Die drei auf den Raum orientierten Sinne

Aus: „Das Tier zwischen Mensch und Kosmos", von Frits H. Julius, Verlag Freies Geistesleben 1970

Frits H. Julius stellt in dem folgenden Text Gesichtspunkte über die Anordnung von Auge, Nase und Ohr zusammen. Dabei weist er auf übergeordnete Qualitäten hin, die sich im Allgemeinen wieder finden lassen.

 

"Wir verfügen über drei Sinne, die uns bis weit in den Raum hinein wahr­nehmen lassen: das Auge, das Ohr und das Geruchsorgan. Diese sind dieselben Sinne, mit denen sich auch die Tiere vorzugsweise in ihrer Umgebung orien­tieren. Sie spüren ihre Beute damit auf, sie erkennen die Gefahren, sie suchen ihren Weg mit ihnen, sie erkennen durch sie ihre Artgenossen, ihre Herde usw.

 

Auge

Doch zwischen diesen Sinnen besteht dennoch ein prinzipieller und sehr charakteristischer Unterschied im Verhältnis zu der Umgebung. Die Wirksam­keit des Auges ist mehr als die jedes anderen Sinnesorgans darauf abgestimmt, das Nacheinander und Nebeneinander der Erscheinungen im Räume wahrzu­nehmen. Erst von einem bestimmten Abstand an nimmt es die Dinge richtig auf und reicht bis zu den Sternen. Man nimmt mit ihm außer den Farben die Form und die Lage, die gegenseitigen Verhältnisse, die Abstände und die Be­wegungen der Dinge um uns wahr. Es beschäftigt sich vor allem mit der äuße­ren Erscheinung der Dinge und weniger mit den inneren Qualitäten.

 

Nase

Das Riechen dagegen hat mehr Erfolg, je näher man dem Objekt ist. Es hat etwas Intimes, und das Tier vertieft sich mit ihm meist intensiv in die Stoff­qualität eines einzelnen Gegenstandes. Für das Verhältnis der Dinge im Raum untereinander hat das Riechen keinerlei Bedeutung. Manchmal bekommt man den Eindruck: mit dem Auge stellt das Tier fest, dass etwas da ist und wo es ist. Es kann vielleicht sogar vermuten, was es ist, aber völlige Sicherheit erlangt es erst durch die Nase. Ein Hund, der Bekanntschaft machen will, ist mit den Ein­drücken von Ohr und Auge nicht zufrieden, sondern wird nicht eher ruhen, bis er den anderen Hund oder den Menschen beschnüffelt hat. Die Tiere müssen ihren Kopf, wenn sie gut riechen wollen, oft nach unten richten. Ein Tier mit einem mehr oder weniger hängenden Kopf, wie ein Bison oder ein Schwein, kann dann auch über ein vorzügliches Riechorgan verfügen.

Oft wird ein Tier aber auch imstande sein, die Beute, den Artgenossen, den Feind auf beträchtliche Entfernung mit der Nase wahrzunehmen. In diesem Fall wird der Kopf und speziell die Nase schon emporgehoben. Man kann dies schön beobachten bei einem Hund, der einen vom Wind mitgetragenen Duft­hauch wittert.

Während also ein Tier, das wachsam mit den Augen ist, fast immer den Kopf erhebt, wird ein Tier, das mit der Nase aktiv ist, diese bald nach unten oder auf die Dinge der nächsten Umgebung richten, dann wieder nach oben über den Kopf hinausheben, wenn es weiter Entferntes wahrnehmen will. Es gibt noch einen typischen Unterschied der Kopfhaltung beim wachsamen Sehen oder Hören und beim Riechen. Beim aufmerksamen Riechen wird die Nase so weit wie möglich nach vorn gestreckt; der Kopf wird dann meist in der Verlän­gerung des Halses gehalten. Wird das Sehen mehr betont, so ist zwischen Hals und Kopf meist ein Knick.

