere Schalen mit glimmenden Holzkohlen sind im Räume verteilt. An den rundbogigen Fenstern lehnen der Schwertträger des Königs, Herr Ansfried von Löwen, der geistliche Berater Johann von Gorze und Walbert, der Erzbischof von Mailand, der die Sache der Deut­schen zu seiner eigenen gemacht hat.

„Der Vertrag ist abgeschlossen, Herr König", sagt Bischof Hatto, „die Bedingung ist die Eidesformel, die Rom von euch fordert." Als Otto aufmerksam sein Antlitz hebt, beginnt der Bischof vorzulesen.

„Wenn ich mit Gottes Willen nach Rom komme will ich die Kirche und den Papst, als ihr Ober­haupt, nach Kräften unterstützen; niemals soll er nach meinem Willen oder Wissen an Leben oder Gliedern oder in seiner Würde gekränkt werden. In der römischen Stadt will ich keine Bestimmung über das treffen, was den Römern zusteht, ohne die Genehmigung des Papstes. Was vom Besitze Sankt Peters in meine Gewalt kommt, will ich zurück­geben. Wem auch immer ich das Königreich Italien übergebe, er soll schwören, dass er nach seinem Vermögen der Helfer des Papstes bei der Vertei­digung des Kirchenstaates sein wird ..."

„Das klingt nach sehr viel Eigenwillen", wirft der König enttäuscht ein, „Rom ist eine teure Braut, die sich viel Vorrechte ausbedingt." „Herr", sagt Hatto von Fulda, „ihr mögt mit Vorsicht in diese Stadt einreiten, sie ist herrlich und furchtbar zugleich. Ein trotziger und wehrhafter Adel sitzt in den Ruinen. Die Castelle der Campagna und der Tusculanerberge stecken voller Bewaffneter; das Volk selbst ist nach altrömischer Art in Gilden und Bannerschaften zusammengefasst und eilt beim Ertönen der Sturm­glocken auf die Sammelplätze ..."

Erzbischof Walbert beugt sich zu dem Kaminfeuer nieder und reibt sich fröstelnd die Hände. Seine geschulte, jetzt ein wenig heisere Stimme erfüllt den Raum. „Schwer nur wird der Mensch aus dem Norden das Herz Roms begreifen. Bedenkt, Herr Otto, dass der Geist der Cäsaren in diesen Tusculanern, Crescentiern und Frangipani lebt, dass Roms Volk noch den Widerhall der Zeiten in seiner Seele spürt, da es in offener Ver­sammlung auf dem Marsfeld die Geschicke des Erd­kreises gelenkt hat. Der Vater des Jünglings Octavian, der sich heute Papst nennt und der nur aus Furcht vor Roms Rache das deutsche Heer gerufen hat, ist der große Alberich ..."

„Ein Räuber und Zwergkönig!", wirft Ansfried von Löwen verächtlich ein. Der Erzbischof schüttelt sein mächtiges Haupt. „Er war ein großer Römer! Ein Mann, der versucht hat, die ehrwürdigste Trümmerstätte abendländischer Geschichte in neuem Glänze erstrahlen zu lassen und der Ewigen Stadt ein stolzes Eigenleben in Italien zu sichern. Solange Alberich lebte, waren die Machtver­hältnisse zwischen Berengar in der Lombardei und den Römern in der Mitte Italiens ausgewogen; mit den byzantinischen Hoheitsgebieten im Süden bestand Friede. Erst die Unbesonnenheit des Papstes hat alles in Aufruhr gebracht. Indem er den Kirchenstaat zu er­weitern trachtete, schuf er sich so viele Feinde, dass er ihrer nur mehr mit deutscher Hilfe Herr zu werden vermag."

„So kommen wir als Büttel", grollt Ansfried, „und wir werden wie Büttel nach getaner Arbeit hinausgewiesen." „Nein", sagt der Erzbischof, „der König soll der Schirmvogt der Kirche werden - freilich nicht der Zwingherr. Rom ist der chaotischen und verderbten Zu­stände müde und will sich der größeren Ordnung unter­werfen."

In bitteren Worten spricht Herr Walbert von Mailand über den Verfall der Kirche. Ehrgeizige Mönche aus adeligen Geschlechtern vergiften ihre Äbte, um selber in den Genuss der Klostergüter zu gelangen. Die meisten der Mönche sind vermählt, sie gehen in welt­licher Kleidung, prassen und feiern auf heidnische Art; Kirchengeräte werden verpfändet und eingeschmolzen, die goldenen Siegelkapseln der Bullen durch bleierne ersetzt, aus den kostbaren Brokatgewändern des Gottes­dienstes sind Prunkkleider für geistliche Konkubinen gefertigt worden. Die räuberischen, ungeweihten Äbte verschleudern die Klostergüter unter dem Schein von Pachtverträgen an ihre Anhänger, Freunde und Verwandten.

