Evolution - Theorie und Fach

Ein Beitrag von Holger Baumann

I. Evolution - Theorien und Auseinandersetzung 

II. Konsequenzen für den Biologieunterricht an Waldorfschulen 

 

Die Theorie in Kürze

Die sogenannte „Synthetische Evolutionstheorie" - salopp gern als Neodarwinismus bezeichnet, im weiteren einfach ND - gründet sich als gängige Anschauung des Mainstreams in Wissenschaft und Schule auf  eigentlich recht simple Voraussetzungen. Im Prinzip reichen drei Evolutionsfaktoren, Mutation, Rekombination, Selektion - aufs Wesentliche vereinfacht etwa so: Eine Mutation, eine genetische Veränderung, ereilt ein Lebewesen. Wichtig dabei ist die reine Zufälligkeit, die völlige Absichtslosigkeit dieses Ereignisses. Als Folge kann sich eine Veränderung des Phänotyps (der Nachkommen) ergeben, nachdem die Erbanlagen im Akt der sexuellen Fortpflanzung rekombiniert wurden, zum Beispiel längere Beine oder eine längere Zunge. Angenommen, damit kommt dieses Wesen besser an Nahrung, so hat es nun einen Selektionsvorteil im „Überlebenskampf" gegenüber anderen Wesen mit kürzeren Beinen. Damit beweist es seine genetische Fitness, denn es kann nun Nachkommen zeugen, die an veränderte Umweltbedingungen womöglich besser angepasst sind...

 

Kritik als Sakrileg?

Im Bekanntenkreis von Biologen kann man deutlich erleben, dass kritische Anmerkungen oder berechtigte Nachfragen (zum Gradualismus, zu Missing links, zum Begriff Zufälligkeit etc.) nicht selten zu  sonderbaren Blicken oder gar Äußerungen wie „Bist du etwa Kreationist?" führen. Es wurden in den öffentlichen Medien (Spiegel) namhafte Wissenschaftler gegeißelt, ja denunziert, nur weil sie es wagten, bestimmte Glaubenssätze  infrage zu stellen.

Der Genetiker Lönning etwa zeigte das Problem der komplexen Strukturen auf am Beispiel des Fangapparats des Wasserschlauchs: Dieser komplizierte Mechanismus brauchte sicher sehr viele Mutationen, bis er soweit war ein Wassertier zu fangen und auch zu verdauen. Sinn als Selektionsvorteil ergibt sich erst, wenn die komplexe Struktur fertig und funktionsfähig ist. Das hinterlässt die Frage, wieso die Mutationen und entsprechende morphologisch-anatomische Entwicklungen, die bis zur Fertigstellung keinerlei Selektionsvorteil - sondern energetisch eher einen Nachteil - boten, nicht nach dem darwinistischen Postulat ausselektiert wurden. Dieses Argument wird als das der „nicht reduzierbaren Komplexität" bezeichnet. Die Entwicklung von hochkomplexen Organen lässt sich so nicht gradualistisch und konsistent im neodarwinistischen Sinn erklären.

Was hier wundert ist, dass die Reaktionen auf Kritik am Neo-Darwinismus selbst kaum den Grundsätzen „guter", also rationaler Wissenschaft entsprechen, sondern oft irrational und emotional aufgeladen scheinen. Die Neo-Darwinisten verhalten sich dann, als wäre ihre Evolutionstheorie eine Art monotheistisches Glaubenssystem und die Kritiker wollten gar ihren heiligen Altar einreißen. Dabei schießen die „Verteidiger des ND" mit voller Breitseite zurück, indem sie die Kritiker ihrerseits als naive Kreationisten bezeichnen, die glauben würden, ein Gott hätte die Welt und die ganze Lebewelt durch einen großen Zauber oder gigantisches Abrakadabra  vor 8000 Jahren erschaffen (inklusive der „Lehre der erschaffenen Zeit"). Damit wäre man als Naturwissenschaftler natürlich der völligen Lächerlichkeit und Unglaubwürdigkeit preis gegeben.

 

Alternative zur Mainstream-Theorie?

Die Waldorfpädagogik ist angetreten, „Wissenschaft, Kunst und Religion" zu einer höheren Synthese zu führen. Es ist der Ruf danach, die Ganzheitlichkeit unserer Welt wahrzunehmen, zu erkennen. In dieser holistischen Betrachtung liegt in der Tat eine evolutionäre Herausforderung. Diese wird seit einigen Jahrzehnten von Wissenschaftlern, Philosophen und freien Geistern verschiedenster Couleur, denen die materialistisch-reduktionistische Weltsicht unangemessen und eher larval erscheint, angemahnt, postuliert, ausformuliert.