 

Ohr

Das Gehör hält sich in vieler Hinsicht in der Mitte zwischen Sehen und Rie­chen. Es ist viel weniger als das Auge auf die räumlichen Verhältnisse der Dinge und Wesen abgestimmt, und doch können viele Tiere mit dem Gehör ein anderes Tier oder einen Vorgang genau lokalisieren. Ganz besondere Fähigkei­ten auf diesem Gebiet scheinen die Eulen zu besitzen. Wer eine Katze hat, kann die guten Fähigkeiten in dieser Hinsicht leicht prüfen.

Das Gehör ist viel mehr auf die inneren Zustände des anderen Wesens ab­gestimmt als das Sehen, und gerade darin besteht eine gewisse Übereinstim­mung mit dem Riechen. Bei den Klangerscheinungen im Allgemeinen spielt der Verlauf in der Zeit eine viel größere Rolle als die Stellung im Raum. Es geht dabei sehr oft um Veränderungen.

Wenn ein Tier intensiv lauscht, richtet es seinen Kopf nicht weniger als beim Sehen so weit wie möglich in die Höhe. Und bei den vielen Säugetieren, die die Ohren auch aufrichten können, wird die Senkrechte noch einmal besonders be­tont.

 

Es gibt gewichtige Anzeichen dafür, dass nicht nur das Erheben des Kopfes wichtig ist im Zusammenhang mit der Aktivität der Sinne, sondern auch der Höhenunterschied der drei nach außen gerichteten Sinne.

Auf einem merk­würdigen Weg bin ich zu dieser Erkenntnis gekommen. Seit langem war mir immer wieder der überhebliche Ausdruck des Kamels ein Problem. Eines Tages wurde mir deutlich, dass dieser Ausdruck hauptsächlich durch die merkwürdige Stellung der Nase verursacht wird. Diese wird nicht nur ungewöhnlich hoch gehalten, sondern sogar oft höher als Augen und Ohren. Ein Kamel hält also seinen Kopf dauernd in einer Stellung, die bei einem anderen Tier nur vor­kommt, wenn es in die Ferne wittert. Wenn man so etwas erfasst, kann es geschehen, dass sogar der dürftige Eindruck des Tieres im Tiergarten plötzlich ein Bild von der Landschaft, in das es gehört, in einem aufruft: kahle Gebiete, in denen die Nahrung an weit zerstreuten Stellen zu finden ist und wo weite Strecken zurückgelegt werden müssen, um Wasser zu finden. Alles an diesem Tier deutet auf eine Landschaft mit weitem Horizont. Mit all seinen Körpertei­len bewegt es sich, als ertaste es den Raum. Die hohen Beine, die für ein Säuge­tier ungewöhnlich lose mit dem Leib verbunden sind, bewegen sich mit langen, schaukelnden Schritten. Wenn es schnell läuft und dabei den Hals weit vor­streckt, ist es ganz in die Horizontale gestreckt. Das Kamel ist vermutlich der Vierbeiner, der sich am weitesten in die horizontale Richtung ausdehnen kann. Mit seinem eigenartig gebogenen Hals und seinen Höckern, mit seinem wirren, schmutzigen Fell ahmt es mehr als irgendein anderes Tier eine vollständige Landschaft nach. Man achte auf die Sandlandschaft der Dünen; wie oft findet man dort grasbewachsene Hügel, die wie Kamelhöcker aussehen.

So wie die Giraffen mit ihrem Bau und ihrer Haltung die Höhe suchen, so suchen diese Tiere den weiten Umkreis. Vor allem «tasten» sie mit ihrer Nase fortwährend in der Ferne. Sie sind gebunden an das, was auf große Entfernung nur durch die Nase wahrgenommen werden kann.

Zur Charakteristik der Kamele gehört auch die auffallende Länge ihres Halses, während sie ihren Kopf doch eigentlich niemals über den Leib erheben. Dieser Hals zeigt sogar eine tiefe Krümmung nach unten, eine in der Tierwelt sehr ungewöhnliche Erscheinung.

