Backtag im Waldorfkindergarten
Ein Beitrag von Rita Pätzold (Waldorfkindergarten Heilbronn)
Das Lernen des kleinen Kindes hat andere Bedingungen als das spätere schulische Lernen. Alle seelischen und geistigen Aktivitäten des kleinen Kindes sind noch ganz nach außen gerichtet, sinnlich-konkret mit der Außenwelt verbunden. Vor dem intellektuellen Lernen kommt das Lernen mit allen Sinnen Das Kind muss Welt buchstäblich begreifen, bevor es Zusammenhänge begreifen kann. Vor dem Begreifen kommt das Greifen!
Für den Kindergarten charakteristisch ist das sogenannte „implizite" Lernen. Darunter versteht man eine indirekte Lernweise, die sich vorwiegend am gelebten Beispiel orientiert - das Prinzip von Vorbild und Nachahmung.
Um dieser besonderen Form des kindlichen Lernens in bestmöglicher Weise nachzukommen, ist es notwendig, im Umkreis des Kindes einen Lebensraum zu schaffen, der reich ist an Anregungen und Erfahrungen handgreiflicher Art. Ein Erwachsener, der eine nachvollziehbare, überschaubare Tätigkeit ausübt, ist ungemein interessant für das Kind. Es fühlt sich entweder angeregt mitzuschaffen oder erhält hier wertvolle Impulse für sein Spiel.
Ich möchte nun am Beispiel des Backens aufzeigen, wie reichhaltig die Anregungen sind, die Kinder hier bekommen und wie vielfältig die Lernerfahrungen sind, die sie dabei machen können.
Jeden Mittwoch ist bei uns Backtag. Das ist ein festes Ritual. Morgens, wenn die Kinder in den Kindergarten kommen, ist schon der Backtisch vorbereitet. Es ist einfach klar: heute wird gebacken! Wir backen Brötchen oder Brot, das am nächsten Tag im Kindergarten oder auf dem regelmäßigen Waldausflug verzehrt wird. Das Backen hat also nicht nur einen Beschäftigungszweck. Außerdem schmecken uns unsere selbstgebackenen Brötchen ganz besonders. Die Bäcker haben bei uns einen guten Ruf. Wir hören öfters: „Ihr habt diese Woche aber besonders gute Brötchen gebacken!"
Beim Backen machen die Kinder die unterschiedlichsten Erfahrungen. Das Mehl wird mit der Mühle gemahlen, dann wird es abgewogen und in eine Schüssel geschüttet. Jetzt muss Hefe, Wasser in einem Krug sowie Salz und Öl gerichtet werden. Auch das Backblech wird vorbereitend bereitgestellt. Das sind Tätigkeiten, bei denen größere Kinder schon planend mit dabei sein können. Auch beim Vorteig können die Kinder helfen. Sie bröseln die Hefe klein, streuen vorsichtig etwas Zucker darüber und gießen behutsam warme Milch darüber und bedecken das Ganze mit Mehl. Dann muss dieser Vorteig ruhen. Bei diesem vorbereitenden Tun ist Umsicht, feine Dosierung und etwas Geduld gefragt. Auch die Sinne sind angesprochen.
Nach einer Weile ruft der Bäcker: „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen... " Jetzt binden sich die Kinder, die mittun, eine Schürze um. Unsere Schürzen haben extra lange Bänder, damit die Kinder daran üben können Schleife zu binden. Die kleineren Kinder üben erst mal nur einen Knoten. Dieses Üben geschieht ganz ne-benbei, eingebunden in einen größeren Handlungsablauf.
Wir sitzen nun alle an einem Tisch und jedes Kind darf nacheinander Mehl, Wasser, Öl und Salz in die große Schüssel tun. Da muss man Geduld haben und warten, bis man drankommt. Man muss auch aufpassen, dass noch Mehl für das nächste Kind übrig bleibt und nur ganz wenig Salz auf dem Löffel ist. Eine wunderbare Übung im Sozialen!
