Karl der Große (3)

Karl der Große, (wahrscheinlich 2. April 747 oder 748; † 28. Januar 814 in Aachen) aus dem Geschlecht der Karolinger war seit dem 9. Oktober 768 König des Fränkischen Reiches und seit dem 25. Dezember 800 Römischer Kaiser.

Der Enkel des Hausmeiers Karl Martell war der erste fränkische König und der erste „römische" Kaiser Namens Karl und wird somit in beiden Ämtern als Herrscher auch als Karl I. gezählt. Er erhielt bereits zu Lebzeiten den Beinamen „der Große" und gilt seit dem Mittelalter als einer der bedeutendsten Herrscher des Abendlandes. Das Frankenreich erfuhr unter ihm seine größte Ausdehnung. Sowohl Deutsche als auch Franzosen führen die Anfänge ihrer Nationalgeschichte auf Karl den Großen zurück.

 

Leben

Über Karls Kindheit und Jugend ist so gut wie nichts bekannt.

Herrschaftsantritt

768, als Karl 20 oder 21 Jahre alt war, starb sein Vater Pippin. Zunächst teilte er sich die Herrschaft mit seinem Bruder Karlmann, wurde aber nach dessen Tod schon 771 zum Alleinherrscher. Zu jener Zeit fielen die früh christianisierten Franken in „barbarische" - d. h. althergebrachte - Gebräuche zurück und vernachlässigten die erworbene Bildung und Religion. Die Sachsen im heutigen Norddeutschland beharrten auf ihrem Heidentum. Im Süden stritt die römisch-katholische Kirche mit den Langobarden um Einfluss, Besitz und Macht auf der Apenninen-Halbinsel, auf der iberischen Halbinsel drängten die Sarazenen immer weiter nach Norden, im Osten fielen Awaren ein - kurz: Europa war in Aufruhr und der Bestand des Frankenreiches schien bedroht. Karl I. war offenbar von Anfang an zu einer Neuordnung der Verhältnisse in Westeuropa entschlossen und scheute sich während der Zeit bis 800 nicht, an den unterschiedlichsten Fronten gleichzeitig zu kämpfen.

 

Die Sachsenkriege

Im Sommer 772 begannen die 30 Jahre währenden Sachsenkriege, die mit beträchtlicher Grausamkeit durchgesetzte Unterwerfung, Christianisierung und Eingliederung des sächsischen Volkes in das Fränkische Reich.

 

Die Unterwerfung der Langobarden

Im März 773 baten päpstliche Gesandte am Hof Karls um Unterstützung gegen die Langobarden. 774 eroberten die Franken Pavia. Karl setzte den letzten Langobardenkönig Desiderius ab; dessen Tochter, die er zuvor geheiratet hatte, verstieß er bald darauf. Er ließ sich nun selbst zum König der Langobarden krönen. Im Süden blieb das Herzogtum Benevent bis zur Eroberung durch die Normannen im 11. Jahrhundert selbstständig, wenngleich es auch zu den Satellitenstaaten des Fränkischen Reiches gezählt werden muss. Karl bestätigte auch die Pippinische Schenkung seines Vaters an die Kirche, aus der später der Kirchenstaat hervorgehen sollte.

 

Kriegszüge gegen die Mauren

Weit geringeren Erfolg brachte ein Kriegszug nach Spanien im Jahr 778. Anlass dafür war ein Hilfegesuch des Emirs von Saragossa. Beim Rückzug wurde ein Teil des fränkischen Heeres von den vermeintlichen Heiden aufgerieben. Allerdings wurde Aquitanien als ein Unterkönigtum für Karls minderjährigen Sohn Ludwig eingerichtet. Die Verhältnisse im Pyrenäenraum konnten so zunächst stabilisiert werden, der Herrschaftsbereich der Franken wurde - wenn auch nur zeitweise - bis nach Girona, Cerdagne, Urgell und Barcelona erweitert. Erst als Folge späterer Auseinandersetzungen mit den Sarazenen (so nannte das spätere Mittelalter die Mauren) wurde 806 die Spanische Mark jenseits der Pyrenäen gegründet.