Hier also: die Theorie des Intelligent Designs. Intelligent Design stellt mitnichten die Evolution als Entwicklungsabfolge in Frage. Sie  bestreitet aber ihre sinnlos materialistische Erklärung, die Ursache: Zufall plus Auslese!                                                                                                        

Dass derartige primitiven Erklärungsmodelle die Intelligenz des Homo sapiens beleidigen würden, ist sicher kein schlagendes Argument.  Der aufmerksame Mensch erlebt in Politik, Gesellschaft und persönlichem Alltag genug „Dummheiten", die den Namen Homo sapiens („der weise Mensch"!) nicht gerade rechtfertigen. Eine intelligente  Ursache für die unglaubliche Lebewelt im „Raumschiff Erde" anzunehmen, erscheint aber dann doch sinnig, offenbart dieses Super-Ökosystem unseres Mutterplaneten jedem aufmerksamen Zuschauer eine superintelligente Abstimmung der lebenserhaltenden Kreisläufe, Populationen und Individuen. Wir erkennen sinnvolle Baupläne, Kreisläufe und Funktionszusammenhänge in Organismen und Systemen.  Wir entdecken Selbstregulation und Rückkopplungen auf allen Ebenen. Das soll nach dem gängigen ND aber das Ergebnis zusammen gewürfelter Zufallskombinatorik sein? Das „Design" übersteigt unsere derzeitige Intelligenz, unser Bewusstsein  der „Welt"-Zusammenhänge doch bei weitem! Sonst hätten wir - als Menschheit - kaum mit so viel ökologischen und weltpolitischen Unzulänglichkeiten zu  kämpfen.

Die Kritiker unterstellen den ID-Anhängern nun, dass „Intelligent Design" auch die Forderung nach einem intelligenten Designer, also einen GOTT , einen GROßEN GEIST impliziere. Nun zunächst brauchen wir das Modell nicht, um das intelligente Design als Feststellung unseres wahrnehmenden Denkens grund zu legen, denn es ist offensichtlich.

 

Zufall, Gott und Notwendigkeit?

Die Frage „ Was ist eigentlich Zufall?" kann ebenso hintergründig wie unbeantwortbar bleiben wie die Frage „Was ist denn diese intelligente kosmische Entität?".

Es gibt aber eine Reihe von zeitgenössischen Wissenschaftlern, die logische Argumente gegen die Lehre des reinen Zufalls anführen. Der Paläontologe Simon C. Morris geht davon aus, dass bestimmte Strukturen wie unser Linsenauge mehrmals entstanden sind und auch immer so wieder entstehen müsste. Auch sei die Entwicklung zum intelligenten Menschen  unausweichlich gewesen.

 Der Mediziner und Genforscher Joachim Bauer („Das kooperative Gen" 2008)  sagt es deutlicher: „ Genomische Entwicklungsschübe und die Bildung neuer Spezies sind weder ein zufälliger noch ein langsam kontinuierlicher  Prozess. Artbildungen sind das Werk einer inhärenten, in den jeweiligen Genomen selbst angelegten Dynamik. Lebende Systeme sind daher nicht nur Betroffene, sondern Akteure der Evolution." (:188)

 

Welche Alternativen gibt es noch?

Erwähnt seien hier nur zwei Denkansätze. Als Waldorfpädagogen sehen wir in Goethes Prinzip des „Typus" eine mögliche wirkende Kraft, die zur Evolution der Organismen führt. Die fortlaufende Ausgestaltung von Arten und Populationen wird demnach auch (!) „von innen" geformt, und eben nicht nur (!) von äußeren biotischen und abiotischen Umweltfaktoren (siehe bei Andreas Suchantke, der in zahlreichen Veröffentlichungen u.a. an diesem Aspekt der Evolution forscht). Diese Sichtweise hat Anklänge an den LAMARCKISMUS und den postulierten „Vervollkommnungstrieb" der Wesen. Lange als absurde Theorie abgetan, gibt es heute durch moderne Erkenntnisse der Epigenetik durchaus Hinweise, dass Aspekte des Lamarckismus doch zutreffend sein können (z.B. Weitervererbung genetischer Disposition für Krankheitsanfälligkeiten von hungernden Nachkriegsmüttern bis an die Enkel, Weitervererbung bestimmter Angstzustände bei Laborratten etc.).

