Baumanns Epochenheftbrief

Der folgende Epochenbrief von Holger Baumann ist selbstverständlich nicht als Musterbrief zu verstehen. Er entspringt einer ganz individuellen Zielsetzung. Ein solcher Brief kann jedoch anregen, die Eltern innerlich anzubinden. Ebenso kann er Klarheit und Übersicht vermitteln, eine Grundvoraussetzung für jeden Lernerfolg.

 

Liebe Eltern, liebe Schüler!

In meinen Epochenbriefen möchte ich auf die pädagogische Situation der Jugendlichen eingehen. Der Waldorf-Lehrplan, der Unterrichtsinhalt einer Epoche, gründet sich ja genau drauf, wir sprechen ja auch vom "menschenkundlichen" Lehrplan.

 

Pädagogische Situation:

In der 9.Kl. kommt man der erwachenden Intellektualität der Schüler entgegen, indem man eher das einfache, kausale Schließen übt: das „wenn - dann!" als eindimensionale Kausalität, als Notwendigkeit, die sich aus den Welt-Erscheinungen ergibt. In der 10.Kl. erweitert sich das „wenn - dann" zum „sowohl - als auch", es geht um Wechselwirkungen. Die Klarheit im Denken der Jugendlichen nimmt zu, ihre Urteilskraft wächst - Lehrer und Eltern nehmen das zum Ende der Spätpubertät wohl wahr. Die Jugendlichen können sich aus dem Belieben von Sympathien und Antipathien (bezüglich Fächer, Themen und Menschen) heraus lösen. Nun setzt man sich mit Gesetzmäßigkeiten und Prozessen analysierend auseinander. Diese können nur durch das eigene u. aktive Denken und Vorstellen verstanden werden (nicht durch auswendig lernen).

Die große Aufgabe der Waldorflehrer in dieser Phase: Weltinteresse wecken und fördern!

 

Epocheninhalt:

„Innere Organsysteme im Zusammenhang mit der Psyche des Menschen"

In der 10.Kl. hat man die letzte Menschenkunde-Epoche. Laut Waldorf-Lehrplan ist die Menschenkunde in der Pubertätszeit von Kl. 7 bis 10 Leitthema des Biologie-Unterrichts.

In der 1.Epochenwoche gehen wir aus von der Dreigliederung des Menschen. Das Gliedmaßen-Muskelsystem ermöglicht WOLLEN, das Nerven-Sinnessystem DENKEN und das Rhythmische System (Atmung, Kreislauf, Herz) ermöglicht unser FÜHLEN. Nun ist das Rhythmische System deutlich und nachvollziehbar mit dem Seelischen verbunden. Und deshalb ist es für 10.Klässler - auch wegen der neuen „Entdeckungen" im Zwischenmenschlichen - das richtige Thema! Die Betrachtung der Alltagssprache („vor Schreck einatmen", „mir springt das Herz vor Freude", „hartherzig" usw.) erkennt unzählige Beispiele, die diesen Zusammenhang herstellen. (Hier kann man auf das Gebiet der aktuellen Psychosomatik verweisen.)

Wir haben in der 1. Woche die Atmung und die entsprechenden Organe behandelt.
Eingeschoben in die Epoche sind immer wieder Selbst-Experimente, wobei die Schüler ihre Atemzüge, ihre Pulsschläge sowie ihren Blutdruck jeweils vor körperlicher Belastung, direkt danach sowie 3 Minuten später zählen bzw. messen („Fitness-Test"). So werden die gelernten Prozesse am eigenen Körper erfahrbar und dadurch - wie ich hoffe - interessanter.

In der 2.Woche werden die Schüler einen kleinen Multiple-Choice-Test als Zwischentest bearbeiten. Ab der 2. Woche nehmen wir recht ausführlich durch - auch exemplarisch für eine vertiefende Betrachtung der Biologie, welche Kräfte im arteriellen wie venösen System überhaupt den Blutstrom bewirken. Dann sollen die Schüler kundig werden über Blutgruppen/ Blutübertragung und unser Immunsystem, verbunden mit der Frage, was eigentlich Gesundheit, was eigentlich Krankheit ist. Weiter werden wir auch in andere Organsysteme und Themen einsteigen.

Am Ende der 4. Woche schreiben wir eine Epochen- Abschlussklausur.