 

Harun al-Rashid

797 nahm Karl diplomatische Beziehungen zu Harun al-Rashid, dem Kalifen von Bagdad auf. Sie vereinbarten, den jeweils anderen Glauben bei ihren Untertanen zu dulden, und erwogen eventuelle Bündnisse gegen die Kalifen von Cordoba einerseits bzw. das oströmische Reich andererseits, die jedoch nie Realität wurden. Der Kalif schenkte Karl den ersten in der überlieferten Geschichte nördlich der Alpen gesichteten Elefanten. Es handelte sich um einen weißen asiatischen Elefanten namens Abul Abbas.

 

Das Ende der Selbständigkeit Bayerns

788 wurden auch die Baiern (so die alte Schreibweise) endgültig dem Reich einverleibt. Der letzte bayerische Stammesherzog Tassilo III., der sein Lehen 757 von Pippin bekommen hatte, versuchte vergeblich, die Eigenständigkeit durch ein Bündnis mit den eigentlich schon unterworfenen Langobarden zu retten. Das bayerische Gebiet, das ab 798 von Salzburg aus zu einer eigenen Kirchenprovinz ausgebaut wurde, blieb nach der Angliederung gleichwohl als politische Entität erhalten. Unter den als Präfekten bezeichneten Amtsträgern des Königs wahrte es durchaus eine Sonderstellung innerhalb des fränkischen Reichsverbands. Die Eingliederung der Baiern ins Frankenreich war neben der Unterwerfung der Sachsen die wichtigste Voraussetzung für die spätere Herausbildung des Heiligen Römischen Reiches.

 

Die Kaiserkrönung

795 wurde Leo III. zum Papst gewählt. Er versicherte sich umgehend der Unterstützung des Frankenkönigs und übersandte Karl I., dem Schutzherrn der Kirche, den Schlüssel zum Grab Petri sowie das Banner Roms. Das Papsttum war seit einiger Zeit unter den Einfluss des in diverse Fraktionen aufgesplitterten römischen Stadtadels geraten, der bei der Papstwahl ausschlaggebend war. 799 spitzte sich die Konfrontation mit dem Adel zu; das Kirchenoberhaupt war Ziel eines Attentats bzw. Absetzungsversuches. Leo III., dem u. a. ein unwürdiger Lebenswandel (darunter Ehebruch und Meineid) vorgeworfen wurde, flüchtete zu Karl nach Paderborn. Was dort und unter Umständen schon weit vorher abgemacht wurde, ist nicht geklärt: Möglicherweise wurde erst hier, vielleicht aber auch schon Jahre zuvor die Kaiserkrönung vereinbart.

Karl jedenfalls zog im Sommer 800 nach Rom. Leo III. empfing ihn Ende November weit vor den Toren der Ewigen Stadt und legte am 23. Dezember einen Reinigungseid ab, der ihn von den Vorwürfen der Verschwörer aus Kreisen des Adels entlasten sollte. Inwieweit dieser freiwillig von ihm geleistet wurde, muss freilich dahingestellt bleiben.
Am Weihnachtstag des Jahres 800 wurde Karl von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt. Dieser Titel war seit der Absetzung von Romulus Augustulus im Jahr 476 in Westeuropa nicht mehr geführt worden.

Karl verstand sich als Kaiser des erneuerten Römischen Reiches und somit als direkter Nachfolger der römischen Kaiser. Die Einheit von Kirche und Reich war nun ganz offiziell Staatsdoktrin. Als Beschützer des Papstes und des christlichen Glaubens war Karl der Große sehr darauf bedacht, dass in seinem Reich jeder das Pater Noster (Vaterunser) kannte. Zeitweilig standen Verunglimpfungen von Priestern oder des Christentums und seiner Symbole sogar unter Todesstrafe.