 

Einzug in Rom

Am 2. Februar hält König Otto seinen Einzug in Rom. Das Volk und die Anhänger der päpstlichen Partei empfangen ihn und die Reiter seines Heeres mit Jubel, nur die stolzen, von Roms Hoheit überzeugten Geschlechter halten sich trotzig abseits.

Bevor sich Herr Otto und seine Gemahlin Adelheid zum Krönungsritt anschicken, wendet sich der König an den Schwertträger Ansfried von Löwen. „Halte, wenn ich am Apostelgrab knie, dein Schwert immer über meinem Haupte; denn ich weiß wohl, wie oft meine Vorfahren die Treulosigkeit der Römer erfahren haben. Der Weise aber wendet Unheil durch Vorsicht ab." Dann steigt er zu Rosse, die deutschen Ritter be­grüßen ihn mit brausendem Jubelruf, der Festzug wälzt sich mit nie gesehener Pracht zur Basilika Sankt Peter, in der der jugendliche Papst Johann XII. die Kaiser­krone des ersten Reiches der Deutschen bereithält.

Wenige Wochen nachdem die deutschen Ritter die Sicherheit der Kirche und die Hoheit des Stuhles Petri wiederhergestellt haben, sind dem Papst die Helfer bereits unbequem geworden. Es erweist sich, dass der willensmächtige Kaiser nicht geneigt ist, sich der geist­lichen Oberhoheit des jungen Tusculaner Adelssohnes zu fügen. In einem Staatsvertrag sind die beider­seitigen Rechte genau abgegrenzt. Der Kaiser hat die Ländereien der „Konstantinischen und Pippinischen Schenkung" in vollem Umfang als Kirchenbesitz be­stätigt, aber im übrigen behandelt er den Papst wie einen vom Thron abhängigen deutschen Bischof. Die Spannung zwischen den nationalstolzen Römern und dem neugegründeten Reich wächst mit jedem Tage, an dem deutsche Truppen in der Ewigen Stadt liegen.

 

Roms einstige Pracht

An einem Tag im März, als der Himmel in hellem, leuchtendem Blau über der Ewigen Stadt steht und die grünen Höhen der Tusculanerberge ganz nah er­scheinen, steigt Herr Johann von Gorze allein auf die von Trümmern bedeckte Felsenhöhe der ehemaligen Kapitolinischen Burg. Er trägt ein Kettenhemd unter der weißen Abtskutte, und ein breites Schwert klirrt an seinem Gürtel.

Eindrucksvoll ist das Bild, das sich dem einsamen Wanderer von der Schutthalde des Gipfels bietet. „Der Kaiserpalast, in seinen Hauptteilen unzerstört, ein riesiges Labyrinth von Hallen und Höfen, von Tempeln und tausend kunstvollen Räumen, die vom feinsten Marmor strahlen und noch hier und da mit goldgewirkten Teppichen bekleidet sind, zerfällt und ist zu einer geisterhaften, ausgestor­benen Burg geworden ..." Jenseits des Palatin weitet sich das Tal zum Caelius und Aventin. Hier ragen die verfallenen Theater aus Schutt und-Grashalden hervor.

„Das Amphitheater des Titus steht unerschüttert, aber seiner Zierden beraubt; die unermesslichen Thermen der Kaiserzeit, von keiner Wasserleitung mehr versorgt und nicht mehr in Gebrauch, gleichen der Wildnis verfallener Städte, die der Efeu zu umspinnen beginnt."

Etwas von der Trauer um dahingesunkene Größe weht den Deutschen an, der nachdenklich von der Höhe des Tarpejischen Felsens über Rom hinblickt. Am Abend sitzt er lange in seiner Kammer und liest beim Kerzenschein in alten Büchern vom Werden des weltbeherrschenden Rom, von der großartigen Ge­schichte des lateinischen Universalstaates. Seine Ge­danken wandern den weiten Weg der Geschichte zurück und suchen die Zukunft zu erkennen. Wird es Bestand haben, das neue Reich der Deutschen, das so viele wider­sprechende Gewalten hinter seinen Mauern birgt?

Der Morgen graut bereits, als das Licht in dem Gemach des Herrn Johann von Gorze erlöscht.