Einen großen Wurf eines ganzheitlichen Konzepts unternahm Teilhard de Chardin mit dem Gedanken, dass „Evolution einen sinnvollen, auf das menschliche Bewusstsein zulaufenden Prozess darstelle, der in keiner Weise im Gegensatz zur Annahme eines höheren Prinzips stehe" (Info 3, 2011/05).

Dieses „anthropische" Prinzip wird von reinen Zufalls-Biologen natürlich abgelehnt. Es lässt sich aber, etwa durch die stufenweise Entfaltung der Gehirnabschnitte, insbesondere des präfrontalen Cortex, vom Lemuren über Schimpanse bis zum Jetztmenschen schlüssig darlegen.

Angeführt sei noch die Gegenüberstellung zweier Sichtweisen hinsichtlich des Auftretens der Lebewesen in der Zeit. In unten stehender Tabelle habe ich einmal die Top down - Sicht dargestellt, die man von Angaben Rudolf Steiners gewinnen kann, und die Bottom up - Sichtweise der aufsteigenden Evolution. Interessanterweise widersprechen sich die Sichtweisen nicht und können sogar als komplementäre Sichtweisen des selben Phänomens gedacht werden.

II. Konsequenzen für den Biologie-Unterricht an einer Waldorfschule

Ausgangslage

In NRW wurde vor einigen Jahren das Zentralabitur an Waldorfschulen eingeführt. In Biologie sind vier sog. Halbjahresthemen Genetik, Ökologie, Evolution (und Neurobiologie) zu unterrichten. Wegen der Chancengleichheit haben einige Waldorfschulen in der 12. sowie 13.Klasse eingeführt, die Abiturfächer mit der gleichen Wochenstundenzahl zu unterrichten wie an staatlichen Stufen der Sekundarstufe II (LK 5, GK 3-4). Der Unterricht in Epochen wurde weitgehend beibehalten, da sich die Konzentration auf bestimmte Fächer eben auch in dieser Stufe bewährt.

Für den Biologen wie Biologielehrer kann das Thema Evolution zum „Königsthema" des biologischen Curriculums „mutieren". Hat man die Genetik und die Ökologie abgeschlossen, kann der Schüler dann das Thema Evolution auch aus vielfältiger Sicht facettenreich beleuchten. Evolution als Unterrichtsthematik früher oder vor den anderen Fachgebieten zu verorten, kann auch spannend sein. Es können aber nicht alle Aspekte, die nun mal dazu gehören, beleuchtet werden.

Die Schüler werden durch die Fragestellungen tief in ihrem Innern berührt: Wie ist das Leben entstanden? Warum gibt es diese millionenfache Vielfalt an Lebewesen ringsum? Ist in dieser Vielfalt Struktur oder Plan erkennbar? Warum kann ein Krebs keinen Computer erfinden? Warum spielen Katzen nicht Klavier? Haben Fliegen ein Bewusstsein? Wie verändern sich die Arten? Warum hat die Evolution zum Menschen geführt? Wie steht der Mensch, wie stehe „ich" zur belebten Welt?

Die existenziellen Fragen rühren an das eigene Rätsel des Lebens, des Warum, des Wie und des Wohin des eigenen ICH-Seins! Nicht alles kann die Wissenschaft Biologie beantworten, aber sie kann aufrühren und sehr tiefsinnige Impulse geben....

 

Das Dilemma

Die Schüler sollen für das Abitur laut Lehrbuch und Erwartungshorizont lernen, Fragestellungen und biologische Probleme exakt mithilfe des neodarwinistischen Werkzeugkoffers zu bearbeiten. Sie sollen also genau so argumentieren wie ich es am Anfang kurz skizzierte. Das Dilemma liegt nun auf der Hand: Als Unterrichtender, der ganzheitlich denkt, sieht man in dem ausschließlichen ND-Kontext eine nicht vollständige Sichtweise, die es zu korrigieren und zu erweitern gilt.  Als engagierter Biologielehrer möchte ich den Schülern - neben dem Abitur - Fragestellungen als tiefe Empfindung sowie als „Lebensauftrag" mitgeben - Fragen und Problemstellungen, die kein Lehrbuch beantworten kann, die aber das zu lebende Leben, die die sukzessiv erfahrbare Biografie beantworten könnte. Bedingung ist: Man hält sich als Erwachsener im Verlauf seiner zu lebenden Zeit diese Frage- und Suchströmung lebendig - gewissermaßen als seine ganz individuelle parcival`sche Sinnsuche

In den 70er und 80er Jahren wurde an Waldorfschulen wegen dem extrem materialistischen Kontext des ND (auch wegen der dann unvermeidlichen verwandtschaftlichen Nähe zum „Säugetier") das Thema Evolution oft nicht oder nur am Rande unterrichtet - der Stundenumfang mit einer Epoche pro Schuljahr machte ohnehin Weglassungen nötig. Dem  Dilemma muss man aber nun an Waldorfschulen begegnen.