 

Die Ausweitung des Frankenreiches im Osten

Als Ersatz für deportierte Sachsen ließ Karl I. im Nordosten des Reiches elbslawische Abodriten und auch Franken ansiedeln. Ab 804 kam es zu Auseinandersetzungen mit den Dänen, deren König Göttrik nach Friesland bzw. Sachsen ausgriff und, unterstützt von den Wilzen, die Abodriten bekämpfte.
Das Verhältnis zu den slawischen Stämmen östlich von Sachsen und Thüringen war ebenfalls zwiespältig: 789 führten die Franken einen Feldzug gegen die Wilzen; nach der langwierigen Unterwerfung der Sachsen wurden auch die Sorben 806 von den Franken besiegt, nachdem deren Herzog Miliduoch getötet worden war.
Böhmen geriet nach einer Kampagne in den Jahren 805 und 806 in fränkische Abhängigkeit und wurde tributpflichtig. Auch sie wurden nach und nach offenbar erfolgreich christianisiert: 845 ließen sich 14 Herzöge aus Böhmen in Regensburg taufen; der bayrische Klerus war Hauptträger der Missionierung.
Gegen die vom Donauraum aus die Reichsgrenzen gefährdenden Avaren führte Karl zunächst 791 persönlich einen misslungenen Feldzug, dann nach sorgfältiger Vorbereitung 795/6 einen zweiten von durchschlagendem Erfolg. Der sehr große Avarenschatz fiel in die Hände der Franken und ihr Staat wurde zerschlagen. Die Überreste der Bevölkerung wurden zwangschristianisiert. Anfangs wurde ihnen noch eine eigene Herrschaftsorganisation innerhalb des Frankenreiches zugestanden. Spätestens im 10. Jahrhundert verschwinden sie endgültig aus der Geschichte.

 

Reformen und innere Neuordnung des Reichs

Mit teilweise tiefgreifenden Reformen, die sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme großenteils weiter vorantrieb, ordnete Karl I. das Frankenreich auch im Innern neu. Erstes Ziel war die Voraussetzungen für eine Verwaltungspraxis auf schriftlicher Grundlage zu schaffen. Aus diesem Grund stand die Bildungsreform am Anfang. Klöster und Bischöfe erhielten durch verschiedene Schreiben den Auftrag, Schulen zu unterhalten. Am Hof wurden Gelehrte aus ganz Europa zusammengezogen, denen wichtige Hofämter, Bistümer und Reichsabteien übertragen wurden. Begabte Schüler konnten hier ihre Bildung vervollkommnen. Der Hof wurde zur Drehscheibe, über die Informationen, persönliche Beziehungen und Bücher vermittelt wurden. Die Stammesherzogtümer schaffte Karl I. ab, wobei die rechtliche Eigenständigkeit der Stämme allerdings gewahrt wurde. Er ordnete überdies die Aufzeichnung der Stammesrechte an.

Die Reichsverwaltung, die Karl I. zu vereinheitlichen trachtete, übertrug dieser im Wesentlichen seinem Hofklerus und einem neu geschaffenen Dienstadel. Die Ausführung der Verwaltung des Reiches lag in den Händen der Grafen. Besondere Bedeutung erlangten die Markgrafen: Sie waren die Regenten in den neu geschaffenen Grenzmarken und hatten in diesem Bereich weitreichende Sonderrechte, etwa als Militärbefehlshaber und Gerichtsherren. Die Landgrafen mussten Wehrpflichtige stellen.

Die Übertragung von Ämtern und Lehen an die führenden Adelsfamilien (die „Großen") sicherte deren Loyalität und begründete eine neue Reichsaristokratie. Die Grafschaftsverfassung wurde zum wichtigsten Instrument zur Wahrung der Einheit des Reiches, obgleich es an den unterschiedlichen Traditionen im Westen bzw. Osten des Reiches seine Grenzen fand.