 

Bruch zwischen Kaiser und Papst

Der Bruch zwischen Kaiser und Papst ist unausweich­lich. Dem ehrgeizigen Römer, der das Amt Petri allein als Mittel zur Erreichung seiner nationalrömischen Herrschaftspläne betrachtet, widerstrebt deutsche Vor­herrschaft im Kirchenstaat. Er verhandelt hinter Ottos Rücken mit Herzog Berengar in Oberitalien und mit den deutschen Rebellen.

Der Kaiser wirft die aufflackernden Aufstände rasch nieder und kehrt als Rächer nach Rom zurück. Johann XII. wird durch kaiserliches Dekret abgesetzt. Der römische Adel muss feierlich schwören, in Zukunft keinen Papst ohne deutsche Zustimmung zu wählen. Das Papsttum ist der Aufsicht des Kaisers unterstellt.

Anstatt des erwarteten Weltfriedens sieht die Chri­stenheit die Kette der Kleinkriege fortschwelen. Rö­mische Unruhen, oberitalische Aufstände und die wach­sende Feindseligkeit der Byzantiner halten den Kaiser in Italien fest. Als er Anspruch auf die langobardisch-fränkischen Fürstentümer von Spoleto und Benevent erhebt und die Hand nach dem italischen Süden ausstreckt, bricht er in die   Interessensphäre des oströmischen Reiches  ein. Noch  steht Ostrom-Byzanz in den Militärbezirken Kalabrien, Apulien und Neapel;  über der Teilung der Hinterlassenschaft des versun­kenen Imperium   Romanum  zwischen dem östlichen Restreich von Byzanz und dem neuerstandenen west­lichen Kaiserreich kommt es zum Kampf der beiden Welten.

 

Ostrom - Byzanz

Byzanz erscheint den Menschen des Westens wie eine sagenhafte Insel am Rande der Welt. Es ist, als sei das Hellenentum auf den Raum seines Ausgangs zurück­gekehrt; die Märchenstadt am Bosporus hält wie ein riesiger Polypenkopf mit ausgestreckten Saugarmen außer den italischen Bezirken nur mehr die eigentlich griechischen Teile des alten Römerimperiums - Make­donien und das Land bis zur Donau, Griechenland, die Aegäis, die Meerengen und die Teile Kleinasiens - fest. Hinter den ungeheuren Marmorgebirgen der Theodosianischen Mauern strömt rauschend, einzigartig und in tausend Wirbeln das Leben der Stadt Byzanz.

Auf der Felsentafel über dem türkisfarbenen Bos­porus, wo die weißen Klippen zum Goldenen Horn hinüberführen, liegt mit Parkterrassen, schimmernden Marmorbastionen und unzähligen Türmen, vergoldeten Kuppeln und machtvollen Palästen der kaiserliche Stadtteil. Die Zeitansager in den Sälen und Gängen haben eben die fünfte Morgenstunde ausgerufen. Der uralte Patriarch Polyeuktes begibt sich durch den halbrunden Mosaiksaal zum Peristyl des Sigma und zur Trioncha. Psalmodierende Mönche umgeben den Greis wie eine Leibgarde. Der Patriarch wird von einem Archimandriten und einem Bischof gestützt. Der violette Purpur­samt seines starren, gold- und perlenbesetzten Zeremonienmantels ist mit Dämonengestalten und Engeln bestickt. Bei jedem Schritt knistert und rauscht der schwere Stoff, leise klingeln die aufgenähten Edelsteine.

Als der „Heilige" mit seinem Anhang von Mönchen, Diakonen und Palastwächtern am Ende der Grünen Galerie erscheint, stoßen die weißgekleideten „Silentarii" mit den Ebenholzstäben auf die spiegelnden Marmorfliesen und gebieten Stille. Sogleich verstummt jedes Gespräch, ehrfürchtig versinken die Gelehrten in Verbeugungen.

 

Kaisers Nikephoras Phokas

Der Kronrat des Kaisers Nikephoras Phokas ist im Goldsaal, dem Chrysotriklinium, versammelt. Die Majestät thront unnahbar hoch über den Ministern und Räten; ein zauberhaftes Zeremoniell verhüllt die menschliche Gestalt des Herrschers. Nikephoros ist von abstoßender Gestalt und, im Gegensatz zu seiner Um­gebung, fast ärmlich gekleidet.