Es kann nicht um das „Entweder - oder" gehen. Man kann es als Biolehrer mit dem aus dem ökologischen Denken entstammenden „Sowohl-als auch" versuchen. Die Schüler können verstehen, dass sie sich in den Abiturklausuren auf die Werkzeugkiste des ND beschränken müssen. Dennoch verstehen sie auch, dass es eine erweiterte Sichtweise zum Thema geben kann und beschäftigen sich auch intensiv damit. Insofern ist der „Sek. II-Unterricht" in Waldorfklassen 12 und 13 in keiner Weise austauschbar mit denen eines Gymnasiums - wenn der unterrichtende Kollege es also will und es aus seiner eigenen Biografie heraus  - im ganzheitlichen Sinn - entwickeln kann.

 

Die „Soziobiologie" - Inbegriff des Reduktionismus

Die Soziobiologie als Teilgebiet überträgt den Begriffs- und Erklärungskatalog des ND auf Perspektiven des heutigen Menschseins. Dabei betrachtet sie Phänomene des täglichen Lebens durch die Brille der „genetischen Fitness": auch Menschen verhalten sich dann nicht anders als Löwen oder Tintenfische, indem sie durch Konkurrenzverhalten ihren „genetischen Egoismus" durchsetzen wollen.

Der Zoologe Edward O. Wilson hat die These mit begründet und mit dem Postulat des „egoistischen Gens" Pflöcke in den Boden des gesellschaftlichen Bewusstsein getrieben. Der bereits erwähnte Joachim Bauer hat mit dem Werk „Das kooperative Gen" dazu einen ernstzunehmenden Kontrapunkt gesetzt.

Die Soziobiologie fordert, dass „die Tiere sich so verhalten, als ob sie das Ziel haben, möglichst viele eigene Genkopien in die nächste Generation zu bringen" (Natura Oberstufe Evolution), so dass sich Tiere individuell auch gegen das Wohl der eigenen Art verhalten können. Verwandtschaftliche Hilfe bei der Jungenaufzucht (sog. Verwandtenselektion) dient auch nur der „genetischen Fitness" , nur eben „indirekt". Die Soziobiologie geht davon aus, dass auch das Verhalten in sozialen Systemen, auch das menschliche in Familie und Gesellschaft, auf eine kleine Anzahl von Grundvoraussetzungen und Ökofaktoren zu reduzieren ist und damit eigentlich schon erklärbar.

Kirchenbücher in Ostfriesland wurden untersucht, ob Kindesmorde und Abtreibungen nach soziobiologischen Mustern im Sinne von Infantizid zu erklären sind.  Die Volksmärchen, z.B. Hänsel und Gretel, wurden untersucht, ob nicht das mütterliche und väterliche Investment die entscheidende Rolle spielen, um die eigenen Gene an die nächste Generation weiter zu geben...

Die Schüler könnten es so verstehen, dass sie selbst eigentlich nur opferhaftes Anhängsel ihres eigenen egoistischen Genoms seien - ein extrem reduziertes Menschenbild. Sicher scheinen manche soziobiologischen Blickwinkel als Impulse zutreffend (und sind immer wieder für ein paar Lacher im Unterricht gut): das allabendliche Imponiergehabe männlicher Jünglinge in den Discotheken und Fitnessstudios der Welt, die kosmetische Hervorhebung der tertiären kulturell bedingten Geschlechtsmerkmale weiblicher Zeitgenossen, usw.

Diese Teilaspekte des menschlichen Daseins können aber kaum das Verhalten der Menschen erschöpfend erklären. Klar ist, dass wir die „überwundenen" Evolutionsstufen in uns tragen, so die Triebe, die Instinkte, auch in den Strukturen des Gehirns (so das „Krokodil-Gehirn" mit den Überlebensinstinkten, das „Säugetier-Gehirn, welches uns - bis in die Schulkonferenzen hinein - nicht selten Flucht, Angriff oder Verstecken nahe legt... )

Sicher - man möchte den Menschen in seiner europäischen Gegenwart des 21.Jahrhundert doch zuweilen - auch wegen der damit verbundenen Zivilisationskritik  - als „domestizierten Primaten" bezeichnen. Den Menschen soziobiologisch aber in die Schublade „verhaustiertes Säugetier" stecken zu wollen, geht doch weit „an der Sache" vorbei.

