Die erste Klassenfahrt als mediale Erlebnisreise

Ein Beitrag von Uwe Buermann

Erleben, Empfinden, Verstehen

Auch in der Medienpädagogik sollte sich das Konzept des vertikalen Lehrplans der Waldorfpädagogik wiederfinden. Damit ist jener Dreischritt gemeint, den man in allen Fachbereichen wiederfinden kann, wobei die Abstände zwischen den einzelnen Schritten sehr unterschiedlich sein können. Zunächst lassen wir die SuS Dinge erleben, dann am nächsten Tag, in der nächsten Epoche, oder sogar Jahre später reflektieren wir gemeinsam mit der Klasse über das Erlebte, wissend, dass hierdurch eine emotionale, seelische Bindung zu dem Erlebten gebildet wird. Und im dritten Schritt führen wir die Klassen dazu, das seinerzeit Erlebte zu verstehen, indem sie die dahinterstehenden Gesetze durchschauen und sachlich richtig einordnen können.
In naturwissenschaftlichen Epochen folgen diese Schritte von Tag zu Tag, in anderen Zusammenhängen können, wie gesagt, auch Jahre dazwischen liegen. Dieses Prinzip wird auch auf alte Kulturtechniken angewendet, so zum Beispiel die Epoche vom Korn zum Brot in der dritten Klasse. Die Kinder pflügen den Acker, in dem sie selbst den Pflug ziehen, sie säen von Hand, ernten das Getreide mit Sicheln, dreschen es mit Holzflegeln, mahlen das Getreide mit Handmühlen und backen das eigene Brot. Das hierbei Erlebte sollte dann spätestens im Landwirtschaftspraktikum reflektiert werden, wenn sie nun Erfahrungen auf modernen landwirtschaftlichen Betrieben sammeln, in denen Maschinen zum Einsatz kommen und die gesamten Arbeitsprozesse deutlich effizienter vonstattengehen. Das eigentliche Verständnis kommt dann in der Wirtschaftslehre oder Ökologieepoche, wenn die SuS die Gesetzmäßigkeiten und ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen durch die Entwicklung der Landwirtschaft in den letzten Jahrhunderten erkennen.

Bei allen Überlegungen, wo und wann wir die Medienerziehung in die Waldorfschule integrieren, sollten wir diesem Prinzip treu bleiben und nicht immer gleich aufklärend an die Jugendlichen herantreten. Des Weiteren ist es auch wichtig, immer wieder daran zu denken, dass es bei einer umfänglichen Medienerziehung nicht nur um die digitalen Medien gehen darf, sondern alle Medien, auch die analogen, ihren Platz in der Medienerziehung finden müssen.

Hierzu soll das folgende Beispiel einen anregenden Beitrag leisten. Sollten Sie es in Gänze, oder auch nur in Teilen zur Anwendung bringen, freue ich mich über Ihre Erfahrungsberichte (uwebuermann@t-online.de).

 

Fotografie als Erlebnis auf der ersten Klassenfahrt

Auf der ersten Klassenfahrt, die in der Regel in der fünften Klasse stattfindet, manchmal auch schon in der vierten Klasse, sollten digitale Medien selbstverständlich keine Rolle spielen. Dies sollte auch für die Betreuer*innen gelten. Da dennoch bei den meisten Familien, Eltern wie Kindern, der Wunsch nach Fotos von diesem Ereignis besteht, folgt ein Vorschlag für den medienpädagogisch sinnvollen Kompromiss.
Jede Schülerin und jeder Schüler darf eine Kleinbildkamera mit ein oder zwei Filmen á 24 Bildern mitbringen, das Gleiche gilt für die Betreuer*innen. Die genaue Anzahl, ob ein oder zwei Filme, wird in der Vorbereitung mit den Eltern abgesprochen. Viele Familien besitzen noch Kleinbildkameras, die auch noch funktionsfähig sind, und müssen ihren Kindern nur entsprechende Filmrollen besorgen. Alle anderen können ihren Kindern in Drogerie- und Elektromärken Einwegkameras besorgen. Da diese immer nur 24 Bilder haben, sollten aus Gründen der Gleichberechtigung auch alle anderen nur Filme mit 24 Bildern mitbringen und nicht mit 36.
Mit folgenden Erlebnissen ist zu rechnen:

  • Einzelne Kinder werden schon auf der Fahrt zum Zielort mehr oder weniger alle Bilder machen und werden in späteren wichtigen Momenten kein Foto mehr machen können.
  • Andere werden mit halbvollen Filmen nach Hause kommen, da sie immer wieder vergessen haben Fotos zu machen.
  • Keiner kann direkt nachschauen, ob seine Fotos etwas geworden sind, erst nach der Rückkehr können die Filme zum Entwickeln gebracht werden und erst nach mehreren Tagen kann man die fertigen Fotos anschauen.
  • Bei guten Bildern, die man in der Klasse verteilen möchte, müssen nachträglich Abzüge bestellt werden.

