Plastizieren eines Kopfes

Ein Beitrag von Alexandra Born (Rudolf Steiner Schule Hagen)

In der Waldorfschule gibt es im Vergleich zu anderen Schulen allerhand Besonderheiten. Das kennen diejenigen, die schon länger dabei sind, gut, und die, die planen, länger dabei sein zu wollen, werden es kennenlernen. Einige dieser Besonderheiten finden sich im handwerklich-künstlerischen Unterricht und eine der besonderen Besonderheiten ist für mich das Plastizieren eines menschlichen Kopfes in Klasse 12.

Tagtäglich sieht jeder von uns eine Vielzahl von Menschen und auch wenn dabei auf vieles geachtet wird, so liegt ein Hauptaugenmerk, ob bewusst oder unbewusst, auf dem Gesicht. Der wachsame Beobachter kann hier beinahe alles ablesen. Ist unser Gegenüber müde und erschöpft, gut gelaunt und fröhlich, nachdenklich und abwesend, ist es wütend? Das alles wird sichtbar und es ist deutlich mehr, als unsere Hand - ebenfalls ein wichtiges Körperteil - über uns verraten würde. Der ganze Mensch in seinen unsichtbaren, wie sichtbaren Befindlichkeiten spiegelt sich im Gesicht wider, es ist für den aufmerksamen Beobachter ein Abbild von Leib, Seele und Geist des Menschen.

Und es ist die Aufgabe des Zwölftklässlers, eines in Ton abzubilden.

Die Grundformen entstehen langsam und gründlich und es ist für alle Beteiligten lange nicht klar und auch sicher, ob sich aus Bestandteilen wie einem Ei und einem Zylinder überhaupt ein Kopf entwickeln wird, auch für die Lehrerin immer wieder eine bange Zeit... Aber bisher ist es noch immer gut gegangen! Je menschlicher der Kopf wird, desto näher rückt er mit seinem Erschaffer zusammen. Und der Raum ist voll von Modellen von Augen, Nasen und Mündern, alle Mitschüler stehen freiwillig oder unfreiwillig dauernd zur Verfügung. Auch das eigene Gesicht wird befühlt, wobei man vielleicht eine Tonspur hinterlässt... Ganz deutlich wird während der Arbeit, wie gut jeder einzelne doch das Gesicht kennt, wie sehr wir damit verbunden sind. Für uns selbst sind Kopf und Gesicht das Tor nach draußen, unser Gegenüber darf dadurch ein Stück weit in uns hineinsehen und eintreten.

Alle beteiligten Schüler - und auch die Lehrerin - schauen im Verlauf der Epoche aber noch viel genauer hin, nicht nur während des Unterrichts, sondern auch davor und danach: was hat mein Gegenüber für eine Nase, ist sein Mund groß im Vergleich dazu, die Oberlippe aber vielleicht klein...? Und zurück im Unterricht wissen die Hände genauer, als man denkt, was zu tun ist, vielleicht, weil wir unser eigenes Gesicht unzählige Male am Tag berühren. Wenn man zum ersten Mal einen Kopf plastiziert, ist es sinnvoll, ihn ohne ganz große seelische Regung darzustellen. Schon wenn ein Mensch nur lächelt, ist das ganze Gesicht in Bewegung und man müsste alle Bereiche neu durchgestalten. So sind die auf den Abbildungen sichtbaren Köpfe nicht sehr bewegt, und dennoch ist jeder einzelne eine eigene Person geworden mit einer eigenen Geschichte. Manche davon wurden während der Epoche erzählt...