„... Ein Ungetüm, ein Zwerg mit dickem Kopf, klei­nen Maulwurfsaugen, einem kurzen, breiten, dichten und halbgrauen Barte, einem ganz kurzen Hals und sehr langen und struppigen Haaren, von Gesichtsfarbe gleich einem Mohren... Er trägt ein altes, vom Gebrauch abgenütztes und ausge­bleichtes Staatskleid von Byssus und sicyonische Schuhe ... Er ist schlau wie ein Fuchs und an Lügen und an falschen Schwüren ein zweiter Ulysses ..."

Die prunkvoll gekleideten, asiatisch geschmückten "Würdenträger umschreiten den Thron in unbegreif­lichen und doch tiefbedeutsamen Gebärden; phrasen­reiche, hintergründige Worte werden halblaut ge­sprochen; keiner der Feldherren, Geheimschreiber, Schatzmeister, Patrizier, Kämmerer, Intendanten, Admirale, Notabeln und Höflinge verrät innere Anteilnahme, alle verbergen sich hinter starren Masken.

Obschon man in den letzten Tagen viel über ein Zer­würfnis des Kaisers mit dem allmächtigen Hofbeamten Basilius geflüstert hat, steht der Gewaltige - ein un­säglich fetter, in gelbe Seide mit aufgestickten, grünen Drachen gekleideter Mann - unmittelbar neben dem 'Thron.

Basilius ist ein unebenbürtiger Sohn des verstor­benen Kaisers Lekapenos, er war Oberkämmerer unter Konstantin Porphyrogennetos, besiegte die Sarazenen und eroberte Kreta; als die Zeit reif war, ergriff er die Führung der Palastpartei, die vor sieben Jahren den Sturz des Kaisers Romanos II. erzwungen und den jetzigen Herrscher auf den Thron erhoben hat. Seither bekleidet er das Amt des Ersten Ministers.

Als der Heilige Patriarch eintritt, erhebt sich der gesamte Hofstaat mit Ausnahme des Kaisers und der kaiserlichen Prinzen. Der „Heilige" lässt die uralten, weisen Augen über die Versammlung des Chrysotrikliniums schweifen, tritt langsam vor den Thron und küsst, wie es die Zeremonie vorschreibt, die beringte Hand des Kaisers.

Erst dann macht er das segnende Kreuz über die ge­beugten Häupter der Mitglieder des Thronrats. Eine Handbewegung und geflüsterte Worte der Majestät weisen dem Patriarchen den Sitz zur Rechten an. Das ist der begehrte Ehrenplatz, den bisher unangefochten Basilius behauptet hat.

„Eure Ewigkeit?", fragt der Patriarch überrascht. Doch der Herrscher nickt befehlend.

Als der Hofstaat sich niederlässt, muss für den Ersten Minister ein Schemel am Rande des Baldachins aufge­stellt werden. Der Palast hat die Geste verstanden: Basilius ist in Ungnade gefallen. Das Antlitz des Ge­demütigten ist unter der Schminke fahl geworden; er wahrt unbewegt den Ausdruck der Gleichgültigkeit - aber wilde Stürme durchtoben seine Brust.

Er vernimmt die Ansprache des Kaisers nur von fern, die einsetzende Debatte geht an seinem Ohr vorbei. Tausend Gedanken bewegen ihn; die eben erlittene Kränkung und Zurücksetzung hat ihm eine Wunde ge­schlagen, die brennen wird bis zum Tag der Rache.

Nikephoros Phokas ist durch die ränkevolle Politik des Basilius Kaiser geworden. Wenn er heute der Gatte der schönen Theophano ist, die um seinetwillen Roma­nos II. verraten hat, so verdankt er diese Verbindung ebenfalls dem klugen Intrigenspiel des Ministers. Basi­lius hat sich auch als Marschall dem Kaiser verdient gemacht. Die Sarazenenflotte vor Kreta ist seiner stra­tegischen Begabung erlegen, die Bulgaren sind in der Ebene von Adrianopel von seinen Truppen geschlagen worden.

Langsam dringt der Sinn des Gesprochenen wieder in das Bewusstsein des in Ungnade gefallenen Günstlings. Man erwägt die letzten Nachrichten aus den italischen Themen, die fortgesetzten Angriffe des neuen deutsch-römischen Reiches auf das byzantinische Süd­italien.

Hin und her geht dort der Kampf. Die Truppen Kaiser Ottos I. sind mehrmals bis Kalabrien vorgerückt. Byzanz beherrscht durch seine Flotte aber immer noch die Häfen, das Meer und damit die Verbindungen der Deutschen.