Nachdem die Zutaten umgerührt wurden, werden sie geknetet. Jedes Kind erhält ein Stück Teig zum Durcharbeiten. Das mögen manche Kinder zunächst nicht. Der Teig ist klebrig, er „bäht" an den Händen. Nur durch vorsichtiges Dosieren mit Mehl kann man den Teig wieder abbekommen. Um den Teig gut durchzukneten, braucht man dosierte Kraft und feinmotorische Geschicklichkeit. Das üben wir in unterschiedlichster Weise. Wir haben einen Bäckerspruch dazu:
„Wer nicht tüchtig kneten kann, ist kein rechter Bäckersmann. Knete, knete fest mit Kraft, durch und durch den Teig geschafft."
Der Teig wird geknetet, geklopft, gerollt, auf den Tisch geknallt (das macht den Kindern besonders Spaß, sie müssen es aber im Rhythmus des Bäckerspruchs tun) und von der rechten Hand in die linke Hand und wieder zurück gereicht. Dann bekommt der Nachbar das Teigstück und es geht wieder von vorn los. Am Schluss kommen alle Teigstücke wieder in die große Schüssel und werden noch einmal zusammen durchgeknetet. Wir probieren zwischendurch natürlich auch wie Salz, Zucker und der Teig schmecken. Manche Kleinen müssen dann auch ihre Finger abschlecken. Es ist ein ungemein sinnliches Vergnügen mit diesem warmen und weichen Teig umzugehen.
Jetzt werden die vorbereiteten Backbleche geholt. Meist backen wir „Schrippen" und „ Wecken" - das sind längliche und runde Brötchen. Außerdem machen wir noch ganz kleine Brötchen, die wir am gleichen Tag als „Probiererle" im Morgenkreis essen. Der Rest des Teiges wird ein Brot.
Jeder Bäcker bekommt nun in sein „Handschüsselchen" ein wenig Mehl und versucht aus einem Teigklumpen ein entsprechendes Brötchen zu formen. Am Schluss wird jedes fertige Brötchen mit einem Kreuz versehen, mit Wasser eingestrichen und mit Haferflocken oder Sesam bestreut. Beim Einschneiden darf man nur ganz vorsichtig aufdrücken, sonst werden die Brötchen platt. Zum Streuen nimmt man nur die Fingerspitzen - das ist der Pinzettengriff, der später auch zum Schreiben benötigt wird.
Die Backbleche werden in den vorgeheizten Ofen geschoben und der Wecker gestellt, wann sie wieder rausgeholt werden müssen. Gerne sehen die Kinder immer wieder nach, wie die Brötchen aufgehen und braun werden. Die Kinder freuen sich auch schon sehr auf das Probiererle, das mit Freuden verschmaust wird. Am nächsten Tag werden die Brötchen aufgeschnitten, mit Butter bestrichen auch da helfen die Kinder wieder mit. Und dann essen wir die Brötchen natürlich zum Frühstück.
Bei diesem Vorgang, der ganz selbstverständlich im Kindergartenvormittag eingebunden ist und jede Woche wiederkehrt, macht das Kind eine Menge Lernerfahrungen, ohne dass ihm irgendetwas erklärt wird. Nonverbal und ganz aus der Nachahmung heraus geschieht das Lernen.
Erst einmal erfahrt das Kind etwas über die Zubereitung von Nahrung. Brot nimmt in der Ernährung eine zentrale Stellung ein. Dieses Erfahren geschieht ganz im Tun.
Wir haben auch einen Handlungsbogen, der sinnvoll aufeinander aufbaut. Jeder einzelne Schritt ist nachvollziebar. Dann macht das Kind vielfältige sinnliche Erfahrungen. Und es lernt Hand und Finger zielvoll und fein dosiert zu steuern. Die Feinmotorik wird in vielfaltiger Weise angesprochen und geübt. Das Backen als Tätigkeit ist eingebettet in ein jahreszeitliches Tun. Wir machen zum Ende des Sommers mit den Kindern einen Erntereigen, wobei das Säen, Wachsen, Ernten und Bearbeiten des Getreides in Gesten, Liedern und Reimen spielerisch nachvollzogen wird.
Das Backen von Brot und Brötchen im Kindergarten ist eine wunderbare Tätigkeit, die viele Lernerfahrungen ermöglicht, aber auch viel Freude macht. Nicht nur den Kindern, sondern auch uns Kindergärtnerinnen! Falls Sie zu Hause diese Entdeckung noch nicht gemacht haben - probieren Sie es einfach einmal selber aus.
Viel Spaß dabei!