Eine herausragende Rolle bei der Neuordnung und Festigung im Innern spielte die Kirche, die Karl durch den massiven Ausbau der klerikalen Infrastruktur (u. a. wurden zahlreiche neue Bistümer gegründet, wobei sich Karl das Recht vorbehielt, die Bischöfe selbst zu ernennen), durch umfangreiche Schenkungen, die Bekräftigung des Zehntgebots und durch Reformen zum wahrscheinlich wichtigsten Band der Einheit seines Reiches machte. Die Einführung der Metropolitanverfassung, die regelmäßige Abhaltung von Synoden und die Durchführung von Visitationen, vor allem aber die Hebung des Bildungsstandes des Klerus waren die entscheidenden Maßnahmen zur Beseitigung kirchlicher Missstände. Durch eine unter Leitung Benedikts von Aniane durchgeführte und unter Karls Nachfolger Ludwig dem Frommen weiter vorangetriebene monastische Reform wurden die Benediktregel (ora et labora) sowie einheitliche, die Regel ergänzende Consuetudines für die Klöster verbindlich. Erst jetzt kam es zu einer klaren Abgrenzung der Mönche vom Weltklerus. Für die Kanonikerstifte und Domkapitel wurde die vita communis (das Gemeinschaftsleben von Brüdern) zwingend vorgeschrieben (Capitula e canonibus excerpta 813; Institutio canonicorum Aquisgranensis 816), wodurch auch hier eine strengere Überwachung der Lebensführung ermöglicht wurde, wenn auch die Regeln weniger asketisch ausgerichtet waren als in den Klöstern. Die von Pippin in die Wege geleitete Liturgiereform nach römischem Vorbild wurde weitergeführt. Ziel war, das ursprüngliche, Papst Gregor dem Großen zugeschriebene Sakramentar anstelle der im 8. Jahrhundert in Umlauf gekommenen sogenannten iunggelasianischen Sakramentare einzuführen. Papst Hadrian I. sandte auf Bitte Karls ein Musterexemplar nach Aachen, das Sacramentarium Gregorianum-Hadrianum; Benedikt von Aniane oder Alkuin verfassten zur Schließung der Lücken des ganz auf den römischen Stationsgottesdienst zugeschnittenen Gregorianum-Hadrianum das Supplementum Anianense.

Das ehedem gänzlich uneinheitliche Geldwesen wurde ebenfalls reformiert. Die Goldbindung des Geldes wurde aufgegeben, der Silberdenar als reichsweit geltende verbindliche Währung eingeführt. Ein Solidus bzw. Schilling waren 12 Denar; ein Pfund (libra), dessen Gewicht gegenüber dem antiken Maß erhöht wurde, entsprach 20 Solidi. In Karls Münzordnung wurde festgelegt, dass aus einem Pfund Silber 240 Pfennige (Denare) geprägt werden müssen. Der angelsächsische König Offa von Mercien übernahm zur gleichen Zeit diese Regelung, die in England in der Tat bis 1971 in Kraft war.

 

Tod und Nachfolge

Nach altem fränkischem Brauch ordnete Karl 806 seine Nachfolge durch einen Reichsteilungsplan. Nachdem seine beiden älteren Söhne jedoch früh verstorben waren, erhob Karl 813 seinen - nach damaligem Verständnis - einzigen legitimen Erben Ludwig den Frommen zum Mitkaiser; 814 folgte er dann seinem Vater in der Herrschaft.

Nach 47-jähriger Herrschaft starb Karl der Große am 28. Januar 814 in Aachen und wurde in der Pfalzkapelle, d. h. der Marienkirche beigesetzt. Die Todesursache (Infekt mit Rippenfellentzündung?) ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt.

 

Ehen und Nachkommen

Karls I. Ehe-, Sexual- und Familienleben stand in eklatantem Widerspruch zu den kirchlichen Moralvorstellungen und dem darauf aufbauenden Kirchenrecht. Schon die Verstoßung seiner ersten langobardischen Ehefrau und die anschließende Wiederheirat mit der Alemannin Hildegard waren kirchenrechtlich anstößig, weil sie gegen das Unauflöslichkeitsprinzip der Ehe verstießen. Schlimmer noch war aber aus kirchlicher Sicht, dass er außer mit seinen Ehefrauen auch sexuellen Umgang mit einer Reihe von Konkubinen pflegte, von denen einige den Status regelrechter Nebenfrauen hatten und ihm auch Nachkommen schenkten. Außerdem verhinderte Karl, möglicherweise auch aus politischen Gründen, dass seine Töchter heirateten, duldete aber stillschweigend, dass sie mit Mitgliedern der Hofgesellschaft im Konkubinat lebten. Erst nach Karls Tod konnten diese Verhältnisse offen kritisiert werden, zumal sein kirchlich erzogener Sohn Ludwig der Fromme daran Anstoß nahm und als eine seiner ersten Maßnahmen die Konkubinen seines Vaters und deren Kinder vom Hof verbannte und in Klöstern unterbringen ließ.