Klöster als Teil einer neuen Machtstruktur
Ein Beitrag von Silke Keller
Nachdem die Machtstrukturen des römischen Reiches zerfallen waren und die großen Bewegungen der Völkerwanderung abebbten, beginnt das Mittelalter. Es wird als dunkel beschrieben, weil die kulturellen Errungenschaften der Römer und der Glanz ihrer imperialen Macht erloschen waren. Wir finden uns im Kleinklein wieder. Regionalmächte und überschaubare Völkerschaften grenzten sich voneinander ab und versuchen sich gegeneinander zu behaupten. Der überregionale Handel kam mehr oder weniger zum Erliegen, man beschränkte sich auf das Notwendige – das Leben wurde beschwerlicher. Dies lässt sich z.B. an den Straßen beobachten. Die römischen Fernstraßen wurden einstmals unter großem Aufwand mit mehrschichtigem Untergrund sorgfältig erbaut. Die Straßenoberfläche wies in ihrer Pflasterung sogar eine leichte Wölbung auf, sodass das Wasser abfließen konnte. Diese wertvollen Fernstraßen wurden im Mittelalter von den kleinen bäuerlichen Ortschaften nicht mehr ausgebessert. Dazu fehlten die Kapazitäten. Auf Dauer wurden die Straßen unbrauchbar. Man musste den Karren wieder durch den Dreck ziehen.
Was das Römische Reich ausgemacht hatte, dem Frühmittelalter fehlte es: die gemeinsame Idee, weitreichende Motive, große Ziele. Das Frühmittelalter ist in allem das Gegenteil. Und doch bildete sich in dieser „dunklen“ Zeit des Mittelalters wieder eine übergeordnete Struktur heraus. Allerdings war es zunächst keine politische, sondern eine religiöse Struktur, die die Völkerschaften indirekt leitete. Das Christentum, das dem Römertum nicht wirklich entsprochen hat, treibt im Frühmittelalter seine ersten Blüten. Es entstehen kleine Zellen, von denen christliche Werte, Handwerk und Bildung in die Umgebung ausstrahlen: die Klöster.
Die Klöster hatten für das Mittelalter eine große Bedeutung. Die christliche Lehre war das eine, aber die praktische Wirkung auf die arme Bevölkerung der europäischen Landstriche war das andere. In den Klöstern hatte man sich die Fähigkeit des Lesens und Schreibens erhalten. Jedes Kloster hatte eine eigene Schule, eine äußere und eine innere. In der äußeren Schule unterrichtete man die Söhne der Herren, Edlen und Freien aus der Umgebung, in der inneren Schule wurden die künftigen Mönche, die zum Unterschied zu ihren Kameraden der Außenschule schon jetzt die Kutte trugen, ausgebildet.
Bücher und Bibliotheken gab es im Frühmittelalter fast ausschließlich in Klöstern. Hier wurde das Wissen der damaligen Zeit gesammelt und vervielfältigt. In einem Schreibsaal (Skriptorium) saßen und standen Mönche den ganzen Tag an Pulten und schrieben vorhandene Bücher ab. Ein fertiges Buch, dessen Erstellung Monate, manchmal auch Jahre bedurfte, war ein Unikat und hatte anschließend einen sehr großen Wert. Man musste viel Geld besitzen, um ein Buch kaufen zu können.
Klöster wurden oft in unterentwickelten Gegenden gegründet. Die Mönche legten z.B. Sümpfe trocken oder rodeten Wälder, um neues Ackerland zu gewinnen. Sie entwickelten praktische Techniken im Landbau, in der Pflanzenzucht oder der Kräuter- und Heilkunde (Klostergarten), die sie auch an die Bevölkerung weitergaben. Somit wurden sie zu wichtigen Entwicklungszentren für den Landbau, aber auch für das Handwerk.
Im Kloster versuchte man das Ideal eines friedlichen und christlichen Zusammenlebens zu verwirklichen: Ein kleines Reich Gottes! Natürlich konnte die Wirklichkeit vom Ideal auch ganz gehörig abweichen. Auf die Bevölkerung jedoch hatte es diesen Anschein: Gläubige, friedliche, arbeitsame und gebildete Menschen, denen es an nichts fehlte. Zwar lebten Mönche im Kloster genügsam, doch dieses Wenige war ihnen sicher. Der Glanz des klösterlichen Lebens und der christlichen Ideale färbte auf die Menschen ab. Die Klöster trugen stark zur Verbreitung des Christentums unter den europäischen Völkerschaften bei.
Unabhängig der Politik baute sich eine neue überregionale Struktur auf dem Gebiet des ehemaligen weströmischen Reiches auf. Die Kirche wurde zum Machtfaktor, der das Mittelalter federführend bestimmen sollte.