Für die Lama-Arten, die einzigen Verwandten der Kamele, ist es nun gerade charakteristisch, mit steil aufgerichtetem Hals herumzulaufen. Während je­doch die Kamele an die Ebene gebunden sind und schnell in Schwierigkeiten geraten, wenn sie steile Wege erklimmen müssen, sind die Lamas Bergtiere. Sie sind äußerst behende und sichere Kletterer. Diese Tiere besitzen ebenfalls lange, locker sitzende Beine, einen sehr langen Hals und eine Kopfstellung, die der des Kamels entspricht. Sie tragen jedoch ihren Kopf fast immer so hoch wie möglich. Man hat von ihnen dann auch den Eindruck, dass sie fortwährend nicht nur mit der Nase, sondern mindestens ebenso stark mit den Augen und Ohren wachsam sind und aufmerken. Brehm erzählt, dass sie außerordentlich neugierig sind und häufig ganz in die Nähe der Menschen kommen, vor allem, wenn man ihnen ein seltsames Schauspiel bietet. Selbst während des Trabes versuchen sie, ihren Hals so lange wie möglich hoch zu halten, als ob sie krampfhaft vermeiden wollten, den Überblick über die Situation zu verlieren.

Wie wichtig die Haltung des Halses für die Lamas ist, zeigt sich auch in ihrer Kampfweise. Dabei geht es um eine Art Ringkampf mit den Hälsen. Diese wer­den zunächst noch in aufrechter Haltung umeinander gehakt, und dann versucht jedes Tier, das andere vom Hals aus niederzudrücken. Es ist oft schwer, ein solches Verhalten beobachten zu können oder beschrieben zu finden. Ich habe es nur einmal im Tiergarten gesehen, da allerdings lange und immer wieder. Brehm spricht über Beißen und Schlagen beim Kampf, auch das Spucken be­schreibt er als eine Form des Angriffs. Ich nehme jedoch an, dass die zuerst beschriebene Kampfmethode die charakteristischste ist, wenn die Tiere gegen­einander kämpfen.

Doch nun müssen wir zurückkommen auf das Verhältnis der drei Sinne un­tereinander. Wir dürfen annehmen, dass nicht nur beim Kamel, sondern im Allgemeinen auch bei anderen Tieren das Sinnesorgan am höchsten getragen wird, das für das Tier die größte Bedeutung hat. Zudem kann binnen kurzer Zeit ein Sinnesorgan nach oben gestreckt werden, wenn das Tier gerade auf dieses die größte Aufmerksamkeit richtet.

Bei den meisten Säugetieren befinden sich bei normalem Kopfstand die Ohren am höchsten, die Nasenlöcher am tiefsten. Das ist verständlich, da nur das Gehör unter allen Umständen aufnahmefähig ist und nach allen Richtungen hin reicht. Um einen Eindruck davon zu bekommen, auf welch empfindliche Weise die Tiere mit ihrem Gehör feine Verbindungsfäden nach allen Seiten spannen, muss man nur einmal darauf achten, wie eine Katze, ein Pferd oder ein Fuchs mit ihren Ohren manövrieren. Man bemerkt dann, dass sie in einem Meer von Geräuschen leben. Sie sind dadurch dauernd bereit, vor unerwarteten Ereignissen zu erschrecken, auf Artgenossen zu reagieren oder ein Signal ihrer Beute aufzufangen. In vielen Fällen wird die erste Warnung, dass etwas vor­geht, von den Ohren ausgehen. Unmittelbar darauf wird der Kopf dorthin ge­wendet, um mit den Augen wahrnehmen zu können. Auch die Tatsache, dass unter den Säugetieren zwar blinde oder fast blinde Arten vorkommen (der Süßwasserdelphin, der Maulwurf), aber keine tauben, kann ein Hinweis sein, dass das Gehör bei den Säugetieren gegenüber dem Sehen den Vorrang hat. Der Geruch und das Sehen leiden beide unter Beschränkungen, die für das Gehör keine Rolle spielen. Das Auge kann nicht nach allen Richtungen blicken, und zudem kann es beeinträchtigt werden durch Dunkelheit oder viele Hindernisse. Die Möglichkeit zu riechen ist von der Windrichtung abhängig. Sobald jedoch der Wind einen auffallenden Geruch mit sich bringt, wird die Nase hochge­streckt, so dass die Ohren die höchste Stellung verlieren und oft sogar am tiefsten zu stehen kommen. In diesem Augenblick übertrifft die Nase als war­nendes Sinnesorgan die anderen Sinne an Bedeutung.