 

Waldorftypisches in der Oberstufe:

Es gibt Unterrichtsinhalte, die an der Waldorfschule durchaus mal „gegen den Strich" des wissenschaftlichen Mainstreams gebürstet werden können. Als ganzheitlich denkender Biologe lege ich Wert darauf, dass die Schüler lernen, sich auch kritisch mit allgemeinem Schulwissen auseinanderzusetzen und lernen, den Wahrheitsgehalt von Lehrmeinungen zu hinterfragen.

An vielen Stellen des lediglich von Mehrheiten akzeptierten „Weltbildes" ergibt die Überprüfung von Faktenwissen auch ganz andere Schlussfolgerungen. Beispielhaft dafür steht in dieser Epoche die Frage „Ist das Herz eine Pumpe?". Unser Sprachgebrauch geht davon aus („meine Pumpe"). Was bringt das Blut wirklich zum Strömen? Die Schüler erkennen bei näherer Betrachtung des Kreislaufs, dass die Herzarbeit selbst nur einen Teil zur Blutbewegung beiträgt. Eine Pumpe, die das Blut ganz allein durch das riesige Netz der engen Kapillaren durchzudrängen vermöchte, würde in Aorta u. Arterien einen so hohen Druck benötigen, dass er das ganze Kreislaufsystem zum Platzen bringen müsste. (Weitere Argumente: Im Embryo strömt erst Blut in Blutgefäßen, dann bildet sich daraus das Herz; Menschen mit intaktem Herzen können sehr kreislauflabil sein, während Menschen mit Herzmuskelschwäche und kräftigem Kreislauf sehr stabil leben können.)

Das Herz kann man also - ohne unwissenschaftlich zu werden- bezeichnen als ein Vermittlungsorgan für die Blutströmung sowie ein Wahrnehmungsorgan für die Qualität des Blutes. Vor allem ist es ein beseeltes Organ!

Falls Sie sich die Mühe machten, mal "Herztransplantation Persönlichkeitsveränderung" zu googeln, werden Sie vielleicht erstaunt sein über die Fülle an nachdenkenswerten Infos.

Es gibt zum Teil schockierende Hinweise, dass Menschen mit einem fremden Herzen Persönlichkeitsveränderungen erlitten haben, die mit dem Spender in Beziehung stehen („zelluläres Gedächtnis"). Das lässt sich kaum mit der Ansicht, das Herz sei eine bloße Muskelpumpe in Einklang bringen.

Wenigstens zum Nachdenken über gewohnte Vorstellungen möchte ich die Schüler (und Sie!) anregen. Wenn man sich eine aufmerksame Meinungsoffenheit auch als "Erwachsener" bewahren kann, kann man immer wieder Bewusstsein Erweiterndes erfahren....

Das Bildungsziel von „Waldorf" ist sicher auch das, dass erkannt und empfunden wird, dass der Mensch keine materielle Bio-Maschine ist, sondern eben ein ganzheitliches, nämlich ein körperlich-geistig-seelisches Wesen!

Mit freundlichen Grüßen

Holger Baumann

 

Erwartungshorizont

Ich versuche methodisch abwechslungsreichen Unterricht zu machen. Ich bemühe mich um Fairness und Wohlwollen, aber auch um Konsequenz. Eine positive Lernatmosphäre wird nicht nur vom Lehrer "transportiert" sondern auch aktiv von den Schülern.

 

Meine Erwartungen an die Zehntklässler sind:

  • selbständiges Mitschreiben bzw. Notizen machen, wenn der Lehrer vorträgt (von dem, was man nur hört, behält man 10%; wenn man Stichworte mitschreibt, behält man 30 -50 %! Hier kann ein aufmerksamer Schüler sich bereits im Unterricht Freizeit am Nachmittag "freischaufeln")
  • Engagement in der Gruppenarbeit und bei den Selbstversuchen und kooperatives Un-terstützen in der Gruppe
  • Mitarbeit im Unterricht (gut ist mindestens 3 mal melden o. beitragen pro HU. Stillere Schüler können üben, indem sie von sich aus Hausaufgaben vortragen!)
  • Tägliche Hausaufgabenzeit mindestens 30 Minuten! Auch selbständiges Nachschlagen von Fremdwörtern oder unverständlichen Fachbegriffen sollte ab jetzt ganz normal sein.

 

Abschließende Beurteilung für das Zeugnis

Mitarbeit im Unterricht 20 -40%, Test 10 -20%, Epochenheft 20 - 30%,
Abschlussklausur 40 -50%  (Der Von-bis-Rahmen deshalb, weil ich dann das jeweils Positivste bzw. pädagogisch Angemessene für den Schüler wählen kann)