„Man nenne diesen Barbarenkönig in meiner Gegen­wart nicht ferner mit dem geheiligten Namen eines römischen Cäsars!", herrscht Nikephoros Phokas seine Räte an. „Wie der Ewige Augustus befiehlt!", antwortet ge­wandt Leo Balantes, der Feldherr. Basilius lächelt. Es ist Selbstbetrug, zu diesem Zeitpunkt die Anerkennung des deutschen Kaiserreiches zu verweigern. Was will Byzanz gegen die Machtentfal­tung des Westens? Es sind ganz andere Kräfte, die Ost­rom bedrohen!

Von der Donaugrenze ist die Ansammlung unge­heurer Slawenmassen gemeldet. Seit die Rus-Wikinger von Kiew ihr Reich am Dnjepr gegründet haben, ver­suchen sie, den Durchbruch zu den Meerengen in die wärmeren, von der Natur begünstigten Länder des Mittelmeerraumes zu erzwingen. Die slawischen Stämme haben Häuptlinge aus dem Norden zu Führern, Byzanz ist das Sehnsuchtsziel dieser Horden.

Der gesamte Osten und Süden des byzantinischen Reichs ist in den Händen der Sarazenen, der Islam steht in Kleinasien und Syrien, in Ägypten und Nordafrika. Zwar hat die Wiedereroberung Kretas die ägäischen Gewässer gesichert, dafür haben sich die Heiden auf der Insel Sizilien festgesetzt und bedrohen Unteritalien.

In dieser Lage ist es Größenwahn oder Selbstmord, sich mit der einzigen christlichen Macht, die bei der Ab­wehr der Barbaren und Heiden helfen könnte, wegen des Vorranges oder auch wegen einiger italischer Ge­bietsstreifen herumzuschlagen. Der Kaiser ist auf dem Wege, durch seinen Hochmut Ostrom in tödliche Gefahr zu bringen.

 

Ermordung des Kaisers Nikophoras Phokas

Langsam wird die Seele von Byzanz von Unruhe er­griffen. Große Dinge bereiten sich vor. '"In der Nacht vom Freitag dem 10. auf Sonnabend den 11. Dezember 969, als ein wilder Regensturm über die Palaststadt hinfegt, füllen sich die Galerien mit jähem Getümmel; durch die Mosaikhallen jagen Soldaten mit blanken Degen, Fackeln schwelen rötlich. Wie aus dem Boden gewachsen, sammelt sich eine schreiende, erregte Menge auf dem Platz vor dem Chalkepalast. Es heißt, dass Kaiser Nikophoras Phokas ermordet, dass ein Aufstand im Palast ausgebrochen sei.

Basilius hat die Ereignisse im Bett abgewartet. Er schützt Krankheit vor, liegt in seinem Gemach unter dem seidenen Baldachin und lässt die ganze Nacht die Öllampen brennen. Als Diener ihm die vollzogene Blut­tat bestätigen, erhebt er sich gemächlich aus den Kissen und sammelt seine bewaffneten Sklavenscharen.

Leo Balantes, einer der Heerführer, hat dem Kaiser Nikephoros Phokas mit einem Säbelhieb das Haupt ge­spalten; in einer Loggia des Chalkepalastes erscheint - von Fackelträgern umgeben - der Hofbeamte Johan­nes Azymotheodoros und zeigt dem Volke das wachs­bleiche Haupt des Gemordeten.

Die „Degenmänner" des Basilius besetzen die Palast­eingänge, Mönche eilen auf die sturmgepeitschten Plätze von Byzanz und verkünden den Namen des neuen Herrschers: Johannes Tsimiskes.

Gegen vier Uhr früh findet im Pfauensaal der Magnaura rasch und ohne das übliche Zeremoniell die Kaiserkrönung statt. Unmittelbar nach dem Staatsakt lässt der Kaiser Basilius zu sich kommen, zeichnet ihn durch Umarmung aus und ernennt ihn zum Ersten Minister.

Die hohen Ämter werden umbesetzt. Heerführer gehen in die Verbannung, andere nehmen die begehrten Stellen ein; innerhalb einer Woche läuft die ungeheure Maschine des Staates wieder reibungslos.

