Die Sprache der Germanen, Stabreim (Rudolf Steiner)

Aus der GA 235, 15.März 1924

"... Ich musste z.B. eine historische Tatsache in einer anderen Vortragsserie in diesen Zeiten einmal schildern: den Zusammenstoß der römischen Welt mit der nördlichen germanischen Welt zur Zeit der Völkerwanderung, zur Zeit als das Christentum nach dem Norden sich ausgebreitet hat von den südlichen, griechisch-lateinischen Gegenden her. Man muss diese physischen Vorfahren der mitteleuropäischen Welt und der südeuropäischen Welt nur richtig vor sich haben, dann bekommt man schon einen Eindruck davon, wie viel menschliche Impulsivität einmal in der Welt war. Da war es schon so, dass das Miterleben mit den geistigen Mächten der Natur ein ganz reges war unter den verschiedenen germanischen Stämmen, auf welche die Römer in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung trafen....

Da haben diese Leute dasjenige, was sie erlebt hatten, auch in die Sprache hinein ergossen. Da war für diese Leute das Wehen des Windes ebenso die physische Geiste einer geistigen, seelischen Äußerung, wie wenn der Mensch seinen Arm bewegt. Man nahm wahr dieses Wehen des Windes, das Flackern des Lichtes im wehenden Winde als den Ausdruck des Wodan. Und wenn man diese Tatsachen in die Sprache hineinnahm, wenn man diese Dinge in die Sprache hineinlegte, so legte man den Charakter dessen, was man erlebte, in die Sprache hinein. Wenn wir es in der modernen Sprache ausdrücken wollten: Wodan weht im Winde..., das Wehen, es ergießt sich auch durch die Sprache... Nehmen Sie dieses Miterleben, das bis in die Sprache hinein erzittert und hineinwallt!

Wenn dann der Mensch hinaufschaut, den Donner gewahr wird, der aus den Wolken erdröhnt, und hinter dieser Naturgebärde des Donners die entsprechende geistige Wesenhaftigkeit schaut und das ganze zum Ausdruck bringt: Donner oder Donar dröhnt im Donner... da ist in die moderne Sprache hinein ergossen, was in einer ähnlichen Weise in der alten Sprache erklungen hat. Und dann ebenso wie gefühlt haben diese Menschen in den Naturwirkungen das Geistige und es ausgedrückt in ihrer Sprache, wenn sie zum Kampfe gingen, die helfende Gottheit, die in ihren Gliedern lebte, die in ihrem ganzen Gebaren lebte. Und da hatten sie ihren mächtigen Schild, und da stürmten sie die Worte hin, indem sie den Schild vorhielten.

Und die ganze Tatsache dessen, dass sie, sei es einen guten, sei es einen dämonischen Geist, hineinstürmten in die Sprache, die wiederum in mächtigem Anprall sich verdumpfte und erhöhte und gewaltig wurde, die drückte auch aus dasjenige, was sie wollten, im Vorwärtsstürmen: Zui zwingt Zwist! Das hinter dem Schild gesprochen, mit all der Kampfeswut und Kampfeslust, das gab einen Sturm! Sie müssen sich das denken aus Tausenden von Kehlen auf einmal an die Schilder angesprochen. In den ersten Jahrhunderten, wo der Süden mit Mitteleuropa zusammenkam, da war nicht so sehr das, was äußerlich im Kampfe wirkte, das eigentlich Wirksame, sondern da war dieses mächtige Gebrause, das sich den Römern entgegenstürzte... dasjenige, wodurch dann eine heillose Angst sich den von Süden herankommenden Völker bemächtigte. Die Knie zitterten vor dem „Zui zwingt Zwist!", das tausend Kehlen hinter den Schildern brüllten...."