Fortsetzungsaufsatz (4. Klasse)
Ein Beitrag von Rosemai Schmidt
Die 27-köpfige Klasse war vom Aufsatzschreiben insgesamt nicht so sehr begeistert. Daher kam mir die Idee, das Thema einmal ganz anders anzupacken. Voraussetzung war, dass ich den Beginn einer ‚Geschichte' anbot, die an einer ganz spannenden Stelle endete.
Diesen Beginn - ca. 2 Kapitel eines gedachten Buches - las ich vor. Die Kinder wollten unbedingt wissen, wie diese Geschichte weitergehe. Ich sagte ihnen, das wisse ich nicht, weil die Geschichte überhaupt bislang nur aus dem bestehe, was sie eben gehört hätten.
Es entstand eine richtige Diskussion, und jeder versuchte den anderen mit noch skurrileren Ideen in bezug auf den Fortgang der Geschichte zu übertrumpfen.
Daraufhin schlug ich den Kindern vor, diese Geschichte zu vollenden.
Mein Part bei dieser Sache war folgender:
1. Vorgabe des Themas:
Einige Kinder lernen auf einem versteckten Grundstück einen skurrilen Erfinder kennen, der merkwürdige Apparaturen hat. Einer davon ist eine Uhr, mit deren Hilfe man durch die Zeit reisen kann. Die Kinder wollen das natürlich prüfen, denn sie denken, der Mann lügt, und finden sich tatsächlich zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort. Danach beginnt eine Odyssee durch die Zeit, im ständigen Bestreben, irgendwie wieder nach Hause zu gelangen.
2. Die Übergänge:
Das Schreiben sowohl der Anfangs - und der Endkapitel, als auch der Übergänge zwischen den einzelnen, von den Kindern zu schreibenden Kapitel. Letzteres ist zum einen notwendig, um einen inhaltlichen und thematischen Lesefluss zu garantieren, zum anderen, da es ja um das Thema ‚Fortsetzungsaufsatz' geht. An diesen Übergangsstellen werden die einzelnen Kapitel zu Fortsetzungsgeschichten, weil immer der Beginn und der Schluss vorgegeben sind.
Durchführung:
Plot: Jedes Kind überlegte sich, welches Thema es bearbeiten wollte.
Beispiel: Ein Kind (ein Grieche) wollte die Kinder bei Odysseus landen lassen. Dazu schrieb es den‚ 'Plot', also stichwortartig, was passieren sollte. Vorgabe: Maximal eine DinA4-Seite.
Bemerkung: Manche Kinder taten sich schwer, eine Geschichte zu überlegen, diesen musste ein wenig Unterstützung gegeben werden. („Was ist denn dein Hobby?" - „Modelleisenbahn." - „Dann überlege doch mal, ob bei dir die Kinder nicht an dem Ort landen zu dem Zeitpunkt, wo die erste Lokomotive fährt, erfunden wird ... etc.")
Überleitungen: Die 27 ‚Plots' vor mir, war meine Aufgabe, diese zu ordnen, in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen und die Überleitungen zu schreiben.
Ausführung: Jedes Kind erhielt seinen - wenn nötig korrigierten - Plot zurück, wobei der Anfang des Kapitels (maximal 2 oder 3 Sätze) und das Ende (auch nicht viel umfangreicher) mit Büroklammer beigefügt waren.
Nun schrieb jedes Kind sein Kapitel. An diesem Morgen gestaltete ich den Unterricht durchlässig insofern, als es keine zeitliche Vorgabe gab. Jedes Kind durfte schreiben, bis es fertig war. Die Kinder, die schon fertig waren, arbeiten frei an vorbereiteten Aufgaben, bis das letzte Kind fertig war. Diese Arbeit war ein Konzept.
Korrektur: Meine Aufgabe war nun, die Geschichten zu korrigieren.
Reinschrift: Die Schüler erhielten ihre korrigierten Geschichten zurück, zusammen mit leeren weißen DinA4-Blättern und einem Linienblatt, dessen Ränder so gestaltet waren, dass rundum genügend Raum blieb für das Binden des Buches zum Schluss.
Daraufhin schrieben die Schüler den korrigierten Aufsatz ins Reine. (Auch ich schrieb die Anfangs- und Schlusskapitel handschriftlich, wie die Schüler)
Gestaltung: Im Fach Kunst überlegte jedes Kind, wie es seine Geschichte illustrieren könnte. Es gab keinerlei Vorgaben, jedem Kind war freigestellt, welche Stifte oder Technik es anwenden wollte.
Fertigstellung: Alle Geschichten wurden zusammengestellt und anschließend von mir zu einem Buch gebunden. Es war sehr schön, wie stolz die Kinder auf IHR Buch waren. es gab keinerlei Reaktion wie: „Ich will das selbst haben" oder so. Es war UNSER Buch.
Vorlesen: Das Schönste am Schluss war, das Buch vorzulesen. Jeden Morgen begann der Unterricht damit, dass das nächste Kapitel vorgelesen wurde, das ja außer mir und dem Autor des Kapitels noch niemand kannte, und jedes Kind las sein Kapitel selbst vor. Die Kinder waren sehr stolz auf ihr Buch.