Johannes Tsimiskes ist ein Meister der hohen Kunst byzantinischer Diplomatie; die Aussöhnung mit dem erzürnten Patriarchen erfolgt, die „Kaisermörder" wer­den bestraft und entfernt. General Leo Balantes, der den tödlichen Streich geführt, und Johann Azymotheo­doros, der das Haupt des Gemordeten dem Volke ge­zeigt hat, werden hingerichtet. Ein hartes Los trifft die Kaiserin Theophano, die nun zum zweiten Mal einen Gatten seinen Henkern ausgeliefert hat, nachdem sie die Geliebte des vorgesehenen Nachfolgers geworden war. Der neue Kaiser weigert sich, den Thron mit ihr zu teilen und verbannt die ränkevolle Frau in ein weit entlegenes Kloster. Verzweifelt wehrt sich die Geächtete. Dann führen sie die Schergen hinweg.

Kaum haben sich die Verhältnisse in Byzanz beruhigt, als die tödliche Gefahr aus dem Norden Wirklichkeit wird. Von den nördlichen Provinzen treffen Nachrichten über einen verheerenden Einbruch der wilden Steppen­völker unter wikingischer Führung ein. Die Rus-Wikinger haben in den bulgarischen Ebenen überwin­tert und sind nun zum Angriff auf die südlichen Länder angetreten; sie streben zur Freiheit des Meeres.

Fürst Swjatoslaw zieht mit unübersehbaren Massen über das Balkangebirge, stürmt das unglückliche Phi­lippopel und lässt zwanzigtausend Einwohner pfählen, erschlagen und hängen. Nach wenigen Tagen schwär­men in der Ebene vor den Theodosianischen Mauern die feindlichen Reitertrupps; durch einen Ausfall der Wach­truppen werden sie schnell wieder vertrieben. Ungarn und Tataren schließen sich dem Heerzug der Steppenhäuptlinge an. Wieder einmal erzittert die Stadt an den Meerengen im Kampf um ihr so oft bedrohtes Dasein.

In seinem Privatkabinett hört der Kaiser mit unbe­wegtem Antlitz dem vortragenden Rat zu, der ein eben eingetroffenes Schreiben des Fürsten Swjatoslaw ver­liest.

 „Entweder bezahlst du, Kaiser von Ostrom, was ich an Gold für die Räumung der Provinzen Bulgarien und Thrakien verlange, oder wir werden für ewige Zeiten hier bleiben. Wenn du meine Vorschläge zurückweist, so wird euch - dir, Tsimiskes, und deinen Untertauen - nichts anderes übrigbleiben, als Europa ein für allemal zu verlassen, wo ihr kein Land mehr besitzt und kein Recht, zu bleiben. Zieht euch nach Asien zurück und lasst uns Konstan­tinopel! Nur so kann es zu einem wahren Frie­den zwischen euch und dem russischen Volke kommen!"

Nach einem Augenblick des Schweigens diktiert Kaiser Tsimiskes seine Antwort. „An dir ist's, sich zu entfernen, an dir, der, als sei er ein Fürst, daherredet."

Er erinnert den Russen an das Schicksal seines Vaters Igor, der mit den Resten der Raubflotte aus den Ge­wässern von Konstantinopel flüchten musste und ein grausames Ende fand. „Mag dir dieses Beispiel zur Lehre dienen. Wenn du das Römische Reich herausforderst und meine furchtbare Macht auf dein Volk herabsiehst, so wirst du dein Vaterland nie wiedersehen. Du und die Deinen, ihr werdet die bulgarische Erde decken. Kein Kahn der Euren wird nach dem Barbaren­lande zurückgelangen, um den Deinen Kunde zu bringen."

Die kriegerische Botschaft wird von den Schreibern auf lange Seidenbahnen gemalt, mit Purpurbändern durch­flochten und mit dem kaiserlichen Goldsiegel versehen. Dann ritten Boten in das Lager der Wiking-Russen.

Wie in den Zeiten der Völkerwanderung wälzt sich der Krieg über die Donauprovinzen. Die Russen führen ein Heer von Steppenvölkern gegen die Mittelmeerwelt; das Fußvolk rückt „von riesigen Schilden gedeckt, ...wildes Geheul ausstoßend, vor, und die Krieger schneiden sich lieber den Bauch auf und reißen die Eingeweide heraus, als dass sie sich ergeben."

Aber die Griechen sind nicht das gealterte, kraftlose, Geschlecht, als das sie die Welt der jüngeren Völker ansieht. Der Armenier Johann Tsimiskes schafft in Kürze ein diszipliniertes, gut ausgerüstetes Heer. Seine Heerführer - wie der tapfere Bardas Skieros - stellen sich den herausfordernden, riesenhaften Wikingern zwischen den Schlachtordnungen zum Zweikampf und siegen durch ihre bessere Fechttechnik über die nor­dischen Recken.

