Fechten als Unterrichtsfach

Ein Beitrag von Ulrich Maiwald (Sprachgestalter und Theaterpädagoge an der Freien Waldorfschule Haan-Gruiten)

Mit großem Einsatz und hohem Engagement üben sich Jungen wie Mädchen der 11. und 12. Klasse der Freien Waldorfschule Haan-Gruiten zwei Mal wöchentlich über einen Zeitraum von 90 Minuten im Rahmen des Kunst-Handwerks-Blockes das Fechten.

 Der Unterrichtsgong ist verklungen, 14 weißgekleidete Schülerinnen und Schüler mit merkwürdigen Masken unter dem Arm und einer Stichwaffe in der freien Hand betreten den Pausenhof und stellen sich in einem Kreis auf. Nach einer fast an eine Zeremonie erinnernden Begrüßung geht es los: „Heraus mit Eurem Flederwisch! Nur zugestoßen! Ich pariere.“

Diese Zeilen aus Goethes „Faust“ mögen dem ein oder anderen ins Gedächtnis springen, wenn er das Wort „Fechten“ hört. Andere denken an Duellszenearien oder schlicht und ergreifend an die olympische Disziplin. Was aber geschieht hier tatsächlich?

Die Schülerinnen und Schüler der 11. und 12. Klasse der Freien Waldorfschule in Haan-Gruiten drehen nach dem oben erwähnten „Fechtgruß“ in zügigem Lauf ihre Runden um das weitläufige Schulgelände, dann wird Gymnastik gemacht und ausgiebig gedehnt. Dieses Aufwärmen kann auch einmal von einem Schüler angeleitet werden und dient der Vorbereitung eines sehr anstrengenden Fechttrainingsprogramms. Nun geht es an die Fußarbeit, denn der richtige Bodenkontakt ist das A und O des Fechtsportes. Hier heißt es Standpunkt beziehen und flink die Position wechseln. Alles verläuft in der ganzen Gruppe und im höchsten Maße konzentriert. Jetzt zeigt sich, wie gut es war, sich vorher gründlich aufzuwärmen, denn die Streckung im Ausfallschritt fordert die Sehnen und Muskeln der Schüler bis in die Zehenspitzen. Man kommt in den Leib hinein, bis in die Füße!

Nun geht es an die Feinarbeit. Faust- und Klingenlagen, das sind streng vorgegebene Einladungen und Paraden, mit denen im Freigefecht Treffer erzielt und abgewehrt werden können, werden in geordneten und überschaubaren Aktionseinheiten geübt. Dabei kommt der Planung, Vorbereitung, Antäuschung und entschlossenen Umsetzung des einzelnen Fechtimpulses eine große Bedeutung zu. Es gilt sowohl überlegt und taktisch als auch entschlossen und willensstark vorzugehen. Durchsetzungskraft ist gefragt. Die Kunst des Fechtens gleicht an dieser Stelle einem Mittelding zwischen dem königlichen Schachspiel und einem Ringkampf. Jede Stunde werden neue Einladungsvarianten, Reposten und Finten geübt und so das Repertoire des Fechtschülers erweitert.

Den Abschluss und Höhepunkt jeder Unterrichtseinheit bilden dann die Freigefechte. Die Schüler stellen in einem „Fechtkampf“ die erlernten Fähigkeiten unter Beweis. Nun zeigt es sich, wie weit die Beherrschung des Federstahls gediehen ist und wie weit die Kondition und Körperbeherrschung des Einzelnen entwickelt ist. Selbstbeherrschung und Respekt vor dem Partner sind die Grundlage der Fechtkunst. Das strenge Regelwerk des Florettfechtens gibt dem impulsiven Sport, der das Temperament der Schüler anheizt, klare Rahmenbedingungen, an denen die Jugendlichen sich orientieren können und dazu aufgefordert werden, auch in der hitzigen Auseinandersetzung einen kühlen Kopf zu bewahren. Hier gilt: Nur wer überlegt und willensstark zu Werke geht, wird im Gefecht erfolgreich sein. Innere Stärke und Wachheit verhelfen zum Sieg. Und der ist den Jugendlichen natürlich auch wichtig. Wesentlich dabei aber ist, dass Aggressionskräfte hier gezielt und sinnvoll eingesetzt werden „dürfen“. Im Anschluss an das Freigefecht wird der Ablauf reflektiert und selbstkritisch ausgewertet, um so neue Impulse für die weitere Schulung mit dem Florett zu gewinnen. Schweißgebadet und mit roten Wangen, körperlich angestrengt, aber erfrischt und zufrieden wird die Stunde nochmals mit dem Fechtgruß geschlossen.

 

Was hat nun aber die Fechtkunst an einer Schule zu suchen?

Zunächst verbindet sie in idealer Weise Körperbeherrschung, Schnelligkeit und Ausdauer mit kühlem, geplantem und zielvollem Vorgehen. Außerdem wirkt sich der Fechtsport temperamentfördernd und -formend auf die Schüler aus. Bei allen Schülern ist zu beobachten, dass sie an Selbstvertrauen und Durchsetzungskraft gewinnen und eine deutliche Steigerung ihrer Kondition und ihres körperlichen Wohlbefindens erfahren. Menschenkundlich betrachtet lässt sich in dieser Sportart der planende Kopfpol, der überlegt und zielgerichtet Abläufe steuert, mit dem Willenspol des Menschen in hervorragender Weise verbinden. Vermittelnd tritt der Gefühlsmensch dazwischen, der sowohl im respektvollen Umgang mit dem Gegenüber als auch in der Entschlossenheit, sich gegen den Gegner durchzusetzen, ausdrückt und sich nicht zuletzt in der Begeisterung für den Umgang mit dem Florett erwärmt. Insofern spricht die Fechtkunst den ganzen Menschen an. Auch der ästhetische Sinn wird befriedigt, denn neben Schnelligkeit, Ausdauer und Kalkül ist auch die Schönheit der Bewegung ausschlaggebend für den harmonischen Ablauf der einzelnen Aktionen. Gerade in unserer bewegungsarmen Zeit und dem zunehmenden Zerfall äußerer Formen stellt der Fechtsport mit seiner hohen körperlichen Anforderung und seinem verbindlichen Regelwerk eine ideale Erziehungsgrundlage für den jungen Menschen dar.