Verben-Geschichte

Hintergrund:

In der dritten Klasse der Waldorfschule werden die ersten Wortarten eingeführt. In den darauf folgenden Jahren wird immer mal wieder wiederholt. Dazu eignet sich diese Geschichte.

Durchführung:

Der Lehrer liest den unteren Text und die Schüler setzen die Tätigkeit ohne äußerliche Hilfsmittel möglichst im freien Raum ganz nach ihren eigenen Vorstellungen um.

Reflexion:

Anschließend könnte man Teile aus der Geschichte den Schülern als Kopie geben. Zunächst kann man alle Verben unterstreichen und dann als Infinitiv herausschreiben lassen.

 

Geschichte:

Es ist morgens um 9 und mein Wecker schrillt. Ich reiße die Augen auf und stehe fast senkrecht im Bett. Ich habe total verschlafen. Um 9.20 Uhr habe ich heute einen entscheidenden Termin im Büro, denn es soll ein Großauftrag in Anwesenheit meines Chefs und der amerikanischen Delegation unterschrieben werden.

Mir bleibt das Herz fast stehen. Ich werfe die Bettdecke auf die Seite meiner Frau, die nicht einmal vom Wecker aufgewacht war und springe hektisch aus dem Bett. Ich schreie hilflos: „Helga, aufwachen, aufwachen, so ein Mist, wir haben verschlafen und heute ist so ein wichtiger Tag! Hilf meine Sachen zu richten." Ich renne ins Bad und stolpere fast über den großen Spielzeugtrecker meines kleinen Sohnes. In einem Affenzahn beginne ich den Seifenschaum für meine Rasur anzurühren. Pinsel mich ein, nehme das Rasiermesser und als allererstes schneide ich mich selbstverständlich. Mein Schmerzesruf durchdringt die Wohnung. Ich rette, was zu retten ist und beende jammernd die Rasur. Ich nehme das Pflaster, was mir meine Frau entgegenhält und klebe es umständlich an mein Kinn, nachdem ich den Blutfluss gestoppt habe. Nun werden die Zähne geschrubbt, aber wo zum Teufel hat mein Sohn meine Zahnbürste versteckt? Ich durchwühle den Spiegelschrank bis mir einfällt, dass ich sie gestern Abend selbst auf mein Nachttischschränkchen gelegt habe.

Auf dem Weg ins Schlafzimmer schnappe ich mir die Hose und versuche sie im Laufe anzuziehen, was allerdings damit endet, dass ich mein Gleichgewicht verliere und mit dem Kopf gegen den Bettpfosten knalle. Wie benommen bleibe ich einen Augenblick liegen und denke immer nur: Was für ein böser Traum! Aber die Wirklichkeit holt mich wieder ein. Ich rappele mich ächzend wiederum auf und vollende unsicher schwankend das Anziehen der Hose. Nun greife ich in die Strumpfschublade und versuche mir das Paar hüpfend auf dem Weg in die Küche anzuziehen. Dort empfängt mich meine Frau mit dem Hemd, in das ich nur noch hineinzuschlüpfen brauche, verheddere mich in meiner Krawatte, - da fällt mir wieder das Zähneputzen ein. Mundgeruch bei Arbeitskollegen ist sehr unangenehm. Ich renne zurück zum Nachttischschränkchen, finde meine Zahnbürste, wo ich sie am Abend hingelegt hatte und beginne in rasendem Tempo meine Zähne zu schrubben. Dann noch Haare kämmen, ein Blick in den Spiegel: „Oh Gott!" entfährt es mir. Ich werfe mir das Jackett über, meine Frau steht bereits mit dem Aktenkoffer bei der geöffneten Haustür. Ich spute mich, eile zur Tür, nehme den Koffer, werfe ihr einen dankbar verzweifelten Blick zu und hinter mir fällt die Tür ins Schloss. Da merke ich erst, dass ich noch gar keine Schuh an den Füßen habe, suche verzweifelt in der Hosentasche nach meinem Schlüssel für die Haustür, der dort aber nicht zu finden ist. Ich klopfe, trommle, klingle gegen die Haustür, stürme an meiner erschrockenen Frau vorbei, um mir schleunigst die schwarze Schuhe anzuziehen, die ich wieder mal zuerst losknüpfen musste, weil ich die schlechte Angewohnheit habe, sie immer so auszuziehen.

Diesmal vergesse ich auch den Schlüssel nicht, den ich mir im Vorbeieilen vom Schlüsselbord angele. Auf zur Garage. Ich öffne die Autotür, währenddessen das Garagentor automatisch hochfährt, lege den Rückwärtsgang ein, die Reifen quietschen und mein nagelneuer Mercedes macht eine Satz nach vorn gegen die Garagenwand. Ich bin dem Nervenzusammenbruch nahe. Diesmal finde ich den richtigen Rückwärtsgang und lande ohne weitere Zusammenstöße, aber mit zerbeulter Stoßstange auf der Straße, währenddessen ich mit dieser unsinnigen Fernbedienung versuche, das Garagentor zu schließen. Ich gebe es auf und zeige der Menschheit, was an PS unter so einer Motorhaube steckt - aber nur bis zur nächsten Fußgängerampel, wo ein vielleicht 85-jähriger alter Mann in einem Schneckentempo die Straße überquert. Ich trommle nervös mit den Fingern aufs Lenkrad und gebe meinem metallenen ROSS erneut die Sporen. Da werde ich von einem Blitz geblendet, obwohl es gar nicht nach Regen aussieht. Ich schaue auf meine Geschwindigkeit und stelle fest, dass ich viel zu schnell gefahren bin und mich ein Radargerät erfasst hat. Angeschnallt war ich natürlich auch nicht, was ich jetzt entnervt nachhole.

Am Bürohaus angekommen springe ich aus dem Auto, schmettere ich Autotür zu und renne die Treppen in den dritten Stock, weil der Fahrstuhl gerade repariert wird, reiße die Tür auf und pralle fast mit meinem Chef zusammen. „Oho", ruft der mir entgegen, während ich schweißüberströmt gerade noch meinen Lauf stoppen kann. „Sie sind heute aber temperamentvoll und dazu noch viel zu früh!" „Wieso!?" entfährt es mir in größter Verunsicherung. „Es ist 8.50 Uhr, Sie haben wohl vergessen Ihre Uhr umzustellen. Wir haben ab heute Sommerzeit." Ich breche auf der Stelle noch vor meinem Chef zusammen. Da liege ich nun und die Sekretärin und mein Chef schlagen mir abwechselnd leichte Backpfeifen ins Gesicht, damit ich aus meiner Ohnmacht erwache. Zum zweiten Mal schlage ich heute meine Augen auf. Langsam, sehr langsam hilft man mir beim Aufstehen und ich setze mich auf einen Stuhl, wo ich erst einmal eine ganze Weile sprachlos vor mich hinstarre. Dann fällt mein Blick auf meine Strümpfe: ein schwarzer und ein gelb-rot geringelter von meiner Frau. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Unsere amerikanischen Gäste treffen ein und trotz des Pflasters am Kinn, den verschiedenen Strümpfen, einem zu erwartenden Strafzettel und einem kaputten nagelneuen Mercedes mache ich bei der Vertragsunterzeichnung eine hervorragende Figur!