Zwei fremde Welten begegnen sich in erbitterten Kämpfen. Während die Gegner mit ohrenbetäubendem Gebrüll in zügelloser Masse angreifen, brechen die ge­ordneten Kolonnen der Griechen in stählernen Keilen aus den Hinterhalten. Zimbeln, Pauken und Hörner übertönen den Lärm der Barbaren. Spitzhelmige Reiter mit Kettenhemden, taurische und cilicische Geschwader mit Rundschilden und Lanzen, von Purpurmänteln um­flattert, jagen in geschlossener Linie gegen die Wikin­ger und Slawen.

Auch die Wikinger tragen stählerne Spitzhelme, die Kettenhemden umhüllen manchmal sogar das Haupt, zusätzlich sind sie mit Leder oder gesteppten Woll­röcken gepanzert, bunte, mit Ornamenten bestickte Mäntel hängen um ihre Schultern. Sie kämpfen mit Hornbogen und Langschwert, während ihre slawischen Verbündeten Speere, Pfeile und Messer gebrauchen.

Die Niederlage der Völker aus dem asiatischen Raum; die dem wohlüberlegten und überraschenden Angriff; eines zivilisierten Heeres nicht standzuhalten vermögen, ist so groß wie ihre verzweifelte Tapferkeit. Nach dem Hofbericht bedecken fünfundzwanzigtausend Tote das Feld, nur ein halbes Hundert Griechen sei unter ihnen. Dann verlagert sich der Krieg unter unsäglichen Gräueln nach Thrakien, an das Donauufer und in die Ferne der barbarischen Länder.

Die Politik des oströmischen Reiches soll nun auf neue, verheißungsvolle Ziele ausgerichtet werden. Kaiser Johannes Tsimiskes ist als Triumphator nach, Konstantinopel heimgekehrt, der Ansturm der Slawenwelt ist abgewehrt, Fürst Swjatoslaw hat den Rückzug nach Kiew angetreten.

 

Gemeinsame Interessen

Viele gemeinsame Interessen - so meinen die Räte des geheimen Konzils - verbinden das oströmische mit dem westlichen Reich. Mögen zwischen Ost und West viele trennende Mauern errichtet sein: der Unterschied im Volkscharakter, das Alter der Überlieferung, der Streit um die unteritalischen Militärbezirke und die Fremdheit zweier Kulturen, von denen die eine alt und weise, die andere jung und kraftvoll ist - die gemein­same Bedrohung durch den Islam und die Reitervölker der östlichen Steppen muss beide Mächte zusammen­führen.

Johannes Tsimiskes nimmt die ausgestreckte Hand des deutschen Kaisers an und verhandelt mit den Ge­sandten des germanischen Reiches. Der Kaiser überwindet alle Schwierigkeiten im In­nern, um das Bündnis mit dem deutschen Reich zu verwirklichen. Gesandtschaften gehen zwischen Rom und Byzanz hin und her, Vorverträge werden ge­schlossen und die gegenseitigen Interessenbereiche ab­gegrenzt. Endlich wird der Schlussstrich unter das große Werk gezogen: Eine Ehe soll die Kaiserhäuser des Westens und Ostens für immer miteinander verbinden.

Eine feierliche Abordnung erscheint im Palast Heliakon Magnauros; sie wirbt im Namen Ottos, des Sohnes des deutschen Kaisers, um die Hand der Prinzessin Theophano. Schon einmal hatte ein Legat Ottos I. sich um ein Verlöbnis zwischen dem deutschen Thronfolger und der byzantinischen Prinzessin bemüht; damals wurde der Gesandte - Bischof Liudprand von Cremona - von Kaiser Nikephoros mit beleidigender Unhöflichkeit empfangen und in einer Palastruine der Vorstadt untergebracht.

„Wir wurden in einen sehr großen Marmorpalast geführt, der verfallen war und der Witterung so offen stand, dass wir weder vor Hitze noch vor Frost geschützt waren. Bewaffnete Wächter umstellten uns, die meinen Begleitern den Ausgang, allen andern den Zutritt verwehrten." So berichtete damals zornentbrannt Herr Liudprand von Cremona seinem kaiserlichen Herrn.

Jetzt, vier Jahre später, hat sich das Bild gewandelt. Eine prächtig geschmückte Ehrenhundertschaft der be­rittenen Palastgarde führt die deutsche Gesandtschaft durch die Straßen von Byzanz.