  

Kooperation oder/und Konkurrenz

Mehr und mehr findet Kooperation als unterstützende Interaktion zwischen Lebewesen Eingang in evolutionäres Denken. Und nicht bloß als indirekte Hilfe für genetischen Egoismus in den üblichen Mustern der Soziobiologie.

Wenn kanadische Biologen feststellen, dass sogar unterschiedliche Baumarten in einem Wald bei Nährstoffmangel mittels  umspannender Mycorhiza-Pilzfäden einander fehlende Nährmineralien „abgeben", rührt das an dem Konkurrenzparadigma gewaltig.

Es werden immer mehr Kooperationen und Symbiosen bei Bakterien, Pflanzen, Bäumen, zwischen Tieren unterschiedlicher Gattungen, bei Menschen, in biologischen und sozialen Systemen entdeckt.

Die große - und leider in vielerlei Hinsicht verkannte - Biologin Lyn Margulis hat in der „Endosymbiontenhypothese" mit entdeckt, dass kernhaltige Zellen zu Organellen reduzierte Bakterien enthalten (Mitochondrien und Chloroplasten), also durch Kooperation und Integration entstanden sind. Margulis hat die Prinzipien symbiontischer Beziehungen (für Schüler: Wohngemeinschaft zu wechselseitigem Nutzen) als die „wichtigsten artbildenden Prozesse der Biosphäre" bezeichnet. Auch hat Margulis mit dem Chemiker James Lovelock die Gaia-Hypothese ausformuliert (die Biosphäre der Erde stellt ein übergeordnetes System dar, in dem die Umweltverhältnisse durch komplexe Interaktionen homeostatisch gesteuert werden.)

Der Biologe Martin Nowak stellt in seiner Evolutionstheorie die Kooperation gleichwertig neben Mutation und Selektion.  Zum Beweis bezieht er die mathematische Spieltheorie ein. Er analysiert etwa Gefangenen-Dilemma-Spiele in Netzwerken von Mitspielern.  (Leute kooperieren gerne mit solchen Mitspielern, von denen sie wissen, dass diese zuvor Dritten geholfen haben, usw.)

„Wie kommt man von einem Einzeller zu einem Vielzeller. Wie kommt man von einem Organismus zu einer menschlichen Gesellschaft. Das nennt man Konstruktion auf einer höheren Ebene - und dafür braucht man Kooperation."

Sogar die Entstehung von Religion und Moralkodizes erklärt Nowak durch die sozialen Vorteile der Kooperation. „Kooperation ist für den Menschen etwas ganz Wesentliches. Und die Religionen verstehen, dass das Rezept zu einer wirklich langfristigen Kooperation nur dasjenige ist, dass die Menschen weniger egoistisch werden. Das heißt: Was kann ich eigentlich tun, um anderen Leuten zu helfen?"

Zurück zum wesentlichen Auftrag des Waldorfpädagogen und Biologielehrers: den Heranwachsenden - über die Notwendigkeit eines erfolgreichen Biologie-Abiturs hinaus - Impulse geben und diese Impulse in der Interaktion mit ihnen lebendig werden lassen. Denn wir reden nicht nur über Evolution, wir sind Teil der ungeheuer dahinbrausenden Gegenwart unserer eigenen Evolution. Der neodarwinistische Krieg der Arten ist von gestern. Das Grundmuster der Evolution ist ein kooperatives Zusammenspiel aller Faktoren und Mitglieder des jeweiligen Systems miteinander. Sicher Konkurrenz findet statt,  aber immer im Kontext einer übergeordneten Ganzheit, um des Erhalts und Fortschritts des Systems willen.

Der Prozess der Differenzierung, Verschönerung, kreativen Erneuerung, der wachsenden Intelligenz und Bewusstheit ist die Gegenwart von heute und morgen.

„Evolution ist ein kooperativer, kreativer und intelligenter Prozess der Weiter- und Höherentwicklung, der aus sich selbst entsteht, sich selbst organisiert und als grundlegender Impuls das gesamte Universum durchzieht".

Wenn  ein Abiturient mit diesem Gedanken ins Leben, in seine Biographie zieht, hat er einen schönen Grundstein und entwicklungsfähige Gedanken mit im Gepäck.