An die hier gesammelten unkommentierten Erlebnisse kann dann in verschiedenen späteren Schuljahren und Unterrichtszusammenhängen reflektierend angeknüpft werden. So zum Beispiel in folgenden Zusammenhängen:

  • 7./8. Klasse, wenn es um die Fragen geht, wann darf ich wen fotografieren? Recht am Bild und Persönlichkeitsrecht. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, bevor ich ein Foto oder Video im Internet veröffentlichen darf? Etc.
  • 8./9. Klasse, wenn es um Fragen geht wie, warum fotografieren sich manche Menschen nackt, oder lassen sich nackt fotografieren? Gab es das immer schon? Und wenn nicht, was hat sich geändert?
  • 10./11. Klasse, wenn die Themen Bildmanipulation, Fakenews und durch KI´s erzeugte künstliche Bilder behandelt werden.

 

Telefonie als Erlebnis auf der ersten Klassenfahrt

Zum Thema Telefonie wären ein bis drei Schritte möglich, um hier erste Urerlebnisse zu schaffen.

Schritt 1: Dosentelefon Wettbewerb.

Benötigtes Material: Auf einer Seite offene Blechdosen, gewachste und ungewachste Schnüre.
Die SuS sollen in Teams die möglichst längste Verbindung hinbekommen. Zum Test werden einige Worte, oder ein ganzer Satz vorgegeben, die vom Sender gesprochen und vom Empfänger aufgeschrieben werden. Danach dürfen alle anderen Teams die längste Verbindung ausprobieren.

Schritt 2: „Das Fräulein vom Amt“

Benötigtes Material: Gartenschläuche, die Anzahl ergibt sich aus der Anzahl der Zimmer, bzw. Zelte. Verbindungsstücke (Hälfte der Anzahl der Schläuche). Trichter (doppelte Anzahl der Schläuche. Glöckchen in der Anzahl der Schläuche. Stehendes Brett mit Bohrungen in die die Schläuche eingeklemmt werden.

Vorbereitung: Von jedem Zimmer/Zelt wird ein Schlauch zum Lehrerzimmer/-zelt gelegt und dort beschriftet in das Brett eingeklemmt. An beiden Enden werden die Trichter eingesteckt. Das Lehrerzimmer/-zelt wird damit zur Zentrale, die Verbindungsstücke werden bereitgelegt.
Nach dem Abendprogramm und vor dem Lichtlöschen, können sich die Zimmer/Zelte noch einmal anrufen. Hierzu nehmen sie mit der Lehrerin oder dem Lehrer über den Trichter Kontakt auf und teilen mit, mit welchem Zimmer sie verbunden werden wollen, ist die Leitung frei stellt der Lehrer die Verbindung her. Die Schläuche sollten im Lehrerzimmer/-zelt etwas durchhängen (z.B. über einen Stuhl gelegt werden) so dass hier ein Glöckchen angebracht werden kann. Sobald eine Seite das Gespräch beenden möchte, zieht sie an dem Schlauch und der Lehrer trennt die entsprechende Verbindung.

Sollte diese SuS dann in ihrem späteren Leben in einem Film oder Roman der Ausdruck das „Fräulein vom Amt“ begegnen, werden sie sicher damit etwas anfangen und verbinden können.

Schritt 3: Walkie-Talkie Schnitzeljagd

Benötigtes Material: Mehrere Paare von Walkie-Talkies.
Am letzten Tag wird eine Doppelte Schnitzeljagd vorbereitet. Das heißt die jeweiligen Teams teilen sich auf, jeder Team Teil bekommt ein Walki-Talkie. Team Teil A bekommt die nächsten Aufgaben/Zielmarken für Team Teil B und umgekehrt. Werden alle Aufgaben gelöst und gut kommuniziert, treffen sich beide Teamteile gleichzeitig am gemeinsamen Endziel.

Dies kann dann in der Mittel- und Oberstufe reflektierend aufgegriffen werden, wenn die Themen Funkwellen, elektromagnetische Wellen, Elektrosmog etc. behandelt werden.