Die Prinzessin thront in steifen Prunkgewändern, mit langen Perlgehängen in den Locken, auf dem Pfauensessel im Thronsaal des Palastes. Großwürdenträger, Gelehrte, Generäle und Bischöfe umgeben sie.

Dann öffnen sich die Flügeltüren des Saales, die deutsche Gesandtschaft unter Führung eines Bischofs tritt in die Halle. Sie sprechen eine seltsam harte Sprache, die Frem­den - der Dolmetsch übersetzt die Werbung Kaiser Ottos in klingendes, schmeichlerisches Griechisch. Theophano senkt zustimmend das Haupt.

Wochen später steuert die Staatsgaleere aus dem Hafen in das Marmarameer; noch einmal überschaut die Prinzessin die weißen Terrassen, die hochgetürmten Palastbauten mit den goldfunkelnden Kuppeln, die blühenden Parks dieser einzigartigen Stadt. Sie löst ihr Herz vom Bilde einer Welt, die sie niemals wiedersehen wird. Den Menschen dort drüben - Ger­manen auf römischer Erde - wird sie immer eine Fremde bleiben.

Theophano steht einsam am Heck des Ruderschiffs. Gleichmäßig fällt der Hammerschlag des Paukators im Ruderdeck, rhythmisch klatschen die mächtigen, mit je drei Mann besetzten Riemen ins Wasser. Man spürt den Ruck, mit dem sich das Fahrzeug voran­schiebt. Tränenlos sieht die junge Braut die Heimat langsam hinter dem Horizont versinken. Philagathos, der ihr mit anderen Lehrern und Freunden, Hofdamen und Kavalieren nach dem Westen folgt, tritt behutsam an ihre Seite. Theophanos schlanke Gestalt reicht dem Ge­lehrten bis an die Schultern; in dem Blick ihrer schwar­zen Augen liegt alle Weisheit einer tausendjährigen Kultur.

 „Es ist wie eine Fahrt vom Gestern ins Morgen", sagt sie leise zu dem vertrauten Pädagogen, „der Geist der Hellenen vermählt sich der germanischen Kraft; wir werden eine Aufgabe finden, Philagathos; wir sind - wie Iphigenie - ein Opfer der Versöhnung zwischen Griechen und Barbaren."

„Man sagt, der junge Kaiser sei hochgebildet und gütig . . .", tröstet der Grieche. Aber Theophano denkt nicht an ihr persönliches Schicksal. „Zwischen Gestern und Morgen!", wiederholt sie flüsternd, nachhorchend ihren eigenen Worten. „Wie, Philagathos, können wir Vergänglichen das Heute festhalten? Ach, ich glaube, nur das Ewige ist unsere wahre Heimat."

Im Jahre 972 wird in Rom unter großer Prachtentfal­tung die Hochzeit des jungen deutschen Mitkaisers Otto II. mit Theophano von Byzanz gefeiert. Kurz darauf zieht das junge Paar nach Deutschland. Der alte Kaiser hat einen Hoftag nach Quedlinburg einberufen; auch Otto I. ist - wie sein Vater Heinrich - am Ende seines langen und erfolgreichen Weges zum Ausgang zurückgekehrt. Dort im Herzen des sächsichen Landes, zu Füßen der schweigenden Harzwälder, weiß er die Wurzeln seiner Kraft.

Mächtig sind Quedlinburg, Gernrode mit seiner neu­erbauten Stiftskirche und all die anderen Klöster und Städte der ehemaligen Grenzmark emporgeblüht; sie sind ein getreues Spiegelbild der Erstarkung des deut­schen Volkes.

Während des Hoftages bringen Gesandte der Russen, Bulgaren, Ungarn und Polen Botschaft ihrer Herrscher, der Herzog von Böhmen legt Geschenke vor den Hoch­sitz des Kaisers, der Polenkönig sendet seinen Sohn als Unterpfand der Treue. Von Beneventum und Burgund sind Legaten erschienen, der Däne Harald Blauzahn schickt eine Abordnung, die Franzosen und Griechen huldigen dem Schöpfer des neuen Reiches.

Neben den weltlichen Großen des Reiches sitzen die Kirchenfürsten; auch die Angelegenheiten der Kirche sind durch die Obergewalt Herrn Ottos geregelt. Aber über allem irdischen Prunk, aller Macht und Größe der Menschen lastet, wie Wolkenschatten auf Meereswogen, das Schicksal der Vergänglichkeit. Zu Ostern findet der große Hoftag von Quedlinburg statt, wenige Wochen später - am 7. Mai 973 - streckt ein Schlaganfall den Schöpfer des Reiches nieder.