Rudolf Steiner: Eine Befruchtung chaotisiert den Eikeim

Rudolf Steiner GA 235, S. 22f

Die folgenden Abschnitte sind nicht als Unterrichtsinhalte gedacht, sondern vielmehr als Stolpersteine für den kritischen Zeitgenossen. Auf dem Hintergrund, dass die heutige Evolutionstheorie durch die so genannten Missing Links keine Geschlossenheit aufweist, sind die Gedanken Rudolf Steiners interessante Denkanstöße.

 

"Was heißt vererbt?

Es führt der Begriff der Vererbung zuletzt dar­auf zurück, dass dasjenige, was einem als mannigfaltig gestaltetes Tier entgegentritt, im Eikeim des Muttertieres enthalten war. Und das ist ja das Bestreben der modernen Anschauung, einen Ochsen äußerlich in seiner mannigfaltigen Gestaltung zu betrachten und dann zu sagen: Nun ja, der Ochse kommt aus dem Eikeim; da waren die Kräfte drin­nen, die dann ausgewachsen den Ochsen geben. Daher ist der Eikeim ein außerordentlich komplizierter Körper. Er müsste auch furchtbar kompliziert sein, dieser Eikeim des Ochsen, denn nicht wahr, da ist alles drinnen, was nach vielen Seiten drängt und gestaltet und bildet und wirkt, damit aus dem kleinen Eikeim der vielgestaltete Ochse wird.

Und wie man sich auch windet - es gibt ja da viele Theorien, Evolu­tionstheorien, Epigenesistheorien und so weiter -, es ist immer nichts anderes, als dass man doch sich vorstellen muss: Dieser Eikeim, das kleine Ei, ist etwas furchtbar Kompliziertes. Wie alles zurückgeführt wird auf Moleküle, die in komplizierter Weise sich aus Atomen auf­bauen, so stellen manche die erste Anlage dieses Eikeimes als ein kom­pliziertes Molekül dar. Aber das stimmt nicht einmal mit den physischen Beobachtungen überein, meine lieben Freunde.

Die Frage entsteht: Ist denn dieser Eikeim wirklich ein so kompli­ziertes Molekül, ein so komplizierter Organismus schon? Das Eigen­tümliche des Eikeimes ist nämlich gar nicht, dass er kompliziert ist, sondern dass er die ganze Materie ins Chaos zurückwirft. Gerade der Eikeim ist etwas, was im Muttertiere nicht ein komplizierter Aufbau ist, sondern ein vollständig pulverisiertes, durcheinander geschmissenes Materielles. Es ist gar nichts organisiert. Es ist gerade etwas, was ins absolut Unorganisierte, in sich Staubhafte zurückfällt. Und niemals würde eine Fortpflanzung entstehen, wenn nicht die unorganisierte, die leblose Materie, die ins Kristallinische, ins Gestaltige strebt, wenn nicht diese in sich ins Chaos gerade im Ei zurückfiele. Das Eiweiß ist nicht der komplizierteste Körper, sondern der allereinfachste, der gar keine Bestimmung in sich hat. Und aus diesem kleinen Chaos, das da als Eikeim besteht zunächst, könnte ewig kein Ochse werden, wirklich nicht, denn er ist eben ein Chaos, dieser Eikeim.

Warum wird dann dennoch ein Ochse daraus? Weil im mütter­lichen Organismus die ganze Welt nun auf diesen Eikeim wirkt. Gerade weil er bestimmungslos geworden ist, weil er Chaos geworden ist, kann die ganze Welt auf ihn wirken. Und die Befruchtung hat kein anderes Ziel in der Welt, als die Materie ins Chaos, ins Unbestimmte, ins Be­stimmungslose zurückzuführen. So dass nicht etwas anderes, sondern nur das Weltenall wirkt."