Die Entwicklung der deutschen Sprache

Erst im sechsten Jahrhundert zeichnete sich nach den vielen Völkerbewegungen der Wanderzeit endlich in einer sich langsam be­ruhigenden Welt die deutsche Sprache ab. Die Sprache unterlag noch, wohl infolge der Berührung mit fremden Sprachen, einer Reihe von Ver­änderungen, bis sich aus dem Germanischen das Althochdeutsche bildete. Wir können auch hier wieder, ähnlich wie bei der Loslösung des Germanischen von der indogermanischen Sprachgemeinschaft, be­stimmte Gesetze feststellen, die unter dem Namen Althochdeutsche oder zweite Lautverschiebung zusammengefasst wurden. Diese begann bei den Alemannen, verbreitete sich über Bayern und Österreich,  abnehmender Kraft nach Mitteldeutschland hinein und kam an der niederdeutschen Sprachgrenze zum Stillstand, wo sich die alten Niedersachsen der andringenden Flut sprachlicher Umwandlung entgegenstemmten und den alten germanischen Lautstand der Konso­nanten treu bewahrten.

So blieb die zweite Lautverschiebung im Vergleich zur ersten in ihrer Ausdehnung erheblich zurück, da sie auf ihrem Weg vom Süden nach Norden dauernd an Kraft verlor und nicht einmal im ganzen deutschen Sprachgebiet durchdringen konnte.

 

Die Ergebnisse der hochdeutschen oder zweiten Lautverschiebung sind folgende:

1.  Die germanischen stimmlosen Verschlusslaute p, t, k wurden zu den stimmlosen Reibelauten f, s, ch verschoben, wenn sie a) im Inlaut oder b) im Auslaut nach Vokalen standen.

a) Engl. pipe = Pfeife, engl. weapon = Waffe. engl. und niederd.

    water = Wasser,   engl.   white = weiß,   engl.   cake = Kuchen,

    engl. make = machen.

b) engl.   deep = tief,   engl.   ship = Schiff,   niederd.   dat = das,

    engl. hot = heiß, engl. week = Woche, engl. book = Buch.

 

2.  a) Im Anlaut sowie b) selten im Inlaut und c) im Auslaut nach Mit­lauten und d) in der Verdoppelung wurde p zu pf, t zu z.

a) Engl. pound = Pfund, engl. pepper = Pfeffer, engl. ten = zehn,

    engl. tongue = Zunge.

b) niederd. Kämpe = Kämpfer, engl. drop = Tropfen, engl. heat = Hitze,

    engl. sit = sitzen.

c) engl. stamp = stampfen, engl. carp = Karpfen, engl. heart = Herz,

    engl. plant = Pflanze.

d) engl. apple = Apfel, engl. little = lützel.

 

3. Germanisches d wurde in der Regel a) im Anlaut, b) im Inlaut und c) im Auslaut zu t.

a) engl. day = Tag, engl. drive = treiben.

b) engl. middle = Mitte, engl. under = unter.

c) engl. deed = Tat, engl. broad = breit.

 

4. Kennzeichnend für das ganze deutsche Sprachgebiet ist der Über­gang des germanischen th zu d sowohl im An-, In- und Auslaut:

engl.  thank = Dank, engl.  thing = Ding,

engl.  brother = Bruder, engl. bathe - baden,

engl. mouth = Mund, engl. death = Tod.

 

Derselbe Lautwandel findet sich auch in dem Wort »deutsch«. Wohl erst in althochdeutscher Zeit hat sich das Zusammengehörigkeitsgefühl der deutschen Stämme im Rahmen eines Reiches nachhaltig entwickelt und dafür auch einen sprachlichen Ausdruck in dem Worte deutsch ge­funden. Es bezieht sich allerdings zuerst nicht auf Volk, Land und Staat, sondern nur auf die Sprache. Es ist abgeleitet von der urgermanischen Wurzel theudo = Volk und entwickelt sich über altsächsisch thiudisk zu althochdeutsch diutisc und zu deutsch, bedeutet ursprünglich »volks­tümlich« und dient zur Bezeichnung der Sprache des Volkes im Gegensatz zum Lateinischen, der Sprache der Gebildeten. Das Wort erscheint im Italienischen als tedesco, im Schwedisch-Dänischen als tysk. Der älteste Beleg für dieses Wort stammt aus dem Jahre 786.

Man muss sich natürlich im Klaren sein, dass mit dem Aufkommen des Althochdeutschen - besonders was die Umgangssprache betraf -, noch keine einheitliche Sprachform geschaffen war. Es haben höchstens, landschaftlich beschränkte erste Ansätze dazu bestanden, die Formen von nur örtlicher Geltung zurücktreten zu lassen, wie sie der Kanzlei­verkehr und das Wirtschaftsleben von selbst mit sich brachten. Von einem bewussten Streben, die mundartlichen Verschiedenheiten zugun­sten einer einheitlichen Sprache zurückzustellen, kann in der althoch­deutschen Epoche wohl keine Rede sein. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Karolinger rheinfränkisch sprachen. Die einheitliche Gemeinsprache blieb auch weiterhin das Lateinische, das im ganzen Abendlande verstanden wurde