Bei den Vögeln liegen in der Regel die Augen am höchsten. Auch dies ist wieder verständlich. Mit ihrem ganzen Wesen sind sie viel mehr als andere Tiere auf den freien Raum abgestimmt. Die nicht fliegenden Tiere müssen unaufhörlich irgendwo Halt suchen und kleben also an der Erde, während der Lichtraum ihnen unzugänglich ist. Für die Vögel ist es gerade bezeichnend, dass sie sich ohne Beschränkung in den Lichtraum erheben können. Sie leben also in dem Raum, der vom Auge als Wahrnehmungsorgan beherrscht wird.

Auch das Ohr ist bei den Vögeln sehr gut ausgebildet, doch sind sie viel weniger von all dem abhängig, was sich durch Geräusche ankündigt. Meist flie­gen sie direkt auf das Ziel zu, das sie erreichen wollen, und es geschieht bei ihnen viel seltener als bei den Säugetieren, dass sie still und aufmerksam be­obachten müssen, was auf sie zukommt. Bei den Eulen tritt das Gehör viel stärker in den Vordergrund als bei den anderen Vögeln. Eine fliegende Eule kann das leiseste Rascheln mit Hilfe der Ohren genau lokalisieren. Bei diesen Tieren liegen die Ohrenöffnungen dann auch höher als bei den anderen Vögeln. Durch die eigenartige Kopfstellung, wobei der Schnabel stark nach unten ge­richtet wird, werden sie sogar meist über den Augen liegen. Beim Fliegen ist dies sicher der Fall.

Das Geruchsorgan ist bei den Vögeln im Allgemeinen schwach oder gar nicht ausgebildet. Der Kuriosität halber kann man hier anfügen, dass es mindestens eine Vogelart gibt, bei der das Riechorgan gut ausgebildet ist. Der Kiwi, eine neuseeländische Vogelart, schnüffelt bei der Suche nach seiner Beute im Boden. Bei diesem Tier fehlen die Flügel fast ganz, während die Federn lang und schmal sind und lose nach unten hängen. Alles weist darauf hin, dass die Ver­bindung zum Raum ganz verloren gegangen ist. Er lebt in dichten Wäldern und ist zudem in der Hauptsache ein Nachttier. Er benutzt kleine Höhlen im Boden als Ruhe-, Brut- oder Fluchtplatz.

Beim Menschen liegen die Augen über den Ohröffnungen und den Nasen­löchern. Er gleicht hierin mehr den Vögeln als den Säugetieren. Man kann leicht einsehen, dass dieser Augenstand mit dem Wesen des Menschen über­einstimmt. Seine Haltung, bei der das Haupt so hoch wie möglich in der Lichtwelt getragen wird, deutet darauf hin, dass er in erster Linie ein Lichtsucher ist. Zudem ist das Auge das Sinnesorgan, an dem sich das hellste Bewusstsein ent­zünden kann.

Es ist eine bezeichnende Tatsache, dass bei den Menschenaffen, genau wie bei den anderen Säugetieren, die Ohren am höchsten liegen. In ihrer Haltung findet man in der Tat nicht mehr dieses Streben nach dem Licht und noch weniger dieses Ringen um Bewusstsein